World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Someday - Deadly Prophecy (Teil 1)

von KajaM

Kapitel 2

Susanne beschloss ihre Emails zu checken. Das würde sie auf andere Gedanken bringen. Es dauerte einen kurzen Moment, dann wurden ihr sechs neue Nachrichten angezeigt. Die meisten enthielten nur belanglosen Kram, doch einer der Absender war ihr nicht bekannt. Vorsichtshalber überprüfte sie die Mail auf Viren hin, schließlich befanden sich auf ihrer Festplatte einige wichtige Dateien über ihre Arbeit und Forschungen und die musste man nun wirklich nicht unnötigen Gefahren aussetzen. Nachdem kein Virus festgestellt werden konnte, öffnete sie die Nachricht und klickte sich zunächst bis zum Ende der Mail hindurch auf der Suche nach einer Signatur.

„Oh Gott”, flüsterte sie leise und hielt unbewusst einen Moment den Atem an. „Peter...”

Sie war von Prof. Manson. Er musste sie irgendwie um viele verschiedene Ecken und Zwischenstationen gesendet haben, so dass es nicht mehr nachvollziehbar sein würde, von wem sie verschickt worden war.



Aber wann...



Ihr Blick fiel auf Datum und Uhrzeit der Mail:

Freitag, 2.Februar

22.31 Uhr

Er musste sie in der Zeit zwischen ihrem Telefonat und seinem Selbstmord verschickt haben. War es etwa eine Art Abschiedsbrief? Was auch immer es nun sein mochte, sie würde es jetzt erfahren. Sie begann die Mail genauestens durchzulesen:







Holly,

ich muss zugeben, dass ich momentan sehr enttäuscht bin. Ich hatte all meine Hoffnungen in Sie gesetzt. Ich konnte und wollte mich nur Ihnen anvertrauen, weil ich gehofft hatte Sie würden mich verstehen oder mich zumindest anhören. Natürlich kann ich Ihnen keine Vorwürfe machen, dass Sie aufgelegt haben. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen; ich habe mich sehr im Ton vergriffen und hätte besser darauf achten sollen, was ich da sage. Ich hätte wahrscheinlich nicht anders reagiert, wenn mir jemand laut und hektisch durch den Hörer in mein Ohr geschrieen hätte, dass er Visionen von meinem Tod und dem meiner Kollegen hat. Wenn ich das hier so niederschreibe, wird mir erst richtig bewusst, wie verrückt die Situation für Sie gewesen sein muss. Aber Holly, Sie müssen verstehen, wie beängstigend diese Träume für mich sind. Ich weiß, dass ich den Ruf eines verbitterten alten Irren habe und das wahrscheinlich sogar zu Recht. Ja, ich bin ein verbitterter alter Mann und meine Vergangenheit hat mich wohl tatsächlich wahnsinnig gemacht. Es gibt Dinge in meiner Vergangenheit, die ich niemals jemandem erzählt habe. Nicht einmal meiner eigenen Ehefrau, die ich mehr liebte als alles andere auf der Welt... Das was ich erlebt und gesehen habe ist zu unmenschlich und brutal, als dass man es in Worte fassen könnte, geschweige denn einem anderen Menschen zumuten möchte. So habe ich es über viele, viele Jahre für mich behalten und wie ein böses düsteres Geheimnis gehütet. Ich glaube auch nicht, dass ich es Ihnen hier beschreiben kann. Aber wie Sie wissen, war ich früher selbst einmal einer von *denen*. Anfangs war ich absolut grün hinter den Ohren und glaubte noch daran, dass die Regierung sich um das Wohl seines Volkes kümmern würde; so benutzten die mich also nur als eine ahnungslose Marionette, so wie sie es bei vielen anderen auch taten. Nur “auserwählte” Personen wurden Teilhaber an den Geheimnissen der Regierung und erfuhren, was wirklich los war hinter ihrer “besorgten und fürsorglichen” Fassade. Sie wollten, dass auch ich einer dieser Leute werde. Ich hatte mich bei meinen Arbeiten bewährt und mich als qualifiziert und vertrauenswürdig genug für diese “Aufgabe” herausgestellt, so sagte man mir, und sei deshalb die ideale Besetzung für einen “ganz speziellen Posten”.

Dieser ganz spezielle Posten wurde auch besonders gut bezahlt... Ich sah darin die Chance ein reicher Mann zu werden und meiner Frau und meiner kleinen Tochter all ihre Träume erfüllen zu können. Wie naiv ich doch damals war... Schließlich lernte ich die Kehrseite der Medaille kennen. Man warnte mich, dass sie zu “besonderen Methoden” greifen würden, die meine Frau, meine Tochter und mich hart treffen könnten, falls sie jemals erfahren sollten, dass ich ihr Vertrauen missbrauche und Informationen nach außen übertrage oder mich sogar gegen sie richten sollte. Ich hätte es von dem Moment an wissen müssen, aber die Verlockung durch das angebotene Gehalt und die Aufstiegschance waren zu verlockend, so dass ich ihr Angebot annahm. Das war der größte und dümmste Fehler meines Lebens. Ich wurde Zeuge von Experimenten, die so unbeschreiblich grausam waren, von Experimenten an Menschen... Erwachsene, ältere Leute, ja sogar Jugendliche, Kinder und Säuglinge waren unter ihnen! Ich war nie als einer der Ausführenden dabei, dennoch musste ich mehrmals anwesend sein, um Beobachtungen zu notieren und sie in Zusammenhang mit meinem Wissen als Biochemiker zu bringen.

Holly, die Zeit, die ich in dem Job verbracht habe und der Job selber haben mein Leben zerstört! Noch Jahre lang hatte ich nachts furchtbare Albträume über die Experimente; die Opfer besuchten mich nachts und warfen mir vor an ihrem Tod schuld zu sein, weil ich untätig daneben gestanden habe, als man ihnen größte Qualen zufügte. Ich musste mit meiner Familie flüchten, weil ich ahnte, dass sie uns alle umbringen würden.

Nun ja, den Rest meiner Geschichte kennen sie ja: Ich habe mich mit allen Sinnen, Herz und Seele in die Arbeit gekniet und wollte diese dreckigen Kerle bekämpfen. Darüber hinweg habe ich alles andere aufgegeben... meine Familie, Freunde, im Grunde mein ganzes Leben. Ich habe nur noch den Kampf im Kopf gehabt und mir damit alles ruiniert. Nicht das ich meine Entscheidung jetzt bereuen würde. Wir haben schon viel erreicht. Die Leute sind misstrauischer geworden und sind bereit uns zuzuhören. Aber ich weiß, dass ich vieles hätte anders machen können oder besser gesagt machen *müssen*, dann wäre ich heute nicht der einsame alte verbitterte Spinner.





Aufmerksam las Susanne die Email zu Ende. Sie verspürte einen dicken Kloß im Hals. Zum Schluss folgten noch einige Zeilen, die sich an sie ganz persönlich richteten. Sie konnte es kaum glauben, was sie da las; was Manson ihr versuchte mitzuteilen. Sie spürte wie sich die Tränen in ihren Augen sammelten und starrte kopfschüttelnd auf die Email, so als könne ihr Blick sie durchdringen oder ihre Worte verändern. Plötzlich spürte sie viele unterschiedliche Emotionen wie eine unhaltbare Welle über sich hereinbrechen und sie begann hemmungslos zu weinen. Ihr Schluchzen wurde von den letzten Takten von Madonnas Song untermalt.





Turn to stone
Lose my faith
I'll be gone
Before it happens



Turn to stone
Lose my faith
I'll be gone











Samstag, 3.Februar

22.49 Uhr

Irgendwo in den Wäldern bei Midway, Kentucky





Sie wusste nicht, wie lange sie nun schon hier draußen war. Sie hatte jegliches Zeitgefühl und mit diesem jegliche Orientierung verloren.

Sie musste irgendwo in Midway sein.... hoffte sie zumindest... War sie überhaupt noch in Kentucky? Als sei sie seit Tagen unterwegs, so fühlten sich ihre Füße an. Nein, so ganz stimmte das nicht. Im Grunde konnte sie ihre Füße gar nicht mehr tatsächlich spüren. Sie mussten wohl schon abgefroren sein...

Ihr Magen knurrte laut. Oh Gott, sie hatte solchen furchtbaren Hunger und Durst. Das war schlimmer als alle Verletzungen, die sie bei ihrer Flucht davongetragen hatte... Blutergüsse, Schrammen, Quetschungen und eine Platzwunde über der linken Augenbraue, die anscheinend gar nicht aufhören wollte zu bluten. Das waren zumindest die Verletzungen, die sie schon selbst hatte abschätzen können. Ihr linker Arm war bereits taub vor Schmerz und sie konnte ihn kaum bewegen. Wahrscheinlich war er wohl gebrochen. Auch ihr linkes Bein hatte etwas ernsteres abbekommen, denn sie kam nur noch humpelnd voran, was die Sache nicht gerade leichter machte.

Sie blieb einen Moment stehen und wischte sich erschöpft mit der Hand durch das Gesicht. Blut, Schweiß und Schmutz vermischten sich.

Verflucht, woher zum Teufel sollte sie auch überhaupt wissen, ob sie in die richtige Richtung lief und *wo* sie überhaupt war.... es war stockfinster hier draußen. Sie kam sich vor wie in einem dieser Horrorstreifen à la „Blair Witch Project”... mit der einzigen Ausnahme, dass es nicht ganz so angenehm war so etwas selbst in der Realität zu erleben, statt zu Hause vor dem Fernseher oder in einem dunklen großen Kinosaal zu sitzen und amüsiert drei Schauspielern dabei zuzusehen wie sie kreischend, jammernd oder total verzweifeld durch die Wälder irren.... dazu am Besten eine große Tüte warmes Popcorn und eine Limo.



Verdammt, hör’ auf mit dem Mist! Konzentrier’ dich lieber, sonst findet man in ein paar Tagen oder Wochen deine erfrorenen Arsch hier draußen!!



Sie versuchte ihre Aufmerksamkeit, die ohnehin schon stark nachgelassen hatte, wieder auf den Weg zu lenken, um sich nicht vollends in den düsteren Wäldern zu verlieren. Noch konnte sie auf gut Glück erahnen, wo sie lang musste, um ihr Ziel zu erreichen. Sie humpelte ein Stück weiter geradeaus. Unter sich hörte sie den frisch gefallenen Schnee knirschen und das laute Knacken von Gehölz, das unter ihren Füßen brach. Hier und da raschelte es zwischen den Bäumen und in den Gebüschen und jedes noch so kleine Geräusch jagte ihr eine Heidenangst ein.

„Scheiße”, schluchzte sie leise. Sie spürte, wie sich Tränen den Weg über ihre Wange bahnten. „Scheiße, was machst du hier eigentlich? Du musst doch total lebensmüde sein! Oh ja, natürlich bist du das. Es gibt keine andere Erklärung...”

Dennoch war sie froh, ihre Verfolger schon vor einer Weile abgehängt zu haben und nun war sie zuversichtlich, dass sie bald in Sicherheit sein würde.

Sie hörte wieder ein unheimliches Rascheln und wurde von der Realität eingeholt.



**Knack**



Sie zuckte völlig entsetzt zusammen und stürzt beinahe vornüber zu Boden.



Okay, bleib’ ganz ruhig... Das war sicherlich nur ein Ast... ein dicker fetter Arschloch – Ast!!



Schlagartig blieb sie stehen. War das etwa...?



Nein, das kann es nicht sein! Das bildest du dir nur ein... Wunschdenken, meine Liebe!



Aber nein, tatsächlich! Da vorne war ein Weg!



OhmeinGott, ohmeinGott...



Sie begann zu rennen, so gut es ging und versuchte dabei die Schmerzen in ihrem Bein zu ignorieren. Nach kurzer Zeit hatte sie ihn endlich erreicht. Sie ließ sich auf den Boden fallen. Nein, das war nicht nur ein Weg... es schien regelrecht eine Art Straße zu sein!



Endlich, endlich, endlich!!



Sie grub ihre Hände in den frischen Schnee und begann lauthals zu weinen.



Endlich, endlich...



Vollkommen am Ende ihrer Kräfte brach sie schließlich mitten auf der Straße zusammen.







Sonntag, 4.Februar

23.57 Uhr

John Byers’ Wohnung

Washington D.C.





Ein unaufhörliches, lautes Klopfen an der Eingangstür riss Byers unsanft aus dem Schlaf. Noch nicht ganz wach setzte er sich im Bett auf, rieb sich über die müden Augen und gähnte ausgiebig.



„Ja, ja, ich komme schon”, rief er mürrisch und schaffte es wie durch ein Wunder die Beine aus dem Bett zu heben, ohne wieder in seine warmen Kissen zurückzusinken.

Nur mit Boxershorts und einem T-Shirt bekleidet fröstelte er ein wenig, als er sein Schlafzimmer verließ.

Es klopfte erneut.

„Ist ja schon gut, bin sofort da.”

In Gedanken malte er sich bereits die qualvollsten und langsamsten Foltermethoden als Bestrafung für diese nächtliche Störung für Langly und Frohike oder auch Mulder aus, von denen er annahm, dass sie vor der Tür standen, um ihn mal wieder zu einer „Nacht – und – Nebel” Aktion zu entführen.

Während er die Tür entriegelt, musste er mit einem Grinsen auf dem Lippen feststellen, dass im Halbschlaf selbst die paranoidsten Menschen der Welt ihre Sicherheitsvorkehrungen vergessen und leichtsinnig werden.... Keinen Blick durch den Spion hatte er gewagt und die Tür ohne großes Nachdenken direkt geöffnet. Zu jeder anderen Tageszeit hätte er sich selbst in den Hintern getreten für solch eine riskante Aktion. Doch im momentanen Zustand war er sich seiner Taten ohnehin nicht bewusst.



„Mulder, wenn du mich jetzt mitten in der Nacht...”, wollte Byers gerade brummig loslegen, als er endlich mit all seinen Sinnen realisierte, *wer* da eigentlich vor ihm stand.



„Oh, mein Go... Susanne! Was...? Wieso….?”



Ehe er einen halbwegs vernünftigen Satz formulieren konnte, war Susanne ihm bereits in die Arme gefallen zu einer herzhaften Umarmung.

War das wirklich real? Oder träumte er gerade? Es fühlte sich zu echt an, um ein Traum sein zu können; *sie* fühlte sich zu gut an... Sich noch nicht ganz der Wirklichkeit bewusst schlang er seine Arme um ihre Taille und erwiderte ihre Umarmung. Er spürte die Wärme ihres Körper und den Hauch ihres Atems an seinem Hals. Das *musste* real sein.

Einen Moment später löste Susanne sich aus der Umarmung, schaute John mit ihren funkelnden grünen Augen an und schenkte ihm ein warmes liebevolles Lächeln.



Noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte.



„John....”, begann sie zu sprechen und streichelte ihm dabei sanft über die Wange. „Du hast mir so furchtbar gefehlt!”



Byers wollte ihr antworten, etwas nettes erwidern, doch er rang verzweifelt um die richtigen Worte und brachte keinen Ton hervor. Immer noch ungläubig schüttelte er den Kopf, schaffte es aber endlich aus seiner Starre aufzuwachen. Er nahm ihre Hand und führte sie hinein in sein Wohnzimmer.



Während John sich in die Küche begab, um Tee für sie zu machen, schaute sich Susanne in seiner Wohnung um. Es war nicht leicht sie mit Worten zu beschreiben, doch war sofort klar, dass sie sehr komfortabel und einladend wirkte. Recht modernes Mobiliar, traf auf eine träumerische, fast schon rustikale und romantische Umgebung ohne dabei noch nicht einmal völlig fehl am Platz zu wirken. Der wunderbarste Bestandteil seines Wohnzimmer war ein großer, alter Kamin aus dunkelrotem Backstein, in dem einige noch unbenutzte Holzscheite lagen. Ganz in der Nähe befand sich die Musikanlage, umgeben von einer umfangreichen CD- und Schallplattensammlung. Susanne überflog einige der Dutzend Alben. Es waren viele alte Scheiben farbiger Musiker dabei... B.B King, Etta James, Muddy Waters, Koko Taylor. Ganz offensichtlich hatte er eine Schwäche für Soul und Jazz. Ferner einige Stücke der rockigeren Art à la Eric Clapton, Dire Straits oder Sting mit nunmehr schon über 20 Jahre alten Songs. Die Zeit war aber auch bei Byers in Sachen Musik nicht nach den 80ern stehen geblieben, so fand Susanne zu ihrem großen Erstaunen das letzte Album Madonnas, das sie selbst besaß und heiß und innig liebte.

John kam nach einigen Minuten herbei und stellte zwei wohlig warme, dampfende Tassen Tee für sie beide auf dem Tisch ab. Er hatte sich selbst etwas wärmeres angezogen.

„Das ist eine großartige Scheibe“, merkte er an, als er Susanne mit der CD Madonnas in der Hand entdeckte.

„In der Tat“, bestätigte sie.

Während sie sich hinsetzte, schnappte er sich die CD und legte sie auf. Die ersten sanften Töne durchwürzten die Luft und schufen eine nahezu magische Atmosphäre. Byers nahm neben ihr auf seinem Sofa Platz und beobachtete sie einen Moment von der Seite. Ihre blonden Haare schimmerten fast golden in dem gedämpften Licht und ihre Wangen hatten einen bezaubernden rosigen Ton angenommen.

Sie war so wunderschön!

Sie führten zunächst etwas Small Talk, wobei Byers endlich die Gelegenheit bekam ihr ausführlich von ihrer Zeitung, dem „Lone Gunman”, zu berichten. Nach ihrem Verbleiben seit dem letzten zufälligen Treffen in Las Vegas gefragt, erzählte Susanne ihm wiederum, dass sie seitdem unter dem Namen „Holly Fitzgerald”, den John selbst und seine Jungs ihr als neue Identität nach ihrem vorgetäuschten Tod gegeben hatten, in Kentucky lebte. Dort arbeite sie an einem kleinen, versteckt liegenden Forschungsinstitut und machte weiter mit ihren Forschungen, zusammen mit vier weiteren ausgezeichneten Wissenschaftlern.

„Na ja, dieses Forschungsgelände ist ziemlich klein und nicht unbedingt das, was man als das Gelbe vom Ei bezeichnen würde, aber wenigstens ist es gerade deswegen sehr sicher und man kann ungestört arbeiten.”

Sie hielt einen Moment inne und blickte nachdenklich vor sich ins Leere. Sie spürte, wie Byers zögerlich seine Hand auf ihre legte und sanft begann über ihre schlanken Finger zu streicheln. Susanne durchfuhr ein wohliges Kribbeln, verursacht durch diese zärtliche Berührung. Lange hatte sie sich nach ihm gesehnt und jetzt, da er nun tatsächlich neben ihr saß und sie neugierig mit diesen großen wunderschön Augen ansah, waren ihre Sinne voll und ganz auf ihn gerichtet und ihr Körper reagierte hochempfindlich auf jede noch so kleine Berührung von ihm.

Sie seufzte und fing dann leise an zu erzählen, weshalb sie nun genau hier war. Sie erzählte von Catalans Verschwinden, Mansons Träumen oder “Visionen”, wie auch immer man das nennen wollte, und seinem Selbstmord.

„Ich kann ja verstehen, dass Peter sehr durch den Wind gewesen sein muss. Es sind in letzter Zeit so viele Dinge passiert, die uns alle ziemlich nervös gemacht haben. Du musst wissen, dass unsere Arbeit in letzter Zeit sehr gut lief und wir zuversichtlich waren, bald an die Öffentlichkeit gehen zu können mit den Beweisen, die wir gesammelt hatten und unseren eigenen Forschungsergebnissen. Und dann verschwindet auf einmal einer unserer Mitarbeiter... spurlos, von heute auf morgen. Wir wissen nicht, wo er steckt, ob ihm etwas zugestoßen ist und ob er überhaupt noch lebt. Wir sind alle sehr besorgt und ängstlich. Aber ehrlich gesagt, will es mir nicht in den Kopf, warum Peter das getan hat. Er ist wirklich schon ein alter Hase, was den Kampf gegen *die* angeht und muss schon vieles erlebt haben. Ich begreife nicht so ganz, wie gerade *er* so durchdrehen konnte. Ich habe allerdings eine Email von ihm erhalten, durch die mir seine Motive etwas klarer wurden.”

Sie griff nach ihrer Handtasche, die sie neben dem Sofa abgestellt hatte, und fischte nach kurzem Suchen ein weißes Stück Papier raus, das sie John reichte. Es war die ausgedruckte Mail von Manson. Susanne bat Byers sich diese Mail durchzulesen und besonders auf die letzten paar Zeilen zu achten. Als er sich langsam dem Ende näherte, begann er leise vorzulesen.



„Sie werden sich bestimmt fragen, warum ich gerade *Sie* angerufen habe, um Ihnen von meinen Träumen zu erzählen und warum Sie nun diese Email von mir erhalten. Holly, ich muss gestehen, dass ich Ihnen größten Respekt entgegenbringe und Sie bewundere für Ihren Ehrgeiz und Ihr Durchhaltevermögen. Verstehen Sie mich nicht falsch, auch die anderen drei verdienen natürlich meine größte Anerkennung. Doch es ist so, dass ich mich in Ihnen wiedererkenne... und zwar so, wie ich früher einmal war, voller Tatendrang und Hingebung, ganz und gar fixiert auf meine Arbeit und bereit die Welt zu verbessern. Das ist bei den anderen nur noch bedingt der Fall. Sie strahlen selbst schon diese gewisse Resignation und Müdigkeit aus, die mich selbst auch vor Jahren ergriffen hat. Doch Sie sind anders. In Ihnen glüht das Feuer noch, auch wenn Sie bereits schon Jahre aufgeopfert haben für Ihre Arbeit und einige Rückschläge einzustecken mussten. Holly, es ist der beste Zeitpunkt für Sie aufzuhören. Beenden Sie Ihre Arbeit, so lange noch etwas von diesem leidenschaftlichen Feuer fackelt. Lassen Sie nicht zu, dass Sie so enden wie ich und bereits viele vor mir... resigniert, müde, einsam und oftmals völlig ihres Verstandes beraubt. Ich weiß, dass es für Sie nicht leicht sein wird zwischen Ihrer Arbeit und einer befriedigenden Alternative zu entscheiden. Vielleicht werden Sie meinen Rat auch gar nicht befolgen und weitermachen. Das ist gut möglich, wenn man bedenkt wie viel Ihnen Ihr Werk bedeutet. Aber bedenken Sie wenigstens, was Sie dadurch verpassen könnten... zum Beispiel die Möglichkeit jemanden zu finden, den Sie mit Leib und Seele lieben können, dem Sie aus vollstem Herzen vertrauen können, mit dem Sie eine Familie gründen und alt werden möchten. Wünscht sich das nicht jeder von uns irgendwann einmal? Tun Sie meine Worte bitte nicht als Blödsinn ab, sondern bedenken Sie sie. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie die für Sie beste Entscheidung treffen werden, die Sie wirklich glücklich machen wird. Peter”



Byers hatte die Email beendet, faltete das Blatt wieder zusammen und legte es auf den Tisch. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Susanne, die seinen Blick nicht erwiderte, sondern nervös an ihrer Hose rumzupfte, als sie einen Kommentar abgab.

„Peter hat Recht. Ich kann seinen Brief nicht einfach so abtun und von mir wegschieben.”

Ihre Augen richteten sich nun wieder auf John. Dieses Mal berührte sie seine Hand und drückte sie fest. „Und deswegen bin ich jetzt hier bei dir. Mir gehen viele Gedanken durch den Kopf, die ich für mich klären muss.”

Byers spürte, wie sein Herz anfing wie wild zu rasen. Die ganze Bedeutung ihrer letzten Worte konnte er dem Moment noch nicht vollständig abwiegen, nicht bei der Aufregung, in der er sich gerade befand, aber er ahnte, was das für ihn heißen könnte.



„Susanne, ich...”, wollte er gerade ansetzen, doch die Stimme versagte ihm erneut wie bei ihrer Begrüßung. Er atmete tief durch. Es herrschte ein kurzes, aber keineswegs unangenehmes Schweigen, während dessen sich die beiden tief in die Augen blickten. Schließlich beugte sich Byers vor zu ihr, sehr langsam, um ihr Zeit zu geben auszuweichen. Doch sie tat es nicht und so berührten seine Lippen schließlich die ihren zu einem langen, zärtlichen Kuss.







Montag, 5.Februar

9.52 Uhr

Hauptquartier der Lone Gunmen

Baltimore, Maryland





Byers betätigte kurz die Klingel an der massiven Eingangstür. Während sie gemeinsam warteten, dass Langly oder Frohike ihnen öffneten, wandte er sich Susanne zu. Sie wirkte angespannt, zugleich aufgeregt. Kurz streichelte er über ihre Hand und lächelte sie aufmunternd an.

„Hey, die Jungs werden dich schon nicht auffressen.“

Sie erwiderte sein Lächeln, ihre Stimme jedoch klang bedrückt. „Das mag sein, allerdings ist ihre Meinung über mich sicherlich nicht gerade die allerbeste nach alledem, was 1989 in Baltimore und zehn Jahre später in Las Vegas passiert ist.“

Byers legte seine Arme um Susannes Taille und zog sie an sich heran. Wie schon einige Male bei ihren gemeinsame kurzen Gesprächen in Baltimore und Las Vegas fiel ihr auch nun wieder auf, wie strahlend blau und wunderschön seine Augen waren. Er küsste sie auf die Stirn.

„Ich werde den Jungs in den Hintern treten, wenn sie sich nicht benehmen, in Ordnung?“

Sie lachte sanft. Ihre Befürchtungen auf skeptische Blicke und beißende Kommentare zu stoßen verflogen jedoch nicht vollends. Zu viel war geschehen während ihrer zwei Begegnungen; zu viel, das sie nicht mehr rückgängig machen konnte. Sie fürchtete, dass Johns Freunde sie für eine falsche Schlange halten mochten und in dem Glauben lebten sie habe seine Gefühle für sie damals als Mittel zum Zweck benutzt, um sich selbst aus ihrer schwierigen Situation retten zu können. Nichtsdestotrotz war da noch immer ein kleiner Hoffnungsfunken in ihr, dass sie das Vertrauen der beiden würde irgendwann gewinnen können.

Das Klirren mehrerer Türschlösser, die nacheinander geöffnet wurden, riss sie aus ihren Gedanken. Skeptisch zog Susanne die Augenbrauen hoch und starrte die Tür in verwunderter Erwartung an. Byers lachte leise, als er ihren Blick wahrnahm. Sogar für sie, dachte er bei sich, die schon seit Jahren in dieser Verschwörungswelt arbeitete und lebte und mit großer Wahrscheinlichkeit mehr gesehen haben muss, als er und seine Kumpels zusammen, schien ihre Art von Paranoia enorm zu sein. Grinsend zuckte er mit den Schultern.

„Egal wie paranoid du bist, du bist nie paranoid genug“, zitierte er Susannes persönlichen Kommentar, den sie den drei Jungs vor vielen Jahren auf den Straßen Baltimores mit auf den Weg gegeben hatte. „Hat das nicht eine wunderschöne und hochbegabte Wissenschaftlerin einst gesagt?“

Susanne lachte, ihren Ausspruch wiedererkennend, als plötzlich die Tür aufschwang und die untersetzte Statur Melvin Frohikes zum Vorschein kam, wie üblich von oben bis unten in Ledergarnitur und mit halboffenen Handschuhen.

„So, so, wir haben hohen Besuch“, witzelte Frohike, der sich lässig gegen die Tür lehnte, mit einer deutlichen Spur von Sarkasmus in seiner Stimme.

Susanne blickte Byers hilflos an und wusste nichts zu erwidern. Schon in diesem Moment bereute sie es, dass sie sich von John hatte dazu überreden lassen mit hierher zu kommen. Sie hatte sofort geahnt, dass es nur neuen Ärger heraufbeschwören würde, sowohl für sie als auch für John.

Byers ermahnte den kleinen Mann mit einem bösen Blick, woraufhin dieser beide hineinließ.

Sie betraten das Gebäude und begaben sich in Räume, die innen dunkler waren, als die düsteren Februarnächte, die zur Zeit vorherrschten. Es brannten einige Lichter hier und dort, aber sie waren auch die einzigen Lichtquellen... kein einziger Strahl Tageslicht schien sich den Weg in die Räume bahnen zu können. Susanne tat einige langsame Schritte in die „Redaktion“ der Lone Gunmen hinein und schaute sich unsicher, dennoch neugierig um. Hohe Regale an allen Wänden, vollgestopft mit Büchern, Akten und allerlei elektrischem Krimskrams, das auf den ersten Blick nicht groß benannt werden konnte. Einige Schreibtische, auf den PCs und Laptops platziert waren, sich Berge von Unterlagen stapelten und einige Ausgaben ihrer Zeitung herumlagen. Drucker, Kopierer, Faxgeräte, Projektoren, Mikroskope.... und zuweilen Berge von Müll, leere Pizzaschachteln oder Getränkedosen, schmutzige Teller und Tassen. In ihrer Redaktion herrschte riesiges Chaos, dachte Susanne sich kopfschüttelnd. Dennoch konnte sie sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, denn trotz allem wirkte alles am rechten Fleck; jeder achtlos hingeworfene Gegenstand schien genau den richtigen Platz im Chaos einzunehmen.

Des weiteren gab es eine kleine Küche, ein Badezimmer, drei separate Schlafzimmer und einen kleinen Raum mit Sitzecke, Fernseher und Stereoanlage, das scheinbar eine Art Wohnzimmer darstellen sollte und zwei erschreckend hässliche rote Sofas enthielt.

„Da wir uns die meiste Zeit hier aufhalten“, kommentierte Byers die Räumlichkeiten, „haben wir uns so eingerichtet, dass es zumindest ansatzweise einem... nun ja“, räusperte er sich und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, „wie soll ich sagen... einem bewohnbaren Gebäude nah kommt.“ Susanne lächelte belustigt. „Jeder von uns hat sein eigenes Zimmer zum Schlafen. Unsere Wohnungen stehen meistens leer. Um ehrlich zu sein... Langly hat noch nicht einmal eine eigene Wohnung. Er hat sich gleich fest hier eingenistet.“

Da Frohike sich in die Küche verdrückt hatte, um für sie alle Kaffee zu kochen, führte Byers Susanne in das kleine Wohnzimmer und sie nahmen auf einem der beiden grässlich roten Sofas Platz.

Langly, der plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte und im Begriff war sich zu den beiden zu gesellen, wurde schon bei dem Betreten des Raumes von dem ermahnenden Gesichtsausdruck seines Freundes zu etwas Anstand und Taktgefühl aufgerufen. Nach einer kurzen Begrüßung zwischen Langly und Susanne und Frohikes großem, aber wackligem Auftritt mit bis zum Rand gefüllten Tassen herrlich frisch duftenden Kaffees, machten es sich alle vier gemütlich. Die beiden anderen Gunmen begannen ihren Gast mit einer Flutwelle von Fragen zu überhäufen. John stellte mit großer Genugtuung fest, dass das Interesse an Susannes Verbleiben seit ihrem Auseinandergehen in Las Vegas und ihrer gegenwärtigen Arbeit echt und ehrlich war. Susanne selbst kam gar nicht erst dazu Langly und Frohike im Gegenzug eigene Fragen zu stellen, aber mit Freude erzählte sie von dem Forschungskomplex in Midway / Kentucky und ihren neuen Kollegen und all ihren Forschungen und Fortschritten. Ihr fiel ein großer Stein vom Herzen zumindest in dem ersten Small Talk gut mit den beiden auszukommen.

Ganz in ihre Erzählungen vertieft, bemerkte sie nicht wie John sie von der Seite beobachtete. Seine Augen funkelten fasziniert, während er dieses wunderbare Wesen neben sich betrachtete. Noch immer konnte er kaum wahrhaben, dass sie wirklich hier war.... hier bei ihm!

Als Langly und Frohike ihr endlich eine Verschnaufpause gönnte, nutze Byers die Situation aus, um seine Sorge kundzutun. „Susanne steckt in Schwierigkeiten.“

Die beiden anderen Gunmen tauschten einen „Wir haben es doch gewusst“ Blick aus. Ihre Skepsis gegenüber dieser seit jeher mysteriösen und undurchschaubaren Frau war aufs neue geweckt.

„John...“ Nahezu enttäuscht schüttelte Susanne den Kopf und schaute ihn aus großen, verständnislosen Augen an, worauf er nichts erwiderte, sie nur besorgt anstarrte.

„Jungs, hört zu“, versuchte sie die Sache richtig zu stellen. „John und ich hatten uns eigentlich darauf geeinigt, dass diese Angelegenheit außen vor bleibt. Dies war schließlich nicht mein Beweggrund nach Washington zu kommen. Ich...“, verlegen wandte sie ihr Gesicht von Langly und Frohike ab, „... ich wollte einfach nur John wiedersehen.“

Überraschend huschte dem ältesten der Gruppe ein gerührtes Lächeln über die Lippen, während er sich jedoch zu fragen begann, wohin das alles führen mochte.

„Ja, ich habe ihm in der Tat von den Vorfällen erzählt, die sich in den letzten Tagen zugetragen haben. Es ist unheimlich... irgendwie. Nichtsdestotrotz muss ich bekräftigen, dass ich nicht deswegen hier bin. Ich möchte euch nicht in diese Sache hineinziehen, da ich selber nicht einschätzen kann, welche Gefahr das alles birgt. Ich werde allein damit fertig werden.“

Susanne schaute Byers an in der Hoffnung, dass er ihr zustimmen würde, doch er wandte seinen Blick von ihr ab. Er konnte und wollte es nicht verstehen, warum sie die Hilfe ablehnte.

„Nun ja.“ Langly erhob sich von dem Sofa, auf dem er zusammen mit Frohike gesessen hatte und schritt um das zweite, etwas kleinere Sofa herum, auf dem Byers und Susanne Platz genommen hatten. „Das Problem ist allerdings, dass, sobald erst einmal das Interesse eines Lone Gunman geweckt wurde, er es als seine journalistische Pflicht ansieht dem vorliegenden Fall nachzugehen. Sei es aus dem Beweggrund heraus die Öffentlichkeit zu informieren oder aber...“ Ein spitzbübisches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und seine Augen richteten sich ganz eindeutig auf Byers. „...oder aber aus persönlichen Gründen.“

„Jepp“, mischte sich nun der älteste Gunman ein. „So sieht es nun einmal aus. Und ob Sie wollen, Susanne, oder nicht.... Sie werden uns jetzt wohl oder übel alles erzählen müssen. Und dann werden wir entscheiden, wie wir Ihnen helfen können.“

Irritiert schaute die Wissenschaftlerin Langly und Frohike an. Beide lächelten sie auffordernd an und ihre Gesichter ließen keinen Zweifel mehr daran, dass ihr Angebot todernst gemeint war. Ein letzter, ratsuchender Blick zu John hinüber bestätigte dies ebenfalls. Er nickte sanft.

„Erzähl es ihnen...“

So teilte sie den anderen beiden die Geschichte mit, die sie den Abend zuvor bereits John erzählt hatte. Sie hörten aufmerksam zu, nickte dann und wann, hakten nach. Als sie geendet hatte, herrschte einen Moment angespannte Stille. Byers ergriff als erster das Wort.

„Susanne kann zwar nicht mit Gewissheit sagen, was die Ursache dieser seltsamen Begebenheiten, sowohl Catalans Verschwinden als auch Mansons völlig überraschender Selbstmord, ist, dennoch liegt es nahe zu vermuten, dass es ihr gemeinsames Projekt ist, an dem sie seit circa 8 Monaten arbeiten. Ein sehr brisante, zugleich unheimlich Sache...“



Fortsetzung folgt
Rezensionen