World of X

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Fünf Jahre und eine Nacht

von Shalimar

Kapitel 2

Venice Beach, CA sechs Monate später
29. Mai 1998

Ein Rendezvous mit jemandem zu haben, war sonderbar.

Er wollte mit ihr schlafen. Sie wußte, daß er hinter der Tür ihres Apartments stand und nicht ganz glauben konnte, daß sie ihn nicht hereingelassen hatte.

Sie hatte sich von ihm küssen lassen.

Das war auch sonderbar. Nett, aber mehr Lippen und Nasen und der Geschmack unbekannter Haut als Anziehung. Alles, woran sie denken konnte war, ob dieses kleine Schniefen, das er während des Films von sich gegeben hatte bedeutete, daß er eine Erkältung hatte.

Und daß sie sich vielleicht anstecken würde.

Er war richtig nett. Er war nur nicht... der Richtige.

Und so bedankte sie sich höflich für das Abendessen und den neuen Kurt-Russell-Film. Sie sah ihn einen Moment kritisch an. Vielleicht, wenn sie die Augen schloß und sich vorstellte, er wäre Kurt... es würde ihr gut tun...

Nein.

Sie sagte Gute Nacht und schloß ihm sanft die Tür vor der Nase.

Dann ging sie duschen. Sie lehnte sich gegen die kühlen Fliesen und schloß ihre Augen, die Handbrause zwischen ihren Beinen.

Es klopfte an der Tür, gerade als sie aus der Dusche kam.

Mulder.

Nein.

Mulder ist in Washington, wo er sein will. Du bist hier in L.A., wo Du sein willst. Es wird der Tag kommen - ermahnte sie sich zum hundertsten Mal selbst - an dem Deine Gedanken nicht mehr bei jedem Klingeln des Telefons und jedem Klopfen an der Tür zu ihm fliegen werden.

Es war bloß noch nicht passiert.

Sie rubbelte sich mit dem knotigen Handtuch über den Körper, bis ihre Haut rot wurde.

Es klopfte wieder.

Es mußte beinahe Mitternacht sein, aber vielleicht war es einer ihrer Nachbarn, der Lust auf ein Schwätzchen hatte. Die Leute in ihrem Haus hatten ein lockeres Verhältnis zur Zeit. Es hatte eine Weile gedauert, aber jetzt mochte sie es. Es funktionierte in beide Richtungen. Es war immer jemand zum reden da, wenn sie sich zu allein fühlte.

Sie zog sich ihren weißen Bademantel über und schlang ein Handtuch um ihr nasses Haar.

"Wer ist da?" fragte sie durch die Tür.

Es war still.

Dann, leise, "Scully, ich bin's."

Oh.

Gott.

Langsam bewegte sie den Türknauf und öffnete die Tür.

Er hatte eine Rasur nötig. Sein Anzug war ein wenig zerknittert. Sein Haar war zu lang über den Ohren.

Er sah wundervoll aus... und zu Tode erschrocken.

Sie fühlte, wie sich ihre Kehle mit Tränen füllte.

"Hi," sagte er leise.

Sie vertraute ihrer Stimme nicht.

Als sie nichts sagte, sprach er weiter. "Ich war auf dem Flughafen von L.A., Zwischenstation zwischen zwei Flügen..."

Verdammt.

"... und Venice ist so dicht am Flughafen, nur zehn Minuten bis hier, um Dich zu sehen, also..." Er hielt inne und schluckte schwer. "Und da bin ich."

Sein Blick glitt über sie und blieb an ihrem feuchten Bademantel hängen. "Ich... ich hätte anrufen sollen."

Sie widerstand dem Verlangen, ihre Arme vor der Brust zu kreuzen. Verlegen wandte er seinen Blick ab - als hätte er ihre Gedanken gelesen - und sah auf einen Punkt irgendwo nahe über ihrem linken Ohr. "Aber ich hatte Angst, daß Du mich zum Teufel schicken würdest."

Sie sah ihn einfach nur an.

"Und ähm, ich glaube, es ist wirklich zu spät. In mehrfacher Hinsicht, richtig Scully?" Er sah auf seine Uhr und zog seine Stirn kraus. "Wie spät ist es hier eigentlich?"

Sie war nicht bereit, ihm zu helfen.

"Ich... das war keine gute Idee. Ich gehe besser wieder."

Einer ihrer Nachbarn, manchmal Bodybuilder, manchmal Elvis-Imitator, steckte seinen Kopf aus seiner Apartmenttür.

Er starrte Mulder an. "Alles in Ordnung, Dana?"

Sie räusperte sich. "Mir geht es gut. Das ist... nur..." Ihre Augen trafen Mulders für einen angespannten Moment. "... ein alter Freund."

Mulder löste seinen Blick von ihr und sah in die Richtung des anderen Mannes. Er und ihr Nachbar tauschten einen zusammenfassenden Blick. Augenscheinlich befriedigt ging Elvis zurück in sein Apartment.

Mulder sah verwirrt zu ihr zurück. "Und Du konntest mich nicht anrufen und mir sagen, daß der King lebt?"

Sie verbarg ein kleines Lächeln und trat zurück, die Tür offenhaltend.

Er sah tatsächlich überrascht aus.

Als er hinter ihr herkam, konnte sie ihn schmecken. Sie schloß die Augen.

Nein.

In ihrem Apartment hielt er inne und sah sich um. Sie beobachtete ihn, als sein Blick über die weißen Baumwollschonbezüge der Möbel, die sandigen Turnschuhe an der Wohnungstür, das Treibholz am Kamin wanderte.

Sie hatte sich einfach eingerichtet. Sie mochte es so.

"Es ist nett. Es ist wie Du."

"Danke." Sie räusperte sich erneut. "Möchtest Du etwas trinken? Bier? Wein? Kaffee?"

Er drehte sich zu ihr um, in seinen Augen war ein nachdenklicher Ausdruck.

"Bin ich ein alter Freund?"

Sie nickte leicht.

Er nickte leicht zurück. "Kaffee."

"Ich mache welchen."

Sie ließ ihn im Wohnzimmer zurück und ging den Kaffee kochen, dann verschwand sie im Badezimmer, um das Handtuch von ihrem Kopf zu nehmen und ihr feuchtes Haar auszuschütteln.

Sie betrachtete ihr Bild im Spiegel des Badezimmers. Sie würde kein Make-up auflegen. Sie würde nichts tun, um ihn zu beeindrucken.

Sie besah sich kritisch. Gut, vielleicht ein bißchen Eyeliner.

Und ein bißchen Lippenstift.

Sie könnte sich auch etwas anziehen. Sie wußte jedoch nicht, wieviel Zeit er zwischen den Flügen hatte.

Sie steckte ihren Kopf in das Wohnzimmer. "Mul..."

Er war gegangen.

Ihr Atem stockte ihr im Hals. Dann entdeckte sie seine Tasche, die über der Lehne eines ihrer Sessel hing. Die französischen Türen zu ihrem Balkon standen offen. Er mußte draußen in der Dunkelheit sein. Sie fühlte Erleichterung mit einer Intensität, die sie erschreckte, und ihre Hände zitterten, als sie den Gürtel ihres Bademantels enger zog.

Vergiß die Sachen.

Mulder lehnte an der Brüstung und sah in die Nacht.

Ihre Hand griff nach dem Schalter für das Außenlicht, dann ließ sie sie sinken.

Die Dunkelheit würde einfacher sein.

Es war ein lauer Maiabend. Ein Gischtschleier hing über den Wellenbrechern, der matt im trüben Licht des Mondes leuchtete. Der Geschmack von Salz und feuchtem Sand war um sie herum. Sie atmete tief ein und füllte ihre Lungen. Sie liebte das alles hier.

Und als wenn er ihre Augen auf seinem Rücken gespürt hätte, drehte er sich um. Er trat rasch auf sie zu, um ihr das Tablett abzunehmen und sie sah ihm zu, als er es auf den schmalen Eisentisch stellte.

Es war verblüffend, ihn auf ihrem Balkon zu haben.

"Das ist großartig." Er wandte sich wieder dem Ausblick zu. "Ich habe, wenn ich an Dich dachte, nicht an den Strand gedacht."

Sie stellte sich zu ihm an die Brüstung, ein wenig von ihm weg, gerade außerhalb seiner Sphäre. Er kam ein wenig näher und damit in ihre.

Seine Anwesenheit füllte ihre Nase. Sein Geruch, seine Wärme... seine Aura...

Wenn sie an die Aura glauben würde.

Was hatte er gerade gesagt? Daß er überrascht war, daß sie am Meer lebte?

War sie überrascht, daß er an sie gedacht hatte?

"Warum?"

Er drehte sich um, um sie anzusehen. "Ich weiß nicht." Er hob seine Hand. Sie wich ein wenig zurück und seine Hand hielt inne. Dann griff er langsam nach ihr, bis seine Fingerspitzen gerade ihr Haar berührten.

"Es ist so lang," sagte er, seine Augen wanderten zu ihren und hielten sie für einen qualvollen Moment fest. Er versuchte, ihr etwas mit seinen Augen zu sagen, aber sie konnte nicht sagen was.

Und sie konnte nicht wegsehen.

"Ja. Das ist es. Ich meine..." Sie schluckte. "Für eine Sekunde habe ich gedacht, Du würdest sagen ‚Es ist so lange her.'"

"Es ist so lange her." Er beobachtete sie, als er sanft ihr Haar nahm und durch seine Finger gleiten ließ. Er ließ seine Hand sinken und seine Augen wanderten zurück zu ihren.

"Zu lange, Scully," flüsterte er.

Sie riß ihren Blick von seinem los und bewegte sich abrupt, um Kaffee einzugießen.

"Wie laufen die Dinge in Washington?"

"Gut."

"Zucker?"

"Nein, danke."

"Skinner?"

Er gab ein kurzes trockenes Lachen von sich. "Ich bin nicht gerade sein Lieblingsagent."

Oh...

"Fälle?"

"In Ordnung."

Sie sah zu ihm zurück. Er rieb träge einen Finger entlang der Holzbrüstung. Plötzlich wußte sie mit Bestimmtheit, daß diese Dinge nicht in Ordnung waren, so wenig wie sie es waren, als sie es hunderte Male zu ihm gesagt hatte.

Aber er wollte nicht bemuttert werden. Und so würde sie es nicht tun.

"Du wirst Dir noch einen Splitter einreißen, wenn Du so weitermachst."

Seine Finger hielt inne.

"Milch?"

Er drehte sich zu ihr um und nagelte sie mit einem weiteren von diesen intensiven Blicken fest.

"Scully? Weißt Du wirklich nicht mehr, wie ich meinen Kaffee mag?"

Sie sah ihn an.

Ja. Natürlich.

Sie drehte sich um und bereitete seinen Kaffee so, wie er in mochte, reichte ihm die Tasse und hielt ihm einen Teller mit Keksen hin.

"Hast Du die gemacht?"

"Ja."

Er nahm einen und biß hinein.

"Die sind gut."

"Du klingst überrascht."

Er antwortete nicht, er aß nur schweigend den Keks.

"Wie ist L. A.?"

"Gut. Ich kann in Shorts zur Arbeit gehen."

"Du? In Shorts zur Arbeit?"

Sie zuckte mit den Schultern.

"Wow," sagte er leise. "Die Dinge haben sich geändert."

"Yeah, Mulder, so ist es."

Einige Momente waren sie beide still.

"Fälle?" fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern. "Das Übliche. Ich mag es auf diese Weise."

Er nickte.

Tatsächlich waren die Fälle total langweilig. Ständig hielt sie bei allem nach Paranormalem Ausschau... mit einem traurigen Stich von Nostalgie.

"Du solltest in die Hauptabteilung zurückkehren, Scully. Du würdest es gut machen."

"Mmmnn." Ihre Antwort war unverbindlich.

Ein unangenehmes Schweigen hüllte sie ein, nur unterbrochen vom Geräusch der Wellen, die vor ihnen an den Strand liefen. Disharmonische Klänge kamen aus einem Radio in einem der Apartments nebenan, dann das plötzliche Gelächter aus der Kaffeestube eine Tür weiter. Eine leichte Brise wehte über sie hinweg und brachte den schweren Geruch von Jasmin vom Nachbarbalkon mit. Sie bewirkte, daß sich ihre Haare im Nacken aufrichteten.

Sie zitterte und schloß ihren Bademantel fester um sich.

"Wann geht Dein Flug?"

"Oh!" Er verschüttete seinen Kaffee, als er sich umdrehte, um auf seine Uhr zu sehen. "In fünfundzwanzig Minuten. Tut mir leid!" Er stellte seine Tasse ab, kniete sich hin und begann, den Kaffee, den er auf der Grasmatte verschüttet hatte, mit seiner Serviette wegzuwischen.

Sie kniete sich ebenfalls hin und wischte daran herum. Es war nicht wichtig.

Er sah plötzlich auf, sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Seine Augen waren dunkel in dem matten Licht.

"Es tut mir leid, Scully." Seine Stimme war sehr leise.

"Mach Dir keine Gedanken darüber. Ich werde es morgen mit dem Schlauch wegspritzen."

"Nicht wegen dem Teppich." Er hob seine Hand wieder zu ihr, diesmal hielt sie still, aber er berührte sie nicht. Ihr Verstand registrierte ungläubig, daß seine Hand zitterte. Er zog sie zurück.

"Es tut mir leid," sagte er wieder. "Alles. Ich mußte es Dir persönlich sagen."

Sie fühlte die Tränen wieder, die ihr in die Kehle stiegen und in ihrer Nase brannten, und sie biß sich hart auf die Lippe, um sie zurückzuhalten. Sie würde nicht vor ihm weinen. Das würde sie nicht.

Sie nickte.

"Danke," brachte sie heraus. "Ich war... ich bin..." Sie schüttelte ihren Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Er sah sie schmerzerfüllt an, als er es bemerkte.

"Es war keine gute Idee von mir, herzukommen. Ich gehe besser."

Aber er machte keine Anstalten, um aufzustehen.

Er kniete einfach da und sah sie an.

"Scuh-lee..." begann er.

Sie schluckte schwer.

"Was...?" Ihre Stimme war kaum ein Flüstern.

Er antwortete nicht, er wollte sie nur ansehen. Einfach ansehen. Sie hatte das eigenartige Gefühl, daß er sich ihr Gesicht einprägte.

Seine Augen wanderten zu ihrem Mund...

Es klopfte wieder an der Eingangstür.

Verdammt.

Er machte eine Bewegung, um aufzustehen. Sie streckte ihre Hand aus, stoppte aber kurz bevor sie ihn berührte.

"Erzähl es mir," sagte sie.

"... nichts," sagte er schließlich und senkte seinen Kopf. Er rieb sich müde die Augen.

Ein gemurmeltes "Mach auf! Ich weiß, daß Du da bist!" drangt durch die Tür. Es war Adrianna, ihre andere Nachbarin.

Der Zauber war gebrochen.

"Du solltest besser aufmachen."

"Yeah," nickte sie. "Und Du. Du wirst Dein Flugzeug verpassen."

"Yeah."

In den alten Zeiten hätte er ihr aufgeholfen. Nun, als sie aufstanden, bemerkte sie, daß er darauf bedacht war, sie nicht zu berühren.

Irreparabel, dachte sie traurig.

Vielleicht war der Schaden irreparabel.

Sie biß sich auf die Lippen und ging, um die Tür zu öffnen. 

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