World of X

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Warum nicht...?

von Shlaine Blaze

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Ich war immer der Meinung, dass ich stark sein müsste. Sich als Frau in einer Männerdomäne behaupten zu müssen, ist nicht leicht und es geschieht automatisch, dass man sich gewisse Abwehrreaktionen angewöhnt.

Ich dachte, dass ich hart sein müsste und meine Gefühle nicht zeigen dürfte, damit ich nicht als emotionales, schwaches Weibchen belächelt werde. Also hielt ich Distanz zu allen Personen, mit denen ich arbeitete, schlug jedes Angebot persönlicher Art aus und erhielt den Namen Ice-Queen.

Es ist erstaunlich leicht, sich abzukapseln. Das Einzige, was man tun muss, ist niemals etwas von sich preiszugeben. Ich sitze hier in einem Cafe, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ohne eine Erklärung bin ich vor einer Stunde einfach aus dem Büro gegangen und ziellos die Straßen hinunter gelaufen, bis ich mich entschieden habe, hier eine Pause zu machen. Dieses kleine Straßencafe schien so lebendig zu sein, keines dieser Starbucks, die immer wieder neu wie Pilze aus dem Boden schießen und mehr oder weniger gleich aussehen. Ich lehne mich zurück und atme tief aus, während ich mich langsam entspanne. Das hier ist das Spontanste, das ich seit langer Zeit getan habe. Darüber muss ich den Kopf schütteln. Mein Leben ist wirklich nicht das, was man normal nennen könnte und trotzdem ist das hier, das Verrückteste, das ich mir leisten kann. Eigentlich ziemlich erbärmlich. Nein, ich wollte nicht in Selbstmitleid versinken, denn ich weiß genau, dass das nichts bringt. Stattdessen konzentriere ich mich wieder auf meine Umgebung und widme mich dem sündhaft leckeren Schokoladenkuchen, den ich vor zehn Minuten bestellt habe. Das hier muss so eine Art Künstlercafe sein...Bilder an den Wänden, individuelles Design der Möbel und ausgefallene Gäste. Um mich herum herrscht ein ständiges Hintergrundgeräusch, angeregte Gespräche und zwei Tische weiter ist ein Streit im Gange. Soweit ich das von hier sehen kann, ist es ein junges Paar, das sich gerade anschreit und dabei nicht auf seine Umgebung zu achten scheint.

Es ist schön. Ja, ich weiß, dass das komisch klingt, aber es ist schön. Wenn ich immer so beherrscht bin, dann tut es gut, Emotionen -wenn auch nur indirekt- zu erleben und sie auf mich wirken zu lassen. Nachdenklich schiebe ich das letzte Stück Kuchen auf meinem Teller hin und her und mir wird bewusst, dass das hier eine dumme Idee war. Eigentlich sehr Mulder-like, sich einfach so aus dem Staub zu machen, nicht *meine* Art. Na wunderbar, ausgerechnet jetzt schaltet sich mein Gehirn wieder ein und erinnert mich daran, warum ich in der Regel, *erst* denke und *dann* handle. Man erspart sich die unangenehmen Konsequenzen. In diesem Falle, die nicht gerade einfache Aufgabe, Mulders Fragen aus dem Weg zu gehen. Einmal mehr die Es-geht-mir-gut-Mulder-Routine. Entnervt spieße ich schließlich das letzte Stückchen auf die Gabel und schlinge es hinunter. Ich habe es so satt. Nicht die Tatsache, dass ich praktisch kein Privatleben habe und ich meine Karriere für Mulders Kreuzzug geopfert habe, ist es, die mich so wütend macht. Es waren alles meine eigenen Entscheidungen, die ich, wenn ich wirklich darüber nachdenke, nicht bereue. Es war schon früher immer so, dass ich lieber mit den Jungs spielte. Anders als Missy, mit der ich nichts anfangen konnte. Für mich war es das Größte der Gefühle mit den Freunden von Bill und Charlie zu spielen. Streiche, verbotene Ausflüge in den Wald, das Bauen von Geheimverstecken...du nennst es, ich tat es. Es waren immer das Risiko und die Herausforderung, die mich interessiert haben. An ein Ereignis kann ich mich selbst jetzt noch genau erinnern. Es war ein Abend im Sommer, als Gene, ein Junge, den ich nicht ausstehen konnte, mit mir eine Wette abschloss. Ich war 11 und stand in Flammen vor Wut, weil er mir nicht zutraute, über eine kaputte Brücke zu balancieren. Prompt nahm ich an und setzte auf dem mehr oder weniger verfaulten Holzsteg einen Fuß vor den anderen. Als ich auf der anderen Seite angekommen war, grinste ich ihn herablassend an, weil ich gewonnen hatte und wollte wieder an das andere Ufer. Nach ungefähr zwei Dritteln brach ein Brett durch, ich stolperte und fiel in das ausgetrocknete Flussbett. Die ganze Aktion hatte mir einen gebrochenen Knöchel und zwei Wochen Hausarrest eingebracht, aber ich fühlte mich großartig und genauso ist es mit meinem Job. Ich weigere mich einfach, aufzugeben, bevor ich dieses Gefühl des Sieges spüre und ich weiß, dass es das wert ist. Das stört mich nicht und es war auch nicht der Grund, warum ich heute einfach alles stehen und liegen gelassen habe.

Schon um 9 Uhr heute Morgen konnte ich einfach nicht mehr. Ein paar achtlos eingeworfene Anspielungen von Mulder und meine sowieso schon gereizte Stimmung waren einfach zu viel. Letzte Nacht hatte ich kaum geschlafen und ich stand kurz vor dem sprichwörtlichen Zusammenbruch. Sexuelle Spannung zum Schneiden dick und ein zweideutiges Mulder-Grinsen zuviel. Das war es, ich musste raus.

Ich schaue auf meine Uhr und trinke den letzten Schluck Kaffee. Fast schon zwei Stunden sind vergangen seit meinem kleinen Ausbruch.

Ich gebe es zu, ich hasse es, dem einzigen Freund, dem ich zurzeit habe, meine wahren Gefühle nicht zu offenbaren. Die Möglichkeit, dass ich mich verrate, hängt wie ein ewiges Damoklesschwert über meinem Kopf und schaukelt und schaukelt. Was wäre eigentlich so schlimm daran, Mulder meine Liebe zu gestehen? Oh my, noch so ein Satz wie aus einer Seifenoper. Das ist eine Frage, die ich sofort abwürge, wenn sie mir in den Kopf kommt. Ich habe Angst, dass mein rationaler Verstand keine zufrieden stellenden Antworten liefern kann. Mulder würde mich nicht mehr respektieren, wenn ich sein Betthäschen wäre? Oh bitte! So eine schlechte Meinung hat er nicht verdient. Wenn er mich nach jahrelanger Zusammenarbeit und Unterstützung nach einer Nacht voller Leidenschaft nicht mehr als gleichwertig ansieht, dann ist er nicht der Mensch, für den ich ihn halte. Ob jemand unsere Beziehung dafür verwenden würde, uns in Misskredit zu bringen? Selbst wenn einige Leute im FBI uns gerne loswerden würden, ist es nicht so, dass uns ein Schatten folgt, der nur darauf wartet, Fotos unserer Schäferstündchen als Beweis zu knipsen. Zumindest hoffe ich das und ich weiß, Fox Paranoia Mulder, wäre da sicher anderer Meinung. Auch unsere...anderen, zwielichtigeren Gegner hätten nicht viel mehr gegen uns in der Hand, als sie sowieso schon haben. Ich wette, es gibt unzählige Bilder von Mulder, der sich selbstbefriedigt und Schnappschüsse von mir, wie ich meine Kiss-the-cook-Schürze trage. Alles in allem jedenfalls genug Material, um uns zu erpressen. Ja, die Frage, ob es zerstören würde, was wir haben. Hm, ich denke, dass kann ich mit einem Achselzucken abtun. Er und ich sind viel zu sehr voneinander abhängig, als dass wir es riskieren würden uns zu trennen. Als Partner und Vertrauenspersonen, meine ich.

Die Bedienung reißt mich aus meinen Grübeleien und lächelt mich freundlich an.

„Noch ein Stück Kuchen? Sie sehen aus, als würden Sie für Süßes sterben.“

„Nein, danke. Ich hätte gern die Rechnung.“

„Kein Problem, dauert nur einen Moment.“

Nachdem ich bezahlt habe, stehe ich auf und mache mich mit langsamen Schritten wieder auf den Weg zum Hoover Building. Die einzige Gefahr, die besteht, wäre die, dass Mulder mich nicht auf diese Weise liebt. Da halte ich mich selbst für eine mutige Person und bin nicht willens dieses Risiko einzugehen? Um Gottes Willen, der Mann ist Psychologe. Selbst wenn ich ihm mein Herz zu Füßen legen würde, denke ich nicht, dass er die Gelegenheit beim Schopf packt und fröhlich darauf herumtrampelt. Sicher wäre es schmerzhaft, aber ich würde es überleben. Was also hält mich davon ab?

Ich muss plötzlich grinsen und fühle mich viel befreiter als vorher. Der Entschluss ist also gefasst. Oh, ich bin so auf sein Gesicht gespannt, wenn er es hört. Situationen wie diese, das sind die wahren Polaroidmomente.

Plötzlich schießen mir Bilder durch den Kopf...Mulder, wenn er in meinen Armen aufwacht, Mulder, wenn er kommt, Mulder, wenn er schläfrig sein Gesicht in meinen Haaren vergräbt, Mulder nackt und mit Schokosauce...

Ohhhh ja, dieser Tag wird definitiv noch amüsant werden...





Continued in „Was zum...?“
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