World of X

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Avengers

von Ilanga

Kapitel 2

Gerade, als die beiden FBI-Agenten aus dem letzten Haus traten und sich wieder in ihren Wagen setzen wollten, bemerkten sie ein jungen Mädchen, das im Halbdunkeln auf sie zukam, offensichtlich, ohne sie zu bemerken. Mulder kniff die Augen zusammen. War das nicht...?

"Hallo! Du bist Eileen Reilly, stimmts?"

"Oder sollen wir dich Doris nennen?", fügte Scully hinzu.

Diese Haare sind wirklich unverwechselbar, dachte Mulder.

"Doris? Wieso denn das? Wer sind Sie überhaupt?", fragte das Mädchen verdutzt. Aus ihrem Verhalten war keine Spur von Nervosität oder gar Feindseligkeit abzulesen, wie noch am Mittag. Mulder und Scully waren einigermaßen irritiert durch diese Antwort.

"Agent Mulder und Agent Scully vom FBI, wir sind hier, um uns diese Selbstmordserie ge­nauer anzuschauen. Heute Mittag waren wir bei dir zu Hause", erklärte Mulder dann.

Eileen runzelte die Stirn. "Wirklich? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Ich muss jetzt eh gehen, wir essen gleich zu Abend. Wiedersehen!" Mit diesen Worten verabschiedete sie sich, nicht ohne Mulder noch ein strahlendes Lächeln zu schenken, und ging weiter.

Scully zog die Augenbrauen hoch. "Mulder, irgendwas stimmt doch mit diesem Mädchen nicht. Sie verhält sich mehr als nur seltsam."

Mulder nickte bestätigend. "Wer weiß, vielleicht ist sie ja von einem Geist besessen. Vom Geist ihrer Schwester", gab er zu bedenken.

Scully seufzte entnervt. "Mulder, ich bitte Sie..." Anstatt ihren Satz zu Ende zu bringen, öffnete sie die Wagentür und setzte sich ans Steuer. "Kommen Sie. Es ist schon spät. Ich könnte etwas zu Essen vertragen. Außerdem bin ich müde."

Mulder stieg ebenfalls ein. "Fahren Sie schon los. Wir werden übrigens im Motel Freddies übernachten. Sollte gleich um die Ecke sein."

Zwei Stunden später

Obwohl es schon spät war, konnte Scully keinen Schlaf finden. Sie lag auf dem Rücken im Bett und starrte an die Decke. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie empfand es als Tragödie, dass so viele junge Menschen ums Leben gekommen waren, egal ob durch Mord oder Selbstmord. Je länger sie jedoch nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr jedoch, dass sich die Jugendlichen tatsächlich selbst das Leben genommen hatten. Zum einen war da mal die Tatsache, dass hier in Amesville vor Faith Reillys Tod während siebzig Jahren keinen einzigen Fall von Selbstmord gegeben hatte. War es da nicht sehr unwahrscheinlich, dass nun in zwei Monaten deren acht geschehen sollten? Dazu kam, dass die Umstände, in denen die Opfer aufgefunden wurden, sich alle verblüffend ähnelten - die Badewanne, der Arm, der über den Rand hinaushing. Und dann war da noch das Detail, das sie zu erst stutzig gemacht hatte: keiner der Toten wies Probeschnitte an den Handgelenken auf.

Soviel Scully auch nachdachte, ihre Gedanken kehrten immer zu einem Punkt zurück. Wenn es wirklich Mord gewesen war, wer konnte der Täter sein? Wer kam dafür in Frage? Faith Reilly schien tatsächlich der Schlüssel zu diesem ganzen Rätsel zu sein, jedoch anders, als Mulder glaubte. Alle Fäden schienen bei ihr zusammenzulaufen. Der Täter musste jemand sein, der Faith sehr geliebt hatte und sich somit für sie rächen wollte, oder jemand, der eben diesen Eindruck erwecken wollte. Außerdem ging der Täter äußerst professionell vor. Nicht einmal die örtliche Polizeibehörde hatte den Verdacht geäußert, es könnte sich um etwas anderes als Selbstmord handeln. Trotzdem war der Fall irgendwie ans FBI gelangt.

Kurz, bevor sie dann doch einschlief, huschte ein Gedanke durch ihren Kopf, der sie eigentlich wieder hellwach lassen werden sollte.



Auch Mulder fand keinen Schlaf. Im Gegensatz zu Scully dachte er aber nicht über die Frage nach, wer der Täter sein könnte. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass die jungen Leute sich selbst umgebracht hatten, wenn auch nicht aus freien Stücken. Die Theorie, dass ein Geist sich an seinen früheren Widersachern rächen wollte, erschien ihm überhaupt nicht abwegig. Vielmehr hielt er dies für die logischste und einleuchtendste Lösung. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage, wann sie wieder zuschlagen würde. Auf Mrs. Reillys Liste, so erinnerte Mulder sich, waren noch viel mehr Namen gestanden. Sehr viele mehr. Faith Reilly musste ein trostloses Leben geführt haben.

Schließlich, gegen Morgen, gewann die Müdigkeit die Oberhand, und der FBI-Agent glitt in einen unruhigen, traumlosen Schlaf hinüber.



Nur Momente später wurde er von einem lauten Hämmern gegen seine Tür wieder geweckt. Als Mulder öffnete, sah er neben einer sehr müden Scully einen beleibten, uniformierten Polizeibeamten mit einem stattlichen Schnurrbart stehen.

"Agent Mulder, ich bin Sheriff Linscott von der örtlichen Polizeibehörde. Vor zehn Minuten ist wieder ein Selbstmord geschehen. Ich möchte, dass Sie zum Tatort mitkommen."

Mulder gähnte. "Ich komme gleich", antwortete er verschlafen und schloss die Tür wieder hinter sich.

Minuten später eilte er - nun vollständig angezogen - zum Motel hinaus und stieg in den dunkelgrauen Ford ein. Scully hatte schon mit laufendem Motor gewartet. Sie bog vom Parkplatz ab und folgte dem Wagen von Sheriff Linscott. Während der Fahrt versorgte sie Mulder mit den nötigen Details.



"Bei der Toten handelt es sich um Alicia Paige, 21 Jahre alt. Ein Mädchen aus gehobenen Verhältnissen, einem großen Freundeskreis, überall beliebt. Sie wurde vor zehn Minuten von ihrer Mutter mit aufgeschnittenen Pulsadern tot in der Badewanne aufgefunden."

"Oh, lassen Sie mich raten, Scully. Die Tote weist keinerlei Probeschnitte an den Handgelenken auf." Er kannte die Antwort schon.

"Genau. Und, wie könnte es anders sein, auch hier hängt der rechte Arm der Toten in einem eigentümlichen Winkel über den Rand der Badewanne hinaus", bestätigte Scully. "Mulder, das können keine Selbstmorde sein. Die Parallelen sind einfach zu offensichtlich."

"Das habe ich Ihnen ja von Anfang an gesagt. Sie wollten mir ja nicht glauben."

"Ich glaube auch bis jetzt nicht daran, dass Faith Reillys Geist sich an ihren Peinigern rächen will. Der Mörder oder die Mörderin ist ein Wesen aus Fleisch und Blut, jemand, dem Faith sehr viel bedeutet haben muss. Jemand, der sich an all denjenigen rächen will, die das Mädchen jemals schikaniert haben."

Sie lenkte den Wagen hinter demjenigen von Sheriff Linscott in die Auffahrt einer lindgrünen Jugendstil-Villa. Direkt hinter ihrem Auto hielt ein zweiter Polizeiwagen. Ihm entstieg ein Polizist, ebenfalls in Uniform. Er stellte sich als Deputy Duncan Stewart vor.



Als Scully das Badezimmer betrat, musste sie leer schlucken. Der Anblick war wahrhaftig, fürchterlich. Überall war Blut: in der Badewanne, auf dem Fußboden, ja, sogar auf dem Spiegel. Die junge, rothaarige Frau, die merkwürdig verdreht in der Badewanne lag, bot einen noch grässlicheren Anblick als der Raum. Ihre linke Hand war zur Faust geballt, während die rechte über den Rand der Wanne hinaushing. Der Gesichtsausdruck der Leiche war zu einer Panik erfüllten Maske erstarrt.

Mulder ließ seinen Blick durch den gesamten Raum schweifen, obwohl er schon nach einer Sekunde erkannt hatte, dass sich die Szenerie praktisch nicht von den anderen Selbstmorden unterschied. Doch wo war...?

"Scully, schauen Sie mal. Ich kann hier keine Tatwaffe entdecken", wandte er sich an seine Partnerin. "Das Küchenmesser fehlt! Es ist nicht mal eine Spiegelscherbe da, die das Mädchen als Waffe hätte benutzen können!"

"Mulder, das ist der Beweis! Es sind keine Selbstmorde! Diesmal hat der Täter einen Fehler gemacht!" Scully sah sich in ihrer Vermutung bestätigt. "Oder er will uns einen Hinweis geben", fügte sie dann nachdenklich hinzu.

Plötzlich entdeckte sie an dem reglosen Körper etwas, das sie bisher übersehen hatte. Sie wollte es sich gerade näher ansehen, als Sheriff Linscotts Mobiltelefon klingelte.

Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich zusehendes, während er den Worten des Anrufers lauschte. "Eine meiner Nachbarinnen. Sie hat soeben ihren Sohn tot in der Badewanne aufgefunden!"

Mulder schloss erschüttert die Augen. Würde das denn nie ein Ende nehmen?

"Kommen Sie mit", forderte der Sheriff die beiden Agenten auf, doch Scully schüttelte ablehnend den Kopf. "Gehen Sie nur, Mulder. Ich möchte mir hier etwas genauer ansehen."



Als Mulder, Linscott und der Deputy den Raum verlassen hatten, beugte Scully sich zu der Leiche hinunter und fuhr ihr mit der Hand vorsichtig über die Kopfhaut. Unter ihren Fingern war eine deutliche Beule zu fühlen. Demnach musste Alicia Paige zuerst nieder geschlagen, dann in die Badewanne geschleppt und danach erst getötet worden sein.

Plötzlich schoss Scully Gedanke durch den Kopf, eine vage Vermutung nur, doch dies genügte, um sie in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Sie verfluchte die Tatsache, dass Mulder gerade jetzt nicht da war. Dann stürmte sie aus dem Haus, setzte sich ins Auto und fuhr mit aufheulendem Motor los.



Kurze Zeit später hielt sie vor dem Haus der Reillys an. Vorsichtig darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, schlich sie über den Gartenweg und drückte dann die Türklinke hinunter. Die Tür war offen. Das Innere des Hauses war, wie bei ihrem letzten Besuch, in ein fahles Dämmerlicht getaucht.

Mit gezogener Waffe stieß Scully die Tür zum Wohnzimmer auf. Unvermittelt sah sie sich Eileen Reilly gegenüber. Das Mädchen saß auf der Couch und sah mit starrem Blick zum Fenster hinaus. Nicht einmal Scullys Eintreten konnte ihr eine Reaktion entlocken.

"Eileen?", fragte Scully.

"Eileen ist nicht hier", entgegnete das Mädchen. "Mein Name ist Doris. Ich kenne Sie. Sie sind die Schnüfflerin vom FBI."

"Doris, wer bist du? Erzähl mir von dir", forderte Scully das Mädchen auf. Sie steckte ihre Waffe wieder ein. Das Mädchen schien momentan keine Gefahr darzustellen.

"Das geht Sie nichts an", erwiderte das Mädchen feindselig und sah weiterhin zum Fenster hinaus.

Scully drängte Doris nicht zum Weitersprechen. Sie hatte Geduld und konnte warten, doch sie war sich sicher, dass sie schlussendlich erfahren würde, was sie wissen wollte.

Schließlich entschied Doris, doch etwas über sich preiszugeben. "Ich mache all das Unrecht wieder gut, dass meiner Schwester angetan worden ist. Ich bin Faiths Rächerin."

Scully nickte langsam. Es war, wie sie gedacht hatte. Eileen - oder Doris - Reilly war eine multiple Persönlichkeit. Zwei unterschiedliche Charaktere erhoben Anspruch auf den Besitz eines Körpers. Meistens hatte irgendein tragisches Erlebnis in der Vergangenheit die Persönlichkeit solcher Menschen zerstört. In Eileens Fall war der Auslöser wahrscheinlich der tragische Verlust ihrer Schwester gewesen.

Eileen und Doris waren zwei so gegensätzliche Persönlichkeiten, dass sie durch das Verhalten sofort auseinander gehalten werden konnten. Die eine war freundlich, nett und aufgeschlossen, die andere das totale Gegenteil von ihr. Doris war böse, berechnend und rachsüchtig. Diese Persönlichkeitsspaltung war auch der Grund für die zwei unterschiedlichen Namen.

Eileen war trotzdem die dominantere der beiden Persönlichkeiten. Sie war es, die in der Öffentlichkeit den Körper kontrollierte, sie war es, die den Eindruck von einer fröhlichen, aufgeschlossenen Eileen vermittelte. Doch manchmal setzte sich Doris durch, kontrollierte die Situation und fügte dann unschuldigen Menschen unsagbares Leid zu.

Dies war so etwas wie eine moderne Version der Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, dachte Scully unwillkürlich. Doch die Agentin war auf der Hut. Doris war unberechenbar.

"Wieso hast du das alles getan?"

Nun drehte das Mädchen den Kopf und sah Scully zum ersten Mal ins Gesicht. " Wissen Sie eigentlich, wie schwer das über all die Jahre für mich war? Ich musste zusehen, wie meine Schwester, die ich über alles geliebt habe, von allen anderen schikaniert, verspottet und ausgelacht wurde. Und ich konnte niemals etwas dagegen tun. Jedes Mal, wenn sie ausgelacht wurde, schämte ich mich mit ihr. Jedes Mal, wenn sie gehänselt wurde, fühlte ich mit ihr. Jedes Mal, wenn sie von einem Jungen abgewiesen wurde, habe ich mich mit ihr gegrämt. All ihre Selbstzweifel haben auch mich geplagt. Jedes Mal, wenn sie geweint hat, weinte ich mit ihr. Jede einzelne von Faiths Tränen hat sich auf meinen Wangen eingebrannt. Ich habe die Leute, die meine Schwester gequält haben, wahrscheinlich noch mehr gehasst, als sie selbst es tat. Und nach Faiths Tod habe ich Rache geschworen."

In Gedanken korrigierte sich Scully. Nicht der Tod ihrer Schwester hatte Eileens Persönlichkeit zerstört, vielmehr war es die Ablehnung gewesen, die Faith lebenslang entgegengeschlagen hatte.





Noch bevor Sheriff Linscott seinen Wagen völlig zum Stehen gebracht hatte, war Mulder auch schon ausgestiegen und auf dem Weg zum Haus. Der Sheriff folgte ihm nur Sekunden später.

Als Mulder das Badezimmer der Familie betrat, sah er auf den ersten Blick, dass auch hier die Tatwaffe fehlte.

Die Eltern des jungen Mannes standen neben der großen, runden Badewanne. Die Mutter schluchzte an der Schulter ihres Mannes, doch dessen Gesicht war wie versteinert.

Mulder sah sich suchend im Raum um, suchte nach etwas, das ihm einen Hinweis auf die Identität des Mörders geben konnte. Er fasste die geballten Fäuste der Leiche näher ins Auge. Was war denn das? Hielt der Tote da nicht ein langes, gelocktes Haar mit seiner rechten Hand fest umklammert? Und war nicht die eine Hälfte feurig rot?

Im ganzen Dorf kann es nur eine Person mit solchen Haaren geben, dachte Mulder. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ in höchster Eile das Zimmer. Nun galt es, die Mörderin zu schnappen, bevor sie erneut zuschlug.

Mulder rannte, so schnell er konnte, die Treppe hinunter und dann aus dem Haus. Er eilte auf den Deputy zu, der draußen gewartet hatte. "Schnell, fahren Sie los!", forderte er ihn auf. Dieser reagierte sofort und setzte sich ans Steuer. "State Street 45", erklärte Mulder dann kurz angebunden. Mit Blinklicht und heulender Sirene setzte sich der Wagen in Bewegung.



"Mein Plan war gut, nicht wahr?", meinte Eileen Reilly in diesem Moment, mehr zu sich selbst gewandt als zu Scully. "Es hat wirklich alles nach Selbstmord ausgesehen", fügte sie dann mit einem bösartigen Stolz hinzu.

Scully war fassungslos. Wie konnte so viel Bosheit in einer Person stecken? Wie konnte eine einzige Person nur so viel Leid über andere Familien bringen?

"Eileen... Doris...", korrigierte sich Scully dann schnell, als sie sah, wie es in Doris' Augen wütend aufglimmte. Das Mädchen ließ sie ihren Satz nicht vollenden.

"Nennen Sie mich nicht Eileen!", fauchte sie außer sich. "Niemals! Ich hasse Eileen! All die Jahre ist sie nur herumgesessen und hat nichts getan! Statt Faiths Leid zu teilen, hat sie sich bei den anderen eingeschmeichelt! Niemals, kein einziges Mal, hat sie ein offenes Ohr für Faiths Probleme gehabt! Oh, wie ich diese Person verabscheue!"

"Doris, du weißt, dass du die Konsequenzen für dein Tun tragen müssen wirst", gab Scully dem Mädchen zu bedenken.

Diese blickte die Agentin lange an. In ihren Augen war dabei ein hinterhältiges, tückisches Funkeln zu sehen. "Ach, wirklich? Wollen Sie etwa zur Polizei gehen? Nein, natürlich nicht - Sie sind ja die Polizei. Wollen Sie mich etwa festnehmen? Ich werde das zu verhindern wissen!" Sie griff nach dem Messer, das die ganze Zeit neben ihr unter dem Sofakissen gelegen hatte und stürzte sich mit einem wütenden Aufschrei auf Scully.

Diese zog ihre Waffe und sprang gleichzeitig zur Seite, stolperte dann jedoch über einen losen Teppich. Und genau dieser Umstand rettete ihr das Leben, denn Doris konnte der Bewegung nicht schnell genug folgen. Scully rappelte sich wieder auf, merkte dann aber voller Entsetzen, dass ihr beim Sturz ihre Waffe entglitten war.

Doris' Gelächter erfüllte den Raum, als sie abermals mit erhobenem Messer auf Scully zusprang.



Als der Polizeiwagen in die State Street einbog, sah Mulder den dunkelgrauen Ford, der vor dem Haus der Reillys parkte, sofort. Angst stieg in ihm auf, Angst um Scully.

Kaum hatte der Wagen angehalten, war Mulder auch schon auf dem Weg zum Haus. Noch während er rannte, zog er seine Waffe, hoffte aber inbrünstig, dass er sie nicht brauchen würde.

Er stieß die Eingangstüre auf und rannte, so schnell seine Beine ihn trugen, durch den Flur.

Das tückische Lachen, das im ganzen Haus zu hören war, ging ihm durch Mark und Bein. Plötzlich brach das Geräusch ab und er sah, wie sich Eileen Reilly mit einem Messer in der Hand auf Scully stürzte.

"FBI! Fallenlassen!", schrie Mulder. Als das Mädchen nicht reagierte, schoss er.



Mit einem Aufschrei brach Eileen auf dem Fußboden zusammen. Blut strömte aus einer Wunde in ihrer rechten Schulter.

Mulder eilte zu seiner Partnerin. "Scully, sind Sie okay?", fragte er besorgt. Sie nickte zitternd.

"Ja. Mein Gott, Mulder, wenn Sie eine Sekunde später gekommen wären..." Sie erschauderte. Auch Mulder dachte lieber nicht daran, was dann passiert wäre.

Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. "Danke, Mulder", fügte sie dann hinzu. Dann griff sie zu ihrem Mobiltelefon und rief einen Krankenwagen.

Im Flur waren erneut Schritte zu hören, dann betrat Deputy Stewart den Raum. Er starrte fassungslos auf die am Boden liegende Eileen, die sich wimmernd vor Schmerzen wand.

"Ich... wollte... doch... nur helfen...", brachte sie stöhnend hervor. „Es war nur für Faith!"

Der Deputy schüttelte den Kopf. "Ich hoffe, sie wandert für den Rest ihres Lebens hinter Gitter", sagte er angewidert. "Oder wenigstens ins Irrenhaus."



Kurze Zeit später hielten noch zwei Autos vor dem Haus. Sekunden darauf gesellte sich Sheriff Linscott zu der kleinen Versammlung im Wohnzimmer der Reillys. Ihm folgten zwei Sanitäter, die eine Bahre trugen. Sie verfrachteten die verletzte Eileen auf die Bahre und verließen das Haus wieder. Das Heulen der Krankenwagensirene war noch Minuten lang zu hören.



"Agent Scully, können Sie mir bitte erklären, was hier genau los war?"



Genau das tat Scully auch. Sie schilderte Sheriff Linscott, Deputy Stewart und Fox Mulder, wie sie darauf gekommen war, dass es sich bei Eileen Reilly um eine multiple Persönlichkeit handelte. "Die auffälligen Verhaltensmuster legten diese Vermutung nahe. Eileen scheint nichts von ihrer zweiten Persönlichkeit zu wissen, Doris aber schon. Sie hasste sie regelrecht. Das Mädchen ist bei den Morden außergewöhnlich geschickt vorgegangen, wenn man das so sagen darf. Keiner der Toten erweckte den Anschein, durch etwas anderes als Selbstmord ums Leben gekommen zu sein."

"Und so starben also zehn Menschen durch die Hand einer Verrückten, die sich selbst in der Rolle der Rächerin sah", fügte Linscott bitter hinzu. "Junge Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Sie hätten noch so viel Gutes tun können."



Mulder kratzte sich am Kopf. "Scully, diesmal haben ausnahmsweise Sie Recht behalten. Faith Reilly scheint hier tatsächlich unschuldig zu sein."

Scully lachte müde. "Na ja, so ganz falsch haben Sie ja nicht gelegen, Mulder. Die Rächer-Theorie hat sich ja als wahr erwiesen."

Er legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter. "Kommen Sie, Scully. Verlassen wir diesen ungastlichen, deprimierenden Ort." Dagegen hatte Scully nicht das Geringste einzuwenden.



Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließen die Agenten Mulder und Scully das heruntergekommenen Haus an der State Street 45.

Amesville, Ohio, zwei Monate später

Eileen Reilly stand am Fenster ihres Zimmers und blickte nachdenklich hinaus. Nach den Vorfällen der letzten Monate, dem Krankenhausaufenthalt, den endlosen Verhören der Polizei, der Untersuchungshaft und den Lügendetektortests war sie nun endlich wieder zu Hause.

Man hatte ihr rein gar nichts nachweisen können. Agent Scullys Aussage, wonach sie, Eileen, eine zehnfache Mörderin sein sollte, hatte nicht bewiesen werden können, da der Lügendetektortest zu Gunsten Eileens ausgegangen war. Das Haar am Schauplatz des letzten Mordes war verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Da das Mädchen noch unter das Jugendstrafgesetz fiel, blieb auch ihr Angriff auf eine FBI-Agentin ohne wesentliche Folgen. Ihre zweite Persönlichkeit war seit Wochen stumm geblieben.



Als Eileen sich umdrehte, stand vor ihr plötzlich eine groß gewachsene junge Frau mit smaragdgrünen Augen. Ihr Gesicht war ungewöhnlich blass und die ganze Erscheinung wirkte auf eine seltsame Art unwirklich. Eileen schaute die Besucherin lange an und lächelte dann. "Hallo, Faith", sagte sie vorsichtig.


Ende
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