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Widerstand ist unsere Bestimmung

von KajaM

Kapitel 2

Wohnung von John Doggett
Strausberg, Brandenburg



Er schaute sich nach beiden Seiten um, ob man ihm gefolgt war, ehe er die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. Es lag nicht in seiner Absicht sich verdächtig zu verhalten, doch Doggett wollte auf Nummer sicher gehen, dass diese miese Ratte Spender niemanden hinter ihm hergeschickt hat. Erst nachdem er die Tür hinter sich geschlossen und verriegelt hatte, fühlte er sich sicher. Mit einem tiefen Seufzer schwang er sein Jackett über die Lehne seines Sessels im Wohnzimmer, bevor er anschließend auf der Suche nach seiner Frau die Küche betrat.

„Doreen, bist du...“

Mitten im Satz brach Doggett ab und blieb einen Moment überrascht im Türrahmen stehen. Seine Frau Doreen saß an dem kleinen eckigen Küchentisch und schenkte ihrem Ehemann ein erfreutes Lächeln zur Begrüßung. Doch sie war nicht allein. Mit ihr saß eine weitere Frau jungen Alters am Tisch und ein großer, kräftig gebauter und fast kahlköpfiger Mann lehnte gegen den großen Eichenschrank.

„Was zum Teufel macht ihr hier?“, schrie Doggett die anderen beiden an, ohne seiner Frau in diesem Moment Beachtung zu schenken. „Seid ihr wahnsinnig hierher zu kommen? Wenn euch jemand gesehen hat...!“

„Beruhige dich“, erwiderte die junge dunkelhaarige Frau. „Wir haben aufgepasst, dass uns keiner sieht! Hör zu, es gibt Schwierigkeiten, und wir...“

„Nein, Monica, jetzt hört ihr mir zu!“, fuhr Doggett die beiden wütend an, zügelte sich jedoch sogleich wieder der Lautstärke wegen. Die Wände des Wohnhauses waren dünn wie Papier. „Wir haben Vereinbarungen getroffen, an die sich jedes Mitglied zu halten hat! Verstößt jemand dagegen, so bringt das die ganze Gruppe in Gefahr. Eine der Regeln lautet niemals, wirklich *niemals* die Wohnung eines anderen Mitglieds aufzusuchen, egal was auch passieren mag! Wir haben unseren Treffpunkt. Dessen müsst ihr euch bewusst sein!“ Er machte eine Pause und schaute die zwei an, die nun einen schuldbewussten Blick austauschten. Mit einem tiefen Seufzer fuhr er fort: „Spender ist mir auf die Schliche gekommen und jetzt heißt es vorsichtiger zu sein denn je!“

„Liebling“, sprach Doreen ihm leise zu und berührte sanft seine Hand. „Beruhige dich und hör Monica und Walter erst einmal zu. Es ist etwas passiert, das uns in große Schwierigkeiten bringen könnte.“

„Deine Frau hat Recht“, begann Walter Skinner mit seiner tiefen Stimme. „Die Sache mit Spender ist sicherlich auch alles andere als erfreulich, aber um den Kerl müssen wir uns später kümmern.“

Mit einem zustimmenden Nicken meldete sich Monica Reyes zu Wort. „Das stimmt vollkommen“, begann sie ruhig. „Jetzt haben andere Dinge Priorität. Wir haben vorhin erfahren, dass ein Jude ins Krankenhaus gebracht wurde, den einige SS-Leute auf der Straße auf übelste Art verprügelt haben.“

Erschrocken fuhr Doggett zusammen. „Um Himmels Willen, ihr meint doch nicht etwa...“

„Doch, genau das“, bestätigte Reyes bitter. „Es ist der Jude, der vor einigen Tagen bei uns aufgetaucht ist und um Unterschlupf gebeten hat.“

Panisch fasste Doggett sich an den Kopf und atmete tief ein. Das Blut pochte heiß in seiner Stirn und er versuchte angestrengt die Konsequenzen des Vorfalls abzuwägen. „Verdammt! Walter, wie konnte das passieren! Warum um alles in der Welt hat er das Versteck verlassen?“

Skinners Blick senkte sich zum Boden. „Das kann ich dir nicht beantworten, John“, gab er beinahe flüsternd zu. „Ich verstehe seinen Leichtsinn ja selber nicht.“ Er seufzte bedrückt. „Viktor hat mich aufgesucht, kurz nachdem er und Doktor Scully den Juden so gut wie nur möglich medizinisch versorgt haben, und mir von dem Vorfall berichtet.“

Nachdem Doggett darauf nichts mehr erwiderte, sondern nur mit starrem Blick ins Leere schaute, fuhr Reyes mit überzeugender Stimme fort. „John, wir müssen dafür sorgen, dass die Sache auf gar keinen Fall an die Öffentlichkeit gerät. Wenn der Jude nun geschwätzig wird, oder die Leute anderswie erfahren, dass wir ihm Unterschlupf gegeben haben, dann ist es aus mit unserer Sicherheit und dann müssen wir zusehen schleunigst aus Strausberg zu verschwinden! Das willst du genauso wenig wie wir, nicht wahr? Allein schon um deiner Familie Willen.“

Doggett leidvoller Blick schweifte hinüber zu seiner Frau, die ihn aus großen, ängstlichen Augen heraus beobachtete. Er schenkte ihr ein zwar warmes, jedoch bedrücktes Lächeln und fuhr ihr zärtlich durch ihr langes, hellbraunes Haar.

„Ihr habt Recht“, pflichtete er seinen beiden Verbündeten schließlich bei, „wir müssen handeln... und zwar sofort!“









Krankenhaus von Strausberg



Scully stand gemeinsam mit ihrem Kollegen Viktor am Bett des neuen Patienten. Kopfschüttelnd betrachtete die Ärztin den geschundenen Körper Mulders, der übersät war mit Prellungen, Kratzern, Blutergüssen. Die inneren Blutungen hatten sie zwar zu stoppen vermocht, doch in seinem dermaßen geschwächten Zustand würde es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis der Mann das Bewusstsein wiedererlangte. Scullys Augen glitten aufmerksam über Mulders Gesicht mit seinen markanten Zügen. Zweifelsohne ein sehr attraktiver Mann, dachte sie bei sich, als Freissler neben ihr auf einmal eine hastige Bewegung machte. Lauernd und lauschend starrte er den Gang der Krankenstation hinunter. Auch Scully vernahm nun auch die hastig auf sie zueilenden Schritte; offensichtlich gehörten sie mehreren Personen.

Dana hielt den Atem einen Moment unbedacht an, in der angstvollen Erwartung, Besuch von der SS zu erhalten, die sich höchstwahrscheinlich nach dem „speziellen“ Patienten erkunden würden. Sie zog die Augenbrauen angestrengt zusammen.

Mit einem erleichterten Seufzer stellte sie schließlich fest, dass es sich um den Lehrer John Doggett und den Industriellen Walter Skinner, samt seiner Assistentin Monica Reyes handelte. Auch Freissler atmete nun neben ihr entspannt durch.

„Das ist nun wahrlich ein angenehmer Besuch“, sprach Scully dem Lehrer freudig entgegen und nahm seine Hand zur Begrüßung. „In der Tat“, bekräftigte Freissler lächelnd und begrüßte Skinner und Reyes, „wir haben mit einer weitaus schlimmeren Visite gerechnet.“

“Das kann ich nur allzu gut vorstellen“, setzte Skinner mitfühlend an und fuhr mit einem Nicken in Mulders Richtung fort, „immerhin ist Ihr neuer Patient ein sehr brisanter Fall.“

„Woher...“, entfuhr es Scully entsetzt, doch ehe sie weitersprechen konnte, wurde sie von Doggett unterbrochen, der beruhigend ihren Arm ergriff.

„Eine lange Geschichte“, beantwortete er indirekt ihre Frage. Nachdenklich schaute er die Ärztin an, die er im Laufe all seiner Lebensjahre in Strausberg als kompetente und absolut verlässliche Person kennen gelernt hatte; er schaute ihr tief in ihre verwirrten, leuchtend grünen Augen. Ein bejahendes Nicken seitens seiner beiden Freunde bestätigte seine folgenden Worten. „Doktor Scully, es ist an der Zeit, dass wir Sie einweihen.“

Alle fünf begaben sich zu einem kleinen Gesprächsraum des Krankenhauses, wo sie zwei weitere Stühle zu den bereits vorhandenen dreien hinzuholten. Sie nahmen in einem Kreis nebeneinander Platz und Doggett begann zu erzählen mit einigen kleinen Unterbrechungen von Reyes und Skinner, die ihn korrigierten oder weitere Dinge anfügten. In einem beständigen Flüsterton aus seiner zur Angewohnheit gewordenen Vorsicht heraus erzählte er Scully die Geschichte ihrer Untergrundgruppe, die aus einem geheimen Versteck heraus Widerstand gegen die örtliche SS leistete und von Zeit zu Zeit Schutz suchende Juden beherbergte. Deren Verschwiegenheit war ihnen bisher immer sicher gewesen, denn die jüdischen Flüchtlinge waren sich sehr wohl dessen bewusst, dass sie der Gruppe womöglich ihr Leben verdankten. Er erwähnte, dass diese Gruppe aus sechs Personen bestand, jeder einzelne von ihnen nach außen hin ein braver und gutbürgerlicher Mensch, der nie den Anschein eines „Vaterlandsverräters“ erwecken würde. Ebenso fügte Doggett zum großen Erstaunen der Ärztin an, dass ihr Assistent Freissler ein Hüter ihres Geheimnisses war, wenn auch nicht selber Mitglied des Bundes. Vor einer Weile hatten sie sich in Übereinstimmung dessen, dass man dem aufrichtigen und couragierten Viktor mit gutem Gewissen trauen könne, dazu entschlossen ihn einzuweihen, denn es bestand öfters die Not verletzte Juden behandeln zu müssen. Schon oft habe er unter Anwand größter Vorsicht in ihr Versteck eilen müssen, um ihnen zu helfen, erklärte Doggett. Selbstlos und absolut verlässlich sei der junge Mann.

„Viktor?“, sprach Scully ihren Kollegen in überraschtem, doch ganz offensichtlich auch ehrfürchtigen Ton an.

„Ja... nun ja...“, stammelte Freissler verlegen und lief Scullys Respekts wegen rot an. „Ich... ich hätte Ihnen schon öfters gerne davon erzählt, nur war mir allzu klar, dass ich damit das Vertrauen der Gruppe missbrauchen würde. Außerdem...“ Er bemerkte ihren aufmerksamen und neugierigen Blick, woraufhin er verlegen zu Boden schaute und seine Gesichtsröte noch an Intensität zunahm. „...Außerdem hätte ich nicht damit leben können, wenn ich Sie dadurch in Gefahr gebracht hätte.“

Scully lächelte sanft, bedeckte seine vor Aufregung zitternde Hand mit ihrer eigenen und drückte sie leicht. „Das weiß ich sehr zu schätzen, Viktor“

Seine Augen wurden groß und das Herz pochte ihm wild in seiner Brust. Er vermochte jetzt nichts gescheites mehr zu erwidern, aber schaffte es *irgendwie* ein Lächeln zustande zu bringen.

„Also ist dieser jüdische Mann“, richtete Scully ihre Aufmerksamkeit nun auf die drei Besucher, „dieser Fox Mulder, der Grund, warum Sie uns hier im Krankenhaus aufgesucht haben. Sie haben ihm Unterschlupf geboten, ist dem nicht so?“

„Fürwahr“, entgegnete Reyes. „Er hatte eine lange Flucht aus seiner Heimatstadt Berlin, wo Juden sich schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen können, hinter sich, als er zu uns kam. Walter sah ihn vor einigen Tagen ziellos und am Ende seiner Kräfte durch die weniger belebten Straßen am Stadtrand irren.“

„Mir kam sofort der Verdacht“, fuhr Skinner mit Monicas Bericht fort, „dass es sich offensichtlich um einen Flüchtenden handeln müsse. Ich zog ihn in eine kleine, versteckt liegende Seitenstraße und hielt ihm den Mund zu, damit er nicht lauthals und von Panik ergriffen um Hilfe schreien könne. Nachdem ich ihm versichert hatte, dass er mir trauen könne, erzählte er von sich. Ich brachte ihn in unser Versteck, wo wir ihn versorgten und wieder zu Kräften brachten. Er machte auf uns einen sehr vernünftigen und intelligenten Eindruck, also hatten wir auch bei ihm keine großen Befürchtungen. Gerade deswegen verstehe ich nicht“, gestand er betrübt, „wie der Kerl eine so große Dummheit anstellen konnte und vor allem welcher Teufel ihn dazu bewegt hat.“

„Unsere Taten“, klinkte sich Doggett ein, der sich von seinem Stuhl erhob und nun einige Schritte durch den Raum ging, „mögen zwar sowohl viel Aufruhr und Entsetzen, als auch stille Bewunderung einiger hervorgerufen haben, doch bisher sind wir immer unerkannt geblieben. Nun hat der Direktor unseres Jungeninternats, dieses dreckige kleine SS–Schwein Jeffrey Spender, mich im Verdacht der Gruppe anzugehören. Ich habe leider nicht die geringste Ahnung, wie er zu dieser Annahme kommt, aber solange er keine stichhaltigen Beweise anführen kann, sind meine Familie und ich noch einigermaßen sicher. Doch Mulders dummes Verhalten könnte unser aller Ende bedeuten. Wenn er den Mund auftut und etwas falsches sagt, ist es vorbei!“

Scully verfiel eine Weile in nachdenkliches Schweigen. Schließlich, nach verzweifeltem Nachgrübeln über Für und Wider, versicherte sie Doggett, Reyes und Skinner: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr Geheimnis wird in meinen Händen genauso sicher sein wie in denen meines Kollegen Viktor. Was diesen Mulder angeht, so verspreche ich Ihnen ihn stumm zu halten, sobald er wieder zu Bewusstsein kommt. Er wird die SS nun mindestens genauso fürchten wie Sie, also sehe ich keinen Grund, warum er schwatzen sollte.“








Krankenhaus von Strausberg
4 Tage später



Vier Tage waren seit dem Vorfall auf Strausbergs Straßen vergangen. Nach dem klärenden Gespräch mit Scully und Freissler wähnten Doggett und seine beiden Verbündeten sich in Sicherheit und vermuteten ihr gefährliches Geheimnis in sicheren Händen bei den beiden Ärzten, die ihnen strikte Geheimhaltung zugesprochen hatten. Sie verschwanden nach jener Konversation genauso schnell und in größter Eile wieder, wie sie gekommen waren, und waren seitdem weder von Freissler, noch Scully nochmals gesehen in dem kleinen Strausberger Krankenhaus.

Der jüdische Patient Fox Mulder war vor nunmehr fast zwei Tagen erwacht. Scully kümmerte sich fürsorglich um ihren derzeitigen Problemfall und hatte einige lange und klärende Gespräche mit ihm geführt. Er hatte ihr fest zugesagt das Geheimnis für sich zu behalten. Selbst unter der größten Folter der SS werde er es nicht preisgeben, versprach er mit noch immer schwacher Stimme. Auch hatte sie nun endlich erfahren, was Mulder dazu bewegt hatte sein sicheres Versteck zu verlassen und sich in Lebensgefahr zu begeben.



Von seinem Versteck aus, so erzählte er betrübt, habe er beobachtet, wie drei dreckige SS-Kerle sich an ein junges Mädchen heranmachte. Die drei großen, kräftigen Männer kreisten das sehr hübsche, aber zierliche junge Mädchen auf offener, tagheller Straße ein und redeten auf vulgärste Weise auf sie ein. Als das Mädchen nicht auf sie reagierte und versuchte an ihnen vorbeizukommen, packten zwei sie an jeweils einem ihrer Arme, während der dritte sich ihr auf widerliche Weise an den Hals warf und ihr seine Küsse aufdrängte. Alle Passanten auf der Straße schauten weg und gingen tatenlos an dem entsetzlichen Szenario vorbei. Niemand wagte es die Männer, die ihre Machtposition auf grauenhafte Weise missbrauchten, zurückzuhalten und zurechtzuweisen. Von blinder Wut gepackt sei er schließlich ohne weitere Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden hinausgestürmt und habe den dritten Kerl von dem schreienden Mädchen weggezerrt. Alle drei ließen nun von dem Mädchen ab, das weinend davonlief, und widmeten sich seiner. Sie stießen ihn gegen eine Hausmauer. Einer der Kerle griff in Mulders Hosentasche und zog seine Brieftasche hervor. „Dich haben wir hier noch nie gesehen, Bürschchen,“ sagte der Mulder altersmäßig weit unterlegene Mann hochmütig. „Mal sehen mit welcher tapferen Persönlichkeit wir es hier zu tun haben.“ Seiner Kollegen packten Mulder mit festem Griff, so dass er nicht mehr davonlaufen hätte können, während er Mulder Brieftasche durchstöberte und schließlich einen Ausweis fand. „Ha“, lachte er lauthals und spöttisch auf. „Ein Jude! Ein scheiß dreckiger Jude!“

Mit diesem Wort spuckte er dem wehrlosen Mulder ins Gesicht und alle drei begannen auf ihn einzutreten und – prügeln.



Scully, vollkommen entsetzt und aufgewühlt von dieser Geschichte, beauftragte Viktor damit die Gruppe um Doggett über alles auf den neuesten Informationsstand zu bringen und ihnen zu versichern sie könnten sich in Sicherheit wägen.

Mulder Zustand hatte sich, zu Scullys großer Freude, sehr gebessert, und obwohl die Ärztin ihm untersagt hatte zu viel zu reden, da es ihm offenbar noch große Mühe kostete, stand sein Mund nicht still, wann immer Scully ihre Visite durchführte. Und dies war oft der Fall, denn das Krankenhaus war in den letzten zwei Wochen von einer seit langer Zeit erstmaligen Stille erfüllt, für die Scully aber keineswegs undankbar gewesen wäre. Es tat gut und gab ihr neuen Mut im Moment nicht tagtäglich wieder neue schwerverletzte Soldaten behandeln zu müssen. Statt dessen hatte sie wieder mehr Zeit stärker auf die wenigen verbliebenen Patienten einzugehen. Sie genoss es bei ihnen zu sitzen und ihren Erzählungen zu lauschen, wobei sie fast nie von sich selber sprach. Mulder war, was Erzählungen und Geschichten betraf, ein besonders hartnäckiger Fall. Einmal zu Wort gelassen, kannte er scheinbar kein Ende. Es verblüffte die Ärztin ungemein, wie dieser Mann, der schon soviel gesehen, erlebt und erlitten hatte, noch immer ein so stark loderndes, leidenschaftliches Feuer von Lebensfreude und Ausdauer in sich tragen konnte. Er brachte sie zum Lachen und das imponierte ihr insgeheim am meisten. Sehr zu Freisslers Gram konnte Scully Stunden an Mulders Seite verbringen und ihm zuhören. Freisslers Herz war erfüllt von Eifersucht und Hass auf den Juden, doch nie hätte er sich etwas davon anmerken lassen. Seine Loyalität gegenüber der Widerstandsgruppe und besonders seine Liebe zu der wunderschönen, rothaarigen Ärztin bewahrten ihn davor, eine gedankenlose Tat in blinder Eifersucht zu begehen.



Einige laute Geräusche waren von dem Krankenzimmer her zu vernehmen. Mulder erzählte eine seiner zahlreichen Geschichten zu Ende, begleitet von Scullys heiterem Kichern. „Also, das ist doch wirklich unglaublich“, kommentierte sie noch immer lachend.

„Glauben Sie es oder auch nicht“, antwortete ihr Patient mit einem breiten Grinsen im Gesicht, „aber es hat sich wirklich so abgespielt.“

Er beobachte Scully, die nun um Fassung rang, fasziniert, und stellte fest, dass sie sehr sehr hübsch war und eine geradezu unheimlich einnehmende, wenn auch unnahbare Art hatte.

„Aber ich rede und rede“, warf er schließlich ein, „und lasse Sie gar nicht zu Wort kommen. Sie müssen es entschuldigen. Es ist eine sehr unhöfliche Macke von mir. Warum erzählen Sie nicht ein wenig über sich?“

Mit einem Mal wurde sie ernst. „Ich rede nicht gerne über mich“, antwortete sie zögerlich, „Viel lieber erfahre ich Dinge über meine Patienten. Sie vergessen ihre Schmerzen während des Erzählens und werden fröhlich und unbekümmert. Außerdem schadet es der Autorität und Vertrauenswürdigkeit eines Arztes, wenn er beginnt über seine persönlichen privaten Angelegenheiten zu plaudern.“

„Ich bin der Meinung, dass es das Vertrauen von Arzt und Patient vertiefen würde.“ Mulder versuchte ihr Schutzmauer zu durchbrechen. „Ich möchte mehr über Sie erfahren, Doktor Scully“, gestand er ihr flüsternd.

Ehe er eine Antwort von ihr erhalten konnte, störten Freisslers aufgeregte Rufe ihr Gespräch.

Atemlos stürzte er herein. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. Von seiner Aufregung selbst aufgeschreckt erhob Scully sich von ihrem Stuhl und versuchte den jungen Mann zu beruhigen. „Viktor, nur mit der Ruhe. Was ist denn bloß los?“

„Spender“, keuchte Viktor benommen. „Spender, der alte Spender ist im Anmarsch mit einigen SS–Männern. Ich konnte sie zunächst nicht genau erkennen, da es draußen stockfinster ist, aber als sie näher kamen, war es offensichtlich.“ Sein Gesicht war von Angst erfüllt. „Sie sehen wütend aus... verdammt wütend.“

Kaum hatte er seinen Satz beendet, stürmte Scully aus dem Krankenzimmer heraus in Richtung des Krankenhauseinganges.



Bereits in der Eingangshalle schritt der alte Spender ihr entschlossen entgegen. Im altbekannten Anblick hatte er eine Zigarette zwischen den Fingern und genehmigte sich einen tiefen und entspannten Zug, ehe er mit Scully zu sprechen begann.

„Einen wunderschönen Tag wünsche ich Ihnen, Doktor Scully“.

Ein hinterhältiges, teuflisches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen.

„Guten Tag auch.“ Scully versuchte Ruhe zu bewahren, obwohl sie die Angst, die durch ihre Adern schoss, nicht unterdrücken konnte.

„Nun, einige der mir unterstellten SS–Männer erzählten mir, dass ein Jude sie vor einigen Tagen auf der Straße auf sehr primitive Weise angepöbelt habe und ihnen gegenüber sogar gewalttätig geworden sei.“

Scullys Angst wich unermesslichem Zorn. Sie spürte wie ihr aufgrund dieser unerhörten Lügen eine heiße Röte ins Gesicht stieg, und sie ballte angespannt die Hände hinter ihrem Rücken.

Spender, der mit einem scharfen Blick absolut gierig auf eine falsche Bewegung der Ärztin wartete, fuhr mit kräftiger Stimme fort. „Natürlich sind meine Männer sofort gegen diesen vor Wut rasenden Mann eingeschritten. Verletzungen blieben dabei nicht aus. Ich habe den starken Verdacht, dass diese widerwärtige Widerstandsgruppe dahinter steckt, denn der Mann war nicht von hier, sondern kam aus Berlin. Wie dem auch sei, es ist mir zu Ohren gekommen, dass der verletzte Jude sich in Obhut und Pflege des Krankenhauses befinde. Ist dem so, Doktor Scully?“, fragte der alte Mann sie mit seiner bedrohlichen Mine durchdringend und nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette.

„Nun ja",begann Scully und war selbst überrascht über die Ruhe in ihrer Stimme. „Es ist in der Tat so, dass wir zur Zeit einen Mann jüdischer Herkunft bei uns haben. Allerdings ist mir nichts bekannt über den bedauerlichen Vorfall mit Ihren Männern oder darüber, inwiefern die Widerstandsgruppe ihre Finger mit im Spiel haben mag.“

„Doktor Scully“, fuhr er sie nun grob an und tat einen Schritt nach vorne. Die um einiges kleinere Scully fühlte sich ungemein bedroht, wich aber dennoch nicht von ihm zurück.

„Ich hoffe doch, dass Ihnen klar ist, was Ihnen für die Aufnahme und Verpflegung eines Staatsfeindes blüht?“

„Bestrafung hin oder her“, erwiderte sie energisch. „Als Ärztin bin ich in erster Linie meinen Patienten Rechenschaft schuldig über mein Handeln. Es ist meine Pflicht, Kranke zu heilen und Verletzte zu pflegen und zwar völlig unabhängig von deren Hautfarbe, Nationalität oder Religion! Und da können Sie mir so oft mit Warnungen und Einschüchterungen daherkommen, wie Sie wollen... ich werde dieser Verpflichtung trotzdem weiter nachgehen!“

Ohne ein weiteres Wort zu entgegnen, wandte der Raucher seinen hasserfüllten Blick ab von ihr und ging ohne weitere Beachtung an ihr vorbei.

„Einen Moment!“ Scully holte ihn hastig ein. „Wo wollen Sie hin?“

Der Raucher blieb kurz stehen und lächelte finster. „Wir holen uns den Juden und geben ihm die Strafe, die er verdient für sein freches Verhalten.“

„Einen Teufel werden Sie tun!“ Scully versperrte ihm den Weg und stemmte die Hände wütend in die Seiten. „Solange ich hier noch das Sagen habe, wird kein Patient ohne meine ausdrückliche Erlaubnis aus diesem Krankenhaus entfernt!“

Mit einem bemitleidenden, kalten Lächeln schaute Spender von oben auf sie herab. Auf sein Handzeichen hin ergriff einer seiner vier Begleiter die Ärztin und hielt sie in der Eingangshalle fest, während der Raucher sich mitsamt der übrigen dreien zu dem Krankenzimmer begab.

Als sie zurückkamen, hatten zwei von ihnen den schwachen, sich dennoch stark wehrenden Mulder in ihre Mitte genommen, während der dritte den herannahenden Freissler mit einer Pistole drohend fernhielt. Mulder schrie und tobte, während auf sich Viktors Gesicht ein hilfloser und doch entschlossener Ausdruck bildete.

Scully versuchte sich aus der festen Umklammerung des SS–Mannes zu lösen, der seinen Griff daraufhin noch verstärkte. Der Raucher passierte sie ohne einen weiteren Blick, ging zur Tür, um sie den beiden Kerlen, die Mulder gepackt hatten, zu öffnen. Während sie Mulder hinauszerrten, drehte er sich um. „Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation, Doktor Scully.“ Sein Gesicht wandelte sich zu einer grässlichen Grimasse. Als er und der dritte SS–Mann im Begriff waren durch die Tür hinauszugehen, wurde Scully losgelassen und auch der vierte schloss sich ihnen an. Scully stand regungslos da. Plötzlich schoss ein Schatten an ihr vorbei in die Richtung des Rauchers und der SS–Männer. Freissler stürzte sich auf den Kerl, der Scully noch vorhin gepackt hatte, und verpasste ihm einen heftigen Faustschlag, so dass der Getroffene nach hinten zur Tür hinausflog. Ehe Scully wirklich registriert hatte, was gerade vor ihren Augen passiert war, zückte der andere SS–Mann seine Waffe und feuerte drei Schüsse auf ihren Assistenten ab. Viktor fiel zu Boden und sein weißes Hemd war innerhalb von Sekunden blutdurchtränkt.

Scully rannte zu ihm und hob seinen Oberkörper an, während Spender und seine Leute in der Dunkelheit verschwanden.

„Es tut mir leid... es tut mir so furchtbar leid“, röchelte Freissler in verzweifelten Atemzügen.

„Nicht sprechen, Viktor.“ Sie fuhr ihm beruhigend durch das kurze Haar. „Es wird alles gut. Ich werde dir helfen.“

Ehe sie sich erhob, um ihre medizinische Ausrüstung herbeizuholen, warf sie einen letzten eiligen Blick in die tiefschwarze Nacht hinein. Mulders verzweifelte Schreie hallten dumpf in der Eingangshalle wider. Einen kurzen Moment meinte sie noch in der Ferne die rotglühende Zigarettenspitze des Rauchers zu erkennen, dann wurde es schwarz.

Sie beeilte sich ihre Ausrüstung zu holen, doch als sie wiederkam, war Viktor bereits tot.




4 Monate später



Die Geschehnisse jener Nacht verfolgten Dana Katherine Scully seither in ihren Träumen. Oft fand sie schon gar keinen Schlaf mehr, aus Angst vor diesen grauenhaften Träumen, und so verbrachte sie ganze Nächte sich von einer Seite auf die andere wälzend.

Kurz nach diesem Vorfall wütete der alte Spender in der ganzen Stadt. Kein Haus, das von den SS–Männern unbetreten blieb, kein Zimmer, das nicht gewaltsam durchsucht worden wäre auf Hinweise zu der Widerstandsgruppe hin.

Nach vielen, schon fast vergeblichen Versuchen gelang es den Widerständlern Monica Reyes und Walter Skinner ihren Verbündeten, den Lehrer John Doggett um seiner Familie willen zur Flucht zu überreden. Sowohl Doggett, als auch einem weiteren Mitglied der Gruppe, der Familie hatte, gelang es der SS rechtzeitig zu entkommen. Es wurde auch außerhalb von Strausberg nach ihnen gesucht, doch sie konnten nie gefunden werden.

Reyes, Skinner und die übrigen zwei, allesamt alleinstehend und ohne Familie, die sie zu behüten hätten, stellten sich schließlich freiwillig, um ihre Heimatstadt vor weiterem Terror zu bewahren. In dem Wissen, wie bitternötig diese Stadt auf die Ärztin angewiesen war, bekräftigten sowohl Monica, als auch Walter in ihren Verhören mehrfach, dass Doktor Dana Scully nie in Kontakt mit ihren Machenschaften gekommen sei. Scully, die mit ihrem Schweigen über ihre Teilschuld nicht leben wollte, wurde in einem letzten geheimen Treffen von Skinner zur Vernunft gebracht.

Er und Reyes, als auch ihre beiden Verbündeten, wurden in aller Öffentlichkeit auf dem Marktplatz in einem Erschießungskommando hingerichtet. Ihre Blicke waren kurz vor Abfeuerung der Waffen gen Himmel gerichtet und auf ihren Lippen lagen Worte der Hoffnung und des Mutes, die kurze Zeit später auch über Lippen des fremden Juden Fox William Mulder gleiten sollten, der seit jener Nacht nie wieder in Strausberg gesehen wurde.

Aufgrund mangelnder Beweise kam Scully mit einer Verwarnung davon und konnte in Strausberg weiterhin den Kranken und Verletzten dienen. Auch war sie anwesend, als ihr mehrjähriger Kollege und Freund Viktor Freissler zur letzten Ruhe gebettet wurde. Sie legte weiße Rosen auf seinem Grab nieder... weiß, als Zeichen der Unschuld und Hoffnung.








Vernichtungslager Auschwitz, Polen
Etwa zwei weitere Monate später



Sein Blick schweifte müde und erschöpft über den Weg zwischen den beiden Barackenreihen. Ein Anblick des Ekels und Entsetzens offenbarte sich vor seinen Augen neben einzelnen Baracken. Spindeldürre, abgemagerte und glatzköpfige Leichen in Sträflingsanzügen, die den heutigen Arbeitstag nicht mehr erlebt hatten, lagen umher, zum Teil schon in kleinen Häufchen aufeinandergestapelt. Im Laufe des Tages würde man ihre toten Körper zu den Verbrennungsanlagen fortschaffen.

Es waren Bilder, die für Fox Mulder in den letzten Monaten zu einer bizarren Gewohnheit geworden waren. Spürte man am Anfang noch das lodernde Feuer zu kämpfen, sich trotz bestialischer Strafen seitens der Lagerangestellten aufzulehnen und sich nicht unterkriegen zu lassen, so wurde einem alles nach monatelanger Knochenarbeit nur noch egal. Immer stärker jedoch wurde das Verlangen nach dem Tod, und danach, all den Qualen, Torturen und Strafen einfach nur ein Ende zu setzen.

Langsam trottete er vorwärts, die schwachen Beine mühevoll nach vorne schleifend, umgeben von anderen Leidensgenossen. Sie waren ebenso abgemagert und blass wie er und rangen für jeden neuen Schritt mit ihrem Körper und ihren letzten Kräften. Männer, die mit leeren und ausdruckslosen Augen in die Leere starrten, während sie weitergingen, und Frauen, die ihre kahlen Köpfe mit alten, verdreckten Tüchern bedeckten. Auch Jugendliche, deren Anblick einen in tiefe Trauer und Verständnislosigkeit stürzen konnte. Das frühere neugierige Strahlen ihrer jungen Gesichter war Müdigkeit und einem seltsamen Anschein von Alter gewichen.

Der Tross passierte Block 11, den sogenannten „Todesblock“, in dem grausame medizinische Experimente durchgeführt wurden, besonders an jungen Frauen. Im Vorbeigehen richtete Mulder seinen Blick auf die „Todesmauer“ zwischen Block 10 und 11, an der schon viele Häftlinge durch einen Kopfschuss ihr Leben verloren hatten. Das eingetrocknete Blut, das sogar aus großer Entfernung an der Mauer zu erkennen war, hatte im Laufe der Zeit eine stark bordeauxrote Färbung angenommen.

Die herrscherisch posaunende Stimme des Naziaufsehers trieb die Gruppe voran. Wer völlig entkräftet zusammenbrach, erntete Schläge und Tritte, bis er sich wieder aufraffte, um mit letzten Schritten seinem Tod entgegen zu gehen.

Sie erreichten die Gaskammern. Es sei eine notwendige Maßnahme zur Desinfektion, an der jeder Häftling einmal teilnehmen müsse, so teilte man ihnen mit. Sie wurden aufgefordert sämtliche Kleidungsstücke abzulegen und sich anschließend in den zwei „Duschkammern“ nach männlich und weiblich zu verteilen.

Schließlich stand Fox Mulder in dem dunklen, kalten Loch, das einer „Duschkammer“ so gar nicht ähnlich sah. Boden und Wände aus Beton, wirkte es viel eher wie ein Schutzbunker. Eine grobe Gänsehaut zog sich über Mulders nackten Körper, sein Atem ging schneller. Um ihn herum vernahm er das harte, hektische Hecheln der anderen Häftlinge. Ihre geweiteten Augen irrten in dem Bunker umher, verzweifelt nach einem Zuversicht gebenden Hinweis suchend.

Plötzlich und unerwartet sprangen die Deckenleuchten an. Ein erleichtertes Seufzen der Männer hallte an den kahlen Wänden wider. Einige lachten in beruhigter Gewissheit, während anderen lediglich ein kurzes Lächeln über die Lippen huschte. Mulder traute dem ganzen Geschehen in keiner Weise. Hier und da hatte er Gemurmel und Gerüchte über die vermeidlichen „Duschkammern“ vernommen und in diesem Moment schenkte er ihnen seinen vollen und unerschütterlichen Glauben.

Ein zischendes Geräusch übertönte mit einem Mal die Männer und nur wenige Sekunden später spürte Mulder die kalten Tropfen auf seine nackte Haut herabprasseln. Die ihn von allen Seiten umgebenden anderen Häftlinge streckten erwartungsvoll und glücklich die Hände dem kühlen Nass entgegen, völlig vernebelt von der Illusion es handle sich tatsächlich um klares Wasser.

In Panik schaute Mulder wild und orientierungslos umher, als die ersten begannen zu keuchen, husten und würgen. Ein kleiner, knapp 11 Jahre alter Junge brach als erster zusammen.









Krankenhaus von Strausberg

Zur gleichen Zeit



Dr. Dana Katherine Scully schreckte, über ihrem Papierkram sitzend, zusammen. Ein beunruhigendes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Unsicher schaute sie sich in ihrem kleinen Büro um, geradezu so, als würde sie von jemandem beobachtet werden. Es überkam sie urplötzlich eine panische Angst.







In jenem Moment, da er den Jungen vor seinen Augen sterben sah, loderte in ihm ein allerletztes Mal die große, durch nichts zerstörbare Flamme des Kampfwillens und der Durchhaltekraft auf.

Und er schrie es hinaus, als möge die ganze Welt es als eine auffordernde Botschaft empfangen.



„Widerstand ist unsere Bestimmung!!“







So schnell es gekommen war, verschwand das beunruhigende Gefühl der Angst wieder. Und wie von überirdischer Hand in ihr Gesicht gezaubert, machte sich ein hoffnungsvolles und ermutigtes Lächeln auf Scullys Lippen.









„Widerstand ist unsere Bestimmung!!“





Ihre grässlichen Träume nahmen ein jähes Ende.





* Ende *
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