Scullys Apartment
23:16 Uhr
Sie lag reglos in ihrem Bett, ein aufgeklapptes Buch in den Händen, und starrte an die Zimmerdecke. Sie konnte es noch immer nicht glauben, dass sie ihm wieder einmal entkommen war – ihm und seinem kranken Fetisch. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte sie getötet. Ein eiskalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, als sie sich an die Ereignisse des Nachmittags zurückerinnerte. Sie hatte sich mit aller Kraft gegen ihn gewehrt – und war doch von ihm überwältigt worden.
Ihre Handgelenke schmerzten noch immer, nachdem er sie ihr am Mittag beinahe gebrochen hatte. Sie hatte so sehr gehofft, als sie von ihm hörte, dass er es diesmal nicht auf sie abgesehen hatte. Nicht schon wieder. Für sie verkörperte dieser Mann den Satan in Person. Er hatte ihr schon vor fünf Jahren wehgetan, sie beinahe ermordet – und das nur wegen ihrer Nägel und Haare. Donnie Pfaster war definitiv krank. Um nicht zu sagen: pervers. Und er jagte ihr, der sonst so starken Dana Scully, eine gewaltige Angst ein.
Sie war nie eine von den Frauen gewesen, die sich leicht einschüchtern oder herumkommandieren ließen. Scully hatte sich in ihrem Beruf in eine männerdominierte Welt begeben – und sich stets behauptet. Sie hatte ihren Kollegen immer wieder gezeigt, dass sie sie nicht unterschätzen durften, nur weil sie eine Frau war. Schon an der Akademie hatte sie es den Männern und auch sich selbst bewiesen, wie ungeheuer willensstark sie war. Selbst Mulder, ihr Partner, hatte eine Weile gebraucht, um zu erkennen, dass sie keinen Schutz benötigte. Ganz gleich, wie schwierig, gefährlich oder auch beängstigend ihre Fälle oftmals gewesen waren – sie hatte sich nicht unterkriegen lassen und immer hart gekämpft.
Doch dieser Mann, Donnie Pfaster, zerbrach ihre Kraft. Sie fühlte sich hilflos und ängstlich, als er sie erneut gefunden und gepeinigt hatte. Sie hatte mehr Angst vor ihm als vor irgendjemandem sonst. Denn sie war allein gewesen – bei beiden Malen, als er sie angegriffen hatte. Anfangs hielt sie es für einen schrecklichen Albtraum und hoffte, bald zu erwachen. Doch als ihr die grausame Realität durch Pfasters Schläge bewusst wurde, spürte sie es mit aller Härte: Es war kein Traum. Sie trat ihn, schlug ihn mit ganzer Kraft. Sie warf ihr schweres Bücherregal auf ihn, als sie ihn endlich am Boden hatte – und doch waren alle ihre Bemühungen, ihm zu entkommen, umsonst gewesen. Wieder hatte er sie eingesperrt – in einem Wandschrank.
Doch auch diesmal hatte sie nicht vorgehabt aufzugeben und sich ihm auszuliefern. Nicht kampflos! Nicht in ihrem eigenen Apartment! Das wäre nicht ihre Art gewesen. Bei der Erinnerung an den Kampf, der in ihrem Schlafzimmer stattgefunden hatte, schweiften ihre Blicke instinktiv durch den Raum. Noch immer lagen Scherben von zerbrochenen Lampen auf dem Boden, die sie nicht mehr aufgekehrt hatte. Das Regal hatte Mulder ihr wieder an die Wand gestellt und geholfen, die Bücher einzuräumen.
Sie wusste, dass sie Mulders Blick niemals vergessen würde – den Blick, als sie ihren Peiniger dorthin zurückschickte, wo er hergekommen war. In die Hölle ...
Sie wollte dieses Gesicht nie wieder in ihrem Leben sehen müssen. Sie hatte im Affekt gehandelt, und dennoch war sie sich ihrer Tat vollkommen bewusst gewesen. Sie wollte es. Ja, sie wollte, dass er sie für immer in Ruhe ließ. Scully wollte, dass er starb. Nicht nur, damit er sie niemals wieder erreichen konnte, sondern auch aus Rache – für all die Frauen, die ihm zum Opfer gefallen waren. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass er jemals wieder solche Gräueltaten begehen konnte. In diesem Moment holte sie sich das zurück, was er ihr genommen hatte: ihre Stärke und ihren Mut. Sie war wieder die starke Scully – die sich von niemandem Angst einjagen oder verletzen ließ.
Mulder war bis vor einer Stunde bei ihr geblieben, um sicherzugehen, dass sie sich beruhigt hatte. Er machte sich Sorgen um sie – wie immer. Sorgen und Vorwürfe, weil er es nicht hatte verhindern können. Doch Scully hatte ihm gesagt, dass es ihr gut gehe, und ihn gebeten, nach Hause zu fahren. Zuerst wollte er nicht gehen. Doch als sie wütend wurde, weil sie ihre Ruhe haben wollte, ließ er sich schließlich überzeugen.
Im Grunde tat es ihr leid, dass sie ihn fortgeschickt hatte. Dass sie sich wieder einmal vor ihm verschloss und ihre Gefühle nicht zeigte. Aber sie wollte es allein durchstehen. Der Gedanke, dass er immer ihr rettender Anker sein würde, schmeichelte ihr und missfiel ihr zugleich. Sie wollte aus eigener Kraft stark genug sein, um dieses Erlebnis zu überwinden. Scully brauchte diese Gewissheit.
Sie wollte nicht für den Rest ihres Lebens darauf hoffen müssen, dass Mulder sie rettete, wenn ihr etwas zustieß. Und sie wollte nicht ihr Leben lang an diesen Mann – an Donnie Pfaster – erinnert werden. Sie wusste, dass es nur einen Weg geben würde, dieses Erlebnis und die Furcht zu überwinden. Sie wusste es in dem Augenblick, als sie ihre Waffe entsicherte und ihn in die ewigen Jagdgründe beförderte. Sie sammelte all ihren Hass, ihren Zorn und auch ihre Furcht – schöpfte daraus neue Kraft – und besiegte ihn am Ende doch noch.
Sie war wieder frei. Frei von Angst. Sie war wieder Dana Scully. Die Scully, die sich nicht unterkriegen lässt und kämpft – bis zum bitteren Ende. Sie hatte es geschafft, wieder sie selbst zu werden. Ohne Mulder.
Sie legte ihr Buch beiseite und schaltete das Licht auf ihrem Nachttisch aus. Zufrieden mit ihrer Erkenntnis kuschelte sie sich in die Decke ein und schloss die Augen. Mit einem Lächeln auf den Lippen verfiel sie in einen ruhigen, tiefen Schlaf.
Ende
"Ich freue mich über jedes Feedback – sei es Lob, Kritik oder einfach ein kurzes 'Hat mir gefallen'. Deine Rückmeldung hilft mir, besser zu werden und dran zu bleiben."