World of X

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Die Falle

von Pinball

Kapitel 2

8



Das ´Grosnevor Hotel´, eine Stunde später







Nachdem Scully ihm die schlechte Nachricht mitgeteilt hatte, war Mulder sofort wieder in ein Taxi gestiegen und zum Hotel zurück gefahren, wo Scully im Zimmer auf ihn wartete.



Scully reichte ihm wortlos den Zettel mit der Hiobsbotschaft, drehte sich dann um und starrte aus dem Fenster. Er überflog die Nachricht und verfluchte sich, weil ihn seine Spürnase mal wieder nicht betrogen hatte.







Als Scully sich umdrehte, glitzerten Tränen in ihren Augen. „Melissa musste schon wegen mir sterben. Wenn jetzt auch noch Bill durch meine Schuld...“ Ihre Stimme brach, als die ersten Tränen über ihre Wangen liefen. Sie schluckte. „ Ich kann nicht mehr, Mulder.“



Mulder trat an sie heran und nahm sie in die Arme. „Nein, Scully, sie haben keine Schuld.“ sagte er leise, während er ihr tröstend übers Haar strich.







Als er merkte, dass sie sich etwas beruhigt hatte, nahm er ihr Gesicht in beide Hände. Er strich ihr sanft mit dem rechten Daumen eine Träne von der Wange. Ihre Gesichter näherten sich einander und dann trafen sich ihre Lippen. Nur ganz kurz und zart. Scully lief ein Schauer über den Rücken, als wäre der Kuss wild und leidenschaftlich gewesen. Sie setzte zum Sprechen an. „Ich...“; aber Mulder legte einen Zeigefinger auf ihre Lippen.



„Pscht, sagen Sie jetzt nichts, Scully. Ich habe ihnen so viel zu verdanken. So viel, dass ich nicht weiß, wie ich es Ihnen jemals vergelten kann. Aber eines verspreche ich Ihnen: ich werde immer für Sie da sein.“







Er nahm sie nochmals in den Arm und Scully weinte wieder. Nur, dass sich diesmal unter die Tränen der Verzweiflung auch Tränen der Erleichterung mischten.



Sie wusste, dass selbst ihr nur gehauchtes „Danke“ Mulder erreichen würde.



Sie brauchte noch fast 5 Minuten, um sich wieder zu beruhigen und genoss es, so von Mulder in den Armen gehalten zu werden.







Dann setzte sie sich auf das Bett und strich mit beiden Händen das Haar zurück, als könnte sie damit ihre Sorgen wegwischen. Mulder versuchte langsam wieder auf die prekäre Situation zurück zu kommen.



„Ich werde auch zur ´Tyler´s Wharf´ fahren.“



Scully sah ihn mit ihren verweinten Augen und runzelte die Stirn. „Ich kann kein Risiko eingehen, Mulder.“



Mulder winkte ab. „Keine Angst, Scully. Wir werden kein Risiko eingehen. Ich fahre bereits jetzt dorthin und lege mich auf die Lauer. Wir müssen versuchen, diesen Kerlen ab jetzt immer einen Schritt voraus zu sein.“



Scully war immer noch skeptisch. „Ich weiß nicht, Mulder. Mir wäre es lieber, alleine da hin zu fahren.“



Mulder setzte sich neben sie auf das Bett. „Ich will und werde Ihnen helfen. Ich kann es auf gar keinen Fall verantworten, Sie alleine zu lassen. Diese Männer scheinen zu allem bereit zu sein. Was, glauben Sie, ist deren Ziel, Scully?“



Scully antwortete nicht, dafür tat es Mulder. „Sie sind das Ziel, Scully. Und ich denke, diese ganzen Aktionen bezwecken nicht nur ein einfaches Zusammentreffen. Ich befürchte das Schlimmste. Und wie ich eben sagte, Scully: Ich bin für Sie da.“



Er stand auf und berührte sie dabei kurz an der Schulter. „Ich bin da, Scully.“



Er verließ das Zimmer, aber nicht, ohne ihr von der Tür aus aufmunternd zu zulächeln.







9



´Tyler’s Wharf´, Docklands, 12.00 am







Mulder ließ sich ein ganzes Stück von der ´Tyler’s Wharf´ entfernt von dem Taxifahrer absetzen. Er wollte den Rest des Wegs zu Fuß zurücklegen und sich dabei die Umgebung genauer anschauen. Innerlich betete er, dass am Abend nichts schief gehen würde. Langsam, immer wieder um sich blickend, ging er an einzelnen Lagerhäusern vorbei. Teilweise waren es noch die alten Gebäude, die vor 100 Jahren auch schon hier gestanden hatten. Aber der größte Teil der Docklands war bereits saniert worden. Er konnte viele moderne Häuser, die meisten geschäftlich, aber auch einige als Wohnhäuser genutzt, entdecken. Aber der Teil, in dem die ´Tyler’s Wharf´ lag, gehörte natürlich zu dem um die Jahrhundertwende gebauten.



Es überraschte ihn nicht. Er hatte damit gerechnet.



Nachdenklich ließ er sich noch mal die bisherigen Ereignisse durch den Kopf gehen. Wer hatte wohl diesen ganzen Aufwand betrieben, um Scully hierher zu locken? Und, was ihn noch wesentlich mehr sorgte, warum? Klar, Scully war FBI Agentin. Ein Job, in dem man sich alles andere als Freunde machte. Aber wenn sich jemand an ihr wegen irgendetwas rächen wollte, war es dann nötig sie sogar auf einen anderen Kontinent zu locken? Nein, bestimmt nicht.



Es war jemand aus ihrer Familie für diesen Zweck missbraucht worden. Daraus folgerte Mulder, dass man es persönlich nur auf Scully und nicht auf sie beide abgesehen hatte. ´Sie wollten uns trennen, weil sie glaubten es würde dann leichter werden Scully aus dem Weg zu räumen.´ Zu dieser festen Überzeugung kam Mulder, als er die ´Tyler’s Wharf´ erreicht hatte und einige Lagerarbeiter beobachtete, die ihrem Tagwerk nachgingen.



Er blickte sich nochmals prüfend um und stützte dabei die Hände in die Hüften. Im Moment hielt er es noch nicht für nötig sich zu verstecken. Er konnte niemanden entdecken, der nicht mit einem Gabelstapler herumfuhr oder sonstige lageristischen Arbeiten ausführte. Er ging ein wenig aus dem Blickfeld der Arbeiter und wählte auf seinem Handy Scullys Nummer.



„Sind Sie schon am Flughafen, Scully?“



„Ja, ich habe gerade die Flugtickets abgeholt. Werde jetzt bei der Airport-Security versuchen, Sie als für den Flug eingecheckt in den Computer eingeben zu lassen. Wie sieht es bei Ihnen aus, Mulder?“



„Diese ´Tyler’s Wharf´ liegt in den alten Docklands. Aber von einer Werft ist nichts mehr zu sehen hier. Sie besteht anscheinend nur noch aus einem alten, aber noch benutzten, Lagerhaus. Sonst, das was zu erwarten war. Einige Hafenarbeiter. Das einzige, was hier nicht hinzugehören scheint, bin wohl ich.“



Er hörte ein kurzes Lachen am anderen Ende, was allerdings doch ein wenig gezwungen klang und nicht über den Gemütszustand seiner Partnerin hinwegtäuschen konnte.



„Wie fühlen Sie sich, Scully?“ erkundigte er sich besorgt.



„Ach, es geht, Mulder. Habe mich wieder gefangen. Es wäre schlimmer gewesen, wenn ich hätte die ganze Zeit bis heute Abend auf dem Zimmer warten müssen. Ich melde mich noch mal, wenn hier alles geklappt hat. Bleiben Sie jetzt dort?“



„Ja. Je länger ich mich hier einigermaßen ungestört umsehen kann, umso besser. Wir telefonieren später noch mal miteinander. Und... seien Sie vorsichtig.“



„Dito, Mulder.“



Einer der Männer, der bis jetzt draußen vor dem Lagerhaus Kisten gestapelt hatte, ging nun in selbiges hinein, bog direkt um die Ecke und griff zu einem Funkgerät. „Mulder ist hier.“



Eine leicht scheppernde Stimme aus dem Funkgerät fragte: „Und Scully?“



„Negativ, Sir.“



„Gut. Behalten Sie ihn im Auge.“



„Roger.“







10



Irgendwo, zur selben Zeit...







Bill Scully kam wieder zu sich. Aber sehen konnte er nichts, weil es vollkommen dunkel war. Seine Schulter pochte und sein Mund war staubtrocken. Außerdem war er an Händen und Füßen gefesselt.



Er versuchte sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was geschehen war. Langsam besann er sich wieder. Ein Mann mit amerikanischen Diplomatenpass war im Krankenhaus aufgetaucht und hatte gesagt, er solle ihn zum Flughafen bringen. Dort würde seine Schwester auf ihn warten und sie sollten zusammen zurück in die Staaten fliegen. Bill war die Sache schon ein wenig seltsam vorgekommen, aber wieso eigentlich nicht? Warum sollte Dana nicht mit ihm zurück fliegen wollen?



Der Mann meinte auch, Bills Vorgesetzte seien bereits darüber informiert.



Sie stiegen vor dem Krankenhaus in eine Limousine mit Botschaftsnummernschild, in der noch ein 2. Mann im Fond saß. Sie waren kaum 5 Minuten gefahren, als die beiden Männer ihn packten, einer so hart an der verletzten Schulter, dass ihm ein heftiger Schmerz durch die ganze linke Körperhälfte schoss. Dann wurde ihm ein, mit Betäubungsmittel getränktes, Tuch auf den Mund gepresst und er verlor innerhalb von Sekunden das Bewusstsein. Und wachte hier wieder auf.



Er versuchte sich zu orientieren. Und kam dann zu der Vermutung, dass er wohl auf der Ladefläche eines Vans lag. Gedämpft konnte er Stimmen hören. Zu undeutlich, um einzelne Worte zu erkennen. Er beschloss, ruhig zu bleiben, solange er nicht wusste, was da draußen vor sich ging.



Und er entschied, dass es keinen Zweck hatte, weiter an den Fesseln zu zerren und die Schulter noch mehr zu belasten. Stattdessen versuchte er seinen Körper so weit wie möglich zu entspannen. Und rätselte darüber, was diese Kerle eigentlich von ihm wollten. Er befehligte nur einen relativ kleinen Aufklärungskreuzer und war zu Hause ein braver Familienvater. Er hatte also kein großes Kommando und war auch sonst kein Geheimnisträger.



Aber Moment mal: Hatte er nicht das Oberkommando gebeten, seine Familie nicht zu benachrichtigen, um sie nicht unnötig zu beunruhigen? Und warum wusste anscheinend nur seine Schwester Bescheid?



Dann wurde es ihm klar. ´Verdammt, die wollen nicht mich, die wollen Dana.´











11



Tyler’s Wharf, Docklands, später...





Nachdem die Arbeiter so nach und nach gegangen waren und die Dämmerung hereinbrach, hatte Mulder sich in das Lagerhaus geschlichen. Er war über eine Leiter auf eine Art Galerie geklettert und wartete. Er war müde. Die letzten 2 Tage waren doch ziemlich anstrengend gewesen. Er setzte sich auf den Holzboden, lehnte sich an die Wand und rieb sich die Augen.



Dadurch reagierte er den Bruchteil einer Sekunde zu spät, nachdem er das Geräusch hörte. Er spürte einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und verlor das Bewusstsein.







Als er wieder zu sich kam, befand er sich nicht mehr auf der Galerie, sondern war in einen Raum voller Regale eingesperrt. Mit leicht brummenden Schädel ging er zur Tür und rüttelte daran. Erwartungsgemäß vergebens. Die Tür war auch aus stabilem Holz. Zwecklos sich dagegen zu werfen. Das würde ihm nur blaue Flecke und Frust bescheren. Stattdessen ging er zu den Regalen und inspizierte sie. Putzutensilien. Tücher, Schwämme, Staubwedel, Eimer und Kanister mit den verschiedensten Reinigungsmitteln. Nichts, was ihm hilfreich erschien.



Er spielte mit dem Gedanken, sich bemerkbar zu machen, aber verwarf ihn gleich wieder. Entweder würde ihn keiner hören, wenn er rief und gegen die Tür hämmerte, oder die falschen Leute würden aufmerksam und er landete womöglich noch gefesselt und geknebelt in einer Ecke.



Aber er musste hier raus. Scully verließ sich auf ihn und er wusste, er könnte sich ein Versagen seinerseits niemals verzeihen.



Er musste diese Tür aufkriegen, selbst wenn es mit Krach verbunden war. Ein Blick auf seine Armbanduhr bestärkte diesen Beschluss noch. 21.30 Uhr und er wusste nicht einmal, ob er sich überhaupt noch in den Docklands befand.



Er sah noch einmal zu den Regalen hin und hatte plötzlich eine Idee. Wie war das doch gleich noch mal mit dieser Serie, die hin und wieder als Nachtwiederholung über seinen Fernsehschirm flimmerte und ihm dann beim Einschlafen half? ´Mc Gyver´ oder so. Dieser Typ schaffte es, aus den unmöglichsten Dingen kleine aber effektive Bomben zu basteln. Natürlich war da vieles an den Haaren herbeigezogen, aber...



Mulder sah sich die Kanister mit den Reinigungsmitteln an. Jede Menge chemische Bestandteile. Mulder versuchte sich zu erinnern. Hatten sie nicht in Quantico auch etwas darüber gelernt? Chemische Reaktionen, die leicht entzündliche Gase verursachten.







Er brauchte knappe 10 Minuten, um 3 Kanister, 2 mit Desinfektionsmitteln und 1 mit Keramikreiniger, zu finden, die die erforderlichen Sulfate und Oxide enthielten. Er holte einen der Putzeimer und füllte jeweils eine Verschlusskappe von den Mitteln hinein.



´Also, vom Gestank her hat schon mal eine chemische Reaktion stattgefunden.´ dachte Mulder und hielt sich angewidert die Nase zu. Er tastete seine Jackentaschen ab und stellte erleichtert fest, dass man ihm zwar seine Waffe und das kleine Taschenmesser abgenommen, aber das kleine Streichholzheftchen nicht entdeckt hatte. Jetzt brauchte er nur noch eine Lunte. Nur noch war gut. Vergeblich suchte er und zog zu guter Letzt seine Schnürsenkel aus den Schuhen. Er band sie zusammen und betete dass sie brennen würden und auch lang genug waren.



Es war schon mal ganz praktisch, dass der Eimer aus Blech und nicht aus Plastik war. Mulder stellte in direkt an die Tür und hängte die Schnürsenkel mit einem Ende in die Flüssigkeit. Vorher hatte er sie noch in leicht entflammbaren Toilettenreiniger getaucht. Er riss ein Streichholz an und stellte zufrieden fest, dass die Schnürsenkel Feuer fingen. Dann ging er mit einigen schnellen Schritten hinter einem der Regale in Deckung.



„Jetzt flieg’ in die Luft, du blödes Ding.“ murmelte er vor sich hin, weil sich scheinbar ewig nichts zu tun schien. Aber kaum hatte er die Worte ausgesprochen, reagierte der selbstgebastelte Sprengsatz wie aus Trotz. Zuerst gab es scheinbar nur eine Verpuffung, aber dann explodierte der Inhalt des Eimers und entlud sich in Richtung der Tür. Mulder hatte gut daran getan, in Deckung zu gehen, denn der Eimer wurde durch die Wucht der Explosion voll gegen das Regal geschleudert.







Als sich der Rauch verzog, verließ Mulder leicht hustend seine Deckung und wedelte den Rauch mit den Armen zur Seite.



Na gut, die Explosion hatte zwar nicht die Tür aus den Angeln gerissen, aber knapp über den Boden hatte sich ein Loch aufgetan, durch das Mulder sich hindurch quetschen konnte.







Mulder verharrte und lauschte, ob von der anderen Seite der Tür irgendwelche Reaktionen kamen. Aber es blieb alles ruhig. Mit einiger Mühe schlüpfte Mulder durch das Loch... und fand sich in einer Lagerhalle wieder. Allerdings war es nicht die ´Tyler´s Wharf´, wie er sofort und besorgt erkannte. Aber das Tor stand einen spaltbreit offen. Er schob es weiter auf, gerade soviel um sich hindurch quetschen können. Er stand direkt an einem Kai. Also hatte man ihn wohl nicht aus den Docklands geschafft. Ein Hoffnungsschimmer. Zu seiner Linken erkannte er schwach sein Ziel. Er rannte los.







12



Tyler´s Wharf, Docklands, 09.45 pm





Scully hatte es vorgezogen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Docklands zu fahren. In den Wirren der Londoner Untergrundbahn fühlte sie sich seltsamerweise sicherer. Sie war der Meinung, Verfolger dort besser irreführen zu können. Andererseits, warum sollte ihr jemand folgen? Ihr Ziel war ja offensichtlich und bekannt.



Jedenfalls hatte sie auf ihrem Weg ein paar mal die Bahnen gewechselt und war schließlich mit der ´Docklands Light Railway` gefahren. Sie hatte sich vorher auf einem Stadtplan eingeprägt, wo sie hin musste. Jetzt war sie da. Sie hatte nur knapp 100 Meter zu Fuß zurückzulegen. Sie hatte einen Kloß im Hals und ein mulmiges Gefühl im Magen. Irgendetwas sagte Scully, dass nicht alles so lief, wie sie es mit Mulder geplant hatte.



Sie tastete noch dem Pistolenhalfter unter ihrer Kostümjacke. Ein irgendwie etwas beruhigender Handgriff. Langsam ging sie los und blickte dabei auf die Uhr. 15 Minuten blieben ihr noch. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Es gab nur einen Grund für diese ganzen Aktionen: jemand wollte ihren Tod. Für das Warum gab es viele Gründe. Schließlich war sie bereits seit etlichen Jahren FBI Agentin, Zeit genug sich Feinde zu machen, die ihr auch nach dem Leben trachteten.



Kurz bevor sie das halb geschlossene Tor erreichte, zog sie ihre Waffe. Wenn sie unterging, dann nicht ohne jegliche Verteidigung. Ein schwacher Lichtschein fiel von der Halle heraus auf den Asphalt. Sie schob sich an der Mauer entlang und spähte vorsichtig in die Halle hinein. Sie konnte zu beiden Seiten in mehreren Reihen bis fast unter die Decke gestapelte Holzkisten erkennen. Rechts hing eine Art Galerie in ca. 5 Metern Höhe an der Wand. Und auf einem leeren Platz, fast in der Mitte, stand ein schwarzer Van. Menschen konnte sie nirgendwo entdecken.



Sie zog den Kopf zurück, presste sich an die Wand und atmete einmal tief durch. Noch nie war es ihr so schwer gefallen, ihre Angst zu verdrängen. Mit dem Gedanken an ihren Bruder betrat sie entschlossen mit ausgestreckter Pistole die Lagerhalle. Sie versuchte, durch Drehungen, möglichst schnell alle Winkel auszuspähen. Nichts tat sich. Schließlich entschloss sie sich die Initiative zu ergreifen.



„Bill?“ rief sie in die Stille hinein und versuchte dabei, Vergeblicherweise, alles gleichzeitig im Auge zu behalten. Sie war überrascht, als sie tatsächlich, aus dem Van, eine gedämpfte Antwort bekam.



„Hau ab, Dana! Die wollen Dich...“ Ein dumpfes Geräusch unterbrach Bills Warnung.



In selbem Moment flammten grelle Scheinwerfer auf und blendeten Scully. Eine laute, verzerrte Stimme ertönte.



„Lassen Sie die Waffe fallen.“ Und als Scully nicht reagierte: „Denken Sie an ihren Bruder.“ Widerwillig gehorchte Scully. Ihre Pistole klapperte auf den Betonboden. Sie versuchte mit den Händen die Augen vor dem grellen Licht abzuschirmen und die Stimme zu orten. Aber diese blieb stumm.



„Was wollen Sie?“ rief Scully in den Raum hinein. Keine Antwort.



Wo war Mulder? Was hatte man mit ihm gemacht? Wenn er hier gewesen wäre, hätte er bestimmt schon reagiert.







Scully tat einen Schritt in Richtung Van.



„Bleiben Sie stehen.“ meldete sich befehlend die verzerrte Stimme. Scully blieb stehen.



„Lassen Sie meinen Bruder gehen. Sie wollen doch mich.“ brüllte sie zurück. Derjenige, der sich hinter der verzerrten Stimme verbarg, ließ sich tatsächlich zu einer Erwiderung hinreißen. „Ihrem Bruder wäre nichts weiter passiert, wenn Sie es uns nicht so schwer gemacht hätten.“ So schwer? Scully musste innerlich den Kopf schütteln. Wer ließ sich denn einfach so, zum –abgeknallt werden - irgendwohin bestellen?



Mittlerweile vermutete sie, dass sich der Sprecher auf der Galerie befand. Und er war nicht alleine. Sie hatte noch aus zwei, drei anderen Ecken Geräusche gehört. Inständig hoffte sie, das einer davon Mulder war.







„Ich will meinen Bruder sehen.“ verlangte Scully.



Als Antwort bekam Sie nur ein verächtliches: „Sie sind wohl kaum in der Lage, irgendwelche Forderungen zu stellen.“



Ja, ganz eindeutig, die Stimme kam von der Galerie. Und dort war auch mindestens einer der Scheinwerfer platziert. Die anderen Geräusche kamen von links und rechts vorne, und da ihr Mulder bis jetzt nicht das geringste Zeichen gegeben hatte, kam sie zu der Überzeugung, dass er entweder nicht in der Lage dazu war oder sich gar nicht in dem Lagerhaus befand.



Die Stimme meldete sich wieder. „Es tut mir leid, aber Sie lassen uns keine andere Wahl.“ Scully nahm das als Schlusswort. Jetzt würde man sie als Ziel anvisieren und...







Mit einem Schlag wurde es stockfinster. Scully hechtete in die Richtung, wo sie ihre Waffe vermutete und bekam sie auch tatsächlich zu fassen. Dann rannte sie geduckt zur rechten Seite und versteckte sich zwischen den Holzkisten unter der Galerie. Sie lauschte, hörte aber nichts, bis ein Schrei ertönte. Und dann sah sie einen Feuerstrahl. Sie wagte es, ihr Versteck soweit zu verlassen, dass sie die Szenerie besser sehen konnte, soweit es ihr überhaupt möglich war etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Wieder dieser Feuerstrahl, Schreie von verschiedenen Männer und Schüsse. Und in dem ganzen Chaos hörte sie schwach die Stimme ihres Bruders. „Dana? Dana! Was ist da los? Dana?“ Verdammt, was immer da draußen auch gerade passierte, sie musste zu diesem Van. Vorsichtig, mit der Pistole in beiden Händen, verließ sie ihre Deckung. Die hin und wieder aufflammenden Feuerstöße ermöglichten ihr, ihre Umgebung wenigstens zu erahnen. Ein Schuss peitschte neben ihr in den Betonboden. Sie schoss aufs Geradewohl zurück und sprintete dabei in Richtung Van. Ein wenig außer Atem ging sie hinter dem Van in Deckung.



„Bill? Bist Du da drin?“



„Dana, was ist da draußen los? Bist Du verletzt?“ Scully war trotz der Situation unheimlich erleichtert, die Stimme ihres Bruders zu hören.



„Ich weiß nicht, was hier los ist. Leg Dich flach auf den Boden. Ich hole Dich gleich da raus.“ Wieder Schreie, Schüsse...







Scully zuckte herum. In dem Schein eines Feuerstrahls sah sie plötzlich jemand vor sich stehen. Der Mann hatte kein Gesicht... wie die, die damals am Ruskin Damm aufgetaucht waren. Damals, als sie mit Cassandra Spender und den vielen anderen Menschen auf dieser Brücke gestanden hatte. Sie war zu geschockt, um zu reagieren. Aber der Mann ohne Gesicht bekam jäh einen Schlag mit einer Eisenstange auf den Schädel. Er kippte nach vorne weg und prallte neben Scully gegen den Van. Da sich ihre Augen jetzt etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie Mulder.







„Wo ist ihr Bruder, Scully?“ Noch das gerade Geschehene verarbeitend, deutete Scully als Antwort nur hinter sich auf den Van. Mulder wartete nicht darauf, das Scully noch etwas sagte, sondern ging zu der rückwärtigen Tür des Vans. Mit einem gezielten Tritt öffnete er sie. Scully war Mulder gefolgt. Sie versuchte ihm, trotz kaum vorhandener Sicht mit ihrer Waffe Deckung zu geben. Mulder kletterte in den Van und löste die Fesseln von Bill Scully.







„Was ist das für ein Krach da draußen? Wo ist meine Schwester?“



Mulder half Bill Scully aus dem Wagen. Und dieser nahm direkt seine Schwester in die Arme, als er sie entdeckte, obwohl seine Schulter dabei vor Schmerz aufschreien musste. Aber Mulder trieb zur Eile an.



„Wir sind noch nicht raus hier. Scully, decken sie rechts ab, ich nehme die linke Seite. Bill, Sie bleiben in der Mitte. Das Tor ist geradeaus vor uns.“



Die 3 rannten los. Zwischendurch konnten sie immer wieder Schüsse hören, die aber, wie es schien, nicht auf sie abgefeuert wurden. Sie erreichten den Ausgang relativ unbehelligt und liefen auch außerhalb der Halle weiter. Nach ungefähr 20 Metern mussten sie stehen bleiben, weil Bill Scully nicht mehr konnte. Mulder stützte ihn, während er heftig nach Luft schnappte.







„Diese Männer ohne Gesicht... wie damals am Ruskin Damm, Mulder. Was wollen sie hier?“ fragte Scully, auch etwas atemlos.



Mulder sah ihr fest in die Augen: „Sie, Scully. Das Implantat. Ihre Geschichte.“ Dann wandte er sich wieder an Scullys Bruder. „Wir müssen weiter, Bill. Geht es wieder?“



Dieser erwiderte nichts, sondern nickte nur. Als sie sich gerade in Bewegung gesetzt hatten, explodierte ´Tyler’s Wharf´ in einem großen Feuerball. Die Druckwelle der Explosion warf die 3 zu Boden. Bill Scully stöhnte auf vor Schmerz. Scully und Mulder sahen zurück.



„Ist es vorbei?“ flüsterte Scully.



Mulder hatte sie gehört. „Ich glaube schon. Für dieses Mal.“







13



Victoria Medical Centre, am nächsten Tag







Mulder wartete auf dem Gang, während Scully ihren Bruder besuchte. Es waren bereits 3 Tickets für den nächsten Morgen gebucht. Und diesmal würden sie auch auf jeden Fall fliegen. Nachdem Scully und ihr Bruder sich an dem Abend in Sicherheit befanden, kehrte Mulder noch ein Mal zur ´Tyler’s Wharf´ zurück. Inzwischen waren Polizei und Feuerwehr eingetroffen, die vergeblich versuchte das lichterloh brennende Gebäude zu löschen. Mulder hielt sich als Schaulustiger im Hintergrund und ging wieder, bevor die Polizei anfing, die Umstehenden zu befragen.



Am Morgen hatte er dann den Fernsehbericht der Frühnachrichten auf seinem Hotelzimmer verfolgt. Die Kameras schwenkten über die rauchenden Trümmer und der Reporter berichtete, dass die Polizei von einer Gasexplosion ausging.



Mulder war sich sicher, dass das nicht der Grund für die Explosion war, aber auch er kannte die wahre Ursache nicht. Was auch immer in diesem Lagerhaus untergebracht worden war, hatte seine Sprengstoffwirkung nicht verfehlt. Es war unerklärlich.







Scully kam aus dem Krankenzimmer und nickte dem Wachposten vor der Türe kurz zu. „Und? Wie geht es Ihrem Bruder, Scully?“



„Den Umständen entsprechend. Er ist ziemlich erschöpft und die Schulter meldet sich wieder stärker als vorher, aber er kann morgen mit uns in die Staaten fliegen.“



„Das ist gut. Und wie fühlen Sie sich?“



Scully lächelte. „Ich fliege auch mit, Mulder.“



Mulder erwiderte das Lächeln. „Und dass Sie mir nicht noch mal alleine einen Ausflug nach England machen, Scully. “



Er legte den Arm um ihre Schulter und so gingen sie zusammen den Gang hinunter.







THE END
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