World of X

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Revival

von Sam23

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„Never give up on a miracle“ Fox Mulder, Per Manum

~*~

Dana Scully starrte ins Nichts. Sie versuchte sich auf das Bild vor ihren Augen zu konzentrieren, doch sie schaffte es nicht. Wenn sie ehrlich mit sich war, dann war es auch nur ein halbherziger Versuch zurück in die wahre Welt zu finden. Im Büro herrschte eine Stille, die sie an anderen Tagen als angenehm empfunden hatte. Seit Mulders Beerdigung hasste sie diese Stille, weil sie wusste, dass sie nie wieder durch seine Stimme unterbrochen werden würde.

Es war vorbei.

Einfach so. Dana versuchte den Schmerz in ihrem Inneren zu finden, doch ihr Verstand hatte ihn aus Eigenschutz bereits vor Wochen verdrängt. Alles, was sie empfand war eine dumpfe Leere, die von Tag zu Tag schlimmer zu werden schien. Zurück zur Arbeit zu kommen hatte es auch nicht besser gemacht und der besorgte Blick, mit dem Agent Doggett sie jeden Morgen bedachte trug auch nicht gerade dazu bei, ihre Situation entscheidend zu verbessern.

Es war vorbei.

Einfach so. Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Augen auf. Eine dunkle Nacht und eine Reihe dunkler Männer, die um eine Gestalt am Boden herumstanden. Doggett, wie er versuchte Dana davon abzuhalten, die Gestalt näher zu betrachten. Mulder, wie er auf dem Boden lag, leblos und blass und so verletzlich. Dana spürte einen Kloß im Hals. Aber damals hatte es Hoffnung gegeben. Bis zu dem Moment, an dem Jeremiah Smith entführt worden war.

Dana zwang sich aufzustehen und zur Kaffeemaschine zu gehen. Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Nicht aus Interesse, nur aus Gewohnheit. Doggett war zu spät dran. Nicht, dass es sie wirklich kümmerte, aber es fiel ihr auf. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, was Doggett betraf. Er gab sich solche Mühe ihr beizustehen, doch die Tatsache, dass er da war, erinnerte sie immer wieder daran, dass Mulder es nicht war und nie wieder sein würde. Dana strich sich über den Bauch. Ihr Rücken schmerzte, aber daran hatte sie sich in den letzten Tagen gewöhnt. Sie hielt kurz die Luft an, als sich das Kind in ihrem Inneren leicht bewegte. Für einige Sekunden wurde die Leere in ihr von tiefer Dankbarkeit über das kleine Leben erfüllt.

Dana hörte Schritte auf dem Gang und drehte sich um. Doggett stand plötzlich in der Tür. Er sagte kein Wort, sondern sah sie auf eine Art an, die Dana die Stirn runzeln ließ. Er war hier um ihr etwas zu sagen, etwas Wichtiges, aber er fand anscheinend nicht die richtige Worte dafür.

„Agent Scully, ich . . .“

„Was gibt es? Sie sind zu spät dran.“

„Ich weiß.“ Doggett stützte sich mit einem Arm auf den Türrahmen und lockerte mit dem anderen seine Krawatte. Eine Geste um Zeit zu schinden, aber wieso, fragte sich Dana und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Also?“

„Gott, ich weiß nicht ob das richtig ist. Und ich weiß erst recht nicht, wie und warum das passiert. Und ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, Ihnen davon zu erzählen, besonders weil keiner weiß wie die Sache ausgehen wird.“

„Welche Sache?“

„Es geht um Mulder.“

Dana starrte ihn an und spürte wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich. Die Art, wie er das sagte. Und plötzlich begriff Dana Scully, das es nicht vorbei war. Niemals gewesen war.

„Was ist mit Mulder?“



Tränen des Zorns und der Verzweiflung strömten über ihre Wangen, während sie in dem zugigen Gang des Krankenhauses stand. Skinner konnte ihrem Blick nicht standhalten und starrte betroffen auf seine Schuhspitzen. Dana war wütend auf ihn. Gerade er sollte wissen, wie wichtig es Dana war jetzt bei ihm zu sein. Und gerade Skinner war es, der sie davon abgehalten hatte in dieses Krankenzimmer zu gehen. Der Anblick wäre zuviel für sie gewesen, hatte er gesagt. Es ist besser so, hatte er gesagt. Blödsinn, dachte Dana. Alles was sie wollte, alles was sie brauchte auf dieser Welt, war in dieses Krankenzimmer zu gehen und es mit eigenen Augen zu sehen. Zu sehen, wie sich die Brust ihres Partnern hob und senkte, wie er atmete und wie sein Herz schlug. Zu sehen, dass er am Leben war. Dana verstand es nicht und wollte es auch nicht verstehen. Zu viel war in den letzten Stunden passiert, Dinge, die sie nicht einmal ansatzweise erklären konnte, geschweige denn ganz begriff.

Sie konnte und wollte nicht darüber nachdenken, denn allein der Versuch hätte sie vermutlich vollkommen verrückt gemacht. Und in ihrem Inneren herrschte jetzt schon ein Chaos, wie es schlimmer kaum sein konnte. Sie ließ sich auf einen Stuhl an der Wand sinken und starrte finster zu Skinner herüber. Ein wenig schämte sie sich auch, dass sie so ausgeflippt war vor seinen Augen. Sie hatte geschrieen, auf ihn eingeschlagen, geweint, war hysterisch gewesen – etwas das sie früher niemals zugelassen hätte, egal wie schlimm die Situation gewesen war. Die Blöße, dass Tränen über ihr Gesicht strömten hatte sie sich höchstens vor Mulder gegeben und auch das hatte sie erst lernen müssen.

Mulder. Sie war ihm so nahe und doch so weit entfernt. Dana hob alarmiert den Kopf. Ein Arzt war aus seinem Zimmer getreten und unterhielt sich leise mit Skinner. Der warf einen hastigen Blick in Scullys Richtung, den sie trotzig entgegnete, ehe er sich wieder dem Arzt zuwandte. Binnen Sekunden waren die beiden Männer in eine hitzige Diskussion verwickelt.

Dana stand auf. Das war ihre Chance. Mit schnellen Schritten legte sie die wenigen Schritte bis zur Tür zurück und schob sich hastig hindurch. Leise drückte sie die Tür ins Schloss und drehte sich dann langsam um. Im Zimmer war es still, abgesehen vom gleichmäßigen Piepsen des Herzmonitors. Es war dunkel und Scully brauchte einige Sekunden, bis sich ihre Augen von dem grellen Neonlicht im Gang auf die Dämmerung hier im Zimmer eingestellt hatten.

Ihr Herz machte einen erschrockenen Sprung, als sie die Gestalt im Krankenbett sah. Mulder war blass, aber er sah bei weitem nicht mehr so schlimm aus, wie an jenem Abend in der Wüste, als sie neben seinem leblosen Körper gekniet war. Und er lebte. Tränen traten in ihre Augen, als sie sah, wie sich seine Brust langsam hob und wieder senkte. Immer und immer wieder. Mit zitternden Beinen und dem Gefühl jeden Moment in Ohnmacht zu fallen, näherte sich Scully dem Bett. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich, ehe ihr ihre Beine wirklich den Dienst versagen konnten.

Er sah so friedlich aus. Als würde er einfach nur schlafen. Wie damals, als sie in der Wildnis gestrandet waren und sich Mulder verletzt hatte. Als sie ihn unter dem Licht der Sterne in den Schlaf gesungen hatte. Dana lächelte leicht. Sie erinnerte sich an diese Nacht, als wäre es gestern gewesen.

Sie beugte sich vor und strich ihm sanft eine Haarsträhne aus der Stirn. „Hey, Großer“, flüsterte sie leise. „Wie geht es dir?“ Dana spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen strömten. Sie hätte niemals gedacht, dass sie wieder zu ihm sprechen würde. Er konnte ihr nicht antworten. Noch nicht. Aber allein die Tatsache, dass sie sich mit ihrem Partner im gleichen Raum befand, war im Moment genug für Dana. Sie lehnte sich vor, bis ihre Lippen seine Wange berührten und schloss die Augen. Seine Haut fühlte sich warm an und Dana war dankbar jenseits aller Vorstellungen dafür. Als sie ihn das letzte Mal berührt hatte, war er so schrecklich kalt gewesen. Noch kälter als damals im ewigen Eis, nachdem er sie gerettet hatte.

„Gib niemals auf an Wunder zu glauben“, flüsterte sie und hörte im gleichen Moment seine Stimme diese Worte in ihren Gedanken flüstern. Es waren diese Worte gewesen, die sie in diesem so unendlich schweren Moment damals gerettet hatten. Dana war in seine Arme gesunken und hatte gewusst, dass es so war. Gib niemals auf an Wunder zu glauben. Und genau das würde sie tun. Skinner und Doggett mochten bezweifeln, dass Mulder wieder gesund werden würde. Dana wusste es besser. Er würde es schaffen. Er würde wieder er selbst werden. „Denn du kannst mich nicht allein lassen“, flüsterte sie und spürte das Baby wieder treten. Sie lächelte und flüsterte: „Uns. Du kannst uns doch nicht allein lassen.“



Assistent Director Skinner rüttelte Scully sanft an der Schulter. Träge öffnete sie ein Auge, betrachtete ihn eine Sekunde und fuhr dann hellwach hoch. „Was ist? Was ist los?“

Skinner machte eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand. Er lächelte leicht und kniete sich hin, so dass er mit Dana, die auf dem Stuhl im Gang saß, auf einer Höhe war.

„Alles in Ordnung, Agent Scully.“ Sein Lächeln wurde breiter und in seinen Augen stand eine so tiefe Erleichterung, wie Dana sie noch nie gesehen hatte. Er griff nach ihren Händen und sie sah ihn verdattert an.

„Was ist?“

„Er hat nach Ihnen gefragt.“

Dana starrte Skinner verwirrt an und obwohl ein Teil von ihr begriffen hatte, was er hatte sagen wollen, noch ehe er es überhaupt ausgesprochen hatte, stellte sie dennoch die Frage: „Wer? Doggett?“

Skinner schüttelte den Kopf und deutete schweigend mit dem Kopf auf die Tür. Dana stand auf und ging mit langsamen Schritten auf die Glastür zu. Für eine Sekunde verschwamm das Bild vor ihren Augen, bis sich ihr Kreislauf stabilisierte. Sie blinzelte. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Das war also der Moment auf den sie seit Monaten gewartet hatte. Dana konnte nicht glauben, dass er endlich da war. Ein Teil von ihr, der Teil, der schon zu viel erlebt hatte, der schon zu oft enttäuscht worden war, fürchtete sich vor diesem Moment und ließ sie eine Sekunde lang zögern. Sie sah sich nach Skinner um. Er nickte ihr aufmunternd zu und deutete auf die Tür.

„Keine Angst, Dana. Gehen Sie einfach durch diese Tür.“



Dana drückte die Klinke herunter. Im Zimmer war es noch immer dunkel. Das Piepsen des Herzmonitors war noch immer das einzige Geräusch, das sie hören konnte. Dana starrte auf die Gestalt in dem Krankenbett und ihr Herz machte einen erschrockenen Sprung.

Mulder hatte die Augen geöffnet und starrte an die Zimmerdecke. Sie hatte beim Eintreten keinen Laut verursacht und doch schien er zu spüren, dass er nicht mehr allein im Zimmer war. Langsam, unendlich langsam drehte er den Kopf in ihre Richtung.



Ihre Blicke trafen sich. Dana spürte, wie sich die Welt um sie herum zu drehen begann, als sie in diese Augen blickte. Diese Augen, die sie so lange vermisst hatte. Ihrer Kehle entfuhr ein heiseres Schluchzen und sie spürte, wie sie zu zittern begann. Mulder. Mulder sah sie an. Nicht in ihren Träumen, nicht in ihren Visionen, nicht in ihren Gedanken. Sondern der reale, wirkliche Mulder. Ohne wenn und aber. Kein Klon, kein Bounty Hunter, keine Halluzination. Einfach nur Mulder.

Er räusperte sich leise und musste kurz husten. In seinen Augen schimmerten Tränen, aber er lächelte. „Hey.“

Dana spürte wie der Schmerz, den sie seit Wochen verdrängt hatte, all die Angst, all die Zweifel, die Vorwürfe und die Einsamkeit wie eine peitschende Welle über sie hereinbrachen. Schluchzend stolperte sie zum Krankenbett herüber, nur noch von einem Gedanken getragen, ihn endlich wieder zu berühren, seine Stimme zu hören, zu wissen, dass er am Leben war.

Scully legte weinend den Kopf auf seine Brust und schloss die Augen. Sie konnte sein Herz schlagen hören und spürte wie er mit zitternder Hand über ihr Haar strich.

„Scully.“

„Mulder.“

Sie wusste später nicht mehr, wie lange sie einfach nur so dagelegen war und seinem Herzschlag gelauscht hatte. Irgendwann, nach einer Ewigkeit als sie sich sicher war, dass sein Herz nicht einfach wieder aufhören würde zu schlagen, hob sie den Kopf und sah ihn an. Mulder rannen die Tränen über die Wangen, aber er lächelte, lächelte so entspannt und zufrieden als wäre dies der schönste Moment in seinem Leben.

Scully öffnete den Mund, um ihm all das zu sagen, was ihr auf der Seele lag. All das, was sie ihm seit Monaten sagen wollte, was sie in ihren Träumen zu ihm gesagt hatte, als er eines Tages einfach wieder vor ihrer Tür stand.

Sie brachte keinen Ton hervor. Mulder wischte sich ungeschickt mit dem Handrücken über das nasse Gesicht und verteilte damit die Tränen nur noch großflächiger auf seiner Haut. Aber es war ihm egal. Er sah Scully an und flüsterte. „Gib niemals auf an Wunder zu glauben.“

Scully lächelte, lachte und weinte gleichzeitig, unfähig weder das eine noch das andere einzustellen und Mulder lachte und weinte mit ihr.

Dann, als sie sich beide ein wenig beruhigt hatten, sagte Dana leise: „Wie fühlst du dich?“

Mulder deutete ein Schulterzucken an und grinste. „Es ging mir schon besser – aber auch schlechter.“ Er runzelte plötzlich die Stirn und sah an seiner Partnerin entlang, maß sie von oben bis unten mit einem erstaunten Blick, bis dann endlich Verstehen in seine Augen trat. „Die Frage müsste wohl eher lauten, wie es dir geht.“

Dana seufzte, als der ganze Ballast der letzten Monate mit einem einzigen schmerzhaften Ruck von ihrer Seele fiel. Mulder starrte seine schwangere Partnerin mit einer Mischung aus Freude und Verblüffung an und griff nach ihrer Hand. Dana zuckte mit den Schultern und legte den Kopf schief, um ihm in die Augen zu blicken. „Du hattest Recht, mit dem was du über Wunder gesagt hast.“

Mulder schüttelte den Kopf. „Da bin ich ein paar Tage nicht da ...“

„Ein paar Tage? Mulder, es waren Monate!“

Sein Gesicht verdunkelte sich mit einem Mal und Schmerz trat in seine Augen. „Es tut mir leid. Das muss schlimm gewesen sein für dich.“

„Es war die Hölle“, gab Dana zu und griff nach seiner Hand. Sie wusste, dass er sich die Schuld geben würde, wusste, dass er glaubte in ihrem Leben nur Schmerz zu verursachen. Wie falsch er damit doch lag. Und Dana wusste, dass sie ihm das endlich begreiflich machen musste. Ihm und sich selbst. Bevor sie ihn wieder verlieren würde.

„Ich habe dich vermisst“, flüsterte sie. „Mehr vermisst, als du es dir vorstellen kannst.“

„Glaub mir, das kann ich“, gab Mulder genauso leise zurück und drückte ihre Hand. „Der Gedanke an dich, hat mich am Leben gehalten. Ich verdanke dir mein Leben, Dana Scully.“

Danas Herz machte einen Satz und ihre Kehle zog sich zusammen. Das war so viel größer, so viel wichtiger, so viel bedeutender, als alles, was jemals ein Mensch zu ihr gesagt hatte. Und es war nicht irgendjemand, der es sagte. Es war Mulder. Ihr Partner Fox Mulder.

„Und ich verdanke dir meines“, flüsterte sie zurück. Ihre Blicke trafen sich und durch den Schmerz und die Freude, die Verwirrung und Erleichterung drang ein neues Gefühl, das ihr Herz schneller schlagen ließ. Langsam, ganz langsam beugte sich Dana Scully vor, bis ihre Lippen die ihres Partners berührten. Und in dem Moment als sie beide in dem Kuss versanken, von dem sie seit Monaten geträumt hatten, in dem Moment wusste Dana Scully, dass es vorbei war. Sie hatten den Kampf gewonnen und vielleicht, nach fast acht Jahren Leid und Zweifel und Gefahren, vielleicht auch den Krieg.


Ende

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