World of X

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Whisky

von therees

Kapitel 2

Vernahm ich einen Anflug von Amüsement in seiner Stimme?

Nein, er war freundlich und der mich verwirrende Umstand, dass ich ihm eben körperlich nahe gewesen war wie selten zuvor schien ihn keineswegs zu verunsichern. Er behandelte mich wie einen liebgewonnenen Freund- und genau das waren wir ja auch für einander- gute, enge Freunde, die für einander alles tun würden.

Aber war es tatsächlich nur ich, die sich darüber hinaus Gedanken über unsere Beziehung machte? Schließlich waren wir beide menschlich und beide auf unserer Suche in eine Situation der Isolation geraten. Ein Mann und eine Frau- nur zwei Menschen...

Ich warf noch einen kurzen Blick in seine Augen, doch ergründete nicht was ich fand. So gut wir uns auch kannten, manchmal blieben mir die Gedanken in seinem Innern ein Rätsel, dass nicht zu entschlüsseln, nicht zu lösen war und in solchen Augenblicken wünschte ich mir, mich in seinen Kopf einhacken zu können- auch wenn das vermutlich bedeutet hätte unliebsame Wahrheiten vorzufinden.

Ich entschuldigte mich und er meinte ganz nebensächlich, ach, ich sei etwas verdreht auf der Couch gelegen als er erwacht sei und da habe er es mir bequemer machen wollen. Dabei wirkte er so entspannt und gleichgültig als wäre das das Normalste auf der Welt und so nun neben ihm verharrend, darüber nachsinnend fand ich, dass es das auch tatsächlich war.

Ich dachte an all die guten Freunde die ich im Laufe meines Lebens hinter mir gelassen hatte und von denen einige auch männlich gewesen waren. Auch im Umgang mit ihnen war Körperkontakt für mich etwas Selbstverständliches gewesen- und vermutlich sah Mulder das genauso. Meine persönliche Abstinenz allem menschlichen und sozialem Gegenüber hatte in mir wohl einen sehr eigenartigen Bezug zu diesem Thema erwachsen lassen und ich schämte mich zum wiederholten Male für meine entfremdenden Gedanken.

Von da an bemühte ich mich Mulders Berührungen nicht auszuweichen, auch wenn jene in mir unwillkürlich ein Gefühl der Hitze und der Erregung erzeugten.

Der körperliche Kontakt zwischen uns blieb stets zärtlich, jedoch bestimmt auf eine asexuelle Ebene beschränkt. Saßen wir nebeneinander, so berührten sich gegebenenfalls unsere Knie und unsere Arme, waren wir im Büro so legte Mulder mir die Hand auf den Rücken oder berührte mich im Vorbeigehen freundschaftlich am Arm- verabschiedete er sich nach einem unserer Freitag Abende von mir, so griff er nach meinen Händen und drückte sie voller Wärme, eher er sich umwandte und meine Wohnung verließ.

Mulder hatte phantastische Hände. Die geschmeidige Haut um die langen schlanken Finger ließ seine Sensibilität erahnen und doch lag soviel Stärke und Kraft in seinem Händedruck wie in seinem ganzen Wesen. Ich liebte es, wenn er mich mit einer bestimmten Geste bedachte und mir damit unsere Vertrautheit vor Augen führte. Wir waren eine eingeschworene Partie wie keine zweite im FBI und wie über keine zweite waren Gerüchte über uns im Umlauf von denen ich dann und wann einen Fetzen aufschnappte, mich aber nicht weiter darum kümmerte.

Auf jeden Fall hatten unsere gemeinsamen Abende von einer Ebene der höflichen Distanz in eine Ebene beinahe intimer Vertraulichkeit gemündet, die mir als die Wochen vergingen, mehr und mehr im Kopf herumspukte. War es wirklich nur platonische Freundschaft zwischen uns oder lag nicht mehr in der Luft wenn wir uns schweigend aneinander schmiegten.

Warum stellte ich mir diese dumme Frage überhaupt? Das Wasser troff von meiner Haut und ich entfernte es mit einem großen roten Handtuch. Wieso zog ich überhaupt in Betracht dass ..und was zog ich da in Betracht?! Flink glitten meine Beine in den schwarzen Slip und die ausgewaschenen Jeans und meine Finger fummelten am Verschluss meines Bhs, bevor ich in einen schwarzen Rollkragenpullover schlüpfte. Die Türglocke. Mulder musste schon eingetroffen sein.

Vor meinem inneren Auge sah ich ihn dastehen, im Flur vor der verschlossenen Tür, von einem Fuß auf den anderen steigend, wie er es immer tat, wenn er warten musste. Ein letzter abwesender Blick in den Spiegel, ein letzter Gedanke an Mulders Hände, dann stand ich vor Mulder und er vor mir.

Er sah aus wie immer. Lächelnd, mit leicht zerzaustem Haar und verwaschenen Jeans und diesem ihm eigenen Blick, der auf fremde Personen müde oder gelassen wirken konnte, dessen Bedeutung ich als seine Partnerin aber genau kannte. Mulder war alles andere als gleichgültig seiner Umwelt gegenüber.

Hinter diesem Blick verbarg sich ein wacher, schnell begreifender Geist der alles um ihn herum Geschehende als fotographisches Dokument in seinem Gedächtnis abspeicherte und ich war immer wieder erstaunt wenn er mir die unmöglichsten Informationen die er zu den unmöglichsten Zeiten irgendwo gehört oder gesehen hatte wortgetreu unterbreitete, denn genau diese Fähigkeit machte ihn zu einem bemerkenswerten, außergewöhnlichen Special Agent, der von vielen – wenn auch nicht offiziell geachtet, dennoch- beneidet wurde.



„Scully“



Er trat durch die Türe ehe ich etwas hatte sagen können und küsste mich auf die Wange. Daran musste ich mich auch erst noch gewöhnen. Er tat das nun immer, wenn wir uns sahen und jedes Mal zuckte ich unwillkürlich zusammen und versuchte so gut ich konnte, es mir nicht anmerken zu lassen. Wir waren Freunde.. langsam sollte ich mich daran gewöhnen.



„Freut mich dass du da bist! Was hast du denn da? Ist das etwa Whisky? Mulder du willst heute Whisky trinken?“



„Na sicher. Und du trinkst auch etwas. Zur Feier des Tages!“ Er grinste mich schelmisch an, noch immer mit seinen Schuhen beschäftigt.



„Feier des Tages? Was gibt’s denn zu Feiern?“



Ohne auf meine Einladung zu warten machte sich Mulder zielstrebig auf zur Couch.

„Mhh.. na ja. .ich wollte einen guten Grund erfinden- aber eigentlich hab ich einfach Lust heute ein wenig mehr zu trinken- nicht zuviel versteht sich. Ich will ja nicht dass du mich als lallenden Vollidioten vor die Tür setzen musst, oder ich eine Stunde über der Kloschüssel hänge- Alles schon passiert, glaub mir alles schon passiert in Fox Mulders lustigen Studentenjahren“



Mulders auffallend fröhlicher Ton beschwor auch in mir eine heitere Stimmung und die ersten Schlucke des feurigen Getränks erzeugten eine wohlige Wärme in meinem Bauchraum und ein leichtes Schwindelgefühl im Kopf.

Wir sahen uns gemeinsam „Leon der Profi“ an, einen Film den ich immer sehr gemocht hatte. Die Handlung drehte sich um einen professionellen Killer und ein zwölfjähriges Mädchen und die Inszenierung dieser ungewöhnlichen Beziehung war eine feinsinnige und zärtliche Erzählung rund um Liebe und Tod, die mich aus irgendeinem Grund immer an mein eigenes Leben und meinen eigenen schwierigen Bezug zur Liebe und zu den Menschen um mich erinnerte. Als der Film zu Ende war hatten Mulder und ich schon einiges an Whisky konsumiert und unglücklicherweise hatte ich auch noch eine Flasche Rotwein aufgemacht, was ich zuvor noch für eine gute Idee gehalten hatte.

Schon im Verlauf der fortschreitenden Szenen hatte ich gemerkt, wie meine Sensibilität stieg und ich am liebsten mitgeheult hätte, als die kleine Mathilda sich gegen Ende von ihrem geliebten Leon in Tränen verabschiedete und als wir nach dem Abspann zurück auf die Fernsehkanäle schalteten und ich auf die Toilette ging, wurde mir bewusst wie angeheitert ich tatsächlich war. Meine Schritte waren unbeholfen, torkelnd und mein Blick schweifte ziellos durch den sich leicht drehenden Raum.

Zurück an Mulders Seite beschloss ich vorerst einmal nichts mehr zu mir zu nehmen und mich stattdessen wieder ein bisschen in die Nüchternheit zurückzuholen. Ich war immer ein Kontrollfreak gewesen und ich schämte mich auch nicht dafür. In vielen Lebenslagen hatte mir diese Eigenschaft schon als treue Hilfe beiseite gestanden und schon in den College Jahren hatte ich stets auf meinen Alkoholpegel geachtet, während andere neben mir plötzlich und ohne Vorwarnung aus den Socken gekippt waren oder sich von irgendeinem Kerl in ein Zimmer schleifen ließen. Natürlich hatte meine Selbstkontrolle nicht immer dem Druck der ausgelassenen Partys und dem übermäßigen Alkoholfluss standgehalten, aber die bösen Überraschungen am nächsten Morgen kamen bei mir nur sehr sporadisch vor und ich kam so gut wie immer noch irgendwie unbeschadet davon.

Auch Mulder war eine sehr gefasste Person und ich hatte ihn unter Alkoholeinfluss niemals unangenehm reagieren sehen. Er wurde höchstens ein wenig emotional und ein wenig ruhig, aber grundsätzlich war er ein angenehmer Zeitgenosse, auch wenn er schon einiges intus hatte.

Mulder sah mich an.

„Das war echt klasse. Ich liebe diesen Film.“



„Ich auch.“



„Gute Wahl Scully“



„Danke“



„Ich finde die Kleine echt scharf“ Sein belustigter Blick sagte mir, dass er wiedereinmal in der Stimmung war mich ein wenig aufzuziehen und wenn er wollte-

konnte das Spiel ja beginnen.



„Ich auch. Warts nur ab bis sie ein paar Jährchen älter ist.. rrrrrr...“

Er lachte.



„Und was ist mit Jean-Reno? Ist der nicht der totale Knaller. Sensibel, gutaussehend.. würdest du den nicht sofort zu einem Date auffordern wenn du ihn treffen würdest?“



„Naja.. mal abgesehen davon dass er nicht mein Typ ist.. nein.. den Frühstückstisch voller Waffen, da kann ich mir was Romantischeres vorstellen“



„Als ob dich das stören würde, Ms. FBI! Läufst ja selber jeden Tag mit deinem Baby durch die Gegend.“

Da hatte er mich wieder. Wir mussten beide lachen und ich kniff ein Kontrollauge zusammen, während ich mir doch noch einen weiteren Schluck Whisky einschenkte.



„Hey! Ich trage meine Waffe nur zum Schutz! Oder willst du mich hier alleine ohne einen Revolver sehen wenn plötzlich jemand einbricht und mir etwas antun will.“



Eigentlich wollte ich Mulders gute Laune nur noch ein wenig anstacheln, doch die Reaktion auf meine so dahingesagten Worte war ein langer nachdenklicher Blick in meine Richtung, der mich mitten ins Herz traf und mir das Gefühl gab, für einen Augenblick nicht mehr atmen zu können. Soviel Schmerz, soviel vergangene Verzweiflung offenbarten sich mir in diesem einen Blick und ich musste noch einen tiefen Zug aus meinem Whiskyglas tun, um den in meinem Hals steckenden Kloß und das klopfende Herz hinunterzuschlucken.



„Nein. Ich will alles andere als das.“ Sagte Mulder leise.



Gefahr! Sagte etwas in mir ziemlich laut. Dana, pass auf!



„Gott, mach mir keine Angst.. ich bin so froh dass es dir gut geht...“



Ungesagte Worte schwangen mit in dem Gesagten, es erinnerte mich an Tage voller

Verzweiflung. Ich.. alleine in meinem sterilen kleinen Krankenhauszimmer, wo Schläuche in meinem Körper steckten und die Stille mich langsam erdrückte.. ich vor meinem Spiegel.. bleich wie der Schnee im Gesicht mit schneewittchenroten Blutstropfen die aus meiner Nase quollen… und wieder ich.. vor langer Zeit an diesem seltsamen Ort, an dem ich mich im Nebel zu verlieren schien, bevor ich schließlich aufwachte und Mulder neben mir fand. Mir schauderte.

Ich hatte das alles noch nicht verdaut und würde es vermutlich auch niemals ganz. Diese Ohnmacht die ich hatte ertragen müssen. Wut stieg in mir auf, bitter und gallig und ich musste mich schnell aus der Schlinge ziehen, die mich zu würgen begann, also stand ich auf und wollte in die Küche gehen.

Mulders Hand die mich zurückzog hinderte mich an meinem Vorhaben. Er zwang mich neben sich auf die Couch und musterte mich mit dieser eindringlichen Art, die mich immer völlig wahnsinnig machte und der ich mich stets ungern aussetzte, weil sie in mir genau die Gefühle heraufbeschwor, die ich so sorgsam in mir zurückdrängte in meinem täglichen Kampf. Ich wollte nicht dass er sich um mich sorgte, ich wollte nicht von jemandem umsorgt werden, ich konnte alleine.. ich musste alleine... meine Güte!

„Mulder was soll das. Ich will jetzt in die Küche“ Meine Stimme klang zittrig in meinen Ohren, aufgebracht.



„Warte.. hab ich dich verletzt? Es tut mir leid…“



„Nein, dass hast du nicht, lass mich jetzt bitte aufstehen.“



„Aber ich sehe doch dass etwas nicht stimmt.. komm schon. Es tut mir echt leid. Ich weiß wie schwer das alles für dich sein muss. Diese Dinge die dir wiederfahren sind.. ich denke jeden Tag daran.. die ganze Zeit und darüber wie du dich fühlst und wie ich für dich da sein kann.. Ich möchte einfach nur, dass es dir gut geht und das dir nichts mehr passiert, dass dir weh tun könnte. Ich wünschte, ich könnte besser auf dich aufpassen.. und ich wünschte ich hätte es früher getan.“



Wieder dieses Thema. Ich hatte es eben durchlebt. Ich wollte nicht über meine Krankheit nachdenken- weder über die verfluchte Krankheit, noch über Melissa noch

über meine Entführung und den Verlust meiner Fruchtbarkeit.. ich wollte einfach nicht. Und Mulders Schuldgefühle waren überhaupt nicht angebracht, er hatte nichts zu tun mit der Sache.



„Du musst nicht auf mich aufpassen. Ich will so etwas nicht mehr hören klar! Ich will diese Dinge vergessen und ich will nicht drüber reden, ganz egal ob du das gut findest oder nicht. Es ist meine Angelegenheit und du hast überhaupt nichts damit zu tun. Du musst doch selber wissen, dass das nicht deine Schuld war, Herrgott Mulder- hör auf immer alles auf dich zu laden und dir die Schuld an allem zu geben du kannst nicht alles beeinflussen, du kannst nicht alles bestimmen- und es ist verdammt noch mal nicht dein Auftrag mich oder irgendjemand sonst zu beschützen. - -Ich brauch jetzt ein Glas Wasser.“



Doch bevor ich mich erneut erheben konnte packte Mulder meine Hand und zog sie an seinen Körper, was mich unwillkürlich dazu veranlasste sitzen zu bleiben und ihn ungläubig anzustarren. Seine Gestalt vor meinen Augen drehte sich ein wenig, mein durch die Aufregung beschleunigter Puls beschleunigte sich noch mehr und ich fühlte mich so außer mir, dass Whisky und Wein in meiner Blutbahn auch nicht mehr sonderlich ins Gewicht fielen. Ich fühlte nur seine warme, die meinige in festem Griff haltende Hand und den Stoff seines Pullovers als er sie gegen seine Brust presste.



„Scully, beruhige dich. Entschuldige.“



Er ließ nicht los während seine freie Rechte über meine Wange glitt und ein Stück Traurigkeit wegwischte, dessen Existenz mir bis dahin nicht bewusst gewesen war. Dann nahm er mich einfach in den Arm.. ohne mich zu fragen. Seine Arme umfassten meinen Rücken, das Gesicht an meinem Hals. Es machte mich wahnsinnig.



„Hör zu.“



Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Ich wollte nicht so etwas sagen.. ist ja schon gut. Wir können gern über etwas anderes sprechen. Ich verstehe dass du noch nicht so weit bist.. es tut mir so leid“ Er wiegte mich sanft hin und her wie einen

Säugling und sagte noch einige Male, das alles gut sei, während ich das sichere Gefühl entwickelte, dass überhaupt nichts gut war und das ich seine Berührung viel zu hungrig aufnahm und es mich gierig danach verlangte ihn noch mehr zu spüren.

Als er mich losließ drückte ich nur seine Hände, unfähig ein Wort zu sagen oder ihm in die Augen zu schauen.

„Es ist nur so..“

vernahm ich seinen zugleich traurigen, zugleich sehr vorsichtigen Tonfall

„dass ich immer für dich da bin, okay? Du kannst immer zu mir kommen aber das weißt du ja und wenn dir irgendwas am Herzen liegt.. du weißt schon..“



„Ich weiß Mulder. Dass hab ich doch immer gekonnt..“



Ich blickte zu ihm auf. In diese haselnussbraunen Rehaugen, in deren Aufmerksamkeit ich mich so sicher fühlte wie nirgendwo sonst auf der Welt, an die ich dachte bevor ich abends zu Bett ging und die mich begleiteten wenn ich mich morgens alleine in meiner Wohnung fertig machte um zur Arbeit zu fahren. Ihn küssen.. ihn einfach küssen.. wieso wollte ich das plötzlich so sehr!

Ich schämte mich, ließ seine Hände abrupt los und wich von ihm wie von einem scheußlichen Objekt. Mulder war die ungewollte Geste nicht entgangen und er stand auf um in die Küche zu gehen. Völlig neben mir stehend kauerte ich da auf der Couch. Der Fernseher lief immer noch wie ich jetzt bemerkte und langsam gewann ich meine Fassung zurück und atmete tief durch. Es ist nur der Wein Dana.. und der verdammte Whisky. Es ist nur der Alkohol. Beherrsche dich wieder und benimm dich angemessen. Ein Glas Wasser senkte sich neben meinem Kopf und ich ergriff es dankbar und leerte es in einem schnellen Zug.



„Danke.“



Zum ersten Mal seit langem achtete ich wieder auf den gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns. Denn ich konnte meiner selbst nicht mehr sicher sein. Ich fühlte mich so wahnsinnig zu ihm hingezogen, dass es mich fast körperlich schmerzte und ich mich mit aller Macht davon abhalten musste ihn nicht irgendwo anzufassen oder zumindest anzustarren.



„Ich bin.. ich weiß nicht wieso ich mich so aufgeregt habe.“

Ergriff ich das Wort erneut, peinlich berührt von meinen geheimen Gedanken.

„Ist ja wirklich nicht nötig gewesen. Muss am Alkohol liegen. Du weißt ja wie viel ich vertrage.“



Er lachte und sah mich schief an mit einem verschmitzten Lächeln.



„Ich muss aber sagen, dass ich mich auch schon schwer bemühe nicht zu lallen.. ich fühle mich auch nicht mehr so ganz auf der Höhe.“



Wir lächelten beide und unterhielten uns über Nebensächlichkeiten während die angespannte Situation von vorhin sich allmählich lockerte. Doch als ich endlich das Gefühl hatte, meine tiefen körperlichen und seelischen Bedürfnisse wären endlich wieder gezügelt und hinter Schloss und Riegel sagte Mulder etwas, das mich einfach völlig unvorbereitet traf.



„Heute hab ich wieder etwas Großartiges gehört im Bureau“ Mulder grinste in sich hinein.

„Ich war im dritten Stock um ein paar alte Akten auszugraben, die Skinners Assistentin dort in einem der Archive verstaut hatte und sie kam mit mir um mir beim Suchen zu helfen. Da meinte sie auf einmal wie es dir so gehe und gratulierte mir zu meinem Mut, dich endlich in meine männliche Obhut genommen zu haben ..“



Mulder lachte kopfschüttelnd in sich hinein- mir gefror das Blut in den Adern.



„Ich wollte wissen, wie sie darauf käme und sie meinte nur, das sie das von allen Seiten gehört hätte und das man überhaupt vieles über uns höre.. das wir uns im FBI geküsst hätten zum Beispiel..“



„Was!“



Mulder schüttelte weiterhin den Kopf. „Eigenartig nicht. Wie kommt das wohl?“



„Naja“

Ich versuchte sachlich zu wirken, keine Emotion auch nur im Geringsten auf meinem Antlitz ersichtlich zu machen und Mulder auf keinen Fall mehr in die Augen zu sehen. Ich setzte mein steinernes Gesicht auf, welches ich hasste, welches mir jedoch in diesem Augenblick als der einzig mögliche Schutzschild erschien, der stark genug war, um die sich in mir aufbäumenden Gefühle unter Verschluss zu halten.

„Wir sind ja fast immer nur zu zweit unterwegs im Bureau, da ist das ja kein Wunder.. aber das mit dem im FBI geküsst muss sich wieder mal jemand ausgedacht haben.. echt eigenartig.“

Ich fühlte mich unwohl. Ich fühlte mich mehr als unwohl. Ich wollte nicht mit Mulder über die Möglichkeit eines Kusses zwischen uns sprechen, diese Möglichkeit zwischen uns musste versiegelt bleiben, verpackt in Plastik und versenkt in einem tiefen See wie eine beseitigte Leiche, die für immer vom Erdboden verschwand und nie wieder auftauchen durfte. Ich konnte einfach nicht dasitzen und ihm locker in die Augen sehen- was dachte er sich dabei mir so etwas zu erzählen? Was war das nur für ein verflixter Abend. Ich konnte es einfach nicht glauben. Diese Achterbahnfahrt war eine Nummer zu kurvig für mich. Mulders Gegenwart wurde mir zuviel. Nicht nur dass er meine schmerzhafte Vergangenheit wieder aufgewühlt hatte, jetzt wühlte er auch noch in der verbotenen Zone meines Herzens herum.. ich musste ihn rausschmeißen. Wenn dieses Thema für ihn so amüsant war sollte er sich doch allein amüsieren.



„Also echt eigenartig, aber wie auch immer ich glaube du solltest jetzt..“



Weiter kam ich nicht. Mulder hatte erneut meine Hand genommen und drückte sie so warmherzig, dass mir das Wort im Hals stecken blieb, dann führte er sie plötzlich an seine Lippen und küsste sie sanft. Mir lief eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Ich konnte das alles nicht mehr aushalten, all diese Berührungen, diese unerträgliche Zärtlichkeit. Wenn er mich weiterhin so berührte würde ich in Stücke zerfallen, plötzlich zerreißen oder mich in einem Meer aus Tränen auflösen, von einem Stück verhärteter Materie zu einem rinnsalartigen Bach werden und mich schließlich im Nichts meiner Verwundbarkeit verlieren. Ich konnte es nicht ertragen meine eigene Verwundbarkeit so tief in mir zu spüren. Ich zog meine Hand ruckartig aus seinem Griff.

„Mulder lass das. Was machst du denn nur, ..ich kann nicht.. ich meine.. ich weiß nicht was ich denken soll.. ich glaube du musst jetzt gehen. Du bist betrunken.“



Anstatt zu gehen wiederholte Mulder seine Geste von vorhin und ich fühlte wieder seinen Berührung, vor der ich so kläglich zu fliehen versuchte und die ich doch wollte wie nichts anderes in meinem Leben zuvor.



„Ich will aber nicht gehen.. Ich will hier bei dir sein. Bitte lass mich hier bei dir sein Scully.“



Er war plötzlich anhänglich, weich, sprach mit einer veränderten Stimme zu mir, durch den schwarzen Stoff über meinem Arm empfing ich seine Wärme. Die Situation kam mir so unwirklich vor. Nie zuvor hatte es einen Augenblick wie diesen zwischen uns gegeben, indem die von uns gesteckten Grenzen verwischt waren wie Fußspuren im Sand.. ich fühlte mich benommen und innerlich erregt zugleich.

Ich sagte einfach gar nichts mehr und empfand nur seine Berührung wie sie auf meine Haut durchdrang in jede einzelne meiner Zellen. Mulder legte seinen Kopf auf meine Schulter und vergrub sein Gesicht in meinem Nacken. Aber diesmal fühlte es sich anders an als zuvor in unserer Umarmung. Sein Atem war heiß und seine Lippen so weich auf meiner Haut. Ich zuckte zusammen und legte reflexartig die Hände um seinen Körper. Auch er umarmte mich jetzt wieder und in die vorsichtige Sanftheit seiner bisherigen Berührungen mischte sich etwas Raueres, Männliches, dass ich direkt an seinem sich verändernden Geruch ablesen konnte und das in mir dieselben Reaktionen hervorrief. Es war Begehren und ich empfand es deutlich, überall, in jeder Sehne meines zitternden Körpers verbreitete es sich wie ein Virus und seine Hände pressten mich fester an ihn, fester und kräftiger. Seine Berührungen wurden fahriger und schneller und er ließ seine Finger über meinen ganzen Rücken gleiten, über meinen Nacken mein Haar.

Ich sog seinen Körpergeruch in mich auf, der mir schon oft so herb und so süß zugleich in die Nase gestiegen war und den ich nun endlich in seiner gesamten Bandbreite in mich aufnehmen wollte und dieser Geruch, dieser unsägliche Geruch erregte mich so sehr, dass ich ein tiefes Ziehen in meinem Unterleib verspürte und die Sehnsucht in mir mich schier umzubringen drohte.



Mulder keuchte leise vor Erregung und er murmelte „Scully. Lass mich bei dir bleiben... Scully“.



Und dann fand er meine Lippen und schob sie auseinander mit den seinen. Ich war überwältigt und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Unendlich lange, nie aufzuhören scheinende Sekunden schmeckte ich an diesem neuen Geschmack der meine Lippen benetzte. Völlig von Sinnen, in dieser Intensität verloren empfing ich seine Zunge, weich und feucht und ich spürte wie das lustvolle Ziehen zwischen den Beinen mich beinahe zum Wahnsinn trieb.

Doch dann zwang ich mich ihn von mir zu schieben – es musste sein. Ganz egal wie unfassbar gut es sich anfühlte, ich wollte nicht dsas wir unsere Beziehung im betrunkenen Zustand noch weiter vertieften.



„Mulder. Warte..“ Ich rang nach Luft „Mulder, hör zu. Das ist nicht der richtige Augenblick. Nicht hier und nicht jetzt. Wir sind beide betrunken und ich möchte nicht dass du morgen aufwachst und nicht weißt, wie das passiert ist, okay? Ich kann das so nicht Mulder. Ich werde dir jetzt ein Taxi rufen. Ich will das du genau weißt was du tust“



„Gott, Scully, was mach ich nur. Fuck. Ich bin so ein Idiot.“



„Nein, hör auf..“



Meine Erregung wollte sich einfach nicht legen, ich fühlte mich als müsse ich gleich Hyperventilieren.



„Es ist okay. Fahr einfach nach Hause und wir reden morgen über alles. Morgen ist Samstag, wir treffen uns zum Lunch.“



Ich griff nach meinem Handy und wählte die Nummer eines Taxiunternehmens. Zehn Minuten später war Mulder aus meiner Wohnung verschwunden und ich blieb alleine auf der Couch zurück. Ich wollte einschlafen. Gleich hier, nicht mehr ins Bett gehen, Zähne putzen, die üblichen Dinge tun. Ich wollte einfach nicht mehr nachdenken.. doch mein angespannter Körper ließ mich nicht ruhen, bis ich gegen fünf Uhr morgens in einen unruhigen Schlaf fiel.



Am nächsten Tag erwachte ich auf der Couch und blickte blinzend um mich. Die halb gefüllten Gläser standen noch auf dem Tisch, daneben der Wein und die Flasche mit dem Whisky. Der Fernseher lief auch noch und war die ganze Nacht neben mir gelaufen.

Ich dachte an Mulder. Ich dachte daran, dass ich mit ihm sprechen musste. So schnell wie möglich. Am besten sofort. Noch völlig verschlafen ging ich schnell unter die Dusche und fuhr dann zu seiner Wohnung um nach ihm zu sehen. Vor seiner Wohnungstür wurde ich plötzlich zum Feigling, überlegte unschlüssig ob ich läuten sollte oder einfach gehen. Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Mulder öffnete die Tür und starrte mich an.



„Scully! Ich wollte gerade zu dir fahren.“



„Ich dachte, ich komm vorbei.“



Wir standen uns einen Augenblick lang verlegen gegenüber, dann packte Mulder mich am Arm und zog mich wortlos in seine Wohnung.



„Es tut mir nicht leid wegen gestern.“ sagte er aus dem Fenster blickend.

„Ich will dich schon seit einer unheimlich langen, langen Zeit. Ich hab den Mut einfach niemals aufgebracht dir das zu zeigen.. tja, so ist es, so empfinde ich einfach für dich. Und wenn du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben willst, dann werde ich das akzeptieren..“



„Dummkopf“ Ich zog ihn zärtlich an mich.



„Dazu kann ich dir wirklich nur eines sagen.“



Und mein letztes Wort war der erste Kuss von Unzähligen die ihm folgen sollten, der Kuss der endlich die Antwort gab auf all die Ungereimtheiten und all die Fragen in meinem Kopf und der mich erlöste aus einer dunklen Zeit der Einsamkeit. Wir hielten uns in den Armen, ein Mann und seine Frau- nur zwei Menschen.


ENDE
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