World of X

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Entstehend und Vergehend

von Schnusi

Kapitel 2

Es war eiskalt. In der Nacht hatte es mindestens einen halben Meter Neuschnee gegeben. Sie beeilte sich in ihr Auto zu kommen und drehte die Heizung voll auf. Plötzlich überfiel sie ein ungeheurer Hitzestau. Irgendwas musste mit der Heizung nicht in Ordnung sein. Wütend schlug sie auf sie ein. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz herum. Was war nur los. Es war nichts weiter als ein kleiner Defekt. Musste sie sich deswegen so aufregen? Sie zwang sich ruhig zu bleiben, bis sie plötzlich einen heißen Atem in ihrem Nacken spürte. Wie von der Tarantel gestochen fuhr sie herum. Doch der Rücksitz war leer. Sie drehte sich wieder um und atmete tief durch. Laut redete sie auf sich ein. " Dana es ist alles in Ordnung. Du spinnst mal wieder."

Sie schluckte und versuchte sich wieder auf die Straße zu konzentrieren. Doch sie wagte nicht sich zu rühren. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper war angespannt. Ihre Ohren waren bis aufs äußerste gespitzt. Sie wartete auf etwas. Sie wusste nicht auf was, aber bald würde sie platzen, wenn jetzt nichts passierte.

Da... ein kleines Kratzen. Sie war sich sicher etwas gehört zu haben. Blitzschnell drehte sie sich um und überblickte das gesamte Auto. Doch wieder konnte sie nichts entdecken. Nur der kleine tote Winkel direkt hinter ihrem Sitz blieb unüberschaubar. Sie wollte sich gerade noch weiter nach hinten beugen, doch dazu kam sie nicht mehr. Eine Hupe vor ihr riss sie wieder zurück zu den Geschehnissen auf der Straße. Ihr entglitt ein Schrei als sie kapierte, dass sie gerade mit Vollgas über eine rote Ampel gefahren war und jetzt auf den riesigen Laster vor ihr zuraste. In der letzten Sekunde riss sie den Lenker herum und drückte gleichzeitig die Bremse. Sie spürte nur noch einen ungeheuren Aufprall.

Es roch verdächtig nach Medizin, sterilisierenden Mitteln und Krankheit. Scully erkannte den unverwechselbaren Geruch eines Krankenhauses wieder. Sie schlug die Augen auf. Sofort hörte sie, wie sich Schritte ihrem Bett näherten. Über ihr tauchte Mulders Gesicht auf und er nahm ihre Hand. Sie kapierte nicht wirklich was er da redete. Es tat nur gut seine Stimme zu hören.

"Was ist passiert?", fragte sie leise.

"Sie hatten einen Unfall. Sie sind mit dem Auto gegen einen Laternenmast gefahren, weil Sie einem Laster ausgewichen sind. Warum sind Sie bloß bei rot über die Ampel gefahren?" Langsam kehrte ihre Erinnerung an die letzten Sekunden vor der Bewusstlosigkeit zurück. Und damit holte sie auch augenblicklich wieder die Angst ein.

"Mulder, als sie mich da raus geholt haben, war da noch jemand außer mir drin?"

Mulder zog die Augenbrauen hoch. Scully wünschte sofort sie hätte nichts gesagt. Der besorgte Blick, der sie nicht für ganz voll nahm, kehrte zurück auf Mulders Gesicht.

"Nein, haben Sie etwa jemanden mitgenommen?", antwortete er.

"Ach nein. War nur so ein Gedanke."

"Es geht Ihnen gut. Bis auf Prellungen und Fleischwunden ist Ihnen nichts passiert. Da haben Sie noch mal Glück gehabt." Für eine Weile schwieg Mulder unentschlossen, "Meinen Sie nicht doch, dass sie vielleicht einen Therapeuten aufsuchen sollten? Dass sie beinahe vergewaltigt wurden, scheint sie wirklich mächtig zu beeinflussen und das nächste Mal könnte es vielleicht schlimmer ausgehen als dieses Mal."

Scully biss sich auf die Zunge. Na prima. Jetzt fing er wieder damit an. Aber irgendwie war ihr das jetzt auch schon egal. Er glaubte ihr sowieso nicht. Nicht nachdem sie Autounfälle baute und sich wie eine Verrückte benahm. Sie schluckte ihren Protest herunter.

"Na gut. Wenn ich hier wieder raus bin schau ich mal bei einem Psychiater vorbei!", sagte sie um sich weitere Anspielungen auf dieses Thema zu ersparen.

Ein Klingeln von Mulders Handy unterbrach die Unterhaltung. Danach wandte er sich wieder ihr zu. "Scully? Das war Skinner. Ich sitze hier schon seit mehreren Stunden. Er braucht mich wieder im Büro. Ich muss gehen. Ist das in Ordnung?"

Scully erschrak. Das sollte in Ordnung sein? Nein. Gar nichts wahr in Ordnung. Was sollte sie hier allein? Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Das konnte er nicht machen. Sie besann sich. Okay, sie musste sich jetzt entspannen. Sie konnte nicht von Mulder verlangen, tagelang in diesem Zimmer zu bleiben.

Doch als Mulder sich aus ihrer Hand lösen wollte, klammerte sie sich verzweifelt fest.

Er sagte nichts, doch sein Blick sprach Bände. "Scully. Es gibt keinen Grund Angst zu haben, okay? Es ist vorbei. Er wusste doch gar nicht, wer Sie sind. Sie waren nur ein zufälliges Opfer. Sie werden ihn sicher nie wieder sehen."

Er beugte sich zu ihr hinunter und drückte ihr ein Küsschen auf die Wange. "Wenn das jemand schafft, dann Sie, Scully!"

Er löste sich sanft aus ihrem Griff und verschwand durch die Tür. Eine seltsame Wärme und Geborgenheit blieb in ihr zurück. Für einen Moment fühlte sie sich in Sicherheit. Sie tastete vorsichtig nach ihrer Wange. Ein leiser Hauch von Mulders Aftershave war auf ihr zurückgeblieben. Sie saugte ihn in sich auf und schloss die Augen. Sich tief in die Kissen kuschelnd versuchte sie alles andere aus ihren Gedanken zu verbannen.

Sie war schlagartig wieder wach, als heiße Luft ausgehend von den Füßen sie überrollte. Eine böse Erinnerung zuckte in ihr den Bruchteil einer Sekunde auf. Sie setzte sich unvermittelt auf und sah sich im Raum um. Niemand war zu sehen. Die einzige Möglichkeit sich zu verstecken bot ein schmaler Vorhangstreifen in der Ecke des Zimmers. Wie gebannt beobachtete sie ihn. In dem Lichtspiel der Sonne konnte man schwer sagen, ob sich jemand dahinter aufhielt. Jedes mal wenn sie glaubte jemanden dahinter gesehen zu haben, löste sich der Schatten in seine einzelnen Elemente auf. Schließlich festigte er sich sekundenlang zu einer großen Gestalt.

Hektisch drückte Scully den Knopf, der die Krankenschwester rufen sollte und schwang sich aus dem Bett. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Vorhang. Sie versuchte einen Blick drunter durch zu erhaschen, um vielleicht ein Paar Schuhe zu entdecken. Doch sie konnte von diesem Standpunkt aus unmöglich etwas erkennen. Plötzlich öffnete sich die Zimmertür hinter ihr. Sie drehte sich zusammenfahrend um. Es war nur die Krankenschwester.

"Geht's ihnen nicht gut, Miss?"

Scully zog den Vorhang zurück. Wie erwartet war niemand dahinter. "Nein alles in Ordnung. Ich hatte nur eben ein schlechtes Gefühl!"

Die Krankenschwester schüttelte die Kissen auf. "Sie sollten sich wirklich hinlegen. Sie können noch nicht wieder herumlaufen."

Scully legte sich wieder hin und wartete bis die Krankenschwester das Zimmer verlassen hatte. Dann sprang sie wieder aus dem Bett. Irgendwas trieb sie wieder zum Vorhang. Es war nur eine unbestimmte Ahnung. Die Stelle hinter dem Vorhang hatte sie alarmiert. Sie stellte sich vor sie und starrte auf den Boden. Was war da bloß? Ein ganz normaler Linoleumboden. Ein bisschen verkratzt. Hie und da ein paar abgetragene Stellen.

Und dann wusste sie plötzlich wonach sie suchte. Ein Brandfleck. Das Linoleum. Es roch nach verbranntem Gummi. Das hatte sie heute schon mal gesehen. Zu Hause, im Schlafzimmer.

Plötzlich sprang sie auf. Sie wusste jetzt was sie zu tun hatte. In einem Schrank fand sie kleine Tütchen und Handschuhe. Sie nahm eine Probe des verbrannten Bodens. Vielleicht gab es doch eine Möglichkeit mit der sie Mulder beweisen konnte, dass sie nicht verrückt war.

Sie zog sich ihre Sachen, die sie in einem Schrank fand über und hastete aus dem Krankenhaus. Von einem Taxi ließ sie sich zum FBI fahren. Im Labor würde um diese Zeit Gott sei Dank nicht viel los sein.

Mulder seufzte. Er brauchte unbedingt die Laborergebnisse der letzten Autopsie. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich ins Labor zu begeben. Genervt machte er sich auf den Weg. Ihn nervte einfach alles. Wie es jetzt wohl Scully ging? Am liebsten wäre er bei ihr geblieben. Vielleicht sollte er sich einfach ein paar Tage frei nehmen und sich um sie kümmern.

Vorsichtig öffnete Mulder die Tür zu den Labors. Hier fühlte er sich nie wohl. Schon der Geruch erinnerte ihn an Chemiebomben, die die Menschheit eines Tages vernichten würden, wenn die Aliens es nicht vorher taten. Wenn er dann noch die seltsamen Foltergeräte in seine Bewertung einbezog...

Erstaunt erkannte er Scully am nächsten Tisch. Er rieb sich die Augen. Was machte die denn bitte hier? Sollte sie nicht im Krankenhaus sein?

Er stellte sich hinter sie, doch sie bemerkte ihn nicht mal. Als er sie so anschaute, merkte er, wie sich in ihm wieder der kleine Schuljunge meldete. Verschmitzt blies er ihr in den Nacken.

Mit einem leisen Schrei fuhr sie herum. "Mulder!" Da war er wieder, der empörte Scully-Blick, der ihm so gefehlt hatte.

"Tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken."

"Nein, natürlich nicht. Warum sollten Sie auch so etwas Kindisches machen!", erwiderte Scully spöttisch.

"Sollten Sie nicht im Krankenhaus sein? Was machen Sie da überhaupt?"

Scully stand auf. "Mulder. Ich habe mir diese Dinge nicht eingebildet. Es gibt diesen Mann wirklich."

"Scully..."

"Warten Sie. Sie kennen doch Demokrit,... hoffe ich. Ihm zu Folge besteht alles aus wenigen, gleichen Atomen, die nur jedes Mal anders zu den verschiedensten Stoffen zusammengesetzt werden. Dieser Mann, es könnte sein dass er einen Weg gefunden hat sich in seine einzelnen Moleküle aufzulösen und an beliebigen Ort auf Grund der gleichen Beschaffenheit der Atome überall, wieder zu regenerieren. Vielleicht aus einem Stück Erde oder sogar aus der Luft."

Mulder wurde neugierig. Anscheinend meinte Scully es ernst. Das ging über die bisherigen Panikattacken hinaus. Was wenn sie doch recht gehabt hatte. Die ganze Zeit?

Scully fuhr fort. "Ich habe an zwei seiner Erscheinungsorte den Boden verbrannt vorgefunden. Es scheint, dass eine ungeheure Energie entsteht, wenn er seinen Körper an einer bestimmten Stelle wieder ,erschafft'. Er reagiert sie mit Wärme ab. Das erklärt auch die Hitzewellen, die mich jedes Mal erfasst haben, wenn er auftauchte. Es deutet außerdem auf eine exotherme Reaktion hin, was allerdings auch heißt dass bei seinem Verschwinden das genaue Gegenteil eintritt: Er verbraucht Energie. Die besorgt er sich höchstwahrscheinlich aus der Umgebung."

Mulder stutzte. Er nahm Scully an der Hand und zehrte sie hinter sich her in sein Büro. "Kommen Sie mit! Ich glaube, ich habe da etwas für Sie!"

"Mulder! Würden Sie mir erklären..."

Mulder begann in den Schubladen seines Schreibtisches herumzuwühlen. Schließlich zog er ein verdrecktes, halb zerrissenes Fax aus einer Pommestüte, die das Einjährige schon hinter sich haben musste.

"Wie gut, dass ich niemals etwas wegschmeiße!"

Scully grinste spöttisch. Dieser Kommentar war mit Abstand das Realistischste, was sie jemals von Mulder gehört hatte. Sie sah sich den Fetzen an. Es war das Fax, das sie Mulder vor ein paar Tagen in die Wohnung gebracht hatte.

Sie las es durch. "Sie glauben, das hat was mit meinem Fall zu tun?"

"Ja. Vergleichen Sie doch mal. Eine Frau ist verschwunden. Vermutlich ermordet. Eine enorme Hitze hat eine große Fläche Schnee weggeschmolzen. Wir müssen da hin. Vielleicht können wir da mehr herausfinden."

"Aber Mulder! Wissen sie wo dieses Kaff liegt? Es ist ein kleines Dorf mitten in den Rocky Mountains. Der nächste Flughafen ist zwei Tagereisen entfernt. Da müssen wir ja mit dem Auto fahren!"

"Na und? Wollen Sie, dass dieser Spuk aufhört oder nicht? Außerdem was ist gegen eine nette Autofahrt zwischen den majestätischen Bergketten der Rocky Mountains einzuwenden?"

"Oh nein. Ich sehe es schon kommen. Das überleb‘ ich nicht. Zwei Tage mit Ihnen in einem Auto. Womöglich entwickeln Sie dann auch noch irgendeine verrückte Truck-Romantik. Ich mach ja viel mit, aber das..."

Zwei Tage später, mitten in den Rocky Mountains:

"Mulder, mein Rücken tut weh und meine Füße sind eingeschlafen. Wie lange haben Sie noch vor mich mit diesem Country-Sender in den Wahnsinn zu treiben?"

Mulder lächelte. "Keine Sorge. Wir haben ja fast die Hälfte hinter uns. Dabei ist es noch nicht mal 4 Uhr. An der nächsten Hütte halten wir an. Okay?"

Ergeben nickte Scully. Sie saßen seit mehr als 9 Stunden im Auto und tuckerten mit einem schrottreifen Geländewagen, den Mulder bei einer Mietwagen- und Bergausrüstungsfirma, aufgegabelt hatte, gen Westen immer weiter in die Rocky Mountains hinein. Rund um sie herum erhoben sich nichts als riesige Gebirge, die von dicken Schneeschichten bedeckt wurden. Sie bewegten sich auf einer schmalen Straße, die zur linken Seite ziemlich steil abfiel, was allein schon beunruhigend war. Doch auf der rechten Seite erhob sich die steile Bergwand, die wie es schien, bei jeder Erschütterung herunter zu krachen drohte. Mit der Zeit hatte sie sich an den Nervenkitzel gewöhnt und konnte ihre Konzentration jetzt wieder ungeteilt den Schmerzen in ihrem Rücken zuwenden.

Das monotone Geräusch des Motors war unglaublich einschläfernd. Es dauerte nicht lange bis Scully einnickte. Sie wurde erst wieder von dem abrupten Aussetzen des Motors wach. "Mulder? Warum halten Sie hier an? Ich kann mir nicht helfen, aber ich kann hier weit und breit keine Hütte entdecken!"

Ihr kam ein unangenehmer Verdacht als Mulder sich verlegen räusperte, während er versuchte den Motor wieder zum laufen zu bringen.

"Mulder? Das ist sicher nur ein blöder Witz, oder? Das können Sie nicht bringen."

"Tja tut mir Leid. Ich versuche es mal mit anschieben, während sie starten okay?", er flüchtete aus dem Wagen um Scullys Wutanfall zu entkommen.

Eine Stunde später gaben sie den Wagen auf. Mulder durchsuchte ihn nach Ausrüstung, während Scully fassungslos daneben stand. "Ich hab ja gleich gesagt, dass dieser Schrotthaufen nichts taugt. Mulder, was machen Sie denn da?"

"Ich suche nach Rucksäcken, Jacken und...", er zog lächelnd zwei längliche Gegenstände vom Rücksitz, "SKIERN!"

"Hey sind Sie verrückt geworden? Wollen sie etwa zu Fuß weiter? Wenn ich nicht genau wüsste, dass sie so was Dummes nicht mal denken würden, würde ich jetzt sagen, dass Sie vorhaben nur mit Skiern bewaffnet durch die Pampa zu gurken! Ich weiß was wir machen. Wir bleiben hier und warten bis das nächste Auto vorbeikommt."

Mulder antwortete seinen Kopf tief in den Kofferraum vergrabend. "Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Das einzige Auto das hier vorbeikommt, ist das Postauto, das alle zwei Wochen das Dorf beliefert. Bis dahin sind wir entweder verhungert oder erfroren."

"Na toll. Und wann hatten Sie vor mir das zu sagen? Sie wissen doch genau, dass ich nicht Ski fahren kann. Ich werde mich da nicht draufstellen und mich zum Affen machen, damit Sie was zum Lachen haben."

Mulder zog seinen Kopf aus dem Kofferraum. "Aber Scully. Mit den Skiern sparen wir uns mindestens einen Tag. Sehen sie die Häuser dieses süßen kleinen Dorfes da auf der anderen Seite des Tales? Da müssen wir hin. Wir müssen das Tal überqueren, während wir es sonst mit dem Auto umfahren hätten."

"Oh ja. Wirklich niedlich. Ich wünschte ich wäre da!" Sie wurde still. Das bei ihren Ermittlungen immer was schief ging war nichts Neues. Aber diesmal war es wirklich zu viel. Mulder behandelte sie wie einen Fußabstreifer, den er nach persönlichem Belieben irgendwohin mitschleppen konnte, ohne ihr Einzelheiten zu erzählen.

Mulder schaute sich verwundert nach ihr um. Sie hatte schon ganze 30 Sekunden keinen bissigen Kommentar mehr von sich gegeben.

"Hey, Scully. Tut mir Leid, okay? Ich gebe zu, dass ich wirklich Scheiße gebaut hab. Sie haben es mir nur sowieso schon so schwer gemacht, sie zu überreden. Ich dachte sie würden sonst nicht mitkommen. Und dann würden wir jetzt vielleicht in Washington sitzen und auf das nächste Auftauchen des Mannes warten. Wollen Sie denn gar nicht wissen, wer er ist?"

Scully nickte versöhnt. "Okay gehen wir es an!"

Mulder beobachtete Scully überrascht. Dafür, dass sie das erste mal Ski fuhr, sah es gar nicht mal so schlecht aus. In einem überdimensionalen Schneeanzug und einer Wollmütze versinkend hatte sie gleich ein paar Bogen auf die Reihe gekriegt. Er beschleunigte ein bisschen. Nach einer Weile merkte er plötzlich, dass Scully nicht mehr hinter ihm her tuckerte. Er wartete kurz.

Auf einmal schoss ein dunkler Punkt über ihm den Berg hinunter. Scully raste breitbeinig, die Arme panisch von sich streckend, begleitet von einem lang gezogenen Schrei, direkt auf ihn zu. Angesichts Scullys bizarrer Haltung brach Mulder in Lachen aus, was seine spärlichen Versuche ihr aus dem Weg zu gehen, nicht gerade begünstigte. Unaufhaltsam kam sie näher. Er spürte, wie sie mit ungeheurer Wucht gegen ihn krachte und ihn zu Boden riss. Verdattert sah er Scully hinterher, die sich kurz unter ihm viermal überschlug, während ihre Ski sich in die verschiedensten Himmelsrichtungen verteilten.

Den Kopf im Schnee vergraben, blieb sie regungslos liegen. Mulder, der auf sie zukrabbelte, schwankte zwischen Sorge und einem weiteren Lachkrampf. Langsam wühlte sich Scully aus ihrem Schneehügel heraus. Mulder wurde von einem Glucksen durchschüttelt, als ihr zerzauster Kopf auftauchte und ihn böse anfunkelte. Ihre Kleidung und Haare bearbeitend, versuchte sie ihre angeschlagene Würde wieder herzustellen.

Giftig zischte sie ihn an: "Das finden sie wohl lustig, was?"

Mulder konnte sich nicht beruhigen. Es sah einfach zu drollig aus, wie sie so im Schnee saß und ihn ankeifte.

Wütend erhob sie sich und stapfte davon, um ihre Ski wieder einzusammeln.

"Hey Scully!", rief er ihr versöhnlich hinterher. Sie antwortete nicht und rannte weiter. Mulder formte einen Schneeball und ließ ihn auf ihren Rücken niedersausen. Genervt blitzte sie ihn an. Er feuerte weiter auf sie.

Auf einmal erfasste Scully ungeheure Wut auf ihren albernen Partner, der nichts anderes zu tun hatte, als sie zu verarschen. Wutschnaubend versuchte sie ihn zu treffen. Doch der Schneeball schaffte bedauerlicherweise nicht mal die Hälfte des Weges, was Mulder noch amüsanter fand. Jetzt war sie nicht mehr zu bremsen. Erbost stürmte sie auf ihn zu und stieß ihn zu Boden. Ihm Schnee in den Mund stopfend, keuchte sie: "Na, und? Finden Sie das lustig?"

Mulder, der sich aus seiner Verdutzung löste, wälzte sich auf sie, was ihn einige Anstrengungen kostete. So schnell gab sie nicht auf. Tapfer wehrte sie sich, doch es war hoffnungslos seiner Attacke zu entkommen. Plötzlich wurde Scully bewusst, wie kindisch sie sich benahmen und boxte ihm lachend in den Bauch.

Mulder lachte mit, was Scully die Gelegenheit gab ihm eine zweite Ladung ins Gesicht zu knallen. Die Kriegsgeschehnisse überschlugen sich und es dauerte eine Viertel Stunde bis sie erschöpft nebeneinander liegen blieben. Sie starrten in den Himmel. Mulder tastete nach Scullys Hand. Es hatte begonnen zu schneien. Die Schneeflocken lösten sich aus dem Nichts, schwebten auf sie zu und bedeckten sie langsam. Sie versuchten sie kichernd mit dem Mund aufzufangen, bis Scully plötzlich aufschreckte. "Meine Ski! Wenn wir hier noch länger warten bis alles zugeschneit ist, finden wir sie nie."

Sie standen wieder auf und suchten ihre Sachen, die auf einer Bandbreite von 100 Metern über den ganzen Hang verteilt lagen. Als sie endlich wieder startbereit auf ihren Skiern standen, zögerte Scully. Der Sturz von vorher war zwar verhältnismäßig weich gewesen, aber die Erinnerung daran war irgendwie traumatisierend.

Mulder bemerkte ihr Stocken und stellte sie kurzerhand zwischen seine Beine. Langsam setzten sie sich in Bewegung. Er spürte wie sich Scully langsam aus ihrer Verspannung löste und sich von ihm lenken ließ. Unter seinen ständigen Anweisungen kamen sie rasch voran.

Während sie Stück für Stück in das Herz des Tales vordrangen, schlich sich die Dunkelheit und mit ihr die Kälte ein. Mulder zog Scully enger an sich. Wenigstens waren die Jacken einigermaßen warm. Wenn sie nicht bald eine der Forsthütten erreichten, würde er vor Müdigkeit umkippen. Sie glitten langsam den Hang hinunter. Der Schnee fiel dicht und pulverig. Er hatte sie von unten bis oben zugeschneit. Langsam bekam er Angst, dass sie die Hütte bei der schlechten Sicht übersehen würden. Endlich tauchte ein dunkler, großer Schatten aus der Dunkelheit auf. Mulder atmete erleichtert aus und beugte sich zu Scully vor, die resigniert zwischen seinen Armen hing. Ihre Wollmütze war ihr fast bis über die Augen gerutscht. Mulder schob sie lächelnd hoch. "Scully wir sind da. Ein bisschen mehr Enthusiasmus bitte!"

Sie schnallten ihre Ski ab und stürmten zitternd die Hütte. Sie bestand aus einem einzelnen Raum, der nur aus Holz bestand. Es roch modrig, was darauf schließen lies, dass es Jahre her sein musste, dass jemand diesen Ort betreten hatte. Ein einziges, milchiges Fenster ließ schwummeriges Licht herein und man konnte ein paar Bänke um einen Tisch und einen Kamin in der Ecke erkennen. Bis auf einen Schrank war der kahle Raum sonst leer. Scully war zu erschöpft, um sich über die spartanische Einrichtung zu beschweren und entledigte sich ihres Schneeanzugs. Mulder füllte währenddessen den Kamin mit dem morschen Feuerholz das draußen lagerte. Sie holten sich etwas von ihrem knappen Proviant, der ja eigentlich nur für zwei Tage hatte reichen hätte sollen und den sie sich jetzt für mindestens vier Tage einteilen mussten und kauerten sich vor das Feuer.

Mulder öffnete gähnend die Augen. Ihm war auf einmal so heiß. Verwundert befreite er sich von seiner mottenzerfressenen, Staub durchdrungenen Decke, die er im Schrank gefunden hatte. Es war so stockdunkel, dass er nicht mal die Hand vor Augen sehen konnte. Er lauschte fasziniert dem pfeifenden Wind und war froh jetzt in der warmen Hütte zu sein. Auf einmal mischte sich zu den Geräuschen des Windes ein ersticktes Keuchen. Irritiert horchte er auf. Schlagartig wurde ihm bewusst, warum ihm so heiß war. Das Kaminfeuer konnte es nicht sein. Es war längst aus, sonst wäre es nicht so dunkel gewesen. Scully! Er raffte sich auf und stolperte blind zu der Bank, auf der Scully liegen musste, während er aus seiner Hosentasche eine Taschenlampe fingerte. Hektisch schaltete er sie ein. Ihr Strahl fiel auf einen massigen Körper der über Scullys Bank gebeugt wahr. Ohne zu überlegen prügelte er darauf ein. Die Taschenlampe kullerte auf den Boden. Er spürte wie der Mann vor ihm zurück wich. Wütend rückte er nach und schlug blind in die Dunkelheit hinein. Doch seine Hände trafen ins Leere.

Mulder sah ein, dass er so nicht weiterkam und kroch hastig zu der Taschenlampe, die noch immer am Boden lag. Fieberhaft leuchtete er durch den ganzen Raum, doch der Strahl irrte orientierungslos über kahle Wände und fiel schließlich auf Scully die zusammengekrümmt auf ihrer Bank lag. Mulder stürzte zu ihr und drehte sie zu sich. Ihr Hals war von roten Fingerabdrücken übersät. Mit einem Griff zu ihrer Pulsader, stellte er erleichtert fest, dass er rechtzeitig gekommen war. Behutsam streichelte er über ihren Kopf. "Scully, ich bin's. Er ist weg okay? Ich hab ihn verjagt."

Scully schlug die Augen nicht auf, doch fing an zu zittern. Geknickt legte er sich neben sie und drückte sie an sich. Er konnte ihren warmen Atem auf seinem Hals spüren. Vorsichtig wischte er ihr die Tränen von der Wange, die sich nun ungehemmt aus ihren Augen lösten. Sie öffnete sie und schaute ihn niedergedrückt an.

"Mulder. Ich dachte es wäre vorbei. Ich dachte, er würde nicht mehr kommen. Aber jedes Mal, wenn ich denke ich bin in Sicherheit, taucht er aus dem Nichts aus.", flüsterte Scully.

Mulder schluckte und lehnte seinen Kopf an ihren. "Wir werden ihn finden. Und dann mach ich ihn fertig, okay? Dann machen wir ihn fertig!"

Er spürte, wie er wütend wurde. Nur Scully die auf einmal so verletzlich und erledigt halb auf ihm kauerte, hielt ihn davon ab aufzustehen und irgend etwas zu zerschlagen. Angestrengt dachte er nach, während Scully langsam ruhiger atmete und ihre Augen schließlich zufielen. Ihre Schminke war von ihrer Schneeballschlacht vorher fast ganz abgelöst. Bei dem Gedanken daran stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Es verbitterte ihn, dass jemand anderes die Macht hatte dieses glückliche Gesicht von heute Nachmittag so unvermittelt auszuradieren. Langsam fuhr er Scullys erschöpfte Gesichtszüge nach. Ihre Haut war so schrecklich zart und blass. Noch immer waren die Anschürfungen und blauen Flecken des ersten Überfalls nicht verschwunden.

Es musste einfach eine Möglichkeit geben den Typen zu überwältigen. Man musste ihn daran hindern sich aufzulösen. Krampfhaft versuchte er sich daran zu erinnern, was Scully ihm vor ein paar Tagen über ihn erzählt hatte.

Scully schlug die Augen auf. Es war das erste Mal, dass sie wieder gut geschlafen hatte. Verschlafen schaute sie aus dem schmalen Fenster. Es schneite noch immer. Der grelle Schnee setzte sich drastisch gegen die dunklen Balken der alten Hütte ab. Staub wirbelte vor dem zaghaften, dumpfen Licht, das durch das Fenster schien. Sie fröstelte. Vorsichtig streckte sie einen Arm unter ihren modrigen Decken hervor. Erschrocken zog sie ihn zurück. Die Luft war eiskalt. Das Feuer musste schon seit Stunden aus sein. Über ihr tauchte Mulders Gesicht auf. Mit einem Lächeln zauberte er eine dampfende Tasse Kaffee hinter seinem Rücken hervor. "Danke Mulder!"

Mulder setzte sich neben sie. "Ich hab das Feuer gerade erst wieder an gemacht, es wird gleich wieder wärmer."

Scully nickte und schlürfte schweigend ihren Kaffee.

"Scully? Ich habe nachgedacht. Wir können nicht länger warten. Wir müssen etwas gegen ihn unternehmen. So kann es auf jeden Fall nicht weiter gehen. Er lässt sich jetzt noch nicht mal mehr davon abschrecken, dass ich im Zimmer bin."

Scully nickte und sah ihn fragend an.

"Scully, was haben Sie mir damals im Labor noch mal von ihm erzählt? Das mit den exothermen Reaktionen."

"Beim Auftauchen erzeugt er Energie und beim Abtauchen besorgt er sie sich wahrscheinlich aus der Umgebung...." Sie drehte sich schlagartig zu Mulder um.

Mulder fügte hinzu: "Das ist der Schlüssel. Was ist wenn wir es anstellen, dass in der Luft nicht genügend Energie ist um wieder abzutauchen. Glauben Sie, das könnte funktionieren?"

Scully nickte langsam. "Ja...hm. Ja . Wieso nicht. Ich schätze das dürfte mit unseren Temperaturen hier kein so großes Problem werden", sie blickte aus dem Fenster, "um einen Linoleumboden zum kokeln zu bringen, gehört vermutlich ziemlich viel Wärme. Das bedeutet, dass er zum Abtauchen mindestens wieder genauso viel benötigt, was in der Kälte draußen mit Sicherheit nicht zu finden ist. Das könnte klappen."

"Das nächste Mal, wenn er Sie angreift müssen sie es unbedingt schaffen nach draußen zu rennen. Dann kann ich ihn vielleicht ...erschießen."

Scully sah ihn an. Er versuchte ihren Augen auszuweichen. Mulder hasste es zu töten. Es war nicht das erste Mal. Doch er hatte niemals anders als in Notwehr gehandelt. Diesmal war es anders. Sie planten von Vornherein jemanden zu töten. Obwohl der Fremde ein Mörder war, war es ein Schritt in etwas hinein, was nicht sie zu bestimmen hatten. Doch es war der einzige Weg. Würden sie ihn nicht vollständig auslöschen würde er sich im nächsten einigermaßen warmen Raum oder Klima einfach wieder in seine einzelnen Molekülteile auflösen und wieder auf Menschen - auf sie - losgehen. Er musste sterben.

Um das Schweigen zu unterbrechen sagte Scully, "Sollten wir nicht bald wieder aufbrechen? Sonst schaffen wir es nie zu dem Dorf."

Mulder nickte und sie begannen ihre Sachen einzupacken. Nachdem Mulder das Feuer gelöscht hatte, wagten sie sich wieder hinaus. Trotz der zitternden Kälte war Scully froh wieder der muffigen Hütte zu entkommen.

Es hatte die ganze Nacht durchgeschneit und sie hatten es schwer ihre Skier wieder zu finden. Heute versuchte Scully wieder alleine zu fahren. Es fiel ihr leichter als sie gedacht hatte. Langsam bekam sie ein Gefühl dafür. Sie sah zwar immer noch wie ein Idiot neben Mulder aus, aber wenigstens fiel sie jetzt nicht mehr bei jeder Gelegenheit hin. Nervös schaute sie sich von Zeit zu Zeit um. Ständig hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden. Sie wusste, dass ER sie jetzt nie angreifen würde, aber es beunruhigte sie trotzdem, dass Mulder vor ihr fuhr. So konnte sie plötzlich verschwinden, ohne dass er was merkte. Wie in diesen alten Horrorfilmen. Es war kindisch, aber unmöglich sich von dieser Angst zu befreien. Als wäre sie zurück in ihrer Kindheit, wenn sie sich nicht alleine in den dunklen Keller traute. Mit einem Griff an ihre Hüfte vergewisserte sie sich, dass sie ihren Revolver jederzeit griffbereit hatte.

Mit der Zeit wurde es anstrengender. Ein Muskelkater von gestern machte sich bemerkbar und der Schnee peitschte ihnen immer wilder ins Gesicht. Eine Kruste aus Eis legte sich auf ihre Gesichter und nahm ihnen den kalten, rauchigen Atem. Jeder einzelne Windstoß ließ tausende kleine Nadelstiche auf ihre Haut nieder regnen. Es wurde schwer den festen Tiefschnee wegzuschieben. Ihre Beine wurden immer wackliger, doch sie hatte keine Lust eine Pause zu fordern, fuhr Mulder doch noch immer ohne ein Zeichen der Erschöpfung neben ihr her. Sie biss die Zähne zusammen und als würde ihr Wunsch Befehl, standen sie plötzlich am Ende des abwärts gehenden Gefälles. Vor ihnen erhob sich in steilem Winkel der Abhang. Von jetzt an mussten sie zu Fuß weiter. Mulder drehte sich zu ihr um. "Eine Pause, Scully?"

Sie machten, dass sie ihre Skier los bekamen und schleiften sie hinter sich her zu einem nahe stehenden Wäldchen, wo der Schneesturm sie nicht mehr erreichte. Erschöpft bleiben sie unter einer Tanne liegen. Erst jetzt spürte Scully, wie steifgefroren sie war. Zitternd versuchte sie ihre Hände wieder zu bewegen. Mulder fragte, "Ist ihnen kalt?"

Mit einem ironischen Lächeln bemerkte Scully, "Nein. Nach was sieht es denn aus?"

Er rutschte ein Stück näher und legte seine Arme um sie. Verlegen ließ sie sich von ihm warm rubbeln. Langsam floss die Wärme wieder in sie zu zurück. Die Bartstoppeln von Mulders unrasierter Haut berührten ihr Gesicht und das prickelnde Kitzeln brachte wieder Gefühl in ihre Wangen zurück. Sie vergrub sich unauffällig in der warmen Höhle die Mulders Körper bildete. Ein angenehmer, vertrauter Duft, jetzt von jedem Aftershave entledigt, umhüllte sie. Scully wagte einen verstohlenen Blick zu Mulders Augen, den er unglücklicherweise bemerkte. Er schmunzelte: "Wenn ich das auch in Washington dürfte, hätte ich uns nicht in diese verzwickte Lage bringen müssen."

"Und wenn Sie das jetzt ernst gemeint hätten, dann hätten Sie einen Grund mehr mich festzuhalten; falls Sie nicht von mir erschlagen werden wollen", gab Scully zurück. Diese Anspielungen brachten sie immer extrem in Verlegenheit und sie hatte es wirklich schwer, das zu überspielen. Mulder wusste das sowieso und konnte es wahrscheinlich gerade deswegen nicht lassen; wofür sie ihm gern auf der Stelle eine geknallt und ihn gleichzeitig am Liebsten zu Boden geknutscht hätte.

Nachdem sie sich ein bisschen aufgewärmt hatten, packten sie ihre Sachen und bereiteten sich auf einen langen Marsch vor. Sie mussten mehrere Kilometer steil aufwärts gehen auf einem praktisch nicht vorhandenen Weg. Das spärliche Gestrüpp war das einzige, woran sie sich festhalten konnten, wenn sie ausrutschten, um nicht wieder den ganzen Hang hinunter zu rutschen.

Scully lag erschöpft auf einer Bank. Sie befand sich in der muffigen, Hütte, die Mulder und sie vor einer halben Stunde erreicht hatten. Unglücklicherweise gab es hier kein Feuerholz, also war Mulder in den Wald gegangen, um etwas zu schlagen. Sie hatte die Wahl zwischen alleine hier bleiben und sich noch mal aufzuraffen und in den Wald mitzugehen, gehabt. Nach einigem Zaudern hatte sie sich für das Erstere entschieden. Sie war völlig entkräftet. Einen weiteren Meter und sie wäre umgekippt. So war sie hier geblieben und hatte den Riegel vor die Tür geschoben. Seufzend machte sie sich nun daran, ein paar Sachen auszupacken, die sie für heute Nacht brauchen würden. Mit einem Küchenmesser schnitt sie sich etwas von dem Brot ab und kaute zerschlagen darauf herum.

Inzwischen hatte sich ihre Zuversicht verflüchtigt schnell nach Hause zu kommen. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper zitterte vor Anstrengung. Auf einmal war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie das überhaupt lebend überstehen würden. Schon allein die Idee zu Fuß, ohne Führer und mit knappem Proviant dieses Tal zu überqueren war wahnsinnig. Die Möglichkeit, dass ER wieder auftauchen würde, schwebte wie eine dunkle Wolke über ihr, unauffällig und jederzeit bereit wieder loszugehen.

Ein Scharren war an der Tür zu hören. Jäh wurde ihr bewusst, dass das nicht Mulder sein konnte. Sofort zog sie ihre Waffe. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch von heute morgen und schaute zum Fenster. Das milchige Glas war fest in den Rahmen eingeschweißt. Man konnte es nicht öffnen. Die Schläge gegen die Tür wurden heftiger und das Holz splitterte schon gefährlich. Da schnappte sie sich entschlossen, ihn diesmal nicht davonkommen zu lassen, eine Dose Bohnen und zerschlug das Fenster. Das Glas barst dröhnend und scharfe Splitter flogen ihr entgegen. Vorsichtig, sich immer wieder umschauend, stieg sie zwischen den scharfen Kanten hindurch nach draußen und zog gleichzeitig ihre Waffe. Das Splittern war nicht zu überhören gewesen. Es würde wohl nicht lange dauern, bis er kapierte, dass sie sich durch ein Fenster absetzte. Langsam schlich sie um die erste Ecke. Hinter der nächsten musste er sein, wenn er sich nicht von der anderen Seite näherte. Doch plötzlich schob sich ein dunkler Stiefel um die Ecke. Sie wollte hastig auf ihn schießen, als sie gerade noch rechtzeitig bemerkte, dass sie diesen Stiefel kannte. Es war wohl ziemlich unmöglich, dass der Fremde die gleichen Stiefel trug wie Mulder. Hatte sie sich geirrt? Vielleicht war er gar nicht hier und sie war wieder mal dabei sich lächerlich zu machen. Doch warum um Himmelswillen hatte Mulder nicht angeklopft und zertrümmerte statt dessen die Tür? Da stimmte etwas nicht. Mit einem großen Sicherheitsabstand näherte sich Scully der Ecke...

...und starrte in die grinsende Fratze ihres Verfolgers, der ein Messer gefährlich fest an Mulders Hals drückte. Er blitzte sie herausfordernd an. Scullys Atem wurde heftig und unruhig.

Mulder schaute sie beschämt und schuldbewusst an. Er keuchte gefährlich. Unter dem Druck des scharfen Messers hatte sich schon eine kleine Schnittwunde an seinem Hals gebildet. Mit krächzender Stimme flüsterte er: "Scully. Tu es. Erschieß ihn. Du hast gesagt du würdest alles dafür geben ihn loszuwerden. Erinnerst du dich? Jetzt hast du die Chance. Wenn du es nicht tust sterben wir vielleicht beide. Du schaffst es auch alleine. Bitte tu es."

Scullys Lippen begannen zu zittern. Ja sie erinnerte sich. Das hatte sie gesagt. War sie das gewesen? Ihre Finger bebten am Spann ihres Revolvers. Vielleicht würde Mulder es ja trotzdem überleben; wenn sie nur gut genug zielte. Doch sie sah ein, dass der Fremde in jedem Fall noch genug Zeit hatte, um Mulders Kehle aufzuschlitzen.

Kapitulierend warf sie den Revolver vor sich zu Boden. Triumphierend grinsend, ließ der Fremde Mulder zu Boden fallen und verschwand um die Ecke, um ins Haus zurückzuflüchten. Mulder richtete sich blitzschnell auf und griff nach seiner Waffe. Zusammen rannten sie hinter ihm her zu der kaputten Tür. Überrascht stellten sie fest, dass der Fremde sich noch immer im Zimmer aufhielt. Fassungslos starrte er sie an. Das erste Mal fand Scully einen Hauch von Menschlichkeit auf seinem Gesicht. Angst, oder Panik? Sie schloss die Augen und feuerte, jegliches Gefühl aus ihrem Körper verbannend. Als sie wieder aufblickte, lag er auf dem Boden. Sie hatte ihm einen glatten Kopfschuss verpasst. Langsam vergrößerte sich die Lache dunkelroten Blutes um seinen Kopf.

Die Morgensonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel und wurde von glitzerndem Schnee in alle Richtungen reflektiert. Erleichtert und zugleich niedergeschlagen stapfte Scully schweigend neben Mulder die einigermaßen flache Anhöhe hinauf. Das schlimmste Stück hatten sie hinter sich. Der gestrige Abend schien ihr meilenweit entfernt, als wäre es Jahre her. Sie wusste nicht warum sie ihn schließlich erschossen hatte. Sie hätte nicht gedachte dass sie es schaffen würde. Doch als sie ihn danach hinaus geschleift hatten, hatte sie nicht mal Reue gefühlt.

Mulder war seit gestern Abend sehr still. Er machte sich Vorwürfe, weil er das Ganze fast vereitelt hätte. Er war gerade mit einer Ladung Holz aus dem Wald gekommen, als er die Tür zersplittert vorfand. Bevor er seine Waffe ziehen konnte, hatte er plötzlich sein eigenes Küchenmesser am Hals gespürt.

Unvermutet fragte er jetzt: "Warum hat er sich wohl nicht rechtzeitig aufgelöst?"

"Ich weiß nicht genau, Mulder. Vielleicht war es nicht warm genug. Durch das kaputte Fenster und die zersplitterte Tür, ist vielleicht zu viel kalte Luft eingedrungen. Aber ganz genau werden wir es wahrscheinlich nie wissen."

Mulder nickte grübelnd. "Ist ja auch egal. Er ist jetzt tot. Für immer...!"

Langsam entfernten sich die Stimmen der beiden Agenten, von der Hütte. Tür und Fenster waren notdürftig mit Pappe abgedichtet. Vor der Tür zog sich eine lange Schleifspur, mit Blut benetzt durch den Schnee. Sie endete an einer Tanne, wo der Schnee vollkommen rot gefärbt war. Dort lag der Fremde, zusammengekrümmt, merkwürdig falsch und ungelenk auf seinem Rücken. Seine Augen waren geschlossenen, als schliefe er. Unvermittelt zuckte seine blasse Hand.



Ende
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