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Tod ohne Herrschaft

von Jean Helms

Kapitel 2

Du sahst mich an mit Augen, groß vor Schmerz, wie ein in die Enge getriebenes Etwas. Und dann bewegtest du deinen Kopf langsam von einer Seite zur anderen, als ob die Anstrengung schmerzte in deiner Kehle vor Ärger und vor Furcht.  Und dann drehtest du dich um und verließt mich, und ich stand da mit einem seltsamen Gefühl der Leblosigkeit in mir, und ich wunderte mich nur stumpfsinnig, dass du es konntest, deinen Trenchcoat so sorgfältig zuknöpfen.

Bis du gegangen warst, dann war all die Luft angefüllt mit meinen letzten Worten, sie schien zu springen und zu zittern.  Und in meinem Herzen hörte ich ein kleines Klicken der Tür, als sie sich schloss - leise, für immer.

"Trennung nach einem Streit"

- Eunice Tietjens


Ahab war da. Er war da, um sie zu holen, und um das zu tun, musste er sie in einen Sarg legen und seine kalten, toten Hände dazu benutzen. Aber Mulder wollte es nicht zulassen. Er schrie ihren Vater an, wieder und wieder. "Tu ihr das nicht an, du Hurensohn!" Er klang so, als ob er geweint hatte. Es ist in Ordnung, Mulder, es ist mein Vater. Ich muss gehen. Sie konnte nicht sprechen, konnte ihm nicht klarmachen, wie wichtig es für Ahab war, das zu tun. Mulder, wollte sie ihm sagen, Ahab ist hier, um mich zu holen. Zuerst muss er mich anziehen und er ist tot, deshalb sind seine Hände so kalt. Er hat mich niemals so angefasst, als ich am Leben war, aber nun, da wir beide tot sind, ist es notwendig, dass ich mit ihm gehe.

"Sie könnte jetzt jederzeit gehen," sagte Ahab. "Alles was ich tun muss, ist ein Knopfdruck. Das ist mein kleines Geschenk für sie." Ist es ein Weihnachtsgeschenk? Was ist es? "Du magst es, nicht wahr? Oh ja, sie mag es." Was ist es, Ahab? Kann ich es mitnehmen, wenn ich gehe?

"Nein, nein, nein!" Jemand schrie sie an. Wer war das? "Ich tue, was immer Sie wollen. Aber bitte... bitte... nicht..."

"Es tut mir leid, Dana," sagte Mulder, als sie sich bemühte, aufzustehen.  Sie musste aufstehen, sie musste mit ihrem Vater mitgehen. "Es tut mir so leid," sagte Mulder wieder. "Ich habe versucht, ihn aufzuhalten. Ich habe es versucht." "Es ist in Ordnung, Mulder," entgegnete sie, letztlich in der Lage, zu sprechen. "Jetzt ist alles in Ordnung. Du musst ihn nicht aufhalten, er ist mein Vater. Ich gehe mit ihm. Er weiß, was das beste für mich ist."

"Nein, Dana, geh nicht," flehte er. "Bleib noch ein bisschen länger bei mir, okay? Nur ein bisschen länger." Wieder versuchte sie, ihm zu antworten, aber es war zu laut. Jemand schrie im Hintergrund, und Ahab brummte laut, vielleicht weil ihm so kalt war. Sie versuchte, es Mulder zu erklären, aber er verblasste und dann blieb nichts als die Kälte und die Schreie... und dann war es wieder dunkel und der Schmerz war vorbei und sie flog, flog himmelwärts, auf ihrem Weg, um Ahab wieder zu treffen.

Bin ich wach?

Wo bin ich?

Meine Hände schmerzen.

Und mein Kopf.

Wo ist Mulder?

Ich fühle mich krank.

Scully wurde wieder ohnmächtig, sich nur dunkel dessen bewusst, dass ihr sehr, sehr kalt war.

Der Schmerz in ihrem Bauch weckte sie. Scully fühlte es, sie fühlte, wie sie in der Kälte zitterte. Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, aber dann erinnerte sie sich: Die hatten sie bereits für diesen Teil gefesselt, so dass sie sich nicht bewegen würde, wenn sich die Nadeln in sie bohrten. Es tat so weh, wenn die Maschinen ihren Bauch aufpumpten, aber sie taten es, um leichter an das heranzukommen, was sie wollten. Das war alles, worum sie sich Sorgen machten: sie bewegungslos zu machen. Gegenüber ihren hilflosen Schmerzensschreien waren sie gleichgültig. Aber es ist dunkel, dachte sie.  Was ist mit dem Licht passiert? Wo ist Penny, wo sind die anderen Männer?

Wieder versuchte sie, ihre Hände zu bewegen und Schmerz schoss wie ein Pfeil durch ihre Arme und weckte sie vollkommen auf. Sie lag nicht ausgebreitet auf einem Untersuchungstisch, sie lag mit dem Gesicht im kalten, dichtgepackten Alabamaton und ihre Hände waren hinter ihrem Rücken gefesselt. Die Fesseln waren schmerzhaft eng und schnürten das Blut in ihren Händen ab. Ihre Füße waren an den Knöcheln eng zusammengeschnürt. Im Mund hatte sie einen faulen Geschmack und ihr Haar war verfilzt und klebte an einer Seite ihres Gesichtes. Blut, dachte sie. Und noch etwas anderes.

In der Ferne raschelte der Wind und sie erschauerte wieder. Ihr war wirklich kalt, kälter als sie jemals geglaubt hätte, dass es jemandem im tiefen Süden sein kann. Irgendjemand hatte ihr ihre Schuhe ausgezogen und die meisten ihrer Sachen und hatte nichts weiter zurückgelassen als ein dünnes Baumwoll-T-Shirt und den Slip. Sie konnte sich nicht bewegen.  Überhaupt nicht. Es war ihre größte Angst und es war wieder passiert. Sie war entblößt, sie war hilflos, und das schlimmste von allem, sie wusste, dass ihr irgendjemand etwas angetan hatte - etwas unsagbar intimes - und sie hatte überhaupt keine Erinnerung daran. Wieder einmal.

Zitternd atmete sie ein und versuchte, nicht zu weinen, aber ihr Kampf verursachte einen Schmerzanfall in ihrem Bauch und sie schrie unfreiwillig auf. "Scully?" hörte sie Mulders Stimme hinter sich. "Mulder, wo bist du?" Es war eine ängstliche Stimme, die Stimme eines kleinen Mädchens. "Bring mich hier raus, bitte bring mich hier raus!" "Halt durch, Scully, du bist okay. Ich bin genau hinter dir." "Bist du verletzt?" "Nicht schlimm," antwortete er. "Ich kann mich nur nicht bewegen." "Ich auch nicht," erklärte sie und kämpfte darum, ihre Stimme zu kontrollieren. Panik wäre nicht hilfreich.

"Mulder, wo sind wir?" "Ich weiß nicht. Ein Keller oder so etwas." Sie hörte das flüsternde Geräusch seiner Sachen, als er sich zu ihr herüberschob. Auf seinem Bauch, dachte sie. Er kriecht auf seinem Bauch.  "Du bist verletzt," hörte sie Mulder sagen. Wie konnte er das wissen?  "Öffne die Augen, Scully," forderte er sie auf. Unter Schwierigkeiten zwang sie ihre Augen auf und spürte, wie das getrocknete Blut von ihren geschwollenen Augenlidern abbröckelte. Muss mir genau ins Gesicht getreten haben. Bastard. Es brauchte einen Moment, damit beide Augen in dieselbe Richtung blickten; es gab kaum genug Licht, um sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Als ihr Blick klar wurde, sah sie Mulder neben sich liegen, sein blutiges Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Auf seiner Stirn war eine große Schürfwunde und auf seiner Wange war ein geröteter Bereich, der ihr sagte, dass sich dort ein mächtiger Bluterguss bilden würde. Auch sein Hemd und seine Weste waren verschwunden, aber er hatte seine Jeans an; dennoch zitterte er.

"Du siehst fürchterlich aus," flüsterte sie und sah, dass sich die Sorgenfalten über seiner Braue ein wenig glätteten. "Danke gleichfalls, Rothaarige," meinte er, dann bewegte er sich gerade soviel vorwärts, um ihr einen raschen Kuss auf die Stirn zu geben. "Du hast dich lange Zeit nicht gerührt. Ich dachte, du wärst tot, bis ich hörte, dass du dich übergeben hast." "Hab ich das?" Scully schluckte schwer und spürte den metallischen Geschmack in ihrem Mund wieder.

"Ja," sagte er. "Größtenteils Blut. Ich dachte, sie hätten dich niedergeschossen." Scully schüttelte den Kopf. "Die Weste hat es abgehalten. Aber vielleicht sind da innere Blutungen. Ich kann nicht sagen, wo." Das Sprechen verursachte ihr ein beklemmendes Gefühl in der Kehle und sie hustete und schrie wieder vor Schmerz auf. Sie sah die Angst in Mulders Augen, aber sie konnte nicht sprechen, konnte ihn nicht beruhigen, als der Hustenanfall sie packte. Als er vorbei war, öffnete sie die Augen und sah die winzigen Spritzer ihres Blutes auf dem Gesicht ihres Partners. Er hatte sich nicht von ihr fortbewegt.

Auf diese Weise wirst du niemals einen Kurs in Seuchenkontrolle bestehen, Mulder, dachte sie, aber sie war dankbar für seine hartnäckige Loyalität.  Laut sagte sie nur, "Mir geht es gut, Mulder. Aber ich muss in ein Krankenhaus." Mulder nickte. "Ich weiß. Es hörte sich wie eine große Ladung an." "Es fühlte sich auch so an." Das war ein schwacher Versuch von Humor, aber Mulder lächelte trotzdem. "Du solltest es wissen, Scully. Kannst du überhaupt deine Hände bewegen?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Die Handschellen sind zu eng. Du?" "Nicht einen Zentimeter," erwiderte er. "Ich könnte nicht an die Schlüssel rankommen, selbst wenn ich sie noch habe, was ich bezweifle. Hier ist auch kein Platz, um sich hinzustellen."

"Unsere Waffen?" "Weg. Die Telefone auch. Und höchstwahrscheinlich deine Proben." Scully blickte nach oben und sah, dass die Decke ihres Gefängnisses nur einen oder anderthalb Meter über ihnen war. "Das ist ein Kriechplatz, Mulder," bemerkte sie. "In dieser Gegend gibt es keine Keller.  Die ganze Stadt ist auf einem Sumpfgelände erbaut. Wir sind unter einem Haus oder so." "Welchen Unterschied macht das?" "Es bedeutet, wenn wir kriechen können, sind wir vielleicht in der Lage, hier unten herauszukommen." "Ich glaube nicht, dass wir das können, Scully." "Wir müssen," erwiderte sie und ihre Stimme zitterte, nur ein bisschen. "Wir können hier nicht bleiben. Was ist, wenn sie zurückkommen?"

"Scully, du kannst dich nicht einmal bewegen." "Nein, aber du kannst es," sagte sie. Scully wollte gerade noch etwas sagen, als sie ein weiterer Hustenanfall packte und sie schmerzhaft schüttelte. Sie hustete und hustete, bis schließlich ihr Magen rebellierte und sie noch mehr Blut in den Schmutz unter sich erbrach. Dann brach sie zusammen, Tränen liefen über ihr Gesicht. Ob sie vor Schmerz, aus Angst oder Verlegenheit weinte, konnte sie nicht sagen. Immer noch zog sich Mulder nicht zurück, veränderte nur ein wenig seine Position. Er blieb dicht bei ihr und wartete, bis sich ihre Atmung wieder normalisierte, bevor er erneut sprach.

"Scully, ich lasse dich hier nicht allein," sagte er. "Du hast recht, die Leute, die uns hierher gebracht haben, kommen vielleicht zurück. Die, die noch am Leben sind, zumindest." "Es sei denn, sie haben uns hier gelassen, damit wir sterben," entgegnete sie unsicher und wieder raste dieser Schock hilfloser Angst durch sie hindurch. Sie zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Sie mussten hier verschwinden, sie musste sich unter Kontrolle halten. "Mulder, ich habe das Gefühl, dass ich einen der Männer, die uns angegriffen haben, kenne. Irgendwoher kannte ich seine Stimme." Mulder lachte, aber da war kein Humor darin. "Du kennst ihn ganz sicher," sagte er bitter. "Es war Alex Krycek."

"Was tut Krycek hier?" fragte Scully. "Das," antwortete Mulder grimmig, "ist eine Frage, die ich ihm nur allzu gern stellen würde. Aber das wichtigste ist jetzt, hier herauszukommen und dich in ein Krankenhaus zu bringen." "Dann musst du ohne mich gehen, Mulder," flüsterte Scully. "Geh und hole Hilfe." "Nein," sagte Mulder. "Wir gehen zusammen oder gar nicht.  Ich lasse dich hier nicht allein."

"Ich kann mich nicht bewegen." Die Panik in ihrer Stimme nahm wieder zu.  "Verstehst du nicht? Ich kann mich überhaupt nicht bewegen!" "Kannst du dich auf die Seite rollen?" fragte er leise. "Du musst dein Gewicht von deinem Bauch wegverlagern. Wenn du es kannst, dann kannst du dich mit deinen Füßen abstoßen." "Ich... vielleicht," meinte sie. "Ich werde es versuchen." "Okay," sagte er. "Aber mach langsam. Verschlimmere nicht deine Verletzungen." "Ich werde es versuchen."

Einen Moment brauchte sie, um ihren Mut zusammenzunehmen und ihre verletzten Muskeln dazu zu zwingen, sich zu bewegen und sich herumzudrehen.  Sie keuchte, als sich ihr Gewicht auf ihre Schulter legte und schmerzhafte Blitze durch ihre geschwollenen Hände zuckten. Ihre Schulter war eine quälende Masse, als ob jemand versucht hatte, ihren rechten Arm aus dem Gelenk zu reißen. Einen Schrei unterdrückend zwang sie sich zum Weitermachen, bis sie schließlich ein zitterndes Gleichgewicht auf der Seite erreichte. Mit zusammengepressten Augen blieb sie still liegen und versuchte, normal zu atmen. "In Ordnung, Mulder," sagte sie schließlich mit bebender Stimme. "Ich bin auf der Seite. Was jetzt?"

"Jetzt benutzt du deine Füße, um dich vorwärts zu schieben," erklärte Mulder. "Kannst du das tun?" "Ich denke ja," erwiderte sie. Sie grub ihre nackten Zehen so tief sie konnte in den Schmutz und drückte sich ab. Ihr Fuß schlitterte über den harten Boden, die raue Oberfläche riss etwas von ihrer Haut ab. Ihr Atem zischte in ihren Lungen, aber sie grub sich ein und versuchte es wieder. Und bewegte sich vorwärts, ungefähr fünfzehn Zentimeter. Scully stieß einen zitternden Seufzer aus. Sie konnte sich wieder bewegen. Aber es tat weh. Es tat sehr weh. Gegen die Schmerzen kämpfte sie um jeden Atemzug und schließlich begann sie wieder zu husten.  Mit jedem scharfen Atemzug schossen qualvolle Schmerzen durch sie hindurch.

"Scully?" fragte Mulder hinter ihr. "Scully, bist du in Ordnung?" "Ich kann das nicht tun," flüsterte sie und ihre Stimme rang um das letzte Wort. "Ich bin genau hinter dir, Scully," sagte Mulder. "Halt durch. Wir werden es schaffen." Sie spürte Mulder hinter sich, spürte seinen Atem an ihrem Nacken und sie griff blindlings nach seiner Hand, ohne nachzudenken. Ihre geschwollenen Finger glitten über seine Brust und sie fühlte den Schmutz und das Blut, die sie bedeckten. Schmutzige Wunden, dachte sie und ihre Angst wuchs wieder. Er braucht medizinische Hilfe genauso sehr wie ich. Und ich kann sie mich hier nicht finden lassen, damit sie mich wieder wegbringen und vergessen machen. Das haben sie vor vier Jahren gemacht und sie haben es heute wieder gemacht. Wer weiß, wessen Hände mich berührt haben und wo, oder was sie diesmal in meinen Körper hineingetan haben?

Scully konnte fühlen, wie ihre Selbstkontrolle immer weiter davonflog, mit jedem Moment, der verging, und sie geistig geblendet zurückließ und sie wild auf den Wahnsinn vollkommener Panik zurasen ließ. Mit großer Anstrengung zwang sie sich, zu sprechen. "Mulder," flüsterte sie. "Bleibst du bitte nahe bei mir?" "Ich bin genau hier, Scully," antwortete Mulder.  "Ich werde dich nicht verlassen. Lass uns weitermachen."

Scully verlor jeden Sinn für Zeit, während sich der Alptraum hinzog und vertiefte. Sie schob sich weiter vorwärts, kämpfte um Halt bis ihre Füße zerschunden waren und bluteten. Sie konnte ihren Atem nicht kontrollieren oder den Husten, konnte den Schmerz nicht kontrollieren oder ihre Empfindungen. Was immer auch in ihrem Bauch geblutet hatte, es blutete immer noch und sie konnte spüren, wie ihr Fleisch kälter wurde, ihr Puls schneller und dennoch schwächer als vorher.

Schock, dachte sie. Ich sollte das wirklich nicht tun. Still zu liegen begann weitaus attraktiver zu erscheinen als dieses schmerzvolle Dahinschieben auf ihren beinahe blutleeren Händen. Die Welt schien sehr weit weg zu sein. Da war ein hämmerndes Geräusch in ihren Ohren. "Scully?" rief Mulder genau hinter ihr. Sie wollte ihm antworten, aber es war so schwierig. Ihr Mund bewegte sich nicht. "Scully?" fragte er wieder, diesmal genau in ihr Ohr. "Wir müssen weitermachen. Hast du diesen Donner gehört?  Es wird wieder regnen und ich glaube nicht, dass wir hier unten sein wollen, wenn es regnet." "Kann nicht..." erwiderte sie. "Mulder, ich kann nicht." Ihre Stimme war schwach. Konnte er sie überhaupt hören?

"Du kannst, Scully," sagte er. "Du musst." Er war beinahe erschöpft, sie konnte es in seiner Stimme hören. Was, wenn er zusammenbrach? Oder was, wenn sie weitermachten, nur um angehalten zu werden, wenn sie die Welt da draußen erreichten, um für noch mehr Tests, noch mehr Experimente, noch mehr Erinnerungsauslöschung benutzt zu werden? Sie würde lieber gleich hier unten sterben, als sich den verschwundenen Monaten zu stellen und dem Wissen, dass sie wie eine Laborratte getestet, an den intimsten Stellen berührt und dann abgeschrieben, wie Abfall fortgeworfen worden war, um zu sterben, wenn sie mit ihr fertig waren. Und dann sich dem Horror der Erinnerung wieder zu stellen. Der Tod würde im Vergleich dazu ein Segen sein, dennoch wusste sie, dass sie doch nicht sterben wollte. Sie erschauderte, kämpfte gegen die Tränen an, aber es war sinnlos. Sie spürte die Tränen ihre Wangen hinunter laufen und eine Spur durch den dicken, groben Schmutz ziehen, der sie bedeckte. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich nie so hilflos und außer Kontrolle gefühlt.

"Scully," hörte sie ihn hinter sich flüstern. "Scully, nicht. Du kannst jetzt nicht aufgeben. Wir sind am Fuß einer Böschung, wir werden unter Wasser geraten, wenn wir uns nicht bewegen." "Ich kann nicht," erwiderte sie mit brechender Stimme. "Ich kann mich nicht mehr bewegen. Bitte zwing mich nicht. Bitte."

Dann spürte sie Mulders Körper an ihrem, spürte seine Lippen, die sich sanft an ihren Nacken pressten. Er war warm, seine Muskeln waren hart und schlank und sie drückte sich gegen ihn und wollte das bisschen Trost, das er jetzt geben konnte. "Bleib bei mir, Scully," sagte er leise. "Wir wollen hier raus. Wir werden es schaffen."

Mit einem Ächzen presste Mulder seine Füße gegen den harten Schmutz und drückte sich gegen sie. Sie bewegten sich kaum. Sich wieder vorwärtsschiebend, fester diesmal, schaffte Mulder es, ein bisschen Boden zu gewinnen und sich vorwärts in Richtung der zunehmenden Dämmerung kaum sechs Meter oder so vor ihnen zu schieben. "Wir werden hier herauskommen, Scully," wiederholte Mulder, aber sie konnte nicht länger antworten.  Benommen und verletzt und krank wie sie war, konnte sie nicht einmal die Kraft aufbringen, ihn zu ermutigen. Seine Kraft würde sie beide retten müssen.

Aber jetzt regnete es, es regnete heftig, zu schnell für den harten Ton unter ihnen, um das Wasser aufzunehmen und Mulders Füße begannen, abzurutschen, als er sich vorwärts schob, und er fiel nach vorn. Scully, die gegen ihn lehnte, verlor ihr unsicheres Gleichgewicht und fiel, mit dem Gesicht nach unten in eine kleine, wassergefüllte Vertiefung. Sie hob ihren Kopf, hustend und würgend, und erinnerte sich an das Entsetzen, das sie auf den Gesichtern unzähliger Ertrinkungsopfer eingefroren gesehen hatte. Hier war nicht viel Wasser, aber es war genug, das wusste sie. Sie wusste, dass sie ihr Gesicht aus dem Wasser halten musste, aber es war schwerer und schwerer, sich überhaupt zu bewegen.

In einer Minute, dachte sie, kaum zusammenhängend, werde ich mein Gesicht in den Matsch legen und sterben. Der Matsch wird meine Nase und meine Kehle füllen und sie werden mich mit dem gleichen Ausdruck der Angst auf meinem Gesicht finden.

Die Außenwelt schien verlockend nah. Sie versuchte, sich ein bisschen mehr vorwärts zu bewegen, aber die Anstrengung war zu groß. Sie konnte Mulder hinter sich spüren, der sie so langsam vorwärts schob und seine letzte Kraft dazu benutzte. Und dann war auch das Gefühl von ihm gegangen.

Das summende Geräusch wurde lauter und ihre Wahrnehmung verschwamm und wurde grau. Als sie ihre Augen schloss und sie in dem Grau, das sie umgab, versank, legte sich ihr Gesicht langsam in den kalten, roten Alabama-Matsch.

St. Catherine Krankenhaus

Scully erwachte inmitten der vertrauten Geräusche und Gerüche einer Krankenhausnotaufnahme. Ein Mann in dunkelblauer Kleidung beugte sich über sie. "Sie sind im Krankenhaus, Ma'am," sagte er. "Ich bin Arzt und Sie müssen operiert werden. Gibt es jemanden, den wir für Sie anrufen können?" Scully versuchte, zu sprechen, aber es gelang ihr nicht. Kein Ton kam heraus. Sie kämpfte härter, der Doktor beugte sich dichter heran, lauschte aufmerksam und blickte dann erschrocken auf.

"Was hat sie gesagt?" fragte die Krankenschwester, die neben ihm stand.  "Sie sagte ‚Rufen Sie das FBI an und sagen Sie Ahab, dass ich in Ordnung bin.'," antwortete der Doktor und starrte auf die Patientin herab.

"Sie ist im Delirium," entgegnete die Krankenschwester. "Sie hat den ganzen Weg hierher sinnloses Zeug geredet, sagten sie. Hat die ganze Zeit über Moby Dick geredet." "Das vermute ich," sagte der Doktor schulterzuckend.  "Bereiten Sie sie vor."

St. Catherine Krankenhaus

3:51 a.m.

Scully erwachte wieder einem Zimmer, das sie als postoperativen Erholungsraum erkannte. Sie war halb betäubt und ihre Kehle schmerzte, aber jetzt konnte sie wenigstens ein wenig klarer denken. Ich hatte eine Inhalationsnarkose, dachte sie. Ihre Handgelenke waren verbunden und sie konnte das Ziehen des Adhesivverbandes auf ihrem Gesicht spüren. Die Hände sahen soweit okay aus, verletzt aber nicht ernsthaft zerstört. Sie konnte die Finger beugen, wenn auch schmerzhaft.

Ihre Hände glitten über ihren Körper und sie fand ein kurzes Stück Schlauch, das genau unter ihrem fest verbundenen Rippenbogen hervorkam.  Eine chirurgische Kanüle. Sie mussten eine ernsthafte Operation an ihr durchgeführt haben. Laparoskopische Operation, kleiner Einschnitt, zu klein für eine Laparotomie. Was ist mit mir geschehen? Sie betrachtete ihre Hände. Die Nägel waren abgebrochen und eingerissen und fleckig von rotem Ton. Und dann erinnerte sie sich.

"Wo ist Mulder?" fragte sie mit kratzender Stimme, während sie verzweifelt versuchte, sich aufzusetzen. Eine Krankenschwester mit einer Papierhaube kam zu ihr herüber. "Sie müssen still liegen, Ma'am," sagte sie. "Können Sie mir Ihren Namen sagen?" "Scully, Dana Scully," antwortete Scully. "Wo ist mein Partner?" Die Krankenschwester antwortete nicht. Sie drückte ein Stethoskop auf Scullys Arm, um den bereits eine Blutdruckmanschette gelegt war. Scully spürte, wie sich die Manschette aufpumpte, enger wurde und dadurch die Schmerzen in dieser Hand vergrößerte. Scully biss sich auf die Lippen, da sie wusste, dass die Frau etwas hören musste. In dem Augenblick, als sie spürte, dass die Manschette nachgab, sprach sie wieder.

"Sagen Sie mir, was passiert ist," forderte sie. "Sagen Sie mir, wo mein Partner ist." "Sie hatten eine Operation, Miss Scully," erklärte die Krankenschwester. "Sie sind im Krankenhaus. Sie hatten innere Blutungen und sie mussten operieren, um sie zu stoppen." "Blutungen, wo?" "In Ihren Lungen, ein bisschen und in Ihrem Duodenum. Das ist der kleine Schlauch an Ihrem Bauch..." "Ich weiß, wo das ist," unterbrach sie Scully, die spürte, wie ihre Selbstkontrolle dahinschwand. "Ich bin Ärztin. Bitte, sagen Sie mir einfach, ob mein Partner okay ist. Haben sie ihn nicht hierher gebracht?"

"Gehört er zur Belegschaft?" fragte die Krankenschwester. Scully schüttelte den Kopf. Das tat weh. "Er ist kein Arzt. er ist Bundesagent, FBI-Agent Mulder, Fox Mulder. Er war auch verletzt, wahrscheinlich Schädeltrauma und mehrere septische Abschürfungen. Er sollte hier sein."

"Hundert zu fünfzig," murmelte die Krankenschwester mehr zu sich selbst als zu Scully, während sie in einer Krankenakte schrieb. "Sie stehen immer noch ein bisschen unter Schock, aber ich denke, das ist in Ordnung." Sie nahm eine Spritze in die Hand und spritzte den Inhalt in Scullys IV-Leitung.  "Was ist das?" fragte Scully. "Etwas gegen die Schmerzen," erklärte die Krankenschwester. "Ihr Arzt hat es Ihnen verordnet." "Ich will das nicht," rief Scully außer sich, aber die Droge war bereits auf dem Weg in ihr Gehirn. Sie konnte spüren, wie sich ihr Bewusstsein trübte. Und sie musste darum kämpfen, einen weiteren Satz herauszubekommen. "Schwester," flüsterte sie. "Bitte hören Sie mir zu. Jemand muss das FBI anrufen und bescheid sagen, dass ich hier bin und herausfinden, ob mein Partner in Ordnung ist.  Ich muss wissen..."

"Ich bin sicher, dass bereits jemand angerufen hat," meinte die Schwester.  "Schlafen Sie jetzt." Die Worte der Krankenschwester kamen aus weiter Entfernung und ergaben für Scully keinen Sinn. Sie versuchte, wieder zu sprechen, konnte aber nicht. Nur ein zusammenhängender Gedanke blieb zurück, als das Narkotikum sie in einen betäubten Schlaf schickte. Sie musste zu Mulder gehen.

Als Scully erwachte, war sie in einem privaten Krankenzimmer und sie hatte keine Erinnerung daran, wie sie dorthin gekommen war. Immer noch war sie an Monitore angeschlossen, sie konnte das leise, beständige Piepen des EKG-Gerätes hören und die Blutdruckmanschette war immer noch um ihren Arm gewickelt. Gott, was war in dieser Spritze gewesen, fragte sie sich. Ich muss den Namen der Schwester herausbekommen. Es war nicht ihre Aufgabe gewesen, mir Schmerzmittel zu geben, wenn ich noch so unter Schock stand...  ich muss ewig weggewesen sein. Wie lange?

Scully sah sich um. An der Wand hing eine Uhr. Es war beinahe vier Uhr nachmittags. Wie lange war sie hier? Mulder. Oh Gott, wo ist er? Ihr Herz raste, sie konnte das Anschwellen des Pieptons hören, als die Maschine ihren schnellen Puls maß, aber sie konnte sich damit jetzt nicht aufhalten.  Sie legte ihre Hände um das Seitengitter, winselte als sich ihre verletzten Muskeln bewegten und spannten und zog sich so ein paar Zentimeter dichter zum Nachttisch hin.

Scully streckte sich, so weit sie konnte, ein Wimmern kam von ihren Lippen, als die Anspannung in ihrem verletzten Unterleib zunahm. Einen Moment hielt sie inne, ihr Atem flach und schnell, und wartete, dass der Schmerz nachließ. Schließlich schaffte sie es, dicht genug an den Nachttisch heranzukommen, dass sie eine Hand auf das Telefon legen konnte. Sie nahm den Hörer hoch, fiel dabei zurück auf das Bett und unterdrückte eine Grimasse, als der Schmerz wieder durch ihren Körper fuhr.

Wie war die Nummer des örtlichen Polizeibüros? Sie konnte sich nicht erinnern. Skinners Büro? Nichts fiel ihr ein. Medikamente oder Panik hatten alle Telefonnummern, die sie jemals gekannt hatte, ausgelöscht, ausgenommen Mulders Handynummer und das war verschwunden. Dann erinnerte sie sich an die Notfallnummer, die kostenlose Nummer, die sie direkt mit dem FBI-Hauptquartier verbinden würde, mit einem Operator, der dazu da war, Hilfe für Agenten im Einsatz zu finden, die in Schwierigkeiten waren. Rasch wählte sie.

Das Telefon klingelte nur einmal, bevor jemand abnahm. Wenn man diese Nummer wählte, musste man nie lange warten. "FBI," sagte die Stimme.  "Assistant Director Walter Skinner, bitte," erwiderte Scully. "Hier ist Special Agent Dana Scully, Dienstnummer..." Sie dachte einen Augenblick nach. "Dienstnummer JTT0331613." "Warten Sie, bitte," sagte die Stimme wieder. Ein paar Augenblicke später war die Sekretärin von Skinner in der Leitung. "Büro von Assistant Director Skinner?" meldete sie sich.  "Kimberly, hier ist Dana Scully," antwortete Scully. "Ich muss sofort mit Direktor Skinner sprechen." "Es tut mir leid, Agent Scully, er ist nicht hier," entgegnete Kimberly in ihren gewohnt freundlichen Ton. "Kann er Sie zurückrufen?"

"Kimberly, ich weiß nicht einmal, wo ich bin," antwortete Scully hilflos.  "Ich bin in einem Krankenhaus, wahrscheinlich in Mobile, Alabama. Mulder ist auch verletzt. Er ist hier vielleicht irgendwo, aber ich weiß es nicht und niemand will es mir sagen." "Warten Sie, derweil ich den Anruf zurückverfolge," sagte Kimberly, nun ganz professionell. Da war ein klickendes Geräusch, ein paar Minuten später war Kimberly wieder in der Leitung. "Sie sind im St. Catherine Krankenhaus in Mobile, wie Sie vermutet haben," erklärte sie. "Sie sollten dort sicher sein. Ich werde das Polizeibüro von Mobile anrufen, sie können anfangen, nach Agent Mulder zu suchen. Der Assistant Director wird auch in Kürze zurückrufen."

"Danke, Kimberly," sagte Scully und legte auf. Sie begann zu zittern und zog die dünne Krankenhausdecke mit der linken Hand enger um ihren Körper.  Mit der rechten umklammerte sie den Hörer, den Finger auf dem Verbindungsknopf. Sie zitterte immer noch, als das Telefon klingelte. Es war Special Agent in Charge Penn, der aufrichtig besorgt klang, als sie ihm erzählte, wie sie angegriffen worden waren. Er war noch besorgter, als er erkannte, dass Mulder, obwohl er vermutlich in besserer Verfassung als Scully war, nicht zuerst angerufen hatte. Penn beendete das Gespräch schnell und versprach, zurückzurufen, sobald er etwas wusste.

Nur einen Moment später rief Penn an. Mulder war gefunden worden, er war auch im Krankenhaus, in besserer Verfassung als sie, aber er hatte eine Gehirnerschütterung, mehrere tiefe Schrammen und Verletzungen und wie sie litt er unter Entkräftung. Aber er musste nicht operiert werden.

Scully atmete lange und zitternd aus. "Gott sei Dank," murmelte sie schwach. "Ich weiß noch nicht, wie Sie dorthin gekommen sind und auch niemand im Krankenhaus scheint es zu wissen," sagte Penn. "Ich werde versuchen, es herauszufinden. In der Zwischenzeit bewahren Sie die Ruhe. In kurzer Zeit werden ein paar Agenten dort sein." "In welchem Zimmer ist Mulder?" fragte Scully. "Er liegt auf demselben Flur wie Sie," antwortete Penn. "Aber versuchen Sie noch nicht, dort hinzugehen. Bleiben Sie einfach , wo Sie sind."

"Sir, ich muss ihn sehen," meinte Scully, beinahe flüsternd. "Ich will nur wissen, ob es ihm gut geht." "Das verstehe ich, Agent Scully, aber warten Sie, bis meine Agenten dort sind. Es ist sowohl zu Ihrem als auch zu seinem Schutz. Sind Sie bewaffnet?" "Nein, Sir, wer immer uns überfallen hat, der hat auch unsere Waffen." "Verdammt, ich bin mir nicht sicher, ob ich das an Ihrer Stelle gesagt hätte, Agent Scully," meinte Penn lachend. "So was geht im Büro herum, sie werden anfangen, Ihnen Spitznamen zu verpassen." Scully lächelte zaghaft. "Wir wollen nicht, dass das passiert, oder?" fragte sie.  "Zur Hölle, nein," antwortete Penn. "Solche Spitznamen hängen einem an.  Versuchen Sie, sich jetzt auszuruhen. Ihr Partner ist in Ordnung. Wenn Sie aufwachen, wird ein Agent vor Ihrer Tür stehen. Ich rufe Skinner an und unterrichte ihn."

Penn legte auf. Scully legte sich in die knisternden weißen Laken zurück und fiel in einen erschöpften, ruhelosen Schlaf.

Es war Nacht, als Scully wieder erwachte, ihr inneres Radar warnte sie, dass jemand in ihrem Zimmer war. Sie versuchte, sich aufzusetzen, konnte es aber nicht - sie war zu schwach und es war zu schmerzvoll. "Shh," hörte sie eine Stimme sagen. "Versuch jetzt nicht, dich zu bewegen." "Mulder?" fragte sie schwach. Erleichterung durchflutete sie. Er war es, endlich. Mulder saß in dem Sessel neben ihrem Bett, bekleidet mit Jogginghosen, T-Shirt und Krankenhaus-Bademantel, und beugte sich zu ihr. Seine Handgelenke waren dick verbunden und sein Gesicht war mit Blutergüssen und Abschürfungen bedeckt.

Nie in seinem Leben hatte er so gut für sie ausgesehen. Sie streckte ihre Hand aus und er nahm sie und hielt sie sanft zwischen seinen beiden größeren Händen. "Wie geht es dir, G-woman?" fragte Mulder. "Sie haben gesagt, dass du beinahe tot warst, als sie dich hierher gebracht haben." "Das wohl kaum, aber ich werde eine Weile nichts essen können," erwiderte Scully und winselte, als sie hörte, wie rau ihre Stimme klang. Husten und sich übergeben führen dazu, dachte sie. Und Intubieren auch. Ebenso das Schreien aus Schmerz und Angst, dachte sie und dann runzelte sie die Stirn.  Ich hab nicht geschrieen, dachte sie. Woher kam dieser Gedanke?

Jetzt, als sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, konnte Scully sehen, wie blass Mulder war und dass er Linien des Schmerzes in seinem Gesicht hatte, aber für ihre Augen als Ärztin sah er gut aus. Er wird sich erholen - wieder. Der enge Knoten in ihrem Innern entspannte sich en wenig.  "Mulder, wo warst du?" fragte Scully. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht." "Vollkommen weggetreten," erwiderte er, sein Lächeln klein und selbstverachtend. "Ich bin zusammengebrochen. Und erst vor einer halben Stunde aufgewacht." "Welcher Tag ist heute?" erkundigte sich Scully. "Es ist Dienstag," antwortete Mulder, immer noch mit einer Spur von Lächeln.  "Du hast nicht viel Zeit verloren. Mach dir deshalb keine Sorgen."

"Gott sei Dank," meinte Scully und Mulder glaubte, dass sich ihr Gesichtsausdruck ein wenig entspannte. "Wie sind wir hierher gekommen?" "Erinnerst du dich nicht?" Sie schüttelte den Kopf. "An gar nichts?" "Ich erinnere mich daran, dass auf mich geschossen wurde," sagte sie langsam.  "Ich bin unter diesem Haus, oder was immer es war, erwacht. Ich erinnere mich, dass wir beinahe ertrunken sind." Scully schüttelte sich. "Wir sind da unten beinahe gestorben." "Wir waren sehr dicht dran," sagte Mulder mit grimmiger Stimme. "Zu unserem Glück war da ein Gentleman in den Wäldern in unserer Nähe unterwegs. Augenscheinlich war er irgendwie illegal auf der Jagd mit seinem Hund, der uns zweifelsohne gewittert hat, und nun sind wir hier. Dieser Hund hat dein Leben gerettet, Scully."

"Du hast mein Leben gerettet, Mulder," flüsterte sie. "Wir wären ertrunken, wenn du uns nicht auf höheren Grund gebracht hättest." Mulder schnitt eine Grimasse. "So viel Dank habe ich nicht verdient, Scully. Du wärst nicht dort gewesen, wenn ich nicht gewesen wäre." "Fang nicht an..." begann sie, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken und sie hustete wieder. Es tat weh, aber es war besser. Sie räusperte sich und begann noch einmal.  "Mulder, wie konnte Krycek wissen, dass wir in dieser Fabrik sein würden?" "Wer zur Hölle weiß das?" entgegnete Mulder achselzuckend. "Vielleicht wusste er es nicht, vielleicht war die Chance zu bekommen, uns zu töten, nur ein glückliches Ereignis für ihn. Oder vielleicht hat es ihm der Raucher gesagt. Vielleicht war es die Zahnfee. Er war da, das ist alles, was ich weiß."

"Es muss die Covarrubius gewesen sein," sagte Scully. "Sie hat uns dorthin geschickt." "Vielleicht, aber ich bezweifle es," meinte Mulder kopfschüttelnd. "Marita Covarrubius wurde heute morgen tot in ihrer Badewanne gefunden. Augenscheinlich hat sie Selbstmord begangen." "Selbstmord? Wie?" fragte Scully aufrichtig erschüttert. "Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten," erläuterte Mulder. "Und mit chirurgischer Präzision, sollte ich hinzufügen. Keine Zögerungsschnitte." Er musste Scully nicht erklären, was das bedeutete - der Tod der Covarrubius war alles andere als ein Selbstmord.

"Sie war innerhalb von Minuten tot," fuhr Mulder fort. "Sehr bequem für alle Beteiligten." "Ausgenommen für uns." "Ausgenommen für uns. Und vielleicht für ein paar andere Leute, aber ich weiß noch nicht wer. Sie hat letzte Nacht unser Hotelzimmer angerufen, nicht lange nachdem wir gegangen waren. Vielleicht hat sie versucht, uns zu warnen." "Wie hast du das herausgefunden?" "Skinner hat vor kurzem angerufen. Er war der Grund, weswegen ich aufgewacht bin," sagte Mulder. "Er hat nach dir gefragt." "Nett von ihm," meinte Scully. "Was haben sie herausgefunden?"

"Die örtlichen Agenten sagen, dass da niemand in dieser Fabrik war, tot oder lebendig, als sie dort ankamen. Auch keine Blutspuren mit Ausnahme einer, die sich als deine erwies. Sie haben eine leere Patronenhülse gefunden, die wahrscheinlich aus meiner Waffe stammt und haben sie zur Schusswaffenidentifikation geschickt, aber ich werde wahrscheinlich keinem Schießstand gegenüber stehen, wenn es keinen Beweis gibt, der darauf hindeutet, dass ich auf jemanden geschossen habe." "Du hast auf jemanden geschossen," erwiderte Scully. "Ich habe es gehört." Mulder nickte. "Ich habe es auch gehört. Und stellen wir uns dem, ich weiß, wie sich das anhört. Aber es gibt keine Spur, soweit man feststellen kann. Zu schade, dass du den Tatort nicht untersuchen kannst. Du würdest etwas finden."

"Vielleicht nicht," sagte Scully. "Aber wir können uns später damit befassen." Sie wurde müde, aber Mulder hatte ihr immer noch nicht alles gesagt, was sie wissen wollte. Er hielt irgendetwas zurück, sie kannte diesen Blick in seinen Augen. "Mulder, ist noch etwas passiert?" fragte sie. Mulder schüttelte den Kopf und senkte gleichzeitig den Blick. "Nein, nichts," meinte er. "Nichts, woran ich mich erinnern kann."

"Warum glaube ich dir nicht?" fragte Scully und hielt seine Hand ein bisschen fester. "Ich weiß nicht," entgegnete Mulder aufblickend. Wieder schüttelte er den Kopf, suchte nach seinem Mulderlächeln und war beinahe erfolgreich. "Wenn da noch etwas anderes war, haben wir es beide verpasst.  Ich habe zu der Zeit nicht allzu klar denken können." "Ich auch nicht," stellte Scully fest und drückte seine Hand. Lass es los, dachte sie.  "Mulder, wir haben beide einen Stiefel ins Gesicht bekommen Diese Art Trauma kann Veränderungen im Bewusstsein hervorrufen und Störungen im Denken." "Ich kenne eine Menge Leute, die dir sagen würden, dass mein Denken bereits gestört ist," meinte Mulder.

"Gut, versuch wenigstens für eine Minute klar zu denken," forderte Scully ihn zaghaft lächelnd auf und dann wurde sie wieder ernst. "Mulder, warum sollte Krycek an einer Inlandsterrorismusoperation beteiligt sein?" "Ich weiß nicht, Scully," antwortete Mulder. "Aber die Antwort ist hier, irgendwo. In der Fabrik oder im Hafen von Mobile, aber irgendwo in diesem Teil der Welt. Ich muss sie nur finden." "Wir werden sie finden, Mulder," versprach ihm Scully. "Sobald ich hier heraus kann. Und vielleicht finden wir auch Krycek."

"Oh, ich werde Ratboy finden, richtig," sagte Mulder mit einem kalten Blick in den Augen. "Wielange es auch dauert, dieser doppelgesichtige Sohn einer Hure ist meiner. Aber du wirst nicht dabei sein. Ich bringe dich nach Baltimore, zum Haus deiner Mutter. Du musst dich ernsthaft erholen." "Du kannst nicht ohne mich gehen," begann sie, aber Mulder griff durch das Gitter des Metallbettes und legte einen Finger auf ihre Lippen und unterbrach sie mitten im Satz. "Ich kann und ich werde, auch wenn es mich umbringt," stellte er klar. "Du hättest da unten sterben können und es wäre meine Schuld gewesen. Du hast mir vorher gesagt, dass du nicht in der Form bist, zu gehen und ich habe es ignoriert, wieder einmal meiner ausgehöhlten, persönlichen Sache hinterherjagend. Ich werde das nicht noch einmal mit dir machen."

Scully war auf einmal kalt, sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz aufhören würde, zu schlagen. Sie nahm seine Hand von ihrem Gesicht und hielt sie ganz fest. "Mulder, das klingt... beinahe endgültig," sagte Scully und versuchte, sachlich zu bleiben. "Du machst mir Angst." "Vielleicht sollte es endgültig sein," erwiderte er leise. "Die X-Akten sind weg. Meine Karriere ist erledigt, aber es gibt keinen Grund, warum deine es auch sein sollte. Und hier ist absolut nichts, weshalb es sich zu sterben lohnt."

"Mulder, das kannst du nicht ernst meinen," begann sie, aber er unterbrach sie. "Ich habe es nie ernster gemeint," sagte er und nun sah er sie an und wollte, dass sie wusste, er sagte die Wahrheit. "Wie oft musst du verletzt werden, bevor ich meine Lektion lerne? Und es war alles für umsonst, wie üblich haben wir überhaupt nichts. Es ist Wahnsinn, dass du dein Leben für diese Wildentenjagd von mir riskierst und ich werde es nicht zulassen.  Nicht noch einmal. Das war das letzte Mal."

"Habe ich gar nichts dazu zu sagen?" fragte sie und Tränen schossen ihr in die Augen. "Es ist auch mein Job." "Ja, es ist auch dein Job," räumte er ein. "Ich sage dir nicht, dass du beim FBI kündigen sollst, Scully. Ich sage nur, dass es Zeit ist, dass du dich bewegst, dass du zu richtiger FBI-Arbeit zurückkehrst und aufhörst, dein Leben für nichts zu riskieren.  Du könntest zurückgehen nach Quantico." "Danke für den Rat," sagte sie und da war ein Anflug von Ärger in ihren Augen. "Und wo wirst du sein?" "Ich weiß nicht," erwiderte er. "Und vielleicht sollten wir es dabei belassen.  Wo immer ich hingehen werde, es wird nicht die Abteilung Verhaltenswissenschaften sein und es wird nicht in der Nähe des Hoover Buildings sein."

"Nein," sagte sie. "Ja," entgegnete er und die Endgültigkeit in dieser einen Silbe zerstörte sie beinahe. "Mulder, nicht," bat sie und brachte seine Hand zurück an ihr Gesicht und hielt seine raue warme Handfläche an ihre nicht verletzte Wange. Sie musste ihn dazu bringen, sich auf sie zu konzentrieren, sie brauchte seine Berührung, um die Angst fortzunehmen, die er ihr verursachte. "Denk nicht einmal daran, Mulder," flüsterte sie und lehnte sich in seine Hand. "Ich wäre jetzt tot, wenn du nicht gewesen wärst." "Du würdest unterwegs sein und Weihnachtsgeschenke kaufen, wenn du nicht dahin gegangen wärst," sagte Mulder, aber seine Augen waren weicher und sein Daumen streichelte zärtlich ihr Gesicht.

"Ich habe meinen Job getan," antwortete sie und sie konnte die Tränen in ihren Augen aufsteigen fühlen. "Ich war dort, wo ich sein sollte - bei dir." Das drang beinahe zu ihm durch, stellte sie fest. Sein innerer Kampf war heftig, aber er fuhr fort, ihre Wange zu liebkosen. "Sieh mal, wir müssen jetzt nicht darüber reden," meinte er schließlich. "Wenn es dir besser geht, bringe ich dich nach Baltimore und dann können wir darüber reden, was wir tun werden." Aber er hatte nicht nachgegeben, nicht wirklich, sie konnte es so deutlich spüren, wie sie seine Hand spürte. Er hatte sich entschieden, es war in seiner Stimme und in seinen Augen und in der Art, wie er sie berührte. So hatte er sie vor einem Jahr berührt, als der Krebs sie beinahe getötet hatte. Es war ein Lebwohl.

"Verlass mich nicht," flüsterte sie mit brechender Stimme. Sie wusste, dass sie zu emotional war, aber das schien im Moment keine Rolle zu spielen.  "Sag, dass du es nicht tun wirst. Bitte, Mulder." Mulder verzog das Gesicht, jedes kaum wahrnehmbare Wort traf ihn wie ein Schlag. Er atmete zu langsam und seine Augen waren geschlossen. Noch einmal atmete er tief ein, dann blickte er sie an und als sie sein Gesicht sah, wusste sie es. "Ich werde dich hier nicht allein lassen, Dana," sagte er leise und streichelte immer noch ihr Gesicht. "Ich wünschte, ich könnte dir mehr versprechen, aber ich kann es nicht. Aber ich werde nicht ohne dich von hier fortgehen.  Ich werde bleiben, bis es dir gut genug geht und dann werde ich dich nach Hause bringen. In Ordnung?"

Das Zögern war vorbei, er war sich jetzt sicher. Es war nicht alles, was sie wollte, aber es war alles, was sie bekommen konnte. Sie sah zu ihm auf und ließ ihre Augen für sich sprechen, sie wollte, dass er verstand, was sie nicht laut sagen konnte. Ich liebe dich, sagten ihre Augen. Ich weiß, ich habe es immer gewusst. Es tut weh. Und ich habe Angst. Mach es besser.  Bitte. Das werde ich. Du weißt, dass ich das werde.

Sich aus dem Sessel erhebend beugte sich Mulder zu ihr herab, zart, so zart, dass sie es beinahe nicht spüren konnte, küßte er ihre Tränen fort und strich ihr das feuchte rote Haar aus ihrem verwundeten Gesicht. "Schlaf jetzt," murmelte er und küßte sie auf die Stirn und ließ seine Lippen einen Moment dort verweilen. Sie griff nach ihm, legte eine Hand in seinen Nacken und hielt sein Gesicht an ihres. Mulder spürte ihren warmen, unregelmäßigen Atem an seinem Ohr. Er küßte sie auf die Wange, dann streckte er sich und stand über ihr.

"Ich sehe dich morgen früh," sagte er. "Als erstes." Er begann, fortzugehen, aber sie ließ seine Hand nicht los. Mulder ließ sich von ihr aufhalten, beugte sich nach vorn und legte seine Finger für einen letzten Kuss an ihre Lippen, dann nahm er langsam seine Hand fort. Sie fühlte seine Finger aus ihrem Griff gleiten und dann war er gegangen.

Scully drehte sich auf die Seite, weg von der Tür, und presste ihr Gesicht in die Kissen. Sie weinte - heftig - und sie wollte nicht, dass der Agent vor der Tür es hörte. Niemand beim FBI würde das jemals von ihr hören.  Ausgenommen Mulder. Und der verließ sie.

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