World of X

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Into Each Other Sinking

von Lydia Bower

Teil 2 - Storm

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Die Liebenden

Sieh, wie sie zu einander erwachsen:

In ihren Adern wird alles Geist.

Ihre Gestalten beben wie Achsen,

um die es heiß und hinreißend kreist.

Dürstende, und sie bekommen zu trinken,

Wache und sieh: sie bekommen zu sehn.

Lass sie ineinander sinken,

um einander zu überstehn.



Rainer Maria Rilkes



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Letzten Endes sind nur sie es. Diese stillen Momente. Diese Gefühle des Friedens und der Vollkommenheit.

Diese kleinen Freuden machen das Leben erst lebenswert.

Von einem Traum, an den ich mich nicht erinnern kann, aus dem Schlaf gerissen, stehe ich auf. Vielleicht ist es der aufkommende Sturm, mit seinen zuckenden Blitzen, der mich zum Fenster zieht. Ein Drehen der Stange öffnet die Jalousien, das schwache Licht der Straßenlaternen fällt begierig durch sie hindurch und taucht den Raum hinter mir In silberne Streifen.

Eine kühle Brise schleicht durch das offene Fenster und tanzt über meine nackten Arme. Ich drehe mich zu dem Stuhl, der neben dem Fenster steht, greife nach meinem Bademantel, und erhasche einen Blick auf das Bett. Ich

halte kurz inne, von einem Anblick gefangen, der vorher in der Dunkelheit verborgen lag.

Mulder liegt schlafend in meinem Bett, die Lichtstreifen erstrecken sich sanft über seinen Körper. Er liegt auf dem Rücken, die Arme nachlässig über seinen Kopf gebreitet, sein Gesicht zu mir gedreht. Seine Beine haben die Decke, bis auf eine kleine Ecke, an das Fußende des Bettes getreten. Der weiche Baumwollstoff schmiegt sich an seine Taille und lässt ein angewinkeltes Bein vom Oberschenkel abwärts unbedeckt.

Ich lächle, voll von heimlicher Genugtuung und setze mich auf die Ecke des Sessels, während ich fortfahre, ihn im Schlaf zu betrachten.

Er hat keine Ahnung, was vor sich geht. Noch vor ein paar Monaten wäre das undenkbar gewesen--damals hätte ihn solch ein Blick längst aus dem Schlaf gerissen, eine unbewusste, instinktive Reaktion auf drohende Gefahr.

Er erwacht nicht mehr bei jedem, noch so leisen Geräusch, jeder noch so kleinen Bewegung, die Augen weit und leer, die Arme nach Halt ringend. Sein Schlaf ist jetzt tief und wird nicht mehr von den Alpträumen gestört, die ihn früher geplagt haben. Seine Augen wirken ruhiger und die Ringe unter ihnen sind verschwunden.

Meine Albträume sind ebenfalls verschwunden. Aber noch immer sind meine Träume lebhaft genug, um mich zu wecken, mich aus dem Bett zu drängen, bis ich den Sinn meiner selbst wieder gefunden habe. In solchen Nächten nutze ich die Gelegenheit, ihn zu erkunden. Nutze die Gelegenheit, langsam die Jalousien zu öffnen und zu beobachten, wie das diffuse Licht über seinen Körper tanzt. Sein Gesicht zu betrachten, dessen Schönheit mich immer wieder in Staunen versetzt.

Mulder ist ein hübscher Mann. Aber es war seine Unschuld, die mich in seinen Bann gezogen hat.

Ein weiterer Blitz huscht über den Himmel. Und dieses Mal kann ich das entfernte Toben des Donners hören, das einige Sekunden später folgt. Und noch ein Blitz. Ich beobachte, wie das blau getönte Licht über seine

Gestalt schnellt, wie die Zunge einer Geliebten. Es taucht sein Gesicht in scharfe Züge, erleuchtet die Rundung seiner Wange und hebt die dunklen Höhlen seiner Augen hervor.

Er dreht sich ein wenig und ein Arm rutscht an seiner Seite hinab. Seine Hand liegt schließlich auf seinem Bauch, die Finger weit über die glatte, nackte Haut gespreizt. Ich sehe, wie sie sich krümmen und beginnen, langsam zu kreisen. Und dann führt seine Hand ihren Weg fort, in kleinen, reibenden Bewegungen, auf und ab, bevor sie von seiner Haut ablässt.

Ich frage mich, wieso er das tut; ob er sich vielleicht im Schlaf selbst befriedigt. Hat seine Mutter jemals so etwas getan, als er noch ein kleines Kind war? Hat sie seine Träume mit ihrer Hand gemildert, indem sie ihm sanft über Rücken oder Brust gestreichelt hat? Ich glaube nicht. Seine Lippen sind leicht geöffnet und im Raum ist es so still, dass ich sein Stöhnen deutlich hören kann. Wovon träumt er?

Ist sein Schlummer voll von Erinnerungen, die wie ein alter Film auf dem Bildschirm seines Geistes abgespielt

werden? Verarbeitet er Momente, die sowohl wunder- wie auch schmerzvoll sind? Träumt er immer noch von mir?

Eines Morgens wachte ich auf und sah, dass er sich von mir abgewandt hatte, das Kissen wie seine Geliebte umarmend. Ich weckte ihn mit federleichten Küssen, die ich auf seinem Nacken verteilte und breitete meine Arme aus, als er sich, das Kissen vergessen, umdrehte und auf mich sank.

Er umschlang mich mit seinen Armen und murmelte gegen meine Brust: "Ich hatte es vergessen, Scully. Ich habe von dir geträumt und hatte es vergessen."

"Was?", flüsterte ich in seine Haare. Dass du wirklich hier bist. Dass es kein Traum mehr ist."

Ich denke an all die zukünftigen Nächte und frage mich, ob eine Zeit kommen wird, in der er gezwungen sein wird, mit einem Kissen im Arm einzuschlafen, anstatt mit der Wärme meines Körpers. Werde ich eines Tages wieder nichts als ein Traum sein?

Die Blitze zucken jetzt noch heftiger über den Himmel und zwischen ihnen und dem lauten Donnergrollen liegt immer weniger Zeit.

Diesmal ist der Donner laut genug, um Mulder fast aus dem Schlaf zu reißen. Noch nicht, flehe ich im Stillen. Ich bin noch nicht fertig. Ich bin mir nicht sicher, worum ich eigentlich bitte. Um mehr Zeit, in der ich Mulder ohne sein Wissen betrachten kann? Oder um mehr Zeit, um mein Leben zu leben? Ich kann nicht verhindern, dass sich meine Gedanken trüben - so machtlos, wie gegen meine Gedanken, bin ich auch gegen die Kraft des Sturms. Beides kann ich nicht aufhalten.

Ich spüre Bitterkeit von Tränen und reibe mir die Augen, wie ein müdes Kind.

Ich lasse meine Hände in den Schoß fallen und lehne meinen Kopf gegen den Sessel, während meine Augen wie von selbst zufallen. Es ist einfach, im hellen und lärmenden Tageslicht, mit der Arbeit und sowohl mit irdischen, als auch fantastischen Dingen, beschäftigt, zu vergessen, dass ich im Begriff bin, zu sterben.

Die Dunkelheit, die einst meine Zuflucht war, ist zu meinem Peiniger geworden. Sie bringt all die Wahrheiten an die Oberfläche, die im Licht des Tages verborgen bleiben.

"Scully?" Seine Stimme klingt leise und samtweich durch die schattigen Wände des Schlafzimmers.

"Hmm." Ich öffne die Augen und sehe, dass er zu mir hinüberblickt. Er liegt auf der Seite, auf einen seiner Ellbogen gestützt. Sein Haar ist zerzaust und ein paar Locken fallen ihm in die Stirn. Seine Augen sind fast geschlossen und vom Schlaf benebelt.

"Alles okay?"

Die Antwort erfolgt automatisch. "Ja Mulder. Mir geht’s gu-" Ich kann das Wort nicht hervorbringen. Er hat es schon zu oft gehört und glaubt ebenso wenig daran, wie ich. "Ich konnte nur nicht schlafen", sage ich, "da kommt ein Sturm".

Kaum hatte ich das gesagt, zuckte ein heller Lichtstrahl über den Himmel. Nur Augenblicke später folgt das gedämpfte Grollen des Donners. Und ein seltsames Gefühl in meinem Inneren.

"Verstehe", sagt Mulder. "Wieso kommst du nicht wieder ins Bett?"

Ich beobachte, wie er gähnt und einen Arm über seinen Kopf streckt. "Eine Minute noch."

Ich weiß, dass ich nur ins Bett kriechen und mich neben ihn legen muss. Ich weiß, dass er mich an sich ziehen und meine unausgesprochenen Ängste mildern würde. Es ist so einfach. Warum kann ich es nicht?

Mulder mustert mich für einige Sekunden, sein Gesicht ist entspannt, bis auf die schwache Furche auf seiner Stirn. Er richtet sich auf und lehnt sich gegen das Kopfteil des Bettes, während er sich abwesend an der nackten Brust kratzt. Die Stille breitet sich zwischen uns aus und ich kann fast hören, wie er nachdenkt. Er versucht herauszufinden, was in meinem Kopf vor sich geht. Wenn das irgendjemand erraten kann, dann er.

Hin und wieder beunruhigt es mich, dass er mich so gut kennt. Ein winziger Teil von mir wünscht sich, ihm ein Rätsel zu bleiben. - Doch Mulders Scharfsinn ist wie die Dunkelheit: Er deckt Wahrheiten auf, die sich im Licht verbergen.

"Rede mit mir, Scully." Es ist beides, Bitte und Befehl.

Ich schüttle den Kopf. "Es ist nichts." Wie soll ich es ihm erklären, wenn ich es selbst nicht weiß? "Du lügst." Hinter seinen Worten steckt keine Anklage, kein Vorwurf. Nur ein Hauch von humorvoller Resignation.

Plötzlich werde ich von einem ungeheuren Blitzstrahl, der über den nächtlichen Himmel zuckt, geblendet. Ich schrecke auf, fülle meine Lungen in einem scharfen Atemzug.

Der Donner kracht nur einige Sekunden später; ohrenbetäubend laut und durch den ganzen Raum hallend—- und durch meinen Körper. Ich fühle seine Gewalt und Kraft in meinen Knochen, ziehe meine Beine an die Brust und umschlinge sie mit den Armen.

"Scully?"

Die Worte verlassen meinen Mund, bevor ich eine Chance habe, über sie nachzudenken. Und sie zu hören, schockt mich. "Ich habe Angst, Mulder." Ich frage mich, woher das gekommen ist. Und fühle ich wirklich Angst? Oder Hilflosigkeit?

Mulder beginnt, sich aus den Decken zu schälen und stellt einen Fuß auf den Boden. Doch ich halte ihn auf, hebe meine Hand wie ein Signal. Er erstarrt für einige Augenblicke lässt sich dann wieder zurücksinken.

"Wovor? Wovor hast du Angst?" Seine Stimme ist leise, beruhigend.

Und dann öffnen sich die Schleusen des Himmels und es regnet in Strömen. Die Tropfen prasseln gegen die Fenster, schlüpfen durch die Maschen des Fliegengitters um auf meinen Armen abzuprallen und mein dünnes T-Shirt zu durchnässen.

"Ich habe Angst, weil ich nicht weiß", entschlüpft es mir und ich warte, um zu sehen, ob er an meiner Aussage

zweifelt. Aber er sagt nichts, sein Schweigen stellt mir die Frage, die er nicht aussprechen wird. "Ich habe Angst, weil ich nicht weiß, was mit mir geschehen wird. Und mit dir, wenn ich sterbe. Ich fürchte mich, dass ich bei allem, was im Moment um mich herum passiert, irgendetwas Wichtiges verpasse. Irgendetwas, das uns

zeigt, was zu tun ist. Ich fürchte-" Ich schlucke die Tränen runter und gestehe, "Ich fürchte, dass ich nicht stark genug sein werde. Und dass ich, egal, ob ich lebe oder sterbe, nicht genug daraus machen werde."

Er löst seinen Blick von meinen Augen und blinzelt. Ich sehe, wie sich seine Brust hebt und senkt. Dann spricht er: "Wir waren den Antworten, die dich retten werden niemals so nahe wie jetzt, Scully. Du weißt das."

Das ist typisch Mulder. Er geht jede Diskussion über meine Krankheit mit der Erklärung an, dass ich den Krebs

besiegen werde. Aber in solchen Augenblicken lasse ich es zu, dass er über die "was-wenn" und die unzähligen anderen Möglichkeiten, die meinem Leiden anhaften, spricht. Ich habe mich früher ständig gefragt, wie ein Mann weiterhin so optimistisch sein kann, seine Schwester, die vor einem Vierteljahrhundert verschwunden ist, noch zu finden. Jetzt bin ich für diesen Teil seiner Persönlichkeit unendlich dankbar. Ich weiß, dass er niemals aufgeben würde. Wenn der Krebs mich schließlich das Leben kostet, wird Mulder bis zu meinem letzten Atemzug an meiner Seite kämpfen.

Das will ich nicht. Ich will auch nicht, dass er seinen Kampf verliert. Aber was er sagt, ist wahr. Wir finden, in zahllosen kleinen Schritten und Abzweigungen, immer mehr Informationen, die mein Leben vielleicht retten könnten. Obwohl es heute Nacht nicht genug Informationen sind.

Ich spreche mit ihm darüber "Scully", sagt er und schüttelt den Kopf. In seinem Gesicht zeigt sich Belustigung.

"Du kannst nicht alles kontrollieren. Und du kannst nicht immer alle Antworten haben, die du haben willst."

Ich greife hinter mich und schließe das Fenster. Der Sturm tobt unvermindert weiter.

Ich stelle meine Füße wieder auf den Boden und lehne mich nach vorn, meine Ellbogen auf die Knie gestützt. "Du hast gut reden."

Er zuckt mit den Schultern und lächelt mich an, indem er nur einen Mundwinkel leicht anhebt.

"Ich kann ziemlich praktisch sein, wenn ich muss. Hinter diesem leidenschaftlichen äußeren Wahnsinn schlägt das Herz eines rationalen Mannes." Er dreht sich zu mir um, sitzt mit gekreuzten Beinen da, die Decke über seinen Schoß gebreitet. "Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, loszulassen."

Meine Augenbraue schnellt fragend in die Höhe. "Was loszulassen?"

"Kontrolle. Oder den Glauben, dass ich welche hätte. Und Wahlen. Die Wahlen, die ich niemals treffen konnte."

Ich nehme diese Worte in mich auf und versuche sie mit dem in Einklang zu bringen, was ich während all den Jahren über ihn erfahren habe. Sie scheinen fast ein Gegensatz zu allem, was ihn ausmacht, zu sein. Und doch sind sie es nicht. Er könnte für seine Rätselhaftigkeit ausgezeichnet werden.

"Also handelt es sich immer noch um Schicksal?" frage ich.

Er zuckt erneut mit den Schultern. "Vielleicht."

Ich kann nicht verhindern, dass mir ein Lächeln entschlüpft. "Du solltest nicht so sehr daran festhalten, Mulder."

Er grinst mich an und ich sehe den erwachenden Glanz seiner Augen. Er senkt den Blick und spielt mit einem Deckenzipfel. Er schaut immer noch auf das Bett, als er wieder beginnt zu sprechen. "Ich glaube nicht, dass es

Schicksal war, dass Samantha entführt wurde Nicht nach allem, was ich erfahren habe. Aber ich glaube, dass es Schicksal war, dass meine Arbeit an den X-Akten liquidiert wurde. Genau wie meine Suche nach der Wahrheit. Und ich glaube, es war Schicksal, dass du in mein Leben getreten bist.

"Und der Krebs?" frage ich leise. Stille. Ich beginne schon, mich zu fragen, ob er mich durch das Tosen des Sturms überhaupt gehört hat. Endlich hebt sich sein Blick und trifft meinen.

"Ich weiß nicht, Scully. Ich denke ich bin zu sehr in das alles verwickelt, um mir ein objektives Urteil bilden zu

können." Seine Schultern heben und senken sich in einem tiefen Seufzer. "Ein Teil von mir sagt, es sei Schicksal

dass das alles begonnen hat, als du mir zugeteilt wurdest. Und dass keiner von uns etwas hätte tun können, um das, was dir passiert ist, zu verhindern."

"Und der andere Teil?" Ich kenne die Antwort schon. Ich weiß nicht, wieso ich gefragt habe. Muss ich ihn die Worte sagen hören?

Mulder sagt tatsächlich, "Der andere Teil von mir quält sich mit vernichtenden Selbstanschuldigungen".

Sofort schäme ich mich dafür, dass ich ihn gefragt habe. Ich stehe auf und knie mich neben das Bett. Mulder betrachtet mich aufmerksam, als ich mich ihm nähere und meine Wange gegen sein Knie lehne.

"Es tut mir leid, Mulder. Das war nicht fair."

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