World of X

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Kreft

von Eagle

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„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Diese Worte hallten in Scullys Kopf nach.

Sie stand auf und ging zum Fenster. Nachdenklich starrte sie in die Sterne. Sie waren die einzige Beleuchtung für ihr Gesicht. Es war Nacht, das Licht hatte sie aus. Doch Scully konnte schon wieder nicht schlafen. Zu viele Alpträume plagten sie -Alpträume an ihren letzten Fall, an Leonard Betts, an die Menschen, denen er Krebszellen herausoperiert und gegessen hatte, und an seinen Angriff auf sie. An seine Worte:

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Scully erschauderte. In ihrem Hinterkopf drängte sich immer mehr die Frage auf. Doch sie wollte -konnte- sie nicht zulassen. Das konnte doch nicht sein! Ausgerechnet sie! Wahrscheinlich hatte er sich bloß geirrt. Oder sie hatte es falsch interpretiert! Er war doch sowieso verrückt! Warum sollte sie irgendetwas von dem, was Mulder behauptet hatte, auch nur für entfernt glaubwürdig halten? Ein Mensch, der sich selbst regenerierte, dem Körperteile, Arme, Beine und sogar der Kopf nachwuchsen! Lachhaft! Sowas gab es doch höchstens in schlechten Science-Fiction-Filmen! In grottenschlechten! Wie sollte sich ein Mensch von Krebszellen ernähren? Wie hätte er die überhaupt normal verdauen können? Und dann noch Mulders Theorie, der Mensch würde sich nicht langsam, nach und nach, entwickeln, sondern in großen Schritten! Schwachsinn!

Scully versuchte, sich selbst von der Unglaubwürdigkeit Mulders zu überzeugen. Doch die Angst blieb.

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Krebs -das war für sie immer irgend etwas Fremdes, fast Unwirkliches gewesen. Natürlich, als Ärztin war sie schon einpaar Krebspatienten begegnet. Aber nie hatte jemand, den sie näher kannte, die Krankheit gehabt. Es war für sie etwas Ungreifbares, ganz weit weg. Natürlich kannte sie einpaar Fakten darüber, aber noch nie hatte sie sich persönlich damit auseinandersetzen müssen.

Krebs -das klang so fremd, als gehörte es nicht hierher.

Krebs -Scully dachte über den klang des Namens nach. Es hatte einen bitteren Beigeschmack.

Wuchernde Zellen, die sich viel öfter teilen als normale.

Als Ärztin kannte Scully selbstverständlich auch alle Zahlen darüber. Speziell mit Krebs hatte sie sich nie genauer beschäftigt, aber ein gewisses Grundwissen war unvermeidlich.

Die Krankheit war ein Mysterium. Zu viel blieb bis jetzt ungeklärt!

Wie enstand Krebs? Warum entstand er? Wieso bekamen ihn manche -und andere nicht?

Natürlich, wer viel rauchte oder in der Sonne brutzelte, bekam leichter Krebs, aber so etwas steigerte ja nur das Krebsrisiko und war nicht der alleinige Auslöser!

Doch was war er dann?

Es gab viele Gerüchte über Krebs, zum Beispiel, es sei vererbbar oder sogar durch Geschlechtsverkehr übertragbar! Das war natürlich völliger Blödsinn! Zwar war die Wahrscheinlichkeit groß, wenn viele in der Familie an der gleichen Stelle einen Tumor hatten, dass man dann auch einen dort bekam, aber das war keineswegs sicher. Doch die Wissenschaft auf diesem Gebiet war einfach zu weit zurück!

Scully seufzte. Sie hatte sogar schon Gerüchte gehört, Krebs zu haben sei unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto! Natürlich stimmte das nicht! Oder es bezog sich nur auf eine ganz bestimmte Art von Krebs. Doch allein Brustkrebs hatte jede achte Frau!

Sie schluckte. Manchmal wünschte sie sich, keine Ärztin zu sein und über vieles nicht so genau Bescheid zu wissen! Dadurch wusste sie zwar, dass schon im Mittelalter ein Gehirntumor erfolgreich herausoperiert wurde (und der Patient überlebt hatte), aber andererseits gab es immernoch viele Fälle, bei denen Menschen an Krebs, meistens in Lunge, Leber, Blut oder Gehirn, starben. Bei vielen Fällen waren die Ärzte ratlos.

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Scully drehte sich um. Trotz des schwachen Lichts konnte sie deutlich den Fleck auf ihrem Kopfkissen sehen. Sie hatte schon wieder Nasenbluten gehabt. Wie die letzten Nächte.

Nasenbluten -die ersten Anzeichen von Krebs.

'Ach was, Dana! Viele haben Nasenbluten und trotzdem keinen Krebs! Oder umgekehrt: Krebs, aber kein Nasenbluten!'

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Wie ein Echo hallten Leonard Betts' Worte in ihrem Kopf wieder. Hatte er das gemeint? Doch wie hätte er das feststellen können? Hatte er eine Art kernspintomographischen Blick oder sowas? Das war doch unmöglich! Es klang mehr nach einer von Mulders verrückten Theorien! Und Scully hatte auch noch nie etwas davon gehört, dass bei Krebs irgendwelche Duftstoffe oder so frei wurden, die er hätte riechen können. Also bitte! Das war doch lächerlich! Warum sollte sie so etwas bloß glauben?

'Du warst seine Geisel! Er wollte dir angst machen, Dana! Er brauchte eine Geisel, durch die er hätte fliehen können!'

Doch die Ungewissheit blieb.

Scully wandte sich ab und kroch wieder in ihr Bett. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Ihr Schlafanzug und ihre Bettwäsche klebten vor kaltem Schweiß. Sie stand wieder auf. Holte sich etwas zu trinken. Legte sich wieder in ihr Bett. Da kam ihr ein Gedanke. Vorsichtig tastete sie ihren gesamten Körper ab. War irgendwo ein Knoten zu spüren? Noch einmal befühlte sie sich. Gespannt, ängstlich, nervös. Doch sie fand abermals nichts. Nicht wirklich beruhigt schloss sie die Augen und versuchte zu schlafen.

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Ein Mensch, der die Zellen eines anderen aß. Ein Kannibale mitten in Amerika! Lachhaft!

Scully versuchte, einzuschlafen. Aber der Gedanke an Leonard Betts hielt sie wach. Draußen setzte bereits langsam die Morgendämmerung ein. Jetzt hatte es sowieso keinen Sinn mehr! Entnervt stand sie auf, schaltete das Licht an (so hell war es doch noch nicht) und machte sich ihr Frühstück. Nachdem sie es irgendwie heruntergewürgt hatte, schminkte sie sich. Mit besonders viel Puder. Damit Mulder weder ihre blasse Gesichtsfarbe noch ihre starken Augenringe bemerkte. Scully wusste natürlich, dass es nutzlos war. Sie seufzte und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Er hatte sie schon die letzten Tage so seltsam angeschaut....

'Habe ich Krebs?', diese Frage beschäftigte sie den ganzen Weg entlang.

Das konnte doch gar nicht sein! Warum ausgerechnet sie? Das war doch unwahrscheinlich! Oder? Was war, wenn sie doch Krebs hatte? Wie sollte sie darauf reagieren? Wie würden die anderen darauf reagieren?

Scully kam gedankenversunken im J.-Edgar-Hoover-Building an. Vielleicht gab es ja heute einen spannenden Fall, dem sie ihre Aufmerksamkeit schenken musste und der sie ablenkte!

Nicht wirklich daran glaubend trat sie in ihr und Mulders Kellerbüro ein. Er saß mit gelangweiltem Gesichtsausdruck an seinem Schreibtisch.

„Guten Morgen!“, begrüßte Scully ihn und fragte sich, was an diesem Morgen gut sein sollte. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch.

„Morgen. Alles in Ordnung bei Ihnen, Scully?“, fragte Mulder besorgt.

„Ja klar! Mir geht's gut!“, antwortete Scully ihre Standard-Antwort und versuchte, das Ziehen zu ignorieren.

Mulder stand auf und stellte fest: „Das glaub ich Ihnen nicht!“, er ging zu ihr hin und fragte: „Was ist los mit Ihnen?“ Sanft legte er seine Hand auf ihren Arm.

„Nichts!“, meinte sie steif.

"Sagen Sie es mir!", forderte er sie auf.

"Es ist nichts!", fast schrie Scully schon. Sie rang sichtlich mit ihrer Selbstbeherrschung.

"Hey! Ganz ruhig!", versuchte Mulder sie zu beruhigen "Wie kennen uns jetzt schon ziemlich lange! Sie können mir nichts vortäuschen! Erzählen Sie mir endlich, was los ist! Und behaupten Sie nicht wieder, es sei nichts! Das können sie mir nicht auftischen!"

Scully stieß seine Hand weg und zischte, am Rande der Verzweifelung: "Jedenfalls ist nichts, was Sie in irgendeiner Weise etwas angeht, Agent Mulder!"

Erschüttert ging Mulder wieder an seinen Schreibtisch zurück. Sie kannten sich schon seit Jahren und er vertraute ihr inzwischen bedingungslos. Und bis eben hatte er gedacht, sie täte das auch. Doch er hatte außerdem gedacht, sie wären nicht nur Partner beim FBI, sondern gute Freunde! Aber eben hatte sie ja mit dem 'Agent' überdeutlich darauf hingewiesen, dass dem nicht so war.

In dem Moment kam Skinner herein. Normalerweise hätte er die angespannte Stimmung der beiden sofort gemerkt. Doch im Moment war er zu wütend dazu. Er herrschte sie an: "Haben Sie die Berichte immernoch nicht fertig, Agents? Die der letzten fünf Fälle! Der letzten fünf!!! Keine anderen Agents arbeiten so langsam wie sie beide! Warum können Sie nicht, was alle anderen hier schaffen? Wenn Sie wenigstens ab und zu mal einen Fall vollständig lösen würden! Aber nein! Stattdessen verbrauchen Sie lieber noch ein bisschen Geld vom FBI! Ihre Unkosten sind katastrophal in die Höhe gestiegen! Was haben Sie dazu zu sagen?"

Beide schwiegen.

"Was haben sie dazu zu sagen?", wiederholte er mit noch etwas lauterer Stimme und hochrotem Kopf.

"Sir...es tut uns Leid....aber bei vielen Fällen ist es einfach unvermeidlich, dass wir vor Ort ermitteln.", sagte Mulder vorsichtig und mit eingezogenem Kopf.

"Ach! Und was machen Sie dort?", fragte Skinner gefährlich ruhig.

"Informationen einholen, Sir."

"Informationen einholen!", Skinner drohte zu explodieren "Und warum benutzen Sie dazu nicht das Internet?", er stürmte hinaus und rief noch einmal zurück: "Ich will alle Berichte spätestens um 12 Uhr in meinem Büro haben. Verstanden?"

"Ja, Sir.", murmelte Mulder und kurz darauf: "Püh! Endlich ist er weg!"

Doch da kam er wieder herein:"Haben sie etwas gesagt, Agent Mulder?"

"Äh...nein...." kurze Pause "...Sir...."

Mulder und Scully machten sich an die Arbeit. Scully war froh, dass sie sich mit den alten Fällen ablenken konnte. Zügig bearbeitete sie sie. Schon bald war sie fast fertig! Jetzt nur noch ein Bericht! Sie erstarrte: Der von Leonard Betts!

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Sofort war alles wieder da.

'Ganz ruhig! Beherrsch dich!', sie sammelte sich. Doch wie sollte sie anfangen?

'Leonard Betts ermordete' Aber wie viele hatte er denn umgebracht? Das war noch ungeklärt! Scully löschte seufzend den Text wieder und fing neu an:'Es ist unbekannt, wie viele Menschen der Serienkiller Leonard Betts umgebracht hat. Sein Motiv' Aber was war denn eigentlich sein Motiv? Sie konnte ja wohl schlecht schreiben, er tötete, um die Krebszellen seiner Opfer zu essen! Genervt löschte sie auch diesen Anfang. Scully schaute auf die Uhr. Schon kurz vor zehn!

"Ähm, Mulder, ich muss nochmal weg! Können Sie den Bericht über den letzten Fall für mich übernehmen?"

"Klar! Welcher denn?", fragte Mulder zwischen einem Berg von Akten, Beweismaterial und Notizzetteln hervor.

"Der mit Leonard Betts."

"Dann müssen Sie mir noch erzählen, was genau passiert ist, als er Sie in seiner Gewalt hatte!"

"Das Übliche...Er hat mich bedroht, ich habe mich gewehrt und wurde dann befreit...", versuchte Scully sich herauszuwinden.

"Also, das können Sie mir nicht erzählen, dass Sie schon so abgebrüht sind! Was ist da vorgefallen? Sie sind seitdem so...so....", er suchte nach einem passendem Ausdruck.

"Nichts!", erwiderte Scully eisig "Zumindest nichts, was für die Firma weiter interressant sein dürfte!" Damit ging sie hinaus. Mulder schaute ihr traurig hinterher. Der Hinweis, dass er sich nur wegen der Arbeit nach ihr erkundigt hatte, verletzte ihn.

Scully stieg in ihr Auto und fuhr los. Zum Krankenhaus. Dort warteten die Ergenbnisse jetzt auf sie.

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Da war die Stimme wieder. Sie hallte in Scullys Kopf. Gleich hatte sie Gewissheit!

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Ängstlich betrat sie das Krankenhaus.

Entsetzt kam sie wieder raus.

Im Auto holte sie als erstes ihr Handy und wählte eine Nummer.

"Assistent Director Skinner?"

"Sir, hier ist Scully..."

"Was ist?"

"Ich wollte mir für den Rest des Tages freinehmen, Sir."

"Warum denn das?"

Sie hatte einen Blick in ihre Akte erhascht: bösartiger Gehirntumor

"Private Probleme, Sir."

"Sie wollen nicht darüber reden? Na gut. Sie bekommen den restlichen Tag frei."

Geschätzte Lebensdauer: höchstens zwei Jahre

"Danke, Sir."

"Auf Wiederhören."

"Auf Wiederhören, Sir."

Scully startete den Motor und fuhr los. Zu ihrer Mutter. Mit dem Wissen, jeden Moment sterben zu können. Sie wusste nicht, wie. Da blieb offen. Es konnte sein, dass sie mitten in einem gefährlichen Fall, bei einer Geiselnahme, einer Schießerei oder wenn sie mit Mulder mal wieder irgendwo einbrach, einfach zusammmenklappte. Oder sie war bald so geschwächt, dass sie den Rest ihres Lebens nur noch im Krankenhaus verbrachte und vor sich hinvegetierte.

Ihre Mutter schloß Scully sogleich in die Arme. Scully war völlig fertig. Wild schluchzend klammerte sie sich an Maggie. Doch sie war noch nicht dazu bereit, es zu erzählen. Nicht, weil sie ihrer Mutter nicht vertraute, im Gegenteil, aber sie hatte den Schock noch nicht so weit verarbeitet, dass sie darüber reden konnte.

Maggie machte ihr einen Tee und kümmerte sich um sie. Doch sie hatte keine Ahnung, was mit Dana los war. Noch tippte sie auf einen Streit mit Mulder.

Etwas später lag Scully heulend auf ihrerm Bett. Endlich konnte sie alles rauslassen. Es klopfte.

"Komm rein..."

Doch es war nicht ihre Mutter. Es war Mulder!

"Was mache Sie denn hier?"

"Ich wollte schauen, was mit Ihnen los ist! Sie sind zum Krankenhaus gefahren, als Sie wiederkamen, haben Sie sich freigenommen und sind zu Ihrer Mutter gefahren. Das klingt nicht so, als wäre alles normal!"

"Woher wussten sie, dass ich hier bin?"

"Ich wollte Sie anrufen, aber Sie hatte Ihr Handy aus. Dann habe ich den Ort Ihres Handys heraussuchen lassen und bin hergekommen. Also, was ist los?"

Scully schluckte schwer. Sollte sie es ihm sagen? Konnte sie es ihm sagen?

"Ich habe Krebs."

Drei Worte. Eigentlich war es ganz leicht gewesen. Und jetzt hatte sie es ihm gesagt. Jetzt wusste er Bescheid.

"WAS???"

Scully nickte "Gehirntumor." eine Träne floss über ihre Wange.

"Oh mein Gott! Scully!", Mulder umarmte sie vorsichtig.

Scully klammerte sich fest an ihn und erzählte ihm alles: Dass sie noch höchstens zwei Jahre zu leben hatte, dass Leonard Betts sie deshalb gefangen genommen hatte und von sienen Worten:

„Sie haben etwas, das ich brauche.“

Mulder alles zu erzählen, war für sie eine große Erleichterung, das spürte sie. Sie musste mit jemandem darüber reden. Nachdem sie geendet hatte, bat sie ihn: "Bitte gehen Sie jetzt! Ich muss kurz allein sein!"

"Natürlich! Wenn sie irgendetwas brauchen, sagen Sie Bescheid!

"Mach ich! Danke! Für alles!"

"Dafür hat man doch Freunde!", er ging.

Als Scully an diesem Abend ins Bett ging, konnte endlich schlafen.

Mitten in der Nacht wachte sie auf.

Wie letzte Nacht ging sie zum Fenster.

Die Sterne leuchteten ihr ins Gesicht.

Sie wollte es schaffen.

Sie wollte leben!





Ende
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