World of X

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Teddybär

von Jacqueline

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„Zug nach Baltimore! Bitte einsteigen!“ „Hey, du! Du hast mir meine Kippen geklaut!“ „Jetzt reg dich doch nicht so auf, immerhin hab ich dafür ja auch was getan!“ „Kann mir mal jemand sagen, wie spät es ist?“ „Ey, Alder, verpiss dich, du stehst mir in der Sonne!“ „Könnten sich die Herren da vorne mal bitte bewegen? Kinder!“ „Mama, ich hab meine Barbie verloren!“

Aussteigen. Einstiegen. Hinhetzen. Herhetzen. Ich stehe an einen dicken Betonpfeiler gelehnt, etwas jenseits dieser konfusen Hetzerei. Und ich frage mich, warum ich nicht auch hetze. Habe ich es in den letzten Monaten eigentlich je eilig gehabt? Eine Gruppe von Frauen wirft mir verstohlene Blicke zu. Dann schauen sie weg und tuscheln leise miteinander. Ich schaue weg. Über meinem Kopf sitzen Tauben in ihren Nestern. Manchmal segeln kleine Federn zu Boden, so auch in diesem Moment. Neben mir springt eine Frau mit Wahnsinnspumps zur Seite und schreit „Igitt!“, als ob dies das Ende der Welt sei. Ich seufze und streiche mir ein paar Strähnen meiner braunen Haare, die mir in die Stirn gefallen waren, nach hinten. Ganz langsam setze ich mich in Bewegung. Eigentlich brauche ich nur in diesen Strudel von Menschen hineingehen, dann werde ich automatisch mitgezogen. Es ist wie ein Fischschwarm. Alles rennt und will ja nicht zu spät kommen. Aber keiner dieser Menschen kommt jemals an seinem Ziel an. Das lese ich in den Augen der Menschen. Ich behaupte nicht, dass ich das kann. Aber ich schätze es einfach so für mich ein. Ich studiere die Menschen schon lange, schon seit ich keiner mehr von ihnen bin. Schaue mir ganz genau die Feinheiten ihrer Gesichtszüge an, merke, wie sie zucken und atmen, wie ihre Augen nach etwas zu suchen scheinen.......das sie sowieso nicht erfassen können. Über Tage ist es jetzt schon heiß. Autos hupen und quietschen. Noch mehr Menschen, die sich dem Fischschwarm anschließen. Noch mehr Leute, die hier vergeblich nach etwas suchen. Die Sonne brennt heiß vom Himmel herunter. Bürohengste wischen sich den Schweiß mit Taschentüchern von der Stirn. Ich wette, die Taschentücher kann man nachher auswringen. Jetzt laufe ich auf der Straße entlang, beobachte weiter, studiere und bemerke. Die Kinder. Die Kinder sind die wahren Menschen in diesem Treiben hier! Sie wissen was sie wollen! Sie sind bei ihrem Ziel, sie haben es nie verlassen. Deswegen wirken sie hier in dieser Welt voller Irren auch so verloren. Hin- und hergerissen zwischen Lärm, Krach und Menschenmassen suchen sie nach etwas, wo sie sich festhalten können. Ich kann ihnen nicht in die Augen sehen. Es tut zu sehr weh.

„Ähm...Sie?“ Ich schaue auf. Vor mir steht ein kleiner Junge, vielleicht zwölf Jahre alt. Er ist gut zweieinhalb Köpfe kleiner als ich und mustert mich. „Ich habe Sie beobachtet, wie sie verwirrt herumgelaufen sind und habe mich gefragt, ob ich Ihnen vielleicht helfen kann.“ Langsam dringt der Satz in meine verwirrte Gedankenwelt, ich brauche einige Zeit um zu verstehen, was der Junge eigentlich gesagt hat. Dann lächele ich. Niemand kann mir helfen. Aber wie soll ich das dem Jungen jetzt erklären? „Nein, Kleiner, ich suche nach nichts bestimmten, sondern gehe nur einfach in der Gegend herum.“ Der Junge verzieht das Gesicht zu einer seltsamen Fratze, dann sagt er: „Nun, ich konnte ja nicht wissen, dass Sie Geisteskrank sind!“ Dann dreht er sich um und verschwindet. Er wendet sich wieder dem Fischschwarm zu, der ihn bereitwillig aufnimmt und mitreisst. Komm, kleiner Fisch, sei wie wir! Andere dulden wir nicht!

Ich bin es ja mittlerweile gewohnt als verrückt bezeichnet zu werden. Sogar als ich noch im Vollbesitz meines Verstandes gewesen bin, damals, ich erinnere mich noch dunkel an diese Zeit vor ein paar Jahren, als ich noch mit Scully im FBI zusammen gearbeitet habe, hat man mich ständig als verrückt beschimpft und ausgelacht. Es war noch nie so schlimm gewesen, dass ich deswegen aufgegeben hätte. Oh nein, ich habe immer gekämpft. Aber jetzt in meinem resignierten Herzen, dass schon längst aufgehört hat zu kämpfen, verletzt es mich mehr als ich je gedacht hätte, dass es das könnte.

Aber ich habe nicht nur deswegen innerlich mit der Gesellschaft gebrochen. Es ist einfach alles, das mich an ihr stört. Der Leistungsdruck in der Schule, der mit den Jahren immer mehr anschwillt. John, mein kleiner Cousin, steht kurz vor dem Selbstmord. Er versucht zu lernen, verdammt, er schläft ja nicht einmal mehr und Essen ist für ihn wohl auch eine Fremdbeschäftigung geworden. Alle sind so verlogen. Sie helfen ihm nicht. Und sie helfen Dana nicht... Was soll das für einen Sinn haben, wenn man nicht in die Gesellschaft vertrauen kann? Ich habe es so oft versucht und wurde nur immer wieder enttäuscht. Wenn ich so darüber nachdenke, dann wurde ich von allen enttäuscht, von allen, ausser von Scully! Selbst Skinner...hat sich von mir abgewendet, ja sogar die Lone Gunmen...



Neben mir sehe ich plötzlich ein Spielwarengeschäft. In so einem bin ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen! Im Schaufenster sitzen Kuscheltiere, umrahmt vom neuen Lego - Programm. In der Ecke hängt ein riesiges Plakat für das neueste Videospiel. Ich atme tief durch und trete nach einigem Zögern trotzdem in das Geschäft ein. Im Laden ist sonst niemand ausser mir und der älteren Kassiererin. Die Sonne scheint nur spärlich von draußen herein, ihr Licht bricht sich an der Fensterscheibe und lässt regenbogenfarbene Lichtreflexe an der Decke spielen. Die Kassiererin sitzt hinter einer ziemlich alten Ladentheke, ich glaube sie ist noch aus Holz. Die gelockten grauen Haare der Frau wehen im Zug eines Ventilators, der ihr kühle Luft zupustet. Ich betrachte die Frau kurz und lasse meinen Blick dann durch den Laden schweifen. Ich spüre den Blick der alten Dame in meinem Rücken, wahrscheinlich ist es ein Wunder, dass an so einem heißen Tag überhaupt jemand genug Lust hat, in einen Spielwarenladen zu gehen, dann erst ein einzelner erwachsener Mann ohne Kinder. Der Laden ist bis oben hin vollgestopft mit den neuesten Videospielen, mit rosa Barbie Kartons und Legokästen. Warum bin ich eigentlich hier....?



Wie so oft habe ich das Gefühl, dass ich in ein tiefes Loch hineinfalle, das mich verschlucken will. Alles ist so künstlich. Plastik und Metall, das ist alles was heute noch zählt. Alles ist so kalt und leer, selbst die Gedanken der Menschen. Fühlen sie denn nichts? Wollen sie denn nichts empfinden, wenn sie ihre Spiele entwickeln? Denken sie wirklich nur an das Geld? Plastik und Metall scheint zu reichen um den Fischschwarm zufrieden zu stellen. Obendrein noch ein Joint und die Sache ist perfekt!



„Hey, Mister!“ Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und wende mich wieder der Frau zu. Sie sitzt immer noch bequem hinter ihrer Ladentheke, beugt sich jetzt aber vor und ihre Augen mustern mich, als wolle sie mich analysieren. Das braucht sie aber nicht. Ich bin eh nur noch ein totes Bündel, das ab und zu mal in der Stadt herum wandelt. Ich habe im Moment keine neue Arbeit und was später kommen wird, das weiß ich nicht. Es interessiert mich auch nicht, nach allem was geschehen ist....

„Suchen Sie etwas bestimmtes?“ Oh Gott, sie weiß gar nicht, was sie bei mir damit auslöst. Ja, ich suche etwas bestimmtes, ich suche Geborgenheit! Ich suche Wärme, Glück und echte Gefühle. Ich will nicht länger in eiskalte und abgestumpfte Augen sehen, wenn ich am Bahnhof stehe! Ich will, dass die Menschen miteinander reden und sich umeinander kümmern. Und nicht wie tote Zombies durch die Gegend laufen und Kinder erschrecken! Ich suche Geborgenheit für mich! Und für Dana......!



Ich würde am liebsten losheulen. Bis vor ein paar Wochen konnte ich all das, was so tief in mir schreit, verdrängen. Aber jetzt wache ich nachts aus Alpträumen auf. Jetzt sehe ich ständig die Künstlichkeit des Lebens vor mir, immer und immer wieder! Und mir fehlt das, was ich zum Leben brauche! Das lässt sich nicht verdrängen! Und ich stehe an der Schwelle zum Wahnsinn....

Ich schaue mich trotz allem noch einmal um. Angewidert drehe ich meinen Blick von all dem Plastikzeugs weg und schaue die Verkäuferin an. „Das...das ist doch ein Spielzeugladen, oder?“ Meine Stimme zittert. Die Dame guckt mich mit großen Augen an. Dann verschränkt sie ihre Arme und schaltet den Ventilator etwas herunter. „Gewiss doch.“, murmelt sie als Antwort auf meine Frage. „Dann...“ Ich merke, wie sich meine Hände unwillkürlich in meine Hosentaschen krallen. Ich habe Angst davor mit der Außenwelt zu kommunizieren. Ich habe Angst vor allen und jedem. „Dann...haben ....Sie....Haben.....Sie ......Teddybären?“ Ich habe Angst zu sagen, was ich will. Es ist ja niemand da, der mir hilft. So sterbe ich Tag für Tag ein bisschen mehr. „Teddys?“, fragt die Verkäuferin und schaltet den Ventilator nun ganz ab. „Ja....mit...mit Knopfaugen.“ Ich kralle mich noch mehr in meine Hosentaschen. Kein Wunder, dass meine Hände in letzter Zeit immer so zittern, dass ich keine Waffe mehr halten kann, wenn ich sie jedes Mal so verkrampfe, wenn ich mit jemandem reden muss. Aber das ist nicht einmal der eigentliche Grund dafür, dass ich meine Arbeit nicht mehr tun konnte.

„Knopfaugen“, wiederholt die Frau mürrisch. Sie schraubt sich von ihrem Stuhl hoch und gibt mir einen Wink ihr zu folgen. In der hintersten Ecke des Ladens, hinter den leuchtenden Pikachu - Figuren, sitzen sie....meine Teddybären!



Sie schauen mich an, die kleinen Pfoten in die Luft gestreckt, als wollten sie sagen: „Nimm mich bitte mit, Fox! Oh bitte nimm mich mit!“ Sie sehen sogar ein bisschen verstaubt aus, sehen aus, als würden sie von den gelben Plastikviehern noch mehr in die Ecke gedrängt. Pikachu kann seinen Namen sagen, wenn man auf seinen Bauch drückt .Seine Wangen blinken rot und sein Schwanz wackelt, wenn man auf seine Nase drückt. Er kostet 70 Dollar. Das lese ich nebenbei auf der Verpackung, da mich die bunten Farben und die riesige Schrift förmlich anschreien. Aber die Teddys....Ich weiß nicht warum, aber ich spüre heiße Tränen in mir brennen. Ich könnte die Bärchen an zwei Händen abzählen, so wenige sind es. Aber ich tue es nicht.

Ich strecke nur meine Hand nach ihnen aus um an ihrem Fell zu fühlen. Weich. Ich nehme einen der Teddys aus dem Regal. Er ist hellbraun. Sein weiches, kuscheliges Fellchen ist gekräuselt. Ohnehin ist er weich, er kann sogar seine Arme nach oben und unten bewegen. Und er hat braune Knopfaugen. Mein kleiner Freund. Ich lächle. Zum ersten Mal sehe ich etwas wirklich Lebendiges heute.



„Wieviel soll er kosten?“, frage ich und versuche in Gedanken zu schätzen, wie groß der Bär in meinen Händen wohl ist. Vielleicht zwanzig Zentimeter. „Sie wollen ihn haben?“, kommt die erstaunte Gegenfrage. Mehr als alles andere will ich ihn haben. Ich habe endlich etwas Lebendiges gefunden, etwas das mich an früher erinnert, als ich noch glücklich sein konnte. „Ja“, sage ich entschlossen. „Gut. Das macht dann 30 Dollar.“ Die kleinen Knopfaugen scheinen aufzuleuchten, als ich der Frau das Geld herüber reiche. Du brauchst keine Angst zu haben, Kleiner! Ich nehme dich mit, weit fort von hier, weit fort von toter Materie! Die runzligen Finger der alten Frau nehmen das Geld entgegen. Die gelockten grauen Haare nicken mit, als die Verkäuferin mir noch einmal höflich zunickt. Dann geht der Ventilator wieder an. Pustet kühle, verbrauchte und stickige Luft in das Gesicht des Zombies. Ich halte den Teddy fest und drücke ihn liebevoll an mich.



Als ich den Laden verlasse und mich wieder in die versmogte, laute Stadt einfüge, ist er immer noch bei mir. Geduldig sitzt er in meinen Armen und ich halte sein Gesicht so, dass er auch etwas von der Stadt, die Verrückte macht, sehen kann. Ich bin mir sicher, dass das Bärchen sich alles ganz genau und ganz verwundert anschaut. *Fox, warum ist es hier so laut?* ‘Weil wir in der Stadt sind, Kleiner. In der Stadt ist es immer laut!’

Und doch habe ich das Gefühl, ganz alleine mit meinem Teddy hier zu sein. Keiner kümmert sich um mich und mein Schicksal. Wer bin ich schon? Ein armer Irrer, der glaubt einem Teddy die Freiheit geschenkt zu haben? Oder bin ich wirklich schon tot? Bin ich unbemerkt im Schlaf gestorben und als Geist wieder aufgewacht? Ich weiß es nicht.



Langsam nähere ich mich meinem Ziel. Teddy guckt auch. Einen Moment lang habe ich das Gefühl, dass er sein Pfötchen hebt, auf das riesige graue Gebäude vor uns zeigt und fragt: *Was ist das?* ‘Eine Irrenanstalt, Teddy.’ *Und was machen wir hier, Fox?* ‘Wir besuchen Dana....Teddy!’



Viermal in der Woche bin ich hier. Aber jedes Mal wirkt der große kalte Betonklotz noch kälter und noch unüberwindbarer. Die Wände innen drinnen sind weiß gestrichen, die Gitterstäbe vor den Fenstern sind in freundliches Gelb getüncht. Sie wirken, als wollten sie zu einem Kindergarten gehören. Ich passiere den Eingangsbereich. Die Leute hier kennen mich schon. Vielleicht zählen sie auch schon die Tage ab, die noch vergehen werden bis ich auch rund um die Uhr hier sein werde. Vielleicht simuliere ich ja auch nur, wer weiß. Vielleicht spiele ich mir selbst etwas vor, um mein Ego zu befriedigen. Aber würde ich mich dann auch so tot fühlen? Auch ich habe damals wahnsinnigen Schaden genommen....



Es war vor zwei Jahren. Dana war 34 und ich 41. Wir waren die besten Freunde, vielleicht sogar mehr. Es war ein Sommer, so heiß wie jetzt. So heiß, dass man sich nur bewegte, wenn man unbedingt musste. Wir hatten einen äußerst erfolgreichen Fall hinter uns und ein paar freie Tage bekommen. Die Bäder waren übersät und alle schimpften über die Hitze. Aber wir waren glücklich. Wir saßen bei Dana auf der Couch, hörten Musik und tranken eine kalte Cola nach der anderen, bis uns der Bauch weh tat. Ich werde nie Dana’s strahlende Augen vergessen... Wie Sonne, Mond und Sterne zusammen haben sie mich angeleuchtet. Und nur für mich hatten sie geleuchtet, das hatte sie mir damals gesagt. Auch Bill und ihre Mum waren für ein paar Tage zu Besuch und Bill und ich hatten es geschafft noch nicht einmal zu streiten. Bill war auf dem Sofa uns gegenüber gesessen, immerhin ohne mir böse Blicke zu schenken, und Dana’s Mutter war im Bad gewesen. Plötzlich kam Margaret herein und machte den Vorschlag, ein Eis essen zu gehen. Das würde uns allen bei dieser unsäglichen Hitze gut tun. Wir waren einverstanden. Also zogen wir uns die Sandalen an und waren gemütlich zu der Eisdiele am Ende der Straße gegangen. Dort angekommen setzten wir uns an einen Tisch im Freien und unter einen Sonnenschirm. Wir bestellten und redeten über Gott und die Welt. Und dann...



Ich erinnere mich ganz genau. Es ist scheinbar unauslöschbar, jagt mich fast jede Nacht in meinen Träumen, so lange bis ich schreiend aufwache, aufgelöst in Tränen und keuchend.

Man hatte zuerst laute Schreie vernommen, dann hatte man einen Mann in panischer Angst rennen sehen und schließlich einen zweiten, der ihn zu verfolgen schien. Der zweite Mann war offensichtlich ein sehr junger Polizist gewesen. Wir alle waren aufgestanden und Dana, Bill und ich waren auf die Straße gelaufen um zu sehen, was da vor sich ging. Dem ersten Mann schien die Puste auszugehen und er schien krampfhaft zu überlegen, was zu tun sei. Plötzlich machte er einen Schwenker, er schien....ja, tatsächlich, er lief in unsere Richtung. Ich wollte gerade nach meiner Dienstwaffe greifen. Doch der fremde Mann schnappte sich Bill, riss ihn an sich und hielt ihm seine Pistole an die rechte Schläfe. Dann rief er: „Keiner bewegt sich!! Ich habe eine Geisel! Also zog ich meine Hand langsam wieder von meiner Pistole weg um Bill nicht zu gefährden. Der junge Polizist versuchte auf den Mann einzureden. Dana schien Angst zu bekommen. Entschlossen zog sie ihre Marke. „Halt!“, rief sie so laut wie möglich. „Ich bin Special Agent Dana Scully vom FBI. Überlegen Sie sich, was Sie tun. Seien Sie vernünftig, dann wird Ihnen nichts passieren!“ Scully ging langsam auf ihn zu, doch da entsicherte er seine Pistole. Margaret hatte zu weinen angefangen. Hinter dem Mann kamen einige Leute aus dem Geschäft hinter ihm. Alle versuchten etwas zu erkennen um zu erfahren, was da los war. Die Menge drängte sich nun auch dicht hinter den Mann mit der Pistole, doch niemand schien sich zu trauen, etwas zu unternehmen. Ein älterer Mann, der auf einen Stock gestützt war, reckte den Hals und versuchte etwas zu erkennen, da schien er das Gleichgewicht zu verlieren und knickte mit den Knien ein. Reflexartig streckte er die Hand aus um Halt zu finden und griff, wahrscheinlich versehentlich, an die Jacke des Verbrechers. Dieser wiederum schien nun endgültig in Panik zu verfallen und drückte die Waffe nun fester an Bill’s Schläfe, Schweiß stand sowohl dem Mann als auch Bill auf der Stirn. Jemand trat vor um dem alten Mann aufzuhelfen, vielleicht seine Enkelin. Der bewaffnete Mann schrie ihr zu, sie solle sich gefälligst nicht nähern, doch diese hatte sich bereits über den Alten gebeugt um ihn zu helfen, da drehte sich der Mann um und schoss wie besessen auf das Mädchen und den alten Mann ein. Ich wollte diese Gelegenheit nutzen um meine Waffe zu ziehen. Ich griff also nach dem kalten Griff und zog meine Pistole, doch da drehte sich der Mann wieder um und sah meine Bewegung. Danach verblassen die Bilder in meiner Erinnerung immer und ich höre nur einen dumpfen Knall, wie aus weiter Ferne und einen Schrei, der sehr nach Margaret klingt. Danach tauchen wieder klare Umrisse auf und ich sehe wie Mrs Scully mit Tränen in den Augen zu ihrem toten Sohn laufen will und Dana, wie sie ihrer Mutter zuruft, sich nicht zu bewegen, ebenfalls weinend. Doch Margaret hört nicht. Und dann....ich weiß nicht mehr, was dann kam....Es ist alles so dunkel in mir, so dunkel, dass ich nichts sehen kann... Das nächste, was ich weiß, ist, dass auch Mrs Scully reglos am Boden lag....und.... Blut sich über den Boden verteilte. Dann weiß ich noch, dass ich mich endlich wieder gefasst hatte und dann wie in Trance auf den Kerl gefeuert habe, immer und immer wieder, in blinder Wut. Ich drehe mich um und sehe Dana an, die starr vor Schreck auf die Leichen ihres Bruders und ihrer Mutter starrt, dann höre ich nur noch Dana’s Schluchzer und sehe, wie sie vor mir bewusstlos auf den Boden sinkt.

Ich keuche, muss mich erst einmal gegen die Wand lehnen. Fast jedes Mal, wenn ich herkomme, erlebe ich das alles vor meinem geistigen Auge noch einmal. Es verfolgt mich. Würde ich weglaufen, es hätte mich bestimmt schneller wieder eingeholt als ich dachte. Mein Atem wird langsam wieder ruhig. Nachdem man die Leichen der beiden damals weggeschafft hatte, war auch Dana gestorben. Nein, nicht wirklich. Aber ihr Geist, ihre Seele...ein Teil von ihr ist daraufhin gegangen. Es musste ihr so weh getan haben, dass sie es einfach nicht ertragen konnte. Ich habe ihre Entwicklung mit angesehen und ich weiß nicht, was schlimmer für mich war, Dana’s Familie schnell sterben zu sehen, oder Dana’s Siechtum, das daraufhin folgte, langsam und qualvoll. Am Tag der Beerdigung sah sie Bill und ihre Mum an den Gräbern stehen. Kurz darauf fühlte sie sich von Wänden und Mauern verfolgt, sie vermutete hinter allem Männer mit Pistolen und hörte lachende Stimmen in ihrem Kopf, die sie quälten. Sie litt unter starker Paranoia. Aber die Ärzte haben sie nur mit „Das wird schon wieder“ zugeredet und haben sie dann mit Medikamenten vollgestopft. Ich habe versucht, sie zu retten, das schwöre ich! Aber gegen die Dämonen in ihrem Kopf war ich machtlos. Ich konnte sie nur immer in den Arm nehmen und versuchen sie zu beruhigen. Aber ich weiß heute, dass das nichts hätte bringen können. Denn ich war selber traumatisiert. Wie sollte ich da helfen? Ich fühlte mich elendig, wie ein Verräter!



Kurze Zeit später änderte sich Dana’s Zustand grundlegend, sie wurde so, wie sie noch heute ist...



Inzwischen drücke ich den Teddybär mit den braunen Knopfaugen fest an meine Brust. Vor mir läuft einer der „Wärter“, so nenne ich diese Leute in Weiß, die auf die Kranken achtgeben, einfach. Aber man darf wirklich nicht glauben, dass diese Leute auch nur annähernd genug Qualifizierung für diese Tätigkeit aufweisen würden! Erst letztens habe ich im Vorbeigehen gesehen, wie eine „Wärterin“ auf einen kleinen kranken Jungen einschlug, nur weil der ihren Willen nicht ausführen wollte, oder vielleicht auch nicht konnte. Der Mann vor mir rennt fast, ich komme kaum in normaler Gangart hinterher. Aber ich erkenne, dass das, was ich hier tue, mein Lebensinhalt geworden ist. Wäre Dana nicht mehr da und bräuchte mich, dann würde ich mir garantiert das Leben nehmen. Ich war schon einmal kurz davor gewesen, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Das muss vor ca. sechs Monaten gewesen sein. Als mir der Assistant Director Skinner mitteilte, dass Deputy Director Kersh mich von der Arbeit zurückwies, da ich nicht mehr im Vollbesitz meines Verstandes sei....als ob ich das in den Augen von Kersh je gewesen wäre. Aber endlich hatte er einen Grund gefunden mich zu feuern. Dann war ich in Kersh’s Büro gegangen um mit ihm zu reden....als ich dann dort angekommen war und ihm gesagt hatte, dass ich mir auch mehr Mühe geben würde, da meinte er, dass ich aber anscheinend nicht mehr geeignet für diesen Beruf wäre, wenn ich mich von so einem Vorfall so runterziehen lassen würde. Dann war er ausserdem der Meinung, dass andere Leute viel schlimmere Schicksale zu ertragen hatten. Das hatte ich mir alles noch geduldig angehört, aber dann hatte er Scully als „theatralische Idiotin“ bezeichnet, die „das alles nur vorspielte und maßlos übertrieb“. Das war zu viel, da ist mir die Faust ausgerutscht und ich wurde sofort aus dem FBI - Gebäude geschmissen. Aber das bereue ich bis heute nicht. Scully war nie theatralisch und hatte nie eine Hysterie aus ihren Problemen gemacht. Sie hatte immer versucht sie allein zu lösen und zu ertragen. Sie hätte schreien, toben und Amoklaufen können, nachdem ihre Familie ermordet worden war. Aber nein...sie hat sich ganz tief in sich selbst zurückgezogen und leidet jetzt dort alleine weiter, still und leise, so wie ich. Obwohl ich dabei noch lauter bin als sie...



Wir sind angekommen. Vor mir auf der Tür steht die Ziffer 211, Dana’s Zimmer. Der Mann schließt die Tür auf und knurrt mir zu: „Höchstens eine halbe Stunde! Ich warte so lange hier draußen.“ Als ob Dana mir je etwas getan hätte. Im Gegensatz, zu ihrer paranoiden Zeit war sie immer extrem sanft zu mir gewesen. Vielleicht weil ich immer für sie da war und weil ich das alles auch miterlebt hatte. Gut, sie hatte damals versucht von hier wegzulaufen und das hatte ein paar gewaltige Kratzer für die „Wärter“ gegeben. Daraufhin aber wurde sie in diese verdammte Gummizelle gesteckt. Ich war selber mal in so einem Ding gewesen und ich erinnere mich nur zu gut, wie furchtbar es darin war. Selbst wenn man nicht verrückt war, da drinnen wurde man es wirklich. Es war schrecklich da drinnen zu sitzen.



Und auch dieses Mal werde ich wieder an die Schrecklichkeit dieses weichen Gefängnisses erinnert. Ich betrete den kleinen Raum. Er ist winzig, aber er wirkt, dadurch, dass er so leer und weiß ist, riesig. An den Wänden und am Boden sind diese berühmten Polster, weich und weiß und trotzdem kalt. Von oben scheint spärliches Licht aus drei Lämpchen herab. Es gibt kein Fenster und wenn man hier drinnen sitzt, dann kann man nicht sehen, wo in der Wand die Tür ist, weil sie sich nicht vom Rest der Wand unterscheidet. Dabei ist Dana gar nicht mehr aggressiv. Aber das will mir ja keiner glauben! Sie sitzt am Boden, die Knie eng herangezogen und die Arme darum geschlungen. So wiegt sie sich hin und her, vor und zurück. Im Zoo habe ich mal einen Schimpansen gesehen, der das auch machte. Kurze Zeit später starb er....

Der einzige Kontrast zum weißen Untergrund, dem weißen Kittel, ihrer weißen Haut und ihren mittlerweile hellblonden Haare waren ihre blauen Augen. Ihre wunderschönen, strahlenden blauen Augen, die jetzt matt und leer vor sich her starrten. Ihre Haare waren unglaublich zerzaust, denn niemand kam her, um sie ihr zu kämen. Ich gehe langsam auf sie zu. „Hallo Scully.“ Meine Stimme dröhnt geradezu durch den Raum, obwohl ich nur flüstere. Scully hebt kurz ihren Kopf von ihren Knien, wendet den Blick zu mir und sieht mich für den Bruchteil einer Sekunde lang an. Dann legt sie wieder ihren Kopf auf ihre Knie und wippt weiter vor sich hin. In meinem Herzen schreit es: Wie lange noch? Wie lange soll das denn noch so weiter gehen?



Dana erkennt mich vielleicht noch, Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nimmt sie mich auch nur als fremden Mann wahr, wenn ich zu ihr komme. Sie hat sich völlig in sich selbst zurück gezogen und alles was geblieben ist, ist ihre Hülle. An manchen Tagen läuft sie durch ihr winziges Gefängnis. Schritt für Schritt, so lange, bis sie an eine Wand stößt. Dann dreht sie sich um und beginnt von neuem. Und ihre Augen starren dabei geradeaus und ihr Mund ist halb geöffnet. Immer wenn sie das tut, würde ich am liebsten losschreien. Was ist aus meiner Dana geworden? Ich setze mich jetzt direkt vor sie. Sie schaut mich nicht an. Ihr Blick ist leer und verlassen, so als ob ihre Augen nur aus Glas wären. Sie sind nicht mal mehr richtig blau, sondern eher milchig. „Dana ist wirr im Kopf“, hatte Byers zu mir gesagt, in der Nacht, als Dana von ihrer Paranoia befreit wurde, in der Nacht, in der sie aufgab und halb starb. Ihre Haut ist unglaublich blass....Fast weiß, weiß wie die Wände und der Boden. Weiß wie das, was sie anhat. Dieses Weiß....es symbolisiert mir, dass Dana unschuldig an all dem ist, was ihr widerfahren ist. Wirklich, sie kann nichts dafür, jetzt so zu sein. Aber ich bin Schuld daran, dass sie jetzt so ist, weil ich ihr nicht helfen konnte! Weil ich damals dagestanden hatte und nichts dagegen unternommen, als Bill und ihre Mutter erschossen worden sind. Ich habe nichts unternommen, was sie hätte retten können! Ich war feige und ich war ein Verräter!



Das musste ich versuchen, wieder gut zu machen. Mein Zögern von damals verlangt jetzt all meine Kraft für Dana. Sie hat nur noch mich, sonst kam sie niemand besuchen. Ihr Onkel bezahlt den Aufenthalt in dieser Irrenanstalt, aber er kommt nie her, um sie zu besuchen. Dafür hasse ich ihn. Um mich kümmert sich auch niemand, aber das bin ich gewohnt, vielleicht ist es besser so, denn wenn es mir jetzt besser ginge, dann wäre das unfair gegenüber Dana! Sie hat nichts mehr vom Leben. Nur mich. Und ich habe nur sie. „Eure Verbindung ist einfach zu stark.“, hatte Frohike einmal gesagt. „Leidet einer von euch, dann leidet der andere automatisch auch. Ihr seid wohl, rein seelisch gesehen, Siamesische Zwillinge.“ Er hatte versucht zu lächeln, als er dies sagte, aber aus seinen Augen kamen nur ein paar Tränen. Vielleicht hat er Recht. Ich will nur eins in meinem kaputten Leben und zwar, dass Dana irgendwann einmal wieder zu mir zurückkommt! Dass sie mich mit ihren wunderschönen blauen Augen fest ansieht! Dass sie mich erkennt und meine Umarmung geniest! Ich weiß nicht, ob sie das jetzt tut. Es ist so schwer durch diese leere Hülle eine Botschaft zur wahren Dana zu schicken!



Dana starrt vor sich hin, als ich ihre Hände sanft von den Knien löse. Ich streichle ihre kleinen Hände ein wenig und stelle fest, wie eiskalt sie sind. In der Ellbeuge sind kleine Einstiche zu erkennen. Also haben sie ihr wieder irgendwas gespritzt. Vorsichtig bringe ich sie dazu, ihre Beine lang auf den Boden zu legen und rutsche näher an sie heran. Ich schaue in ihr Gesicht und taste ihren Hals und ihren Nacken ab. Das tue ich jedes Mal, wenn ich herkomme. Ich überprüfe ob sie ihr auch nichts angetan haben! „Dana, wie geht es dir heute?“ Mit aller Kraft zwinge ich mich zu einem matten Lächeln. Ich streichle ihre Oberarme. Ich bin zwar ausgebildeter Psychologe, aber ich habe keine Ahnung davon, wie ich mit Dana jetzt umgehen soll. Aber ich hoffe, dass sie irgendwann zu mir zurückkommen wird, wenn ich sie nur richtig locke. Indem ich mir ihr rede, indem ich sie umarme und streichle. Früher hat sie es immer sehr genossen, wenn ich sie mal gestreichelt oder gekrault habe. Und einmal...einmal haben wir uns sogar geküsst! Ja, das war an Millenium. Es ist nur vier Jahre her und trotzdem erscheint es mir wie eine Ewigkeit. Jedes Mal, wenn ich in der Nacht kurz vorm Wahnsinn stehe, dann denke ich an diesen Kuss zurück, an ihre warmen Lippen. Das hilft mir. Ich darf nicht wahnsinnig werden. Wer kümmert sich denn sonst um Dana?

„Draußen ist es wahnsinnig heiß, weißt du....“ Ich rede einfach weiter, obwohl ich eigentlich nicht kann, meine Stimme ist kurz davor zu brechen und ich bin kurz davor in Tränen auszubrechen. Alles in mir läuft plötzlich über. An manchen Tagen bin ich halbwegs normal, aber heute schaffe ich das einfach nicht. Ich muss weinen, die Tränen laufen mir einfach über die Wange und ich kann sie nicht aufhalten. Aber ich rede weiter: „Die Sonne scheint und die Vögel singen, die.....die ganze Stadt ist auf den Beinen...und ...ich...“ Ich breche ab. Zu viele Tränen laufen über meine Wangen, lodern in meinen Augen wie kleine, wütende Feuer. Tief in mir drinnen zerbricht etwas ohnehin schon Zersplittertes noch viel mehr. Dana, ich brauche dich! Versteck dich nicht in deinem Selbst, bitte! Ich weine, schluchze wie ein kleines Kind, und bin unfähig etwas zu sagen. Dana’s Blick ist starr und wirr, als wäre sie eine Puppe. Und doch schlinge ich verzweifelt meine Arme um sie, schluchze in ihre Schulter und drücke sie an mich. Ich weiß, ich habe die Strafe verdient, alleine zu sein. Aber es tut so weh......! Und ausserdem spüre ich ganz genau, dass da tief in ihr noch etwas Lebendiges ist. Etwas, das sie vom Fischschwarm da draußen unterscheidet. Ja, sie wirkt sogar jetzt noch lebendiger als die Zombies auf der Straße. „Es tut mir so leid!“, schluchze ich und drücke sie sanft an mich. „Ich will nicht weinen, aber ich kann nicht anders!“ Ich spüre die weiche Haut, die ich berühre, kann den Atem meiner Freundin hören, der regelmäßig und ruhig geht. Ihre Haarspitzen kitzeln ein wenig an meiner Wange. Alle diese Berührungen trösten mich. Aber gleichzeitig reißen sie das Loch in mir noch größer. Ich höre auf zu schluchzen. Nur mein Schniefen hallt durch den weißen Todesraum. „Was....was tust du eigentlich den ganzen Tag hier?“ Meine Stimme fährt dabei Achterbahn. „Es ist bestimmt langweilig für dich hier, Dana.“ Meine Finger berühren ihre Wange. Ich sitze vor ihr und schaue sie aus meinen nassen Augen an. Ganz sanft streicheln meine Finger ihre Wange. „Es dauert nicht mehr lange, Dana, dann werde ich schon noch durchsetzen können, dass ich dich hier raus holen darf. Dann werde ich dich mit zu mir nach Hause nehmen. Es dauert höchstens noch zwei, drei Monate.“ Ich habe mehr Zweifel als Hoffnung, dass ich es schaffen werde, sie mitnehmen zu dürfen, aber ich muss es versuchen. Meine Wohnung ist zwar klein, aber Platz für Dana habe ich immer. „Dana, die Zeit vergeht so schnell.... jetzt bin ich schon 43 und du bist 36..... kannst du dir das vorstellen?“ Ich versuche wieder zu lächeln. Aber etwas in mir blockiert das. „Dana.....ich hab dich sehr lieb....!“ Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Und in diesem Moment geschieht etwas, das ich nie für möglich gehalten habe, Dana schmiegt sich an meine Finger! Minimal nur, so wenig, dass ich es kaum sehen kann. Aber es ist zu spüren! Auch wenn der Blick noch genauso orientierungslos und wirr ist wie immer, etwas in ihm hat sich gerade einen Spalt weit geöffnet. Wieder fließen Tränen bei mir, aber diesmal, weil ich mich unheimlich freue. Weil Dana gerade einen Samen der Hoffnung in mir gepflanzt hat, der zu keimen beginnt. Will sie sich doch nicht mehr in ihrem Selbst gefangen halten? Ich versuche ruhig zu bleiben, denn ich habe Angst, dass ich sie erschrecken könnte. Vorsichtig rutsche ich wieder nahe an sie heran. Meine linke Hand krault ihr Genick, ganz vorsichtig. Der Blick bleibt wirr. Und diesmal......schmiegt....sie sich mir nicht entgegen....



Das war’s. Ich habe das Gefühl, dass in mir eine Kugel steckt, die den Schmerz durch meinen Körper jagt. Diesen Schmerz, dessen Welle mich erfasst und mit sich reißt. „Du dachtest doch nicht wirklich, dass du Dana zurückholen kannst!“, schreit es in mir. Aber das muss ich doch! Nur so kann sie weiterleben! Und ja, verdammt, nur so kann auch ich weiterleben.....

weiterleben.......ich lebe doch eigentlich gar nicht mehr. Meine ganze Welt liegt in Trümmern vor mir und ich habe das Gefühl, gefesselt zu sein, unfähig die Trümmer neu aufzubauen. Ein Teil von mir liegt im Koma und er weigert sich aufzuwachen. Ich brauche Dana, die mich aufweckt. Ich brauche sie.....Ich brauche sie so sehr!



„Warum?“, schluchze ich. Mein Körper zittert wie Espenlaub, mir ist auf einmal furchtbar kalt. Um mich herum stehen plötzlich kleine rosafarbene Gestalten, sie bilden einen Halbkreis um mich und Dana, die willenlos ins Nichts starrt. Sie machen mir Angst, denn sie kommen immer näher, funkeln mich mit ihren schwarzen, blitzenden Augen an. Als sie ihre Mäuler aufreissen, kommen furchtbare Zähne zum Vorschein, die sich hin - und herbewegen. Der Wahnsinn kommt auf mich zu und will mich auffressen! Ich habe Angst, versuche die Dämonen zu verscheuchen. Aber es werden immer mehr, die auf mich zulaufen. In den vier Ecken des Raumes stehen Horden davon und sie grinsen mich boshaft an, blecken die Zähne, bereit mich zu verschlingen. Mein Herz rast wie wild, ich bekomme keine Luft mehr. Irgend etwas schnürt mir den Hals ein.



Ob es Dana früher auch so ging? Wenn sie Dinge sah, die keiner sonst sehen konnte, wurde sie immer totenbleich, sie schnappte nach Luft, nein, hyperventilierte. Dann sank sie gegen die nächste Hauswand, versuchte ihr Gesicht zwischen den herangezogenen Knien zu verstecken, schrie, zitterte, heulte und presste sich die Hände auf die Ohren. Ich dachte in solchen Momenten immer, gleich würde sie vor Angst sterben. Und jedes Mal starb ich fast mit ihr.....

Das hier ist so grauenhaft, dass mir schlecht wird. Ich stehe kurz davor, mein Frühstück auszukotzen. Verzweifelt klammere ich mich an Dana, halte mich an ihr fest, wie ein Bergsteiger am rettenden Felsen. Ich schluchze, mein Gesicht heult Speichel, Tränen und Rotz vor Panik, Dana, hilf mir doch! Ich glaube, tiefe Bisse in meine Arme, meine Beine und meine Füße zu verspüren. Aufgefressen vom Wahnsinn! Fox Mulder schafft es nicht, Dana Scully zu beschützen...Ich resigniere. Vielleicht ist der Ort, an dem mich dieser Schmerz hier trägt, ruhig und friedlich. Wenn ich mich von diesen toten Leuten da draußen nicht mehr unterscheide, dann stört mich vielleicht auch nichts mehr. Bestimmt kümmert mich in ein paar Minuten überhaupt gar nichts mehr... Ich lasse mich fallen, ergebe mich den Bissen, den Schreien in meinem dröhnenden Kopf. Mein Gesicht sinkt auf Dana’s Brust. Ich habe keine Kraft mehr.....keinen Atem mehr....Alles in mir löst sich auf. Ich fühle, wie ich abstumpfe. Ist das der selbe Prozess, den Dana auch durchgemacht hat? War es für sie genauso schrecklich? Ich kann nichts mehr spüren. Keine drückende Last mehr auf meiner Brust, keine Sorgen, die durch meinen Bauch klettern, keine lähmende Traurigkeit....Irgendwo ist dieses Verschwinden meiner Gefühle schön.... Alles, was mir weh tut, erlischt einfach.... Mein Atem geht ruhig und meine Augen werden leer.... Sie drohen zu brechen....Egal wo ich jetzt hinkommen mag, es wird still und leise sein.....und ich werde keine Angst mehr haben.....Kapitulation.....



Doch halt! Irgend etwas in mir flüstert. Leise Worte, so leise und weit entfernt.....ich zwinge meine inneren Ohren noch einmal richtig hinzuhören. Ich kann die Worte nicht verstehen, sie sind so weit weg! Aber die Stimme kommt mir bekannt vor......es ist unglaublich lange her, dass ich sie das letzte Mal gehört habe....Die Stimme gehört Dana.....Die Schleier, die sich um mich gelegt haben, lösen sich langsam auf. Plötzlich kann ich meinen Körper wieder spüren. Und jetzt weiß ich auch ganz genau, was Dana mir gesagt hatte: „Kämpfe, Mulder, kämpfe!“

Die Tränen, die vor meinem Paranoia - Anfall stehen geblieben waren, fangen nun wieder an zu laufen. Aber sie stören nicht. Im Gegenteil, sie versuchen ein Stück meines Schmerzes aus meinem Körper zu schwemmen. Ich fühle wieder wie sehr ich bebe und dass meine Unterlippe leicht zittert. Ich fühle mich existieren, ja fast schon leben!

„Du bist so stark, mein Mulder! Gib niemals auf!“



Etwas weiches berührt meine Wange. Warmes Fell....Ich blinzele ein paar Mal, weil ich nicht richtig sehen kann. Und das rührt nicht von meinen Tränen her. Und dennoch glaube ich weiterhin, dass meine Augen mir einen Streich spielen. Dana hat ihre rechte Hand gehoben und darin hält sie, scheinbar ganz vorsichtig, den kleinen Teddybären. Die Pfote des Kleinen streichelt meine Wange. Und irgendwie kommt es mir so vor, als ob die Knopfaugen des Teddys viel intensiver leuchten als eben. Ich bin geschockt, vertraue meinen nur langsam wiederkehrenden Sinnen nicht. Dana’s Blick ist immer noch so wirr wie sonst. In ihrem Gesicht hat sich nichts verändert. Doch ich fühle ihre Hand, die mit dem Teddyfell berührt. Und plötzlich lächele ich. Dana ist bei mir, nicht vor mir. Sie sitzt in meinem Kopf. Ihre Stimme hat zu mir gesprochen. Und sie hat mich davor bewahrt wie sie zu werden. Die wahre Dana lebt noch......wenn auch nur versteckt......Meine Dana........



Ich drücke den Teddybären auf ihre Brust und beuge mich vor zu ihr. „Ich danke dir, Dana! Hab vielen, vielen Dank! Ich habe dich endlich verstanden!“ Jetzt weiß ich, dass sie trotzdem noch da ist, auch wenn sie sich gefangen hält, wenn sie vorgibt, nicht mehr da zu sein. Und ich werde weiterhin versuchen, sie zu mir zurück zu holen. Denn ich weiß, dass wir beieinander zu Hause sind. Ganz langsam verschwinden auch die fauchenden und schreienden Gestalten um uns herum. Sie brüllen, als hätten sie Schmerzen, verpuffen einfach oder verblassen vor meinen Augen. Dana’s leere Augen folgen ihnen wirr. Sie muss sie auch gesehen haben.



Ich wische meine Tränen weg, nehme den Teddybären mit den Knopfaugen und lasse sein Pfötchen Dana’s Wange streicheln. „Den habe ich dir mitgebracht. Er wird auf dich aufpassen, wenn ich nicht da bin!“, flüstere ich dabei. „Hast du gehört, Teddy, Dana braucht dich! Ich kann nicht immer bei ihr sein, deswegen musst du auf sie achtgeben!“ Vielleicht bin ich immer noch halb verrückt, immerhin rede ich mit dem Bären. Aber das hilft mir und hoffentlich auch meiner Freundin! *Keine Sorge, Fox, ich mach das schon! Dana sieht so lieb aus, auf die passe ich ganz doll auf!* Dana nimmt den Bären, als ich ihn ihr sanft in die Hand drücke. Ich kann lächeln. Etwas großes haben wir heute überwunden, Dana und ich. Ein Schrei aus der Tiefe, eine vertraute Stimme in meinem Ohr. Ich will sie bei mir tragen, bis Dana sie sich eines Tages wieder holt, wenn ich es geschafft habe, uns aus diesem riesengroßen schwarzen Loch zu ziehen.



Ich klopfe gegen die Tür, so lange bis sie sich öffnet und der „Wärter“ mich anschaut. Ich frage mich erst gar nicht, wie rot meine Augen wohl aussehen müssen. „Ich will mit ihr spazieren gehen!“, sage ich und diesmal zittert meine Stimme nicht, sie ist kräftig und entschieden. „Was?“ Der Mann sieht aus, als wolle er mich jeden Moment auffressen! „Das geht nicht!“ „Bitte, Dana hat keinem etwas getan und ich kann sehr gut auf sie aufpassen!“ Es fehlt nicht viel und ich falle vor dem Kerl auf die Knie. „Ich will doch nur, dass sie die Sonne mal wieder sieht! Den Himmel, Menschen......und dass sie frische Luft atmet....!“ Der Mann schaut mich an, wiegt nachdenklich seinen fast kahlen Kopf hin und her. „Von mir aus, aber nur eine Viertelstunde und auch nur durch den Park, der hier neben an ist!“



Die Sonne brennt nicht mehr ganz so erbarmungslos auf uns nieder. Aber sie scheint noch, wärmt die Luft und den lauen Sommerwind etwas auf. Ich stütze Dana. Mein Herz klopft so seltsam ruhig und entspannt als wir aus dem grauen Betonklotz heraus treten, hinaus in die Sonne. Sofort kehrt ein bisschen Glanz zurück in Dana’s zerzauste blonde Haare. Das erinnert mich an früher, wenn ich manchmal in diesen glänzenden, damals noch roten, Haaren wühlen durfte und Dana dazu schnurrte wie ein Kätzchen. Weißt du das noch, Dana? Der Park grenzt gleich an das Gebäude an, er ist sehr klein. Aber in der Mitte gibt es einen kleinen Teich mit von Trauerweiden verhangenem Ufer. Wir sind die Einzigen, die aus diesem Gebäude kommen. Sonst spazieren hier nur andere Passanten herum, sie richten ihren Blick auf Dana. Ich kann sehen, wie sie Dana mustern, argwöhnisch, ja sogar herablassend. Viele wenden sich einfach ab und nehmen einen lächerlich großen Abstand zu uns. Nur einer spricht aus, was wahrscheinlich alle denken. Er kommt uns entgegen und sagt extra laut: „Nicht zu fassen, dass die ihre Irren hier auch noch heraus lassen!“ Als er dann an uns vorbeilaufen will, stelle ich mich ihm in den Weg. Ich kann nicht mehr wütend sein, denn dazu reicht meine Kraft nicht mehr aus. Aber ich kann ihn ansehen, fest und geradewegs in seine erstaunten und wütenden Augen, die in der Sonne in einem schwammigen Schwarz leuchten, ein kaltes Leuchten. Ich kann es nicht lassen zu sagen: „Nun ja, Sie sind doch auch hier, oder?“ Dabei wende ich meinen Blick nicht ab, sondern schaue ihm weiterhin fest in die Augen. Die Kälte dieses Mannes macht einen auch irre. Irgendwie muss er von mir irritiert sein, denn er schaut weg, schnappt nach Luft und läuft in einem großen Bogen an Dana und mir vorbei. Früher hätte ich siegreich darüber gegrinst, aber jetzt kann ich es nicht mehr. Ich glaube, ich habe es verlernt....aber das ist ohnehin egal. Dana und ich gehören sowieso schon lange nicht mehr zum Fischschwarm. Wir sind zwei einsame Wölfe, denn wir sind anders, leben auf der Schattenseite dieses Daseins.



Am Teich steht eine Bank. Ich setze Dana darauf und mich gleich daneben. Ihre wirren, leeren Augen starren planlos geradeaus. Ob sie sieht, was um sie herum ist? Aber ich muss lächeln, als ich sehe, dass die Sonne selbst jetzt noch in ihren toten Augen leuchtet. Dieses blaue Glänzen, es brennt sich in meinen Kopf. In der Sonne wirkt Dana nicht ganz so weiß und blass wie in dem Gebäude. Aber sie hat kein bisschen Ähnlichkeit mehr mit der Dana vor zwei Jahren. Ihre Haut ist so extrem blass, dass ich deutlich jede einzelne bläuliche Vene darunter erkennen kann. Ihre Haut hebt sich nur minimal von der weißen Kleidung, in der ihr kleiner, dünner und ausgemergelter Körper steckt, ab. Ohnehin sehen diese Sachen seltsam aus. Alles in allem lässt Dana’s Erscheinungsbild sie jetzt viel jünger aussehen. Sie sieht aus wie ein Kind, ein kleines unschuldiges Kind, dass in diesem Körper gefangen ist und sich nicht befreien kann. Und doch hat sich irgend etwas an ihr verändert seit wir hier draußen sind, das kann ich spüren. Die Sonne entfacht irgend etwas in ihr, vielleicht Mut, Hoffnung und den Willen weiter zu kämpfen, wer weiß. „Schön ist es hier, nicht?“, flüstere ich und in dem Moment sehe ich ganz deutlich, wie ihre Augen aufflackern und sie ihren Kopf hin - und her dreht um zu sehen, was um sie herum ist. Sie kann ihre Umgebung also noch wahr nehmen, stelle ich fest und das lässt mich seufzen, seufzen vor Erleichterung, dass ihre Wahrnehmung noch nicht ganz verloren ist. Vielleicht erkennt sie mich ja auch tatsächlich noch! Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich sogar zu sehen, dass ihre Augen klar werden, sich die Nebel von ihnen lösen und sie wieder zum Vorschein kommt. Für den Bruchteil dieser Sekunde scheint sie sich aus sich selbst befreien zu wollen, scheint sehen zu wollen, scheint leben zu wollen....Dann verschwindet das Leben wieder aus ihrem Gesicht. Ich bin enttäuscht, aber gleichzeitig spüre ich eine unbeschreibliche Freude in mir. Das war immerhin ein Anfang und ich werde mich mit allem, was ich habe anstrengen, Dana’s Aufwachen weiterzuführen. Ich lächle zu ihr herüber, lege meinen Arm sanft um sie und streiche durch ihre Haare. Dann drücke ich vorsichtig ihren Kopf an meine Schulter und streichle mit so viel Sanftmut, wie ich nur aufbringen kann, ihre Wange.

Jetzt hat sie auch keine kalten Hände mehr. Ich summe ein Lied. Irgendeines. Aber irgendwoher kam es mir bekannt vor, irgendwann muss es uns etwas bedeutet haben, bevor uns dieses Unglück ereilt hat. Ich summe es in ihr Ohr. Da sehe ich, wie ihre Augen zu leuchten beginnen und kleine Tränen über ihre Wangen laufen. Also hat sie das Lied erkannt, ich strenge mich an, wenn sie es erkennt, muss ich es auch erkennen....und dann fällt es mir ein: Joy to the world! Sie hatte es damals an diesem Lagerfeuer für mich gesungen. Es war zwar total schief gewesen, aber trotzdem erinnere ich mich an keinen schöneren Gesang. Ich muss lächeln, wenn du könntest, dann dürftest du jeder Zeit wieder für mich singen! Denn ich weiß dein „Gesinge“ zu schätzen.



Dana, auch wenn es unsagbar schwer ist, wenn du keine Familie mehr hast, wenn dich die anderen vergessen haben, abgeschoben haben, komm zu mir zurück, bitte! Ich verspreche dir, ich gebe dir alles! Alles, was du brauchst, um wieder leben zu können! Dana, mein Sonnenschein, ich will deine Kerze für den Weg durch diese tiefe Dunkelheit sein, will dein Wasser in der Wüste sein, die du durchwandern musst, will deine Salbe gegen den Schmerz sein, den du durchkämen musst!



„Verzeih ihn mir!“, flüstere ich, beuge mich ihr entgegen und drücke ihr einen kurzen, sanften Kuss auf den Mund. Als meine Lippen die ihren berühren, schmecke ich süß und bitter zugleich in meinem Mund. Süße Erinnerung. Bittere Traurigkeit.

Und so existieren wir weiter, hier auf dieser Bank und schauen auf den Teich, in dem Enten und Schwäne schwimmen. Sitzen unter dem riesigen blauen Himmel und lassen uns von der Sonne berühren und vom Wind streicheln. In Dana’s Armen sitzt der kleine Teddybär mit den Knopfaugen.....

Und unsere Herzen schlagen im selben Rhythmus immer weiter......





Ende
So, das war’s *seufz*...Ich weiß, dass die Story sehr pessimistisch ist, aber wenn man sich anstrengt, kann man auch ein bisschen Optimismus heraus lesen...Inspiriert dazu hat mich erst einmal ein sehr wirrer und trauriger Traum meinerseits und eine Story, die ich mal auf www.animexx.de gelesen habe... Über Feedback würde ich mich sehr freuen.... Ausserdem will ich vielleicht einen Fortsetzungsteil schreiben, sagt mir, ob euch das gefallen würde...
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