World of X

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Their Way

von Konstanze Faust

Kapitel 1

3.04.2001



“Ich glaube, daß wir den Bericht auch noch morgen schreiben können. Ich bin ziemlich müde. Gute Nacht, Mulder.”

“Nein, Scully, wir müssen reden.”

Verdammt, wie hätte sie auch denken können, daß er die Angelegenheit von heute Nachmittag einfach vergessen würde. Sie hatte die Nerven verloren und in dem Moment, in dem es passiert war, begann sie es schon zu bereuen - in was für einer Situation befand sie sich, ihre eigenen Gefühle zu *bereuen*, weil sie wusste, daß ein Gespräch wie dieses kommen würde. Es war immer das gleiche, Mulder machte sich für alles verantwortlich. Und seit sie beide zusammen waren, umso mehr. Er glaubte wohl, daß Scully so eine Last nicht zu tragen imstande war und daß es immer einen Sündenbock geben musste, für das, was passiert war. Besonders die erste Tatsache ärgerte Scully. Sie dachte schon oft genug bewiesen zu haben, etwas aushalten zu können.

‘Vielleicht denkst du jetzt zu trotzig,’ schalt sie sich in Gedanken. Denn innerlich meinte er es sich nur gut, auch wenn es sie oft zur Weißglut trieb. “Mulder?” fragte sie so neutral und ahnungslos sie konnte und begegnete seinem Blick. Die Intensität in seinen dunklen Augen war nicht zu leugnen und sie sagten ihr schon so gut wie alles, als er schließlich anfing zu sprechen. “Scully... bitte setz dich.” Er ließ ihre Hand los und gab ihr somit die Kontrolle, was sie machen konnte. Nur sein flehender Blick lastete auf ihr. Sie seufzte. “Okay, Mulder. Über was willst du reden?”

“Du weißt es ganz genau.” Seine Stimme war eine Spur zu wütend, doch Scully blieb ruhig, weil er seinen Fehler selber gemerkt hatte. Er holte tief Luft und sprach weiter. “Scully, du weißt es doch. Heute Nachmittag. Das Fax.”

Ja, das Fax. Sie wusste doch, daß er es nicht ruhen lassen würde. In den fünf Wochen, in denen sie nun zusammen waren, hatten sie stets streng darauf geachtet, ihr Privatleben von der Arbeit fernzuhalten. Sie berührten sich nicht und vermieden es, in der Öffentlichkeit allzu intime Blicke zu teilen. Doch heute nachmittag war das nicht mehr möglich gewesen.... der Druck, der sich mit der Zeit aufgestaut hatte, war mit einem Schwall aufgebrochen. Und daß, obwohl sie nicht einmal wussten, von wem das Fax stammte. Es hatte nur wie ein Schalter funktioniert; ein Hammerschlag, der ein Loch schlug, durch das alles unverhinderlich herausströmte.

“Was ist mit dem Fax, Mulder?” Sie waren wirklich gut darin, um den heißen Brei herumzureden. Besonders sie hatte es jahrelang gemacht, obwohl Mulder ganz genau wusste, wie es ihr ging oder was sie dachte. Das war schon von Anfang an so. Sie erschaffte sich so nur die Illusion, undurchschaubar zu sein. Selbst jetzt noch.

Mulder ließ sich nicht täuschen; er kannte auch diese Eigenart von ihr nur allzu gut. Doch er war müde, das schon so oft gespielte Spiel erneut mitzumachen und kam auf den Punkt. “Du hast doch schon geahnt, daß es andere Kinder wie Emily gibt. Es ist mir klar, wie sehr dich das trifft, aber meinst du nicht, daß wir der Sache nachgehen sollten?”

Er ließ nicht locker. Scully fühlte irgendeine Art von hartem Brennen in sich aufkommen und schluckte es runter, in der Hoffnung, daß man es ihr nicht ansehen konnte. “Was hätte das für einen Sinn, Mulder?” Ihre Stimme schwankte ein wenig.

“Es sind Kinder, Scully. Wir sind wahrscheinlich die einzigen, die darüber wissen und ihnen helfen können. Wir müssen es versuchen....” Er sprach leiser, sanfter. “Außerdem weiß ich, wie viel es dir bedeutet.”

Er traf nicht nur der Punkt, er traf sie direkt. Mulder wusste immer, wie er sie innerlich zum Schwanken bringen konnte. “Wie viel bedeutet es dir denn, Mulder?”

Er musste einen Moment nachdenken, aber sie schien ihn nicht so einfach aus der Ruhe bringen zu können. Zumindest äußerlich nicht. Es war schon ein verrücktes Versteckspiel, daß sie durchführten. “Ich will, daß du glücklich bist.”

“Meinst du es macht mich glücklich, all diese Kinder sterben zu sehen?” Die Worte, die die Emotionen beschrieben, die heute Nachmittag aus ihr heraus gebrochen sind, sprudelten in ihr über. “Sicher brauchen sie unsere Hilfe, aber was ist.... wenn sie so sind wie Emily?”

Er tastete vorsichtig nach ihrer leicht zitternden Hand, darauf bedacht, daß sie sich nicht zurückzog. Als sie ihre Finger um seine Schloss, legte er noch seine andere Hand trostspendend auf die andere Seite, beschützte ihre - schon fast symbolisch zu dem was er sagte-. “Scully, es ist ein Staatskrankenhaus. Ich habe die Einsamen Schützen sich in die Datenbank hacken lassen... die Kinder sind okay.”

Scully presste ihren Mund zusammen. ‘Verdammt, zügel dich!’ Wie in riesigen Wellen wurden die Gefühle wieder in ihr hochgespült. Ihr Magen brannte und sie war fast nicht imstande zu reden. Mit einem harten Schlucken versuchte sie die säuerliche Masse von Emotionen zu verdrängen, doch außer einem Brennen in ihrer Luftröhre änderte sich nichts. “Bist.... du sicher, Mulder?”

Mulder nickte langsam und holte ein Blatt Papier aus dem Stapel, der neben seinem PC lag. Einige schwarz-weiß Fotos von Kleinkindern waren darauf abgebildet. Große, helle Augen blickten Scully an, und sie musste mit einer weiteren Welle von Emotionen in sich kämpfen. “Das ist Julian,” erklärte Mulder ruhig,” zwei Jahre alt. Er ist in dem Krankenhaus geboren wurden, seine Leihmutter, die ihn austrug, starb bei der Geburt. Der Vater ist unbekannt.”

Er zeigte auf das nächste Foto. “Sophia, ein Jahr alt, künstlich erschaffen, Leihmutter verschollen.” Ein weiteres. “Steve, eineinhalb Jahre, künstlich erschaffen, zur Adoption freigegeben....”

Scully entriss sich mit aller Kraft die sie hatte aus seinem Griff. “Mulder, hör auf!” Sie achtete nicht auf die kühle Träne, die ihre Wange herunterfloss. “Was willst du damit denn erreichen?? Denkst du, wir können 3 oder noch mehr Kinder adoptieren? Was für ein Leben könnten wir ihnen denn bieten?” Der Ton in ihrer Stimme war etwas zwischen einem Flehen und einem wütenden Schrei, dafür, daß er sie so quälte. Vielleicht war es der Stress heute Nachmittag, der sie so emotional handeln ließ. ”Mulder....”

“Scully, ich will doch nur, daß die Kinder in Ordnung sind. Ich will doch nur, daß wir hingehen und überprüfen, ob das Krankenhaus sauber ist.”

Sie seufzte erschöpft und blickte auf die Fotos. Der Wunsch, diese Kinder im Arm zu halten, sich um sie zu kümmern, wuchs plötzlich in ihr. Der irrationale Wunsch - entgegen dem, was sie Mulder gesagt hatte, was sie ihm ins Gesicht geschrieen hatte - für diese kleinen Geschöpfe mehr als nur die biologische Mutter zu sein. “Okay, Mulder,” sagte sie resignierend, hatte sie in sich mehr oder weniger doch den selben Wunsch wie Mulder.

“Danke,” flüsterte er.

“Bedank dich nicht, Mulder. Ich tue es nicht für dich, sondern für die Kinder.” Der harte und bittere Ton in ihrer Stimme schienen ihn verletzt zu haben. Ein huschender Schatten legte sich über seine Augen und rutscht ein wenig zurück in seinem Bürostuhl.

“Ich würde jetzt gerne nach Hause gehen,” sagte Scully und war erstaunt über den sanften Klang ihrer Stimme, obwohl sich in ihrem Bauch noch der saure Nachgeschmack der in ihr aufgewühlte Gefühle befand, von eben und von dem ganzen Tag.

“Okay, Scully....” brummte er und drehte sich zu seinem Computer. Scully ging zu ihm und spürte plötzlich in sich den Impuls, ihn zu küssen. Die emotionale Achterbahnfahrt des heutigen Tages war noch lange nicht zu Ende. Sie war sich sicher, heute Abend nicht schlafen zu können, aber sie wollte einfach wieder zurück in ihre Wohnung.

Doch sie hielt es nicht aus, ihn hier zurückzulassen, auch wenn er wütend auf sie war. Sie wollte ihn schon fast bitten, mit ihm zu kommen, als er sich, als sie nicht ging, umdrehte und ihr in die Augen sah, mit einer Mischung aus Schmerz und etwas, daß sie nicht ausmachen konnte. “Ist noch etwas, Scully?” fragte er leise.

Sie nickte. “Wann willst du heimgehen?” Der Sturm in ihr hatte sich etwas gelegt.

Sie spürte, wie er tief einatmete. “Später.” Es war nicht das, was er wollte. Es war nur ein trotziger Ausdruck für ‘Ich würde alles dafür geben, mit dir zu kommen, aber du hast mich verletzt und wenn du dich nicht entschuldigst, dann leide ich halt allein.’

Scully schüttelte den Kopf und strich ihm sanft über seine Haare. Sie liebte das weiche, seidenartige Gefühl seiner Haare zwischen ihren Fingern. “Mulder....” Sie atmete noch mal tief ein. “Es tut mir leid. Ich wollte nicht so grob sein. Es ist nur....”

“Ich versteh schon.” Sein Stolz war gebrochen und Scully fühlte Erleichterung in sich aufkommen. Es war eine Seltenheit bei Mulder, daß er nicht darauf bestand, daß sie das aussprach, was er sowieso schon allein durch ihre Körpersprache oder ihren Blick wusste. “Ich wollte dich auch nicht so drängen, Scully.”

Sie küsste ihm sanft auf den Kopf und streichelte dann zärtlich über die Stelle. Das waren die Momente, in denen sie genau wusste, warum aus ihrer Partnerschaft mehr geworden war. “Lass uns nach Hause gehen, Mulder.”



XXX



Zwei Monate früher



Es war auf keinen Fall eine gewöhnliche Nacht. Immerhin war es Vollmond und bei dem hellen Licht, daß in diesen Nächten immer herrschte, hatte Scully noch nie gut schlafen können. Früher, als Kind hatte ihr ihre Mutter erzählt, daß sie oft schlafgewandelt sei, besonders bei Vollmond. Sie hatte diese Tatsache immer sehr beunruhigend gefunden, aber seit sie mit Mulder arbeitete noch mehr, denn es wäre ihr mehr als peinlich plötzlich in seinem Hotelzimmer aufzuwachen. Ganz zu schweigen von dem Schrecken, den ihr das zufügen würde.

Aber jetzt war sie noch weit von diesem Zustand entfernt. Sie lag weit ausgestreckt auf dem sperrigen Motelbett - selbst bei offenen Fenster war es hier in Texas im Juli noch mörderisch heiß - und wälzte sich ungeruhig hin und her. Sinnlose Gedankenfetzen flogen ihr durch den Kopf; sie konnte keinen greifen, aber ebenso wenig war sie imstande, nicht zu denken. Das fiel ihr in den letzten paar Monaten sowieso immer schwerer, besonders, wenn Mulder nur ein Zimmer weiter schlief. Sie musste es sich eingestehen - sie hatte sich in ihn verliebt. Zuerst wollte sie sich einreden, es wäre eine ganz normale biochemische Reaktion darauf, seit Jahren mit einem attraktiven - und er war attraktiv - Mann zusammenzuarbeiten, vor allem, das sie ja noch ledig war. Doch mit der Zeit erkannte sie, daß es mehr war. Es war seine ganze Art, seine Bewegungen, alles das so ER war, was sie an ihm faszinierte. Natürlich hatte sie es ihm nie gesagt. Wie konnte sie auch.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, nicht so etwas Romantisches wie in Hollywoodfilmen. Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, da wusste sie zwar, daß sie mit diesem Mann ab jetzt klarzukommen hatte, aber sie hatte sich bei seinem Händedruck nicht gewünscht seine beste Freundin zu werden - geschweige denn ihn zu heiraten. Es war mit der Zeit passiert, und das war etwas, was für Scully völlig ungewohnt war. Normalerweise verliebte sie sich immer schlagartig in Männer. Doch das hier war etwas anderes.

Es war ein langsamer Prozess von Beobachten und eine sanft aufkeimenden Zuneigung, die sich eines Tages in Liebe verwandelte, was nicht vorauszusehen war.

Sie seufzte leise und drehte sich erneut um, um die wirren Gedanken praktisch an ihrem Kissen abzustreifen. Es war ein alter Film, der schon tausendmal in ihrem Kopf abgelaufen war und diese Endlosspule begann, sie verrückt zu machen. Plötzlich klopfte es an der Verbindungstür zwischen ihrem und Mulders Zimmer. Sie zuckte unwillkürlich zusammen. “Scully?”

“Ja, Mulder?” antwortete sie automatisch.

“Darf ich reinkommen? Ich kann nicht schlafen.”

Sie musste bei dem flehenden Ton in seiner Stimme grinsen. “Mulder, weißt du, wie spät es ist?”

“Bitte, Scully.” Sie lachte leise - etwas, was sie vor ihm so gut wie nie tat - und die Stille der Nacht, vermischt mit seiner Stimme, bereitete ihr trotz der gewissen Lustigkeit der Situation Herzklopfen. Schließlich antwortete sie. “Okay, Mulder, komm rein.”

Er öffnete die Tür und bei dem fahlen Licht des Vollmonds konnte sie ihn im Türrahmen stehen sehn. Er trug ein weißes T-Shirt und schwarze Boxershorts und seine Haare waren -wahrscheinlich durchs viele schlaflose Herumwälzen - wild verstrubbelt. Scully verkniff sich ein Grinsen. “Danke, Scully.”

Er trat herein, setzte sich neben ihr Bett und lehnte sich an die Bettkante. Das streifenartige Licht, das durch die Jalousien drang, bedeckte sie mit breiten hellen Streifen und Scully holte ein gewisser Déjà-vu-Effekt ein. Sie streifte die durchgeschwitze Decke von sich und stütze ihren Kopf auf ihre Hand, um Mulder ins Gesicht sehn zu können. Sie konnte seinen Nachtgeruch riechen und zwang sich entgegen des Schauderns, das durch ihren Körper floss, nicht die Augen zu schließen. Stattdessen fing sie an zu reden.

“Weißt du, Mulder, ich kann ehrlich gesagt auch nicht schlafen.”

“Das habe ich mir schon irgendwie gedacht.” Er lächelte leicht. “Du hast gleich geantwortet. Ich mag Vollmondnächte irgendwie nicht.”

Sie konnte sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. “Wegen den Werwölfen, Mulder?”

Er spielte ihr Spiel mit. “Eigentlich weniger. Sie wissen doch, daß die mit Silberkugeln vernichtet werden können und davon habe ich ja genug in meiner Dienstwaffe. Es ist mehr diese Helligkeit... eigentlich glaube ich weniger an Astrologie.”

Scully machte ein übertrieben überrascht gespielte Gesicht. “Bitte, Mulder? Es gibt etwas Übersinnliches, an das Sie *nicht* glauben?”

“Tja, auch ich habe meine Fehler.” Er grinste sie an. “Warum konnten Sie nicht schlafen?”

Scully spürte ihr Herz hart und schnell gegen ihre Brust schlagen. ‘Willst du das wirklich wissen, Mulder?’ “Wahrscheinlich das gleiche. Und es ist unerträglich heiß hier.” Sie war glücklich darüber, daß es immer noch dunkel genug war, um ihr eng an ihr klebendes helles Satinnachthemd zu sehen.

“Stimmt....” brummte er. Dann sagten sie beide eine Weile nichts. Scully blickte ihn von der Seite an, während er scheinbar die gestreiften Schatten an der anderen Wand beobachtete. Hier in der Nacht konnte sie noch deutlich seine außergewöhnlichen Gesichtszüge sehen und seine Haut wirkte viel gleichmäßiger unter dem silber-blauen Licht, daß sein Gesicht bedeckte. Sein T-Shirt hing locker über seinen Oberkörper, seine Boxershorts verdeckten seine schlanken, muskulösen Beine nur bis zu den Oberschenkeln. Sie konnte direkt seine Körperwärme spüren. Wenn sie nur ein Stückchen näher.... ‘Hör auf, so zu denken. Hör auf. Hör auf. Hör auf.’

Dann blickte er zu ihr hinüber. Scully drehte ihren Kopf schlagartig - etwas zu schlagartig - und fühlte sich ertappt. Sie war froh, daß die Röte, die sie auf ihrem Gesicht brennen fühlen konnte heute Nacht nicht zu sehen war.

“Alles in Ordnung, Scully?”

Sie nickte heftig. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. “Natürlich, Mulder. Ich war nur nicht so ganz bei der Sache.” ‘Weißt du wie das klingt?’ Sie konnte sich ohrfeigen. Doch Mulder schien ihre Erklärung zu reichen und auch wenn er etwas gemerkt hatte - er ließ es sich nicht anmerken. Manchmal wünschte sich Scully, *daß* er sich etwas anmerken lassen würde. Dann wäre es für sie vielleicht leichter. ‘Hör auf so zu denken!’ wiederholte sie den Satz in ihrem Kopf, der schon fast zu eine Art Mantra für sie geworden zu sein schien.

“Reisen wir morgen wieder ab, Mulder?” wich sie auf Smalltalk aus.

“Ja, wahrscheinlich schon. Der Fall war dann wohl doch keine X-Akte.”

Sie hatten nach dem Geist eines alten Farmers auf einer Farm hier in der Nähe gesucht, doch es hatte sich herausgestellt, daß die Gestalt, die der Familie höllische Angst gemacht hatte, ein gehörloser Einsiedler gewesen war, der dachte, daß die Farm unbewohnt war.

“Nein, das war es wohl nicht.”

“Offensichtlich....” Mulder seufzte leise, was ihr eine Gänsehaut verpasste. Es waren die kleinen Sachen an ihm, die sie auf diese Art verrückt machten, das hatte sie schon seit längerem gemerkt. “Hast du eine schöne Gute-Nacht-Geschichte, Scully?”

Auf seine ungewöhnliche aber irgendwie doch sehr Mulder-artige Frage musste sie lächeln. “Eine Gute-Nacht-Geschichte, Mulder?”

“Ja, irgendetwas nettes, mit einem Happy-End.” Er grinste sie bettelnd an. “Scully, du musst doch eine kennen.”

Sie lächelte melancholisch und stieß einen Laut zwischen einem Seufzen und einem leisen Lachen aus. “Okay, Mulder. Ich glaube, ich kenne eine....”

“Warte kurz, Scully!” Sie blickte ihn erstaunt an, als er aufsprang und sich plötzlich neben sie aufs Bett legte. Ihr Herz blieb stehen, doch wieder einmal schien er davon gar nichts zu bemerken und blickte sie nur erstaunt mit seinem Unschuldsblick an. “Ist irgendetwas, Scully?”

“Mulder...” stieß sie aus. Sie hoffte, nicht allzu glücklich überrascht ausgesehen zu haben. Es würde Mulder wohl ein völlig neues Bild von ihr geben... eins, daß sie ihm niemals offenbaren wollte, doch ihr Herzklopfen sagte ihr etwas anderes. Schließlich fand sie wieder ihre Sprache wieder. “Mulder, was machst du auf meinem Bett?”

“Na ja, ich weiß, daß es gegen die Vorschriften verstößt, aber was ist, wenn ich plötzlich einschlafe? Du willst mich doch nicht auf dem Fußboden schlafen lassen??” Seine Stimme klang gespielt empört.

Scully musste grinsen. “Okay, Mulder, du darfst liegen bleiben. Aber ich bekomme die Decke.”

Sie versuchte so gut es ging, ihre Verlegenheit mit Humor zu überspielen. In Wahrheit hatte sie panische Angst davor, mit ihm in einem Bett zu schlafen. Doch wenn sie ‘Nein’ sagen würde.... Er könnte denken, sie würde ihn loswerden wollen oder noch schlimmer... er könnte die Wahrheit vermuten. Die größte Anstrengung, die sie zu Zeit bei dem Gefühl seines warmen Beines an ihren hatte, war, ihren Atem und besonders ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.

“Okay, die Gute-Nacht-Geschichte. Es ist eine alte taiwanische Sage, die mir meine Mutter mal erzählt hat.”

Sie musste lächeln, als Mulder seine Augen schloss und nur ihren Worten zu lauschen schien. Sie unterdrückte das Verlangen, ihm über den Kopf zu streichen. Sie war sich sicher, daß er seinen Vorschlag als Scherz gemeint hatte, aber wie er jetzt so friedlich dalag... Er schien ihr einmal mehr elf zu sein, ein süßer Junge, der ohne seine Gute-Nacht-Geschichte nicht schlafen will. “Vor hundert Jahren lebten auf einer Insel in Taiwan ein Mann und eine Frau glücklich zusammen. Sie hatten die große Liebe gefunden, doch eine Tages schwamm der Mann mit dem Boot heraus und kam nicht wieder zurück. Die Frau war so verzweifelt, daß sie ihm nach schwamm. Seitdem wurden sie nie wieder gesehen. Einige sagen, daß sie Delphine geworden sind, denn seit diesem Tage kamen Delphine auf zu der Insel und sind immer noch dort, bis zum heutigen Tage....”

“Schöne Geschichte,” murmelte Mulder mit geschlossenen Augen. An ihrem Bein fühlte sie, wie er sich entspannte, denn seine wurden lockerer. Die Körperwärme, die er ihr gab, bereitete ihr Herzklopfen, doch gleichzeitig wurde sie ein bisschen müder dadurch.

“Erzähl du doch mal eine, Mulder.” Irgendwie war sie neugierig darauf, ob Mulder auch Geschichten kannte. Mulder brummte unwillig. “Ich kann so was nicht. Ich kenne noch nicht einmal Geschichten.”

Scully ließ es fallen und schmiegte sich gegen ihr Kissen. Sie konnte ihn deutlich riechen, spüren. Seine Wärme war trotz der heißen Luft nicht unangenehm. Ein glänzender Schweißfilm haftete auf seinem Gesicht. Sie hatte das Verlangen, jeden einzelnen Schweißtropfen wegzuküssen.

‘Hör auf, so zu denken!’

Was war das nur für eine Situation? Der Mulder, der neben ihr lag, vermischt mit der Hitze einer Vollmondnacht in Texas hatte einen sehr surrealen Anstrich. Irgendetwas an dieser Situation brachte sie zum Lächeln.

Sie dachte gerade daran, daß manche Dinge vielleicht doch zu ändern waren, als sie schließlich der Schlaf übermannte...



XXX



5.04.2001



Das war es also. Das Krankenhaus, daß ihre letzten zwei Nächte zu zwei schlaflosen gemacht hatte. Mulder hatte zwar neben ihr gelegen, aber er hatte nicht gemerkt, wie sehr sie sich herumgewälzt hatte, grübelnd, welcher Schmerz oder welche Enttäuschung auf sie zukommen könnte. Als er – wie es schien – friedlich geschlafen hatte, gingen ihr die Gedanken einfach nicht aus dem Kopf. Und nun sah sie es. Von außen sah es eigentlich völlig harmlos aus. Weiß, mit einigen Bäumen davor, einem weiträumigen Park hinter dem Gebäude. Ihr geschultes Auge suchte nach irgendwelchen ungewöhnlichen Anzeichen, nach aufgebrochenen Schlössern, nach Türen, die nicht zu betreten waren. Sicher, die gab es in jedem Krankenhaus, doch sie meinte Räume, die sie auch in ihrer Funktion als ermittelnde FBI-Agenten nicht betreten durften. Sie hatte keinen Erfolg. Alles schien normal zu sein... doch das wollte sie nicht. Sie wollte etwas aufdecken, von dem sie wusste, daß es einfach da sein musste. Oder war sie jetzt schon genauso paranoid wie Mulder? Sie ähnelten sich schließlich immer mehr, nicht erst seit sie zusammen waren.

Er stand vor ihr. Sie hasste es, wenn er vor ihr stand. Sie konnte gut auf sich selbst aufpassen. „Mulder, lass uns mit einer Krankenschwester reden.“ Es war doch nicht möglich, es durfte nicht sein, daß sie jetzt noch auf ihn wütend wurde.

„Okay, gute Idee....“ Er winkte eine kleine, blonde Krankenschwester her, die sich wahrscheinlich darüber wunderte warum sie ihn nicht gleich rief. Und Scully begann sich darüber zu wundern, warum sie plötzlich so von ihm dachte. Vielleicht war sie einfach zu aufgekratzt.... zu nervös.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte die junge Frau.

Scully nickte und schlug sich die wirren Gedanken innerlich aus dem Kopf. „Wir sind vom FBI. Ich bin Agent Scully und das ist Agent Mulder. Wir möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“

„Okay,“ stimmte die Krankenschwester zögerlich zu. Sie klemmte sich das Krankenblatt, daß sie in der Hand hielt, unter den Arm und blickte die Beiden erwartungsvoll an.

Mulder begann zu sprechen, was Scully irgendwie erleichterte; er hatte das mit der Fragerei immer besser gekonnt.

„Miss, ist das Krankenhaus eine reine Kinderklinik?“

„Nein, es hat nur einen speziell eingerichteten Fachbereich, der sich auf Kindermedizin und Krebs bei Kindern spezialisiert hat, was nicht in vielen Krankenhäusern vorhanden ist.“ Scully schluckte schwer. Das war es also. Sie hatten Krebs. Wie sie. Weil sie die Implantate noch nicht hatten und wahrscheinlich auch keine kriegen sollten... sie waren damit geboren wurden, um kurz darauf damit zu sterben. Diese kleinen süßen Wesen, ohne die geringste Ahnung, daß es eine Welt außerhalb dieses sterilen Krankenhaus gab.... daß es Luftballons und Achterbahnen gab, Schule, Süßigkeiten, Spielplätze, ferne Länder.... ihre Seelen wurden völlig ignoriert. *Die* waren nur auf ihre Körper bedacht, die mit diesem Krebs infiziert wurden, um so schnell wie möglich als Beweismittel zu verschwinden.... Sie waren eine reine Testreihe, ein Zyklus..... für was auch immer.... für irgendetwas gemeines, daß die...

„Hey, alles in Ordnung?“ Mulders flüsternde Stimme riss sie aus ihren Gedanken. War sie wirklich so unkonzentriert? Hatte sie schon abwesend gewirkt? Die Tatsache, daß der Blick der jungen Krankenschwester noch auf ihr lastete – wahrscheinlich hatte sie ihr irgendeine F Frage gestellt - ließ Scully verlegen werden. Sie war Bundesagentin! Was für einen Eindruck würde die Frau jetzt wohl von Regierungsangestellten haben... aber im Grunde war ihr das egal, sie konnte hier nicht bleiben. Es war zuviel, das hatte sie schon gewusst, als sie vor dem Krankenhaus gestanden und gerätselt hatte, ob es wirklich richtig war, rein zu gehen. Es war das Gefühl ihrer Hilflosigkeit, die dadurch nur noch verstärkt wurde...

„Entschuldigen Sie mich,“ brachte sie gerade noch zu der Krankenschwester heraus und rannte förmlich den Korridor herunter, um dem stickigen Geruch von Desinfektionsmittel zu entkommen, der in der Luft lag. Sie hatte in ihrer Ausbildung als Ärztin immer gedacht, daß sie ihn kaum noch bemerken würde, aber jetzt stach er ihr wie ein ätzendes Gas in die Nase... brannte irgendwie.

Sie musste hier weg.



Mulder begann sich wirklich Sorgen zu machen, als Scully nach ein paar Minuten immer noch nicht zurückkam. Er sprach immer noch mit der Krankenschwester – Sybil Martens – die ihm alle seine Fragen geduldig beantwortete. Aber zurzeit waren seine Gedanken ganz woanders, so bekam er kaum mit, als Sybil auf einmal aufhörte zu reden. Seine Augen fixierten das Ende des Flures, den Scully eben langgegangen war.

„Sir? Alles in Ordnung?“

Damit wurde Mulder wieder in die Realität zurückgeholt. Er drehte seinen Kopf schlagartig wieder zu der Krankenschwester und nickte; er war jetzt aber einfach zu besorgt, als das es ihm peinlich gewesen wäre. Es war nicht normal, daß Scully einfach so wegging, auch wenn es ihr schlecht ging. Meistens stand sie es durch....

„Das war alles, Ms. Martens. Danke für Ihre Geduld.“

Und ohne die Antwort der jungen Frau abzuwarten, rannte er förmlich in die Richtung, die Scully eben eingeschlagen hatte. Wo würde sie hingegangen sein? Ins Auto? Zum Kaffeeautomaten? Er wusste es genauso wenig wie er ihre Beweggründe, einfach so wegzugehen, verstand.... im Grunde ahnte er schon, um was es ging. Er hatte sie verletzt. Darum ging es doch immer. Doch es war ihm jetzt, da sie zusammen waren, noch weniger egal als vorher, als ob da noch eine Stufe der Steigerung existiert hätte....

Als er das Ende des Korridors erreicht hatte, schaute er sich in allen Richtungen um. Nirgendwo war sie zu sehen, nur einige Bedienstete des Krankenhauses. Da..... er entdeckte eine offene Tür. Zimmer 203.... er hätte es wissen müssen. Wissen müssen..... verdammt, er brachte sie dazu, sich selbst zu quälen...

Er sah sie vor dem mit unzähligen medizinischen Maschinen zugestellten Bett stehen, in deren Mitte ein Lebewesen lag. Ein Junge. Julian. Nicht nur irgendein Junge. Es war Scullys Sohn. Und das wurde mir in diesem Moment erst wirklich bewusst.



Ich wusste gar nicht, wohin ich gehen wollte. Ich wusste nur, daß ich irgendwie nicht mehr ertragen konnte, wie Mulder und diese weiß-Gott-wie-sie-hieß Krankenschwester über dieses Haus redeten.... über diese Klinik in der laut Mulder meine Kinder liegen sollten.... und wir checken sollten ob alles ok ist. Vielleicht wollte ich einfach nicht hören, daß doch etwas verdächtiges existierte, etwas, was diese Institution zu einer verborgenen Hölle machte und gegen die wir natürlich überhaupt nichts machen konnte. Es war immer wieder der gleiche Teufelskreis... wir zerstörten uns doch nur mit diesem Wissen.

Doch als ich den Krankenhausflur entlang sah, kam mir überhaupt nichts verdächtig vor. Ich weiß, wovon ich spreche, ich war schon in mehr Krankenhäusern gewesen, als mir recht ist und es war hier weder lauter, ruhiger, dunkler und in irgendeiner Weise anders als in anderen Krankenhäusern.

Wie gesagt, ich wusste nicht, wo ich hinwollte. Zum Ausgang kam ich nur die Richtung zurück, wo Mulder noch stand und dahin wollte ich auf keinen Fall... plötzlich hörte ich unbeabsichtigt einen Dialog von zwei Krankenschwestern mit.

„Der arme Junge... kann einem leid tun. Hat sein ganzes Leben lang inmitten dieser Geräte verbracht.“

„Ja, Holly, Vater unbekannt, die Mutter unbekannt....“

„Nein, die Eizellen der Mutter....“

Das war genug für mich. Es war doch völlig klar, über wen sich redeten. Nein, es ging nicht aus ihrem Gespräch hervor, doch der stechende Schmerz in meiner Brust erinnerte mich daran, daß es nur wahr sein konnte. „Entschuldigen Sie...“

Die beiden Frauen sahen mich fragend an. „Können wir Ihnen helfen, Miss?“ wollte eine der beiden von mir wissen, die, die die andere Holly genannt hatte.

Ich nickte und schaute auf den Boden und versuchte, irgendwie Kraft zu sammeln. Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen, wie sollte ich den beiden erklären, was ich dachte.... was ich ahnte, aber eigentlich wusste. Schließlich räusperte ich mich. „Darf ich fragen, wer dieser Junge ist, von dem sie eben sprachen?“

Auf den Gesichtern der beiden bildete sich fast so etwas wie Empörung darüber, daß ich einfach über die Schweigepflicht der Ärzte hinwegsah.... im Grunde kannte ich die ja besser, als sie sich vorstellen konnten. „Wer sind Sie, Miss?“ fragte die eine von den beiden höflich, aber nicht ohne Nachdruck.

„Ich....“ Als wäre es meine Eintrittskarte in alle Bereiche dieser Welt holte ich meinen Ausweis hervor. „Special Agent Dana Scully vom FBI, ich....“

Das schien den Frauen jedoch nicht zu reichen. Im Gegensatz, sie schienen nur noch wütender auf mich zu sein, daß ich als Verkörperung des FBI mich einfach erlaubte, mich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Es schienen nicht alle Schwestern in diesem Krankenhaus so kooperativ zu sein wie die, die Mulder und ich getroffen hatten. Ich versuchte, das dumpfe Gefühl, etwas zu ahnen, von mir wegzudrücken und auch die Tatsache, wie die beiden auf das FBI reagierten, zu ignorieren. Schließlich mochte es kaum jemand, ausgefragt zu werden.

Aber ich wollte es wissen. Da war wieder dieses Gefühl, dieses Wissen, daß sich auf eine pure Ahnung stützte, und doch so wahr zu sein schien. „Ich...“ fügte ich mit sanfterer Stimme hinzu und schickte ein letztes Stoßgebet an den Himmel. „... ein Kind, das mit meinen Eizellen gezeugt wurde, liegt in diesem Krankenhaus. Es wäre durchaus möglich, daß der Junge, von dem sie sprechen,... dieses Kind ist.“

Meine Stimme brach ab, doch ich zwang mich, mich wieder zu fassen. Denn jetzt hatte ich meine letzte Karte verspielt. Mein Herz klopfte viel zu sehr. Die Mienen der beiden schwankten zwischen Unglauben und Verblüffen, doch alles in allem schienen sie viel weicher geworden zu sein.

„Sein Name ist Julian Rhimes,“ sagte Holly und ihre Stimme klang freundlicher als noch vor einem Augenblick. „Wie war Ihr Name noch mal?“

„D-Dana Scully...“ brachte ich stockend zusammen. Heiße Aufregung stieg in mir empor. Wieso war ich so aufgeregt? Er... er war doch nur mit meinen Genen, meiner Erbinformation ausgestattet.... 'Du bist seine Mutter,' schrie mir irgendetwas in mir entgegen, was mich allerdings nicht dazu brachte, mich zu beruhigen.

„Maggie?“ flüsterte Holly der anderen Frau zu.

„Ja?“

„Was wolltest du eben über die Eizellen sagen?“

Maggie blätterte in den Blättern herum, die sie in der Hand trug. Blätterte und murmelte irgendetwas vor sich her, sie schien nachzudenken... ich versuchte, irgendwie geduldig zu bleiben.

Nach einer halben Ewigkeit – wie mir schien – blickte sie wieder auf. „Der Name der Mutter ist hier nicht aufgelistet. Nur ihre Blutgruppe und ihr Geburtsdatum....“

„Welches?“ fragte ich eine Spur zu ungeduldig.

Doch sie schien den bettelnden Unterton in meiner Stimme bemerkt zu haben. „Blutgruppe AB, Geburtsdatum 23.02.1964.“

Als ob das überhaupt noch möglich war, stieg eine Welle von Überraschung in mir auf – nein, nicht Überraschung, Verblüffung über die Tatsache, daß meine innere Stimme tatsächlich recht hatte. „Das ist meins,“ keuchte ich hervor.

„Kommen Sie mit,“ sagte Holly. Mein Herz platzte fast vor Aufregung.



Die beiden Krankenschwestern waren gegangen. Das war auch besser so, denn länger hätte ich meine Gefühle nicht mehr unterdrücken können... nicht, daß ich jemand wäre, der dazu nicht imstande wäre, ich laufe doch fast mein ganzen Leben vor ihnen davon, aber dieser Anblick. Dieses kleine süße Wesen, mit den dünnen, glänzenden brauen Augen, großen Augen, die vor Erschöpfung geschlossen waren....

Und die vielen Maschinen, die das winzige Herz von dem Jungen dazu brachten, weiterzuschlafen. Das so unmenschliche Piepsen und Surren der Geräte, die dieses Kind....'Dein Kind, Dana!'.

Ich konnte einfach nichts machen. Wenn ich mich diesem Bett noch mehr genähert hätte, hätte ich meine ganze Kontrolle verloren. Alles, ich wußte nicht, was dann wirklich passieren würde.... Ich will es nicht. Es tat ja jetzt schon weh, hier, zwei Meter entfernt auf dieses kleine.... Wesen herabzublicken, und dazu dieses so tief in mir fest gegrabene Gefühl herausgezerrt zu bekommen, da alles schon mal erlebt zu haben.

Keine Tränen..... bitte nicht.... dann öffnete sich hinter mir die Tür. Ich wußte, daß es Mulder war. Ich wußte es einfach. Ich wollte nicht, daß er mich so sieht. Ich wollte nicht dieses Gefühl haben, ich wollte nicht, daß dieser Junge - mein Junge – so leiden mußte, ich wollte nicht, daß Mulder Mitleid für mich verspürt....

Ich wollte mich nicht mehr durch die Verwirrungen meiner Gefühle kämpfen müssen.

Ich spürte wie sich seine Hand auf meine Schulter legt. Ich schloß die Augen und atmete tief durch. Nein, ich wollte mich unter Kontrolle bekommen. Ich wußte nicht, ob ich solch einem Schmerz ein weiteres Mal gewachsen war... besonders, dieses Mal kannte ich seine Ausmasse. Das bereitete mir nur noch mehr Angst.

„Scully...“ flüsterte Mulder mir mit warmem Atem ans Ohr. Das Schaudern, daß es in mir auslöste, konnte ich jetzt nicht gebrauchen, auch wenn es noch so schön war.

„Mulder,“ hauchte ich und versuchte irgendeine Art von wahrscheinlich hoffnungsloser Selbstkontrolle zu bringen. „Lass uns gehen.“





*Das war die Hölle... eine Hölle der Hitze, vermischt mit dem scharfen Geruch frischen Todes und Schmerzes. Es schmerzte genauso.*



Call you up in the middle of the night

Like a firefly without a light

You were there like a blowtorch burning

I was a key that could use a little turning



So tired that I couldn't even sleep

So many secrets I couldn't keep

I promised myself I wouldn't weep

One more promise I couldn't keep



It seems no one can help me now,

I'm in too deep; there's no way out

This time I have really led myself astray



Runaway train, never going back

Wrong way on a one-way track

Seems like I should be getting somewhere

Somehow I'm neither here nor there



Can you help me remember how to smile?

Make it somehow all seem worthwhile

How on earth did I get so jaded?

Life's mystery seems so faded



I can go where no one else can go

I know what no one else knows

Here I am just a-drownin' in the rain

With a ticket for a runaway train



And everything seems cut and dried,

Day and night, earth and sky,

Somehow I just don't believe it



Runaway train, never going back

Wrong way on a one-way track

Seems like I should be getting somewhere

Somehow I'm neither here nor there



Bought a ticket for a runaway train

Like a madman laughing at the rain

A little out of touch, a little insane

It's just easier than dealing with the pain



Runaway train, never going back

Wrong way on a one-way track

Seems like I should be getting somewhere

Somehow I'm neither here nor there



Runaway train, never coming back

Runaway train, tearing up the track

Runaway train, burning in my veins

I run away but it always seems the same



Es war mal wieder so weit. Sie war am Ende ihrer Kräfte... und es war meine Schuld. Ganz alleine. Sie hatte es nicht gewollt. Sie hatte sich gewehrt, doch ich hatte sie gebeten mitzukommen. Verdammt, ich hatte sie regelrecht angefleht und es war eine fiese Methode, weil sie mir nichts abschlagen konnte, wenn ich lange genug bettelte. Ich wusste ganz genau, daß sie schon ihre ganze Kraft dazu aufwenden musste, um so lange 'Nein' zu sagen und dann irgendwann zustimmen würde. Ich war so niederträchtig. Ich war ein Nichts, ich musste eine verdrehte Psyche haben. Ich quälte die Frau die ich liebte und zwar aus eigennützigen Motiven. Was hätten wir in diesem Krankenhaus auch schon machen sollen, wenn etwas nicht in Ordnung war. Es hatte nur den masochistischen oder – wie man es sehen wollte – sadistischen Effekt, sich etwas anzusehen, was man nicht ändern konnte und damit noch schreckliche Erinnerungen aufs Neue lebendig werden zu lassen.

Ich war so ein egoistisches.... was auch immer. Ich hatte gewusst, daß wir einen Fehler gemacht haben – daß ich einen Fehler gemacht hatte – just von dem Moment an, als Scully und ich das Zimmer 203 betreten hatten. Dort hatte er gelegen. Julian. Der kleine dunkelhaarige Junge, der zur Hälfte aus Scullys DNS bestand.

Da er einen angeborenen Herzfehler hatte, lag er schon seit seiner Geburt in diesem Zimmer. Um ihn herum überall leise piepende Geräusche, Unmengen von kalter, unpersönlicher Technik, die ihn am Leben hielt. Es hatte mich tief in meinem Innersten berührt und ich wagte mich nicht zu fragen, wie es Scully gegangen war. Ich konnte direkt sehen, wie sich ihr Atem beschleunigte, ein bitteres Gefühl aus alten zwangsverdrängten schmerzvollen Erinnerungen in ihr hoch krochen... es waren ihre Augen gewesen. Sie hatte so starr auf dieses Bett, dieses Kind gestarrt, daß ich in diesem Moment genau wusste, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Einen Riesenfehler, ich hatte den unentschuldbaren Fehler gemacht, daß schon viel zu oft krampfhaft zuglickte empfindliche Netz von Scullys Gefühlen erneut zu zerstören. Die Gefühle der Frau, die ich liebte. Und trotzdem quälte.

Doch es war damit noch nicht vorbei. Das einzige, was uns dieser Höllenausflug gebracht hatte, war, daß wir jetzt wirklich wussten, daß etwas mit dem Krankenhaus nicht in Ordnung war. Es waren anscheinend Überwachungskameras oder Wanzen oder was-weiß-ich darin versteckt gewesen. In dem Moment, als Scully und ich das Krankenhaus verlassen hatten, explodierte es. Es war eine Bombe darin versteckt gewesen. Nur für uns. Um uns zu zeigen, daß die uns in der Hand hatten. Und plötzlich fiel mir alles wie Schuppen von den Augen. Diese ganze verdammte Sache war von Anfang an geplant gewesen und wir sind darauf reingefallen. Das Fax.... die Informationen darin, daß es noch mehr Kinder gab. Es war bis in s kleinste Detail gefälscht gewesen.... um uns hierher zu locken. Um uns zu brechen... um Scully irreparabel zu verletzen und mich damit untergehen zu lassen. Eigentlich nur, um mich untergehen zu lassen. Mich aufhören lassen zu suchen. Die wussten genau, wo meine Schwäche lag. Nicht meine einzige – sicher - aber meine größte. Meine wunde Stelle, in die sie mit Messern eingestochen haben. Aber meine wunde Stelle war lebendig. Sie war ein Mensch. Eigenständig und auch wenn sie es oft nicht zeigte, in ihr brodelten tausende von Emotionen. Sie war in sich so wahnsinnig verletzlich, daß solch ein großer Schlag, ein weiterer großer Schlag sie innerlich auszuhöhlen würde.....

Es war die Hölle, Scully so weinen zu sehen. Ich hatte sie in ihre Wohnung geschafft und saß mit ihr auf ihrer Couch, während sie sich an mich klammerte, als wäre ich das letzte auf der Welt, daß sie davor bewahrte, in einen unendlich tiefen Abgrund zu fallen. Es zerriss mir das Herz, daß sie so fühlte, aber ich schwor, für sie da sein. Genau in diesem Moment hatte ich einen Entschluss gefasst. Es konnte nicht so weiter gehen. Ein weiterer solcher Schlag und Scully würde sterben. Wenn nicht körperlich, dann innerlich. Und auch wenn sie das niemals zugeben würde, ich würde es nicht zulassen. Früher hätte ich gesagt, daß sie sich von mir fernhalten soll. Daß ich es bin, der ihr Unglück bringt..... auch wenn ich immer noch glaubte, daß das stimmte, wußte ich jetzt doch, daß ich ihr Anker war – ihr Rettungsboot – genauso, wie sie meins war. Deswegen konnte ich nicht gehen, denn das hätte ihr den schmerzhaften emotionalen Schlag versetzt, der zu diesem innerlichen Tod führen würde. Es gab nur eine Lösung, wie wir beide überleben konnten und vielleicht – vielleicht – sogar glücklich werden konnten. Ein neues Leben. Ein neues Leben weit entfernt von Washington und dem FBI und all den Leuten, die uns mit ihren unmenschlichen Verfolgungen fertig machen wollten.

Verdamme die Wahrheit. An diesem Punkt wußte ich, daß die Suche nach der Wahrheit uns sehr bald umbringen würde, wenn wir sie nicht aufgaben. Denn wenn einer von uns starb, starb der andere auch. Von daher waren wir beide unglaublich verletzlich.

Scully weinte kaum noch. Ihr Augen waren geschlossen und ich tupfte ihre nassen Wange mit einem Taschentuch ab und wischte die verschmierte Mascara weg. Dann strich ich ihr Haar zu recht und küsste sanft ihre Stirn. Es war wundervoll, sich um sie zu kümmern, ihr wenigstens in irgendeiner Weise helfen zu können.

„Mulder?“ krächzte sie leise hervor. Ich wußte, daß ihr Innerstes immer noch brannte. Daß der strömende Fluss von negativen Emotionen, der sie durchfloß, aus Säure war und sie in ihr durchätzte. Und bald war in ihr nicht mehr die Kraft, es zu reparieren. Sie war so mutig, sie war immer bereit, weiterzumachen, auch wenn sie besser als jeder andere wußte, daß der nächste Schlag der letzte sein könnte. Vielleicht war es auch ihr Dickkopf, der sie so handeln ließ. Es war eine Herausforderung, Scully dazu zu bringen, sich fallen zu lassen.

„Ja, Scully? Geht es dir besser?“ Ich konnte mir diesen Satz nicht verkneifen. Ich musste es immer noch fragen. Sie musste doch irgendwann einmal begreifen, das ich das nicht fragte, um ihre Schwäche bloßzustellen, sondern weil ich mir Sorgen machte. Wieso hatte sie immer noch so viel Angst, mir ihr Innerstes zu zeigen? Dachte sie, ich würde darauf einstechen; es mutwillig zum bluten bringen, es verletzen?

Sie nickte langsam gegen meine Brust. Mein Herz schlug gegen ihre warme Wange. „Wie soll es weitergehen, Mulder...?“

Es war genau die Frage, die heute in meinem Kopf festsitzt und darin herumspukt, mich darauf drängt sie auszusprechen. Vielleicht auch schon früher. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, daß Scully sie stellen würde. „Ich will nicht, daß du immer so etwas erleben musst. Es tut mir so leid, daß ich dich heute dahin gebracht habe. Ich war so dumm....“

„Nein, Mulder, du bist nicht Schuld.“ flüsterte sie und die Art und Weise, wie sie es sagte, brachte mich fast dazu, es zu glauben. Fast. „Ich will es nur nicht mehr.... ich sage es selten, aber ich will das nicht. Ich sehe keine Perspektiven mehr, Mulder....“

Perspektiven.... in ihren Worten lag soviel von meinen Gedanken, daß ich mich schon fragte, ob ich mir nur eingebildet hatte, daß sie es wirklich sagte. Doch sie sagte es, ohne, daß ich sie darauf gebracht hätte und sie meinte es auch. Wenn Scully – so selten es auch passierte – ihre Gefühle offenbarte, war es nie gelogen.

„Es muß aufhören, Scully....“

„Ja, aufhören....“ Sie machte eine kurze Pause und dann hob sie ihren Kopf an, um mir in die Augen zu sehen. „Mulder, kann ich dir etwas sagen...?“

Ihr direkter, intensiver Blick verwirrte mich etwas. Ich konnte nicht lesen, was darin lag. „Ja, Scully?“ Meine Stimme war leise und zitterte. Ich schien vergessen haben zu atmen.

„Laß uns ausbrechen. Ich habe mich entschieden, aber ich will nicht ohne dich gehen. Auf keinen Fall. Ich habe damals auf dem College eine Ausbildung zur Meeresbiologin angefangen, kurz nachdem ich Medizin studiert habe. Lass uns ans Meer gehen, Mulder. Du kannst Psychologe werden. Du kannst.... du kannst alles machen, was du willst. Keine Verbrechen mehr, keine Leichen, keine persönlichen Verluste. Mulder, wir haben so viele Sachen gesehen, die außerhalb von den der Welt liegen. Außerhalb von dem, was die Menschen sehen und ich glaube jetzt, daß es auch außerhalb von dem liegt, was die Menschen sehen sollten. Als Wissenschaftlerin war ich immer davon angetrieben, die Wahrheit zu finden....“

„Scully....“ Ich musste sie unterbrechen, weil das was sie sagte, mich verstörte.... nein, das war das falsche Wort. Es war nicht richtig, aber andererseits war es völlig richtig. Es war nicht richtig, daß Scully genauso dachte wie ich. Oder war es das gerade? Ich wußte nicht mehr, was ich fühlen sollte. Scully wollte es auch. Das war gut. Sehr gut. Das war mehr als sehr gut. Das war unglaublich. Und am unglaublichsten war es, daß sie das aussprach, wofür ich wahrscheinlich zu feige gewesen wäre. Sie war immer die mutigere, stärkere Person von uns beiden gewesen. In jeder Situation. „Scully, sagst du.... ein...neues Leben?“

„Ja.“ Schon wieder dieser Tränenschleier über ihren Augen. „Ja. Willst du das auch, Mulder?“

„Würde es dich glücklich machen?“

„Es kann mich nur glücklicher machen, als das was ich hier habe. Und ich kann nur glücklich sein, wenn du bei mir bist. Wenn du deinen Frieden hast.“

Ein starkes Gefühl von Rührung und irgendetwas anderem sehr starken stieg in mir auf und sammelte sich als Tränenflüssigkeit in meinen Augen, die ich herunterschluckte. „Was ist mit deiner Familie?“ Ich wollte alle Zweifel aus dem Weg räumen.

„Ich werde sie vermissen, aber du bist der bedeutenste Part meiner Familie. Und wenn ich mich je entscheiden müsste, würde ich immer dich wählen....“ Ihr Stimme brach ab, aber sie hörte nicht auf mich anzuschauen. Ich streichelte sanft ihre Wange und ich war nicht sicher, ob ich im Moment imstande war, zu sprechen, aber ich machte zumindest den Versuch.

„Scuh-lee..... ja, ich will es. Lass uns ... den Versuch machen, glücklich zu werden. Lass es uns schaffen.“ Und mit diesen Worten küsste ich sie sanft auf ihre zusammengepressten Lippen. Ich schmeckte das Salz der Tränen auf ihnen und auch, daß sie sich langsam entspannten. Meine Lippen ruhten auf ihren, als wäre es der einzige Platz, wo sie wirklich hingehörten. Sie küsste mich zurück. Irgendwie ... vorsichtig und unglaublich sanft. So sanft, daß es mir einen Schauer über den Rücken jagte.

„Danke, Mulder.“

Hatte sie es wirklich gesagt? „Danke, Scully,“ flüsterte ich zurück an ihren Mund. „Wir werden es schaffen.“

Ich war erfüllt von einem unglaublich intensiven Gefühl von Hoffnung, als ich sie gegen meinen Mund lächeln spürte.







XXX



Es grenzte schon an einem Wunder, daß ich mich in diesem Moment nicht in eine Surrealität versetzt fühlte, obwohl die Situation für uns beide sehr ungewohnt war. Es war irgendwie richtig und das gleichmäßige Rucken der Bahn an meinen Füßen verursachte in mir eine in diesem Zusammenhang fast unpassende Abenteuerlust...

Der warme Wind aus dem offenen Zugfenster wehte mir die Haare aus dem Gesicht und für einen Moment schloss ich die Augen, um das Gefühl der zarten Morgensonnenstrahlen auf meinem Gesicht fühlen zu können. Hier waren wir, zwei Menschen, nur mit dem nötigsten Handgepäck auf sich gestellt; ohne die leiseste Ahnung, wohin der Weg uns führen könnte. Irgendwie hatte ich gedacht, es würde intensiver sein. Daß die Aussicht, jedes Erlebnis, jede stabile Komponente meines Alltags mit einem Schlag hinter mich zu lassen und gewaltsam ein neues Kapitel - wenn nicht ein völlig neues Buch - meines Lebens zu beginnen, mich mehr ängstigen würde. Oder daß alles mehr Gefühle in mir hervorrufen würde- mehr negative Gefühle. Aber das war nicht der Fall. Ich spürte nichts weiter als eine aufgeregte Vorfreude auf das, was kommen würde und ...ja, einen Seelenfrieden, den einzigen und wichtigsten Teil ihrer Vergangenheit der letzten Jahre bei sich zu haben, hier in diesem hellen, sonnendurchfluteten Zugabteil.

Nach der Nacht - und Nebelaktion heute um 1 Uhr morgens, in der wir geflohen waren, wirkte der Sonnenaufgang ungemein friedlich. Mulder schlief noch. Wie gerne hätte ich ihn in diesem Moment aufgeweckt, um mit ihm dieses unglaubliche Hoffnungsgefühl zu teilen, aber ich vermutete, daß er wirklich erschöpft war - ich konnte es ihm gut nachfühlen. Da ich zu aufgedreht war, um einzuschlafen, begnügte ich mich damit, ihn zu beobachten, während er träumte. Ich konnte es an den Bewegungen seiner Augen unter den Lidern sehen und das kleines Lächeln, das dabei auf seinem Gesicht lag, zauberte ein ebensolches auf meines. Es war erste Nacht ohne Alpträume für ihn seit langem. Also schien die Aussicht auf Besserung nicht nur auf mich eine positive Wirkung zu haben. Ein warmer Strom von reiner, purer Anziehung für ihn durchzog mich plötzlich; ein Strom von Liebe für den Mann, der es mit mir bis zu diesem Punkt geschafft hatte. Zu diesem Punkt der Absolution - nicht der völligen, aber der des ersten Durchbruchs - die wir für die Tatsache, daß wir es trotz dieser Leiden geschafft haben, ein solch sensibles Gerüst wie die zarte Liebe, die wir füreinander empfanden, aufzubauen.

Sie war so süß wie Vanilleeis, so weich wie weißer Samt und so wohltuend wie warmer Kakao im Winter. Sie war so unglaublich sanft und schüchtern, als wären wir zwei Teenager, die im hoffnungsvollen Frühling ihrer ersten Beziehung standen. So gegensätzlich zu der harten, brutalen Welt die uns umgab. Umgeben hatte.

Wir hatten uns gegenseitig unsere Seelen gerettet mit der leisen Zärtlichkeit unserer Beziehung. Ich hatte nie geglaubt, daß so etwas überhaupt funktionieren konnte. Daß solch ein junger Keim über eine Welt voll mit Verschwörungen und Gewalt und Lügen siegen konnte. Doch hier waren wir. Lebendig, atmend.

Ich küsste Mulder auf die weiche Haut seiner Stirn und legte meinen Kopf in seinen Schoß. So konnte es weitergehen... Ich fragte mich im Stillen, was uns beide noch alles erwarten würde, jetzt wo sich unsere Ausgangssituation um 90 Grad gedreht hatte.

Unsere Beziehung war noch so zerbrechlich und ich hatte irgendwie Angst, daß die Prüfungen, die uns da draußen bevorstanden, zu schwer für uns waren. Vielleicht war es die Angst, diese Wärme, die ich in diesem Moment um mich fühlte, in der ich lag, zu verlieren, die mich so denken ließ, aber ich konnte meinem Kopf nicht befehlen, mit dem Denken aufzuhören. Ich war schon immer eine grüblerische Natur gewesen, auch wenn ich das nach außen nicht preisgebe. In Augenblicken wie diesen verfluchte ich diese Eigenschaft von mir. `Du bist hier sicher. Mulder ist bei dir`. Ich versuchte, es mir einzureden.

Krampfhaft. Es fing schon an. Die Minuten des Friedens waren viel zu kurz gewesen. Mein Geist ließ sich nicht auf Dauer ruhig stellen. Ich spürte, wie sich Mulder unter meinen Kopf zu bewegen anfing. Ich blickte nach oben und sah, wie er seine Augen öffnete. Das leichte Lächeln, daß er eben hatte, als er geschlafen hatte, lag immer noch auf seinem Gesicht.

"Hey," sagte er leise. Ich lächelte. Meine Gedanken waren wie weggeblasen. Zumindest vorerst.

"Selber hey," antwortete ich. "Gut geschlafen?"

"Ich hab von dir geträumt." Wahrscheinlich hatte er es nicht, aber es war seine Art, mich gut fühlen zu lassen. Es war für mich immer noch unglaublich, wie dieser Mann genau wissen konnte, wie es mir ging und wie er anstellen konnte, daß es mir gut ging, wo ich gerade dabei war meine übliche Maske aufzusetzen.

"Ich hab nicht geschlafen," meinte ich.

Er strich mir über die Haare und ich schloss unwillkürlich die Augen. "Schlaf ein bisschen. Ich sag dir wann wir aussteigen müssen."

Ich nickte und entspannte mich so sehr, daß ich müde wurde. Und auch die Tatsache, daß er nicht wusste, wann wir aussteigen, hielt mich nicht davon ab, in einen tiefen Schlaf zu fallen....
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