Sie hatte mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Alles, woran ich bis zu dem Zeitpunkt unserer ersten Begegnung geglaubt hatte...
... meine Hoffnungen, Träume und Wünsche, das Vertrauen in mein Vaterland und an meine Mitmenschen...
...innerhalb eines einzigen Tages war es zusammengebrochen wie ein Kartenhaus, dessen Stützen aber doch so stark und unantastbar zu sein schienen. Stützen, die, wie ich später erfahren musste, lediglich aus Halbwahrheiten und Illusionen bestanden, errichtet von Leuten, denen das Volk eigentlich vertraute.... Autoritätspersonen, die uns als ihre Marionetten benutzten für ihre finsteren und menschenverachtenden Pläne.
Genauso schnell wie sie in mein Leben getreten war, wurde sie mir wieder genommen.. von genau denselben Leuten, die mein anscheinend ach – so – glückliches Leben errichtet hatten, um mich zu täuschen und mich daran zu hindern über den Tellerrand meiner kleinen perfekten Welt hinaus zu gucken . Zurück blieb nur Chaos... sowohl in meinem sonst so friedvollen Alltag als auch in meinem Herzen.
Seitdem hatte ich jeden Tag verbracht mit den quälenden Gefühlen der Ungewissheit und Sehnsucht. Manchmal drohten sie mich innerlich zu zerreißen und ich wünschte mir nichts mehr als alledem endlich ein Ende bereiten zu können.
Hoffnung und ein starker Glaube... sie erhielten mich am Leben und bewahrten mich davor durchzudrehen. Sie waren alles, was mir damals geblieben war.
Sie, und die beiden allerbesten Freunde, die man sich nur wünschen konnte. Sie wussten nichts von meinen Gefühlen und meinem Schmerz... konnten ihn lediglich erahnen. Es waren die Gewissheit, dass sie immer für mich da waren, wenn ich sie brauchte und mein großes Vertrauen in sie, die mir ihr Verschwinden erträglich machten.
Ein kalter, nahezu undurchdringlicher Nebelschleier verhüllte diese beunruhigend stille Dezembernacht.
Keine Menschenseele war weit und breit zu erblicken in Washingtons Straßen, was für eine Stadt mit diesen Ausmaßen sogar bei tiefster Nacht recht ungewöhnlich war. Normalerweise sah man selbst zu dieser Tageszeit noch Menschen.... Junge Leute, die von Partys nach Hause gingen, Liebespärchen, die Händchen haltend einen Spaziergang bei Mondschein machten oder einfach nur betrunkene Obdachlose, die schwankend durch die Gassen irrten, auf der Suche nach einem Schlafplatz . Doch in dieser Nacht blieb es ruhig...
Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das Pfeifen des rauen Windes, wenn er die Baumkronen streifte. Die Schatten der Bäume, von den Straßenlaternen an die Häuserwände geworfen, nahmen bedrohliche und furchterregende Gestalten an.
Doch diese unheimlichen „Gefahren” der Natur schienen nur fremde Personen von dem süßen Geheimnis fernhalten zu wollen, welches die heutige Nacht in sich barg. Ein Geheimnis, das jahrelang gut gehütet worden war und bis zuletzt selbst ihren beiden Betroffenen noch recht unsicher und verschwommen erschien...
Das Wiedersehen... ein Desaster! Ich hatte meinen Augen nicht trauen wollen, als ich sie plötzlich in der Ferne erblickte. Sie hatte nichts von ihrer Schönheit und ihrem Stolz verloren. Ich musste zu ihr, sie sehen, mit ihr reden... der Drang nach der Erfüllung meiner Sehnsucht.
Und dann diese bittere Enttäuschung... sie hatte ihr Herz einem anderen geschenkt. Ich fühlte mich hintergangen und betrogen... aber was hatte ich denn erwartet? Dass ich Anspruch auf ihre Liebe stellen konnte und sie zehn Jahre lang auf mich warten würde? Ich musste es einsehen, obwohl ich ihre Entscheidung nicht verstehen konnte. Dieser Kerl... er... er wirkte so falsch und hinterlistig. Er hatte sie nicht verdient und egal, was er für sie getan hatte oder noch tun würde, sie würde immer und ewig zu gut und zu kostbar für ihn sein.
Gedankenverloren schlenderten sie die Straße Richtung Stadtpark entlang, ohne auch nur ein Wort miteinander zu reden. Es bedurfte aber auch keiner großen Worte, um diese Nacht zu etwas ganz besonderem zu machen. Es war die bloße Nähe des jeweils anderen, die das erreichte.... die Gewissheit, dass dieser Moment ihnen ganz allein gehörte und nichts in der Welt sie im Augenblick voneinander trennen könnte.
Ein eisiger Windstoß erhob sich, strich ihr durch ihr goldblondes Haar und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wickelte ihren langen schwarzen Mantel enger um ihren Körper, um sich vor der Kälte zu schützen und bemerkte dabei nicht, wie er sie von der Seite beobachtete.
Ich habe ihr so verdammt viel zu verdanken...
Sie hat mir die Augen für die Wahrheit, die hinter einer nahezu makellosen Illusion der Realität versteckt wurde, geöffnet und durch sie wurde mein Leben bereichert mit zwei Menschen, die mir mittlerweile genauso viel bedeuteten wie meine Familie, mit denen ich durch dick und dünn gehen konnte.
Sie hatte sich zum Zentrum meines Glaubens entwickelt. Wenn ich, wie schon so oft geschehen, dran war aufzugeben und alles hinzuschmeißen, weil ich das Gefühl hatte unsere Arbeit sei zwecklos und Vergeudung unserer Bemühungen und Anstrengungen, dann rief ich mir ihre Worte in Erinnerung...
„Erzählt die Wahrheit. Erreicht damit so viele Menschen wie Ihr könnt. Das ist Eure Waffe!”
Diese Worte gaben mir Kraft zum Weitermachen und Durchhalten.
Er kniff die Augen eng zusammen und wagte einen prüfenden Blick von der Seite in ihre Augen und bemerkte dort etwas, das ihm plötzlich Sorgen bereitete. Er hatte das Gefühl dort einen Hauch von Kummer oder Besorgnis entdeckt zu haben. Oder war es sogar....
Unerwartet blieb er stehen. Sie hatte ihren Blick noch immer starr in den Himmel hinauf gerichtet, so dass sie es zunächst nicht merkte. Nach einigen Schritten blieb sie aber schließlich stehen und drehte sich zu ihm um.
Skeptisch und zugleich besorgt zog sie die Augenbrauen hoch und musterte ihn von oben bis unten.
- „Was ist denn los?”, fragte sie ein wenig eingeschüchtert.
- „Das gleiche wollte ich dich gerade fragen.”
Sie konnte ihn nicht länger ansehen. Sie wich seinem Blick aus und schaute verlegen auf den Boden. Ahnte er etwa was in ihr vorging? Das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein! Sie wollte es ihm nicht sagen, befürchtete ihn mit ihren Worten zu verletzen.... wo er ihr doch so viel bedeutete.
Doch ihr Schweigen jagte ihr ein schlechtes Gewissen ein und sie empfand eine gewisse Scham ihrem eigenen Verhalten gegenüber.
- „Ich habe Angst...”, sagte sie leise, den Blick weiterhin starr zu Boden gerichtet.
Ihre Worten bohrten sich schmerzhaft in sein Herz wie Messerstiche. Verständnislos schüttelte er den Kopf, hoffte aber innerlich darauf, dass sie weitersprechen würde.
Stille... nur das Pfeifen des rauen Windes.
- „Wovor?”
Was habe ich denn nur falsch gemacht? Dieser Tag mit ihr war doch so wunderschön. Habe ich etwas zu ihr gesagt, das sie verletzt haben könnte oder eine unangebrachte Geste gemacht?
Falls ja, so tut es mir leid. Sag‘ mir doch bitte, was du hast! Ich will doch nur für dich da sein!
Seine Stimme klang so fürsorglich und dennoch sehr bestimmt. Sie wollte es ihm sagen, aber wusste nicht wie. Sie hatte Angst, er würde es nicht verstehen können... oder vielleicht auch nicht wollen.
Er ging einige Schritte auf sie zu. Er suchte verzweifelt nach tröstenden und aufmunternden Worten, doch ihm fielen keine eine, die nicht nur so vor Mitleid getrieft hätten. Stattdessen berührte er etwas zaghaft ihre Hand, welche sie zu verkrampften Fäusten geballte hatte und zog sie an sich heran. Als ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war, streichelte er ihr sanft über die Wange.
Sie spürte seine Wärme und fühlte sich so geborgen in seiner Nähe. Warum hatte sie dann trotzdem diese elenden Gedanken im Kopf und konnte die Angst nicht aus ihrem Herzen verbannen? Sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte und dass er ihr nie ein Leid zufügen konnte, so wie....
- „Also?”, riss er sie aus ihren Gedanken. „Ich kann dich nicht dazu zwingen es mir zu sagen und will es auch gar nicht. Aber ich möchte auch nicht, dass du so traurig bist. Ich mache mir doch nur Sorgen, weil ich nicht weiß warum!”
Sie schaute ihm tief in seine himmelblauen Augen. Sie konnte es einfach nicht mehr zurückhalten. All die Gefühle, die sie in den letzten Monaten seit ihrem Wiedersehen verspürt hatte, die sie manchmal so sehr gequält hatten... diese unterdrückten Emotionen brachen schlagartig aus ihr heraus.
Sie drückte ihr Gesicht an seine Schulter und begann zu weinen...
Oh nein, bitte nur das nicht! Ich möchte nicht, dass du weinst!! Was kann ich tun?
Ich möchte dich doch so gerne vor allem Übel in der Welt beschützen... Sag‘ mir was los ist und ich werde versuchen dir zu helfen!
Bin ich am Ende etwa der Grund für deinen Schmerz? Versicher‘ mir bitte, dass es nicht so ist!!
Er schaffte es nach einer Weile sie wieder etwas zu beruhigen. Sie löste den Griff, mit dem sie sich verzweifelt an seine Jacke geklammert hatte und schaute ihn etwas beschämt an. Er schüttelte beruhigend den Kopf, um ihr klar zu machen, dass es ihr nicht peinlich zu sein brauchte und wischte ihr die letzte Träne weg.
- „Es tut mir so leid, John! Ich wollte das nicht. Es... es...”
- „Schon in Ordnung. Mach dir keine Gedanken!”
- „Es ist nur... Seit unserem Wiedersehen in Las Vegas, habe ich ziemlich oft nachdenken müssen... Über mein Leben, meine Zukunft, meine Gefühle... über dich! Du bist nicht schuld an meiner gedrückten Stimmung, keine Sorge! Aber meine Angst... die hat indirekt schon etwas mit dir zu tun oder besser gesagt mit uns.”
Sie machte eine kurze Pause und blickte ihm wieder in die Augen. Sie entdeckte in ihnen ein beängstigtes Schimmer, doch nach außen hin ließ er sich nichts davon anmerken. Er sagte kein Wort, sondern schien darauf zu warten, dass sie endlich weitersprach.
- „Diese Angst, sie ist nach den Vorfällen in Vegas entstanden... nach den Vorfällen, die Grant betreffen.”
Oh du dreckiger Bastard! Du kannst froh sein, dass du nicht mehr unter den Lebenden weilst, sonst hättest du dich jetzt auf etwas gefasst machen können. Wie konntest du...
- „Ich habe ihn so sehr geliebt und ihm über alles vertraut. Und er hat mich jämmerlich hintergangen und mich an die Leute verraten, gegen die wir eigentlich gemeinsam gekämpft hatten. Er ist der ausschlaggebende Punkt für mein Angst.... Ich fürchte mich davor, wieder jemanden zu lieben und ihm bedingungslos vertrauen zu können. Ich habe Angst vor einer neuen Beziehung und noch viel größer ist meine Angst vor einer neuen Enttäuschung.”
Sie holte tief Luft und schloss die Augen für einen Moment.
- „Dennoch vertraue ich dir... das habe ich immer getan, vom ersten Augenblick, an dem wir uns begegnet sind. Und als sich nach Las Vegas unsere Wege wieder getrennt haben, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr du mir danach gefehlt hast!”
Und wie ich das kann! Du hast nicht die leiseste Ahnung, wie groß meine Sehnsucht nach dir war... nicht nur seit Las Vegas. Oh nein, schon seit zehn Jahren, Tag für Tag, trage ich diese Last mit mir herum und ich bin so froh sie wenigstens im Augenblick abwerfen zu können. Susanne, wenn du doch genauso empfinden könntest...!
- „John, um dir ehrlich die Wahrheit zu sagen: Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt! Ich genieße zur Zeit jede Minute mit dir und ich wünsche mir, dass es ewig so bleiben würde! Aber ich schaffe es nicht diese Angst zu verdrängen. Ich weiß, es ist nicht fair dir gegenüber und das letzte, was ich möchte, ist dir weh zu tun! Du hast so viel für mich getan... hast mir aus der Klemme geholfen, bist wegen mir ins Gefängnis gekommen und hast dich für mich in Gefahr begeben. All das beweist mir mehr als tausend Worte, dass ich dir vertrauen kann und du zu mir stehst. Und dennoch...”
Sie schüttelte bedrückt den Kopf und konnte eine erneute Träne nicht zurückhalten. Er berührte ihr Gesicht wieder mit seiner warmen Hand und wischte die Träne weg. Dann beugte er sich langsam zu ihr vor und küsste sie auf die Stirn.
- „Hey, das macht doch nichts. Du weißt, dass ich dich nie zu etwas drängen würde. Lass dir soviel Zeit wie du brauchst, um diese Angst zu überwinden und seien es Jahre! Du glaubst ja gar nicht, wie glücklich es mich macht zu wissen, wie du empfindest und diese Gewissheit allein reicht mir völlig aus. Einfach nur in deiner Nähe zu sein... das bedeutet mir schon so verdammt viel! Ich könnte dir nie weh tun und ich möchte einfach nur für dich da sein, wenn du jemanden brauchst... und sei es zum Ausweinen!”
Sie konnte sich bei dieser Bemerkung ein Lächeln nicht mehr verkneifen und spürte wie ihr ein großer Stein vom Herzen fiel.
- „Na, so gefällst du mir gleich noch viel besser”, sagte er grinsend.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich auf ein winzige weiße Schneeflocke, die lustig im Wind auf die Erde nieder tanzte. Der erste Schnee in diesem Jahr, rechtzeitig zu Weihnachten. Er läutete offiziell die Zeit der Liebe und Freude ein... und insgeheim verkündete er ebenfalls, dass heute Nacht ein zehn Jahre lang gut gehütetes, süßes Geheimnis gelüftet worden war, das zum guten Schluss zwei einsame Menschenherzen vereint hatte.
Die Schneeflocke machte es sich in Susannes goldblondem Haar gemütlich, doch lange erlaubte man es ihr nicht dort zu bleiben, denn schon fuhr Johns Hand durch ihre Strähne und wischte sie behutsam weg.
- „An Weihnachten sollen bekanntlich schon sehr viele Wunder passiert sein und wir haben heute ein kleines erlebt!”, flüsterte er leise. „Ich liebe dich, Susanne Modeski, und das ist alles was zählt!”
Als sie ihm durch seinen braun-rötlichen Bart kraulte, beugte er sich langsam zu ihr vor, bis sich ihre Lippen schließlich berührten.
Und während sie sich zärtlich küssten, folgten der einsamen kleinen Schneeflocke noch hundert, ach was, tausend anderer Flocken zur Verkündigung dieses süßen Geheimnisses...
... meine Hoffnungen, Träume und Wünsche, das Vertrauen in mein Vaterland und an meine Mitmenschen...
...innerhalb eines einzigen Tages war es zusammengebrochen wie ein Kartenhaus, dessen Stützen aber doch so stark und unantastbar zu sein schienen. Stützen, die, wie ich später erfahren musste, lediglich aus Halbwahrheiten und Illusionen bestanden, errichtet von Leuten, denen das Volk eigentlich vertraute.... Autoritätspersonen, die uns als ihre Marionetten benutzten für ihre finsteren und menschenverachtenden Pläne.
Genauso schnell wie sie in mein Leben getreten war, wurde sie mir wieder genommen.. von genau denselben Leuten, die mein anscheinend ach – so – glückliches Leben errichtet hatten, um mich zu täuschen und mich daran zu hindern über den Tellerrand meiner kleinen perfekten Welt hinaus zu gucken . Zurück blieb nur Chaos... sowohl in meinem sonst so friedvollen Alltag als auch in meinem Herzen.
Seitdem hatte ich jeden Tag verbracht mit den quälenden Gefühlen der Ungewissheit und Sehnsucht. Manchmal drohten sie mich innerlich zu zerreißen und ich wünschte mir nichts mehr als alledem endlich ein Ende bereiten zu können.
Hoffnung und ein starker Glaube... sie erhielten mich am Leben und bewahrten mich davor durchzudrehen. Sie waren alles, was mir damals geblieben war.
Sie, und die beiden allerbesten Freunde, die man sich nur wünschen konnte. Sie wussten nichts von meinen Gefühlen und meinem Schmerz... konnten ihn lediglich erahnen. Es waren die Gewissheit, dass sie immer für mich da waren, wenn ich sie brauchte und mein großes Vertrauen in sie, die mir ihr Verschwinden erträglich machten.
Ein kalter, nahezu undurchdringlicher Nebelschleier verhüllte diese beunruhigend stille Dezembernacht.
Keine Menschenseele war weit und breit zu erblicken in Washingtons Straßen, was für eine Stadt mit diesen Ausmaßen sogar bei tiefster Nacht recht ungewöhnlich war. Normalerweise sah man selbst zu dieser Tageszeit noch Menschen.... Junge Leute, die von Partys nach Hause gingen, Liebespärchen, die Händchen haltend einen Spaziergang bei Mondschein machten oder einfach nur betrunkene Obdachlose, die schwankend durch die Gassen irrten, auf der Suche nach einem Schlafplatz . Doch in dieser Nacht blieb es ruhig...
Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das Pfeifen des rauen Windes, wenn er die Baumkronen streifte. Die Schatten der Bäume, von den Straßenlaternen an die Häuserwände geworfen, nahmen bedrohliche und furchterregende Gestalten an.
Doch diese unheimlichen „Gefahren” der Natur schienen nur fremde Personen von dem süßen Geheimnis fernhalten zu wollen, welches die heutige Nacht in sich barg. Ein Geheimnis, das jahrelang gut gehütet worden war und bis zuletzt selbst ihren beiden Betroffenen noch recht unsicher und verschwommen erschien...
Das Wiedersehen... ein Desaster! Ich hatte meinen Augen nicht trauen wollen, als ich sie plötzlich in der Ferne erblickte. Sie hatte nichts von ihrer Schönheit und ihrem Stolz verloren. Ich musste zu ihr, sie sehen, mit ihr reden... der Drang nach der Erfüllung meiner Sehnsucht.
Und dann diese bittere Enttäuschung... sie hatte ihr Herz einem anderen geschenkt. Ich fühlte mich hintergangen und betrogen... aber was hatte ich denn erwartet? Dass ich Anspruch auf ihre Liebe stellen konnte und sie zehn Jahre lang auf mich warten würde? Ich musste es einsehen, obwohl ich ihre Entscheidung nicht verstehen konnte. Dieser Kerl... er... er wirkte so falsch und hinterlistig. Er hatte sie nicht verdient und egal, was er für sie getan hatte oder noch tun würde, sie würde immer und ewig zu gut und zu kostbar für ihn sein.
Gedankenverloren schlenderten sie die Straße Richtung Stadtpark entlang, ohne auch nur ein Wort miteinander zu reden. Es bedurfte aber auch keiner großen Worte, um diese Nacht zu etwas ganz besonderem zu machen. Es war die bloße Nähe des jeweils anderen, die das erreichte.... die Gewissheit, dass dieser Moment ihnen ganz allein gehörte und nichts in der Welt sie im Augenblick voneinander trennen könnte.
Ein eisiger Windstoß erhob sich, strich ihr durch ihr goldblondes Haar und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wickelte ihren langen schwarzen Mantel enger um ihren Körper, um sich vor der Kälte zu schützen und bemerkte dabei nicht, wie er sie von der Seite beobachtete.
Ich habe ihr so verdammt viel zu verdanken...
Sie hat mir die Augen für die Wahrheit, die hinter einer nahezu makellosen Illusion der Realität versteckt wurde, geöffnet und durch sie wurde mein Leben bereichert mit zwei Menschen, die mir mittlerweile genauso viel bedeuteten wie meine Familie, mit denen ich durch dick und dünn gehen konnte.
Sie hatte sich zum Zentrum meines Glaubens entwickelt. Wenn ich, wie schon so oft geschehen, dran war aufzugeben und alles hinzuschmeißen, weil ich das Gefühl hatte unsere Arbeit sei zwecklos und Vergeudung unserer Bemühungen und Anstrengungen, dann rief ich mir ihre Worte in Erinnerung...
„Erzählt die Wahrheit. Erreicht damit so viele Menschen wie Ihr könnt. Das ist Eure Waffe!”
Diese Worte gaben mir Kraft zum Weitermachen und Durchhalten.
Er kniff die Augen eng zusammen und wagte einen prüfenden Blick von der Seite in ihre Augen und bemerkte dort etwas, das ihm plötzlich Sorgen bereitete. Er hatte das Gefühl dort einen Hauch von Kummer oder Besorgnis entdeckt zu haben. Oder war es sogar....
Unerwartet blieb er stehen. Sie hatte ihren Blick noch immer starr in den Himmel hinauf gerichtet, so dass sie es zunächst nicht merkte. Nach einigen Schritten blieb sie aber schließlich stehen und drehte sich zu ihm um.
Skeptisch und zugleich besorgt zog sie die Augenbrauen hoch und musterte ihn von oben bis unten.
- „Was ist denn los?”, fragte sie ein wenig eingeschüchtert.
- „Das gleiche wollte ich dich gerade fragen.”
Sie konnte ihn nicht länger ansehen. Sie wich seinem Blick aus und schaute verlegen auf den Boden. Ahnte er etwa was in ihr vorging? Das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein! Sie wollte es ihm nicht sagen, befürchtete ihn mit ihren Worten zu verletzen.... wo er ihr doch so viel bedeutete.
Doch ihr Schweigen jagte ihr ein schlechtes Gewissen ein und sie empfand eine gewisse Scham ihrem eigenen Verhalten gegenüber.
- „Ich habe Angst...”, sagte sie leise, den Blick weiterhin starr zu Boden gerichtet.
Ihre Worten bohrten sich schmerzhaft in sein Herz wie Messerstiche. Verständnislos schüttelte er den Kopf, hoffte aber innerlich darauf, dass sie weitersprechen würde.
Stille... nur das Pfeifen des rauen Windes.
- „Wovor?”
Was habe ich denn nur falsch gemacht? Dieser Tag mit ihr war doch so wunderschön. Habe ich etwas zu ihr gesagt, das sie verletzt haben könnte oder eine unangebrachte Geste gemacht?
Falls ja, so tut es mir leid. Sag‘ mir doch bitte, was du hast! Ich will doch nur für dich da sein!
Seine Stimme klang so fürsorglich und dennoch sehr bestimmt. Sie wollte es ihm sagen, aber wusste nicht wie. Sie hatte Angst, er würde es nicht verstehen können... oder vielleicht auch nicht wollen.
Er ging einige Schritte auf sie zu. Er suchte verzweifelt nach tröstenden und aufmunternden Worten, doch ihm fielen keine eine, die nicht nur so vor Mitleid getrieft hätten. Stattdessen berührte er etwas zaghaft ihre Hand, welche sie zu verkrampften Fäusten geballte hatte und zog sie an sich heran. Als ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war, streichelte er ihr sanft über die Wange.
Sie spürte seine Wärme und fühlte sich so geborgen in seiner Nähe. Warum hatte sie dann trotzdem diese elenden Gedanken im Kopf und konnte die Angst nicht aus ihrem Herzen verbannen? Sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte und dass er ihr nie ein Leid zufügen konnte, so wie....
- „Also?”, riss er sie aus ihren Gedanken. „Ich kann dich nicht dazu zwingen es mir zu sagen und will es auch gar nicht. Aber ich möchte auch nicht, dass du so traurig bist. Ich mache mir doch nur Sorgen, weil ich nicht weiß warum!”
Sie schaute ihm tief in seine himmelblauen Augen. Sie konnte es einfach nicht mehr zurückhalten. All die Gefühle, die sie in den letzten Monaten seit ihrem Wiedersehen verspürt hatte, die sie manchmal so sehr gequält hatten... diese unterdrückten Emotionen brachen schlagartig aus ihr heraus.
Sie drückte ihr Gesicht an seine Schulter und begann zu weinen...
Oh nein, bitte nur das nicht! Ich möchte nicht, dass du weinst!! Was kann ich tun?
Ich möchte dich doch so gerne vor allem Übel in der Welt beschützen... Sag‘ mir was los ist und ich werde versuchen dir zu helfen!
Bin ich am Ende etwa der Grund für deinen Schmerz? Versicher‘ mir bitte, dass es nicht so ist!!
Er schaffte es nach einer Weile sie wieder etwas zu beruhigen. Sie löste den Griff, mit dem sie sich verzweifelt an seine Jacke geklammert hatte und schaute ihn etwas beschämt an. Er schüttelte beruhigend den Kopf, um ihr klar zu machen, dass es ihr nicht peinlich zu sein brauchte und wischte ihr die letzte Träne weg.
- „Es tut mir so leid, John! Ich wollte das nicht. Es... es...”
- „Schon in Ordnung. Mach dir keine Gedanken!”
- „Es ist nur... Seit unserem Wiedersehen in Las Vegas, habe ich ziemlich oft nachdenken müssen... Über mein Leben, meine Zukunft, meine Gefühle... über dich! Du bist nicht schuld an meiner gedrückten Stimmung, keine Sorge! Aber meine Angst... die hat indirekt schon etwas mit dir zu tun oder besser gesagt mit uns.”
Sie machte eine kurze Pause und blickte ihm wieder in die Augen. Sie entdeckte in ihnen ein beängstigtes Schimmer, doch nach außen hin ließ er sich nichts davon anmerken. Er sagte kein Wort, sondern schien darauf zu warten, dass sie endlich weitersprach.
- „Diese Angst, sie ist nach den Vorfällen in Vegas entstanden... nach den Vorfällen, die Grant betreffen.”
Oh du dreckiger Bastard! Du kannst froh sein, dass du nicht mehr unter den Lebenden weilst, sonst hättest du dich jetzt auf etwas gefasst machen können. Wie konntest du...
- „Ich habe ihn so sehr geliebt und ihm über alles vertraut. Und er hat mich jämmerlich hintergangen und mich an die Leute verraten, gegen die wir eigentlich gemeinsam gekämpft hatten. Er ist der ausschlaggebende Punkt für mein Angst.... Ich fürchte mich davor, wieder jemanden zu lieben und ihm bedingungslos vertrauen zu können. Ich habe Angst vor einer neuen Beziehung und noch viel größer ist meine Angst vor einer neuen Enttäuschung.”
Sie holte tief Luft und schloss die Augen für einen Moment.
- „Dennoch vertraue ich dir... das habe ich immer getan, vom ersten Augenblick, an dem wir uns begegnet sind. Und als sich nach Las Vegas unsere Wege wieder getrennt haben, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr du mir danach gefehlt hast!”
Und wie ich das kann! Du hast nicht die leiseste Ahnung, wie groß meine Sehnsucht nach dir war... nicht nur seit Las Vegas. Oh nein, schon seit zehn Jahren, Tag für Tag, trage ich diese Last mit mir herum und ich bin so froh sie wenigstens im Augenblick abwerfen zu können. Susanne, wenn du doch genauso empfinden könntest...!
- „John, um dir ehrlich die Wahrheit zu sagen: Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt! Ich genieße zur Zeit jede Minute mit dir und ich wünsche mir, dass es ewig so bleiben würde! Aber ich schaffe es nicht diese Angst zu verdrängen. Ich weiß, es ist nicht fair dir gegenüber und das letzte, was ich möchte, ist dir weh zu tun! Du hast so viel für mich getan... hast mir aus der Klemme geholfen, bist wegen mir ins Gefängnis gekommen und hast dich für mich in Gefahr begeben. All das beweist mir mehr als tausend Worte, dass ich dir vertrauen kann und du zu mir stehst. Und dennoch...”
Sie schüttelte bedrückt den Kopf und konnte eine erneute Träne nicht zurückhalten. Er berührte ihr Gesicht wieder mit seiner warmen Hand und wischte die Träne weg. Dann beugte er sich langsam zu ihr vor und küsste sie auf die Stirn.
- „Hey, das macht doch nichts. Du weißt, dass ich dich nie zu etwas drängen würde. Lass dir soviel Zeit wie du brauchst, um diese Angst zu überwinden und seien es Jahre! Du glaubst ja gar nicht, wie glücklich es mich macht zu wissen, wie du empfindest und diese Gewissheit allein reicht mir völlig aus. Einfach nur in deiner Nähe zu sein... das bedeutet mir schon so verdammt viel! Ich könnte dir nie weh tun und ich möchte einfach nur für dich da sein, wenn du jemanden brauchst... und sei es zum Ausweinen!”
Sie konnte sich bei dieser Bemerkung ein Lächeln nicht mehr verkneifen und spürte wie ihr ein großer Stein vom Herzen fiel.
- „Na, so gefällst du mir gleich noch viel besser”, sagte er grinsend.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich auf ein winzige weiße Schneeflocke, die lustig im Wind auf die Erde nieder tanzte. Der erste Schnee in diesem Jahr, rechtzeitig zu Weihnachten. Er läutete offiziell die Zeit der Liebe und Freude ein... und insgeheim verkündete er ebenfalls, dass heute Nacht ein zehn Jahre lang gut gehütetes, süßes Geheimnis gelüftet worden war, das zum guten Schluss zwei einsame Menschenherzen vereint hatte.
Die Schneeflocke machte es sich in Susannes goldblondem Haar gemütlich, doch lange erlaubte man es ihr nicht dort zu bleiben, denn schon fuhr Johns Hand durch ihre Strähne und wischte sie behutsam weg.
- „An Weihnachten sollen bekanntlich schon sehr viele Wunder passiert sein und wir haben heute ein kleines erlebt!”, flüsterte er leise. „Ich liebe dich, Susanne Modeski, und das ist alles was zählt!”
Als sie ihm durch seinen braun-rötlichen Bart kraulte, beugte er sich langsam zu ihr vor, bis sich ihre Lippen schließlich berührten.
Und während sie sich zärtlich küssten, folgten der einsamen kleinen Schneeflocke noch hundert, ach was, tausend anderer Flocken zur Verkündigung dieses süßen Geheimnisses...
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