World of X

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Wanna dance?

von Claudia Schubert

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Die Musik dröhnte in seinen Ohren und machte ihn allmählich verrückt. Das Licht war gedämpft, so dass der Raum größtenteils durch die bunten Scheinwerfer an der Decke erleuchtet wurde. Diese ganze Atmosphäre hier steigerte Mulders Anspannung langsam aber sicher ins Unermessliche. Das war doch nicht zum Aushalten! Seine Augen schweiften suchend über die Tanzfläche und dann sah er sie, genauso, wie er sie schon seit zwanzig Minuten sah – bei ihm.

Mulder wurde zum wahrscheinlich tausendsten Male klar, dass es ein verdammt großer Fehler gewesen war, hier zu bleiben. Das FBI hatte eine dieser Pflichtveranstaltungen zu Ehren einiger Mitarbeiter organisiert, die besonders gute Arbeit geleistet hatten und nun in den Ruhestand gingen. Nichts Besonderes, ein paar Urkunden wurden vergeben und das war’s. Das jetzt war nur noch die Anschlussparty nach dem Pflichtteil.

Mulder war ein Idiot. Warum war er nach dieser aufregenden Urkundenverteilung nicht einfach nach Hause gegangen? Das tat er doch sonst auch immer! Er war für Tanzveranstaltungen nicht geeignet. Das letzte Mal, dass er zu einer Disco gewesen war, war auf dem Abschlussball der Schule gewesen! Aber er wäre ja nicht Fox Mulder, wenn er sich das Leben nicht selbst schwer machen würde. Wenn er ehrlich war, hatte er einfach nicht gehen können, nicht, solange sie noch da gewesen war. Als er bemerkt hatte, dass Scully nach der Huldigungsfeier weiter neben ihm sitzen blieb, ging es einfach nicht. In seinem Körper war irgendeine Blockade gewesen, die es ihm unmöglich gemacht hatte, aufzustehen. So absurd es auch klingen mochte, sie hatte ihn regelrecht gefangen gehalten. Also waren sie schweigend nebeneinander gesessen, jeder in eine andere Richtung schauend und um Gottes Willen nicht in das Blickfeld des anderen geratend. Mulder hätte sich pausenlos ohrfeigen können. Wie dumm war er nur gewesen, dass er nicht Imstande war, ein normales Gespräch mit seiner Partnerin zu führen? Es war doch offensichtlich, dass sie nur darauf wartete! Das alles war verrückt gewesen. Er verbrachte fast den gesamten Tag mit ihr und doch war er zu feige gewesen, auch nur ein einziges Wort an sie zu richten. Ja, der große Fox Mulder, der es normalerweise mit jeder Verschwörungsgruppe auf sich nahm, war zu feige, sich mit seiner Partnerin zu unterhalten. Auf die Idee, sie einfach zum Tanz aufzufordern, kam er natürlich auch nicht. Zumindest nicht, bevor ein anderer darauf kam.

Er wäre dem Kerl am liebsten an die Gurgel gesprungen, als er Scully gefragt hatte, ob sie tanzen wolle. Wie konnte es jemand wagen, seine Scully zum Tanzen aufzufordern?! In diesem Moment war Mulder klar geworden, wie hirnrissig seine Gedankengänge eigentlich waren. Er bezeichnete sie als seine Scully und dabei wagte er noch nicht einmal, ein Wort mit ihr zu wechseln. Wie weit konnte man eigentlich noch sinken?

Doch Gott schien es zu diesem Zeitpunkt noch gut mit ihm zu meinen. Mulder hätte auf der Stelle einen Freudensprung machen können, als Scully das Angebot des Agenten ablehnte, genauso, wie sie es auch bei den beiden folgenden Kandidaten getan hatte. In Mulders krankem Hirn war sofort die Vorstellung gekommen, dass sie das vielleicht wegen ihm tat und darauf wartete, dass er sie aufforderte. Warum sollte sie sonst alle anderen Angebote ablehnen? In diesem Moment war wieder einmal der Skeptiker in Mulder durchgekommen, der sich leider immer zum falschen Zeitpunkt meldete. Klar Mulder, sie wartet nur auf dich. Schon die ganzen Jahre über wartete sie nur auf dich, weil du in deinem Keller eine so gute Partie bist! Das Argument von Skeptiker Mulder war stärker gewesen als das von Draufgänger Mulder, der Scully einfach gefragt hätte. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Stattdessen hatte Mulder so lange gewartet, bis Verehrer Nummer vier kam und sich Scully dazu entschieden hatte, mit diesem auf die Tanzfläche zu verschwinden.

Seitdem saß er hier und bemitleidete sich selbst. Er beobachtete, wie Scully mit diesem Hosenscheißer, wie ihn Mulder liebevoll getauft hatte, tanzte. Er hätte dem Plattenaufleger auf Knien danken können, dass bis jetzt nur schnelle Songs gespielt wurden. Wenn er Scully engumschlungen mit diesem Kerl hätte tanzen sehen, wäre Mulder wahrscheinlich im Dreieck gehüpft. Der Anblick von Scullys Hand in der eines anderen war schon schlimm genug!

Mulders Augen hafteten förmlich auf ihr. Sie sah an diesem Abend einfach fabelhaft aus! Das dunkelrote, lange Abendkleid schmiegte sich an ihren Körper, als wäre es nur für sie gemacht worden. Ihr Haar hatte sie geschickt nach oben gesteckt, nur zwei einzelne Strähnen umrahmten kunstvoll ihr Gesicht. Wenn Mulder sich nicht schon vor Jahren in sie verliebt hätte, wäre es mit Sicherheit jetzt geschehen. In dieser Hinsicht war es diesem Hosenscheißer nicht zu verübeln, dass er sich an Scully ranmachte. Nur ein vollkommener Idiot oder ein Homosexueller würde ihr widerstehen können. Da Mulder nicht schwul war, stand fest, dass er der größte Idiot war, der je auf Gottes schöner Welt gesehen wurde.

Sein Blick löste sich einen Moment von Scully und musterte das halbleere Glas Wasser in seiner Hand. Whisky wäre in Anbetracht seiner momentanen Situation besser gewesen, überlegte Mulder niedergeschlagen. Da aber irgendwo in seinem von Eifersucht vernebelten Kopf noch immer die Idee herumspukte, er könnte mit Scully tanzen, war er bis jetzt bei Wasser geblieben. Das Letzte, was ihm gefehlt hätte, war eine Abfuhr, weil er nach Whisky roch. Jedoch würde seine alkoholische Enthaltsamkeit letztendlich auch sinnlos sein, wenn er noch weiter tatenlos hier rumsaß. Was brachte es schon, wie ein versalzener Schmorbraten in einer Ecke zu hocken und zum tausendsten Mal diesen Kerl zu verfluchen? Mulder musste endlich mal Initiative ergreifen, sonst würde er noch in 100 Jahren hier sitzen und sich selbst bemitleiden.

Er atmete noch einmal tief durch und trank sein Glas in einem Zug leer. Dann stand er auf und ging auf die Tanzfläche. Was konnte schon passieren, wenn er sie fragte? Das Schlimmste war ein einfaches ,Nein’ und das würde er ja wohl verkraften können, nicht wahr? Nein, nicht wahr... Wenn er ehrlich war, war die Vorstellung einer Abfuhr für ihn wie ein großes, schwarzes Loch, in das er zu fallen drohte. Aber noch schlimmer wäre es, immer mit der Frage zu leben, ob er hier seine Chance verpasst hatte.

Das Lied, zu dem Hosenscheißer bis eben noch mit Scully getanzt hatte, ging zu Ende. Er konnte Scully lachen hören, anscheinend war Hosenscheißer auch noch witzig. Mulder sah seine Chancen auf ein glückliches Ende schwinden. Scully bemerkte ihn erst, als er direkt neben ihr stand. Mulder sah einen Moment in ihre überraschten Augen, wandte sich dann ihrem Tanzpartner zu. „Darf ich?“

Wenn Blicke töten könnten, dachte Mulder. Dieser Kerl schien nicht gerade sonderlich erfreut über Mulders Frage zu sein. Kein Wunder, es würde sicherlich niemandem gefallen, wenn er eine Eroberung wie Scully aufgeben sollte. In diesem Augenblick ertönten die ersten Takte zu ,Lady in Red’ aus den Lautsprecherboxen und ein siegessicheres Grinsen machte sich auf Hosenscheißers Gesicht breit. „Tut mir leid, aber Dana hat mir einen langsamen Tanz versprochen“, er sah zu Scully, „nicht wahr?“

Auch Mulder sah zu ihr, jetzt lag es an Scully. Er konnte sehen, wie ihr Blick unsicher zwischen ihm und Hosenscheißer pendelte. Anscheinend war sie von Mulders plötzlichem Auftritt überrumpelt. Schließlich lächelte sie den Typ neben Mulder entschuldigend an. „Dir gehört der nächste, in Ordnung, Jeff?“

Mulder sah zur Seite, Hosenscheißer hatte also einen Namen. Erst als Jeff mürrisch den Mund verzog und von der Tanzfläche verschwand, realisierte Mulder, dass sich Scully gerade für ihn entschieden hatte. Er dankte überschwänglich dem Draufgänger in sich und ging einen Schritt auf sie zu. Ihre Hände berührten sich und er legte vorsichtig einen Arm um ihre Taille. Ihm wurde wieder bewusst, wie klein sie doch eigentlich war, sie reichte ihm höchstens bis zur Schulter! Sie bewegten sich nun langsam zu der Musik. Mulder konnte kaum fassen, dass er sie im Arm hielt. Dieses Gefühl war ihm so vertraut und doch so neu.

„Woher dieser Sinneswandel?“, fragte Scully nach einer scheinbaren Ewigkeit leise. „Ich hatte angenommen, Sie wollten nicht tanzen.“

Mulder blickte verwundert in ihr Gesicht. Doch dann verstand er plötzlich. Sie hatte also tatsächlich darauf gewartet, dass er sie fragte! Mulder schmunzelte, er konnte manchmal so ein Trottel sein. „Ich wollte schon“, gab er dann zu. „Ich hatte offenbar nur Angst, Sie zu fragen.“

Scully zog verwundert die Brauen zusammen. „Sie hatten Angst?“

„Vor einer Abfuhr.“

Ein Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen. „Wie schmeichelhaft.“

Mulder lächelte sie an. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. „Wie konnten Sie nur glauben, ich würde nicht mit Ihnen tanzen wollen?“, fragte er scherzhaft und sah tadelnd auf sie hinab.

Scully ging auf sein Spiel ein und zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, wie ich auf so eine verrückte Idee kommen konnte.“

Er zog sie wieder näher an sich. Den Rest des Liedes schwiegen sie und konzentrierten sich einfach nur auf die Nähe des anderen. Es war für Mulder ein unglaubliches Gefühl, sie so zu halten. Es gab für ihn nicht oft Gelegenheiten, ihr so nahe zu sein. Und wenn doch, dann war sie entweder bewusstlos oder stand unter Schock. Jetzt aber war sie wohl auf und er hatte sie dennoch in seinen Armen. Doch nachdem die letzten Töne verklungen waren, musste er sie notgedrungen wieder loslassen. Anstatt etwas zu sagen, blieben sie voreinander stehen und sahen sich an.

„Bin ich jetzt wieder dran?“

Mulder zuckte kurz zusammen. Dann sah er in die Richtung, aus der die Frage gekommen war – Hosenscheißer, wer sonst? Mulder wurde leicht gereizt. Der Kerl war wie ein beschissenes Kind! Und an diesen Macho sollte er Scully wieder abgeben? Das war ja wohl ein Scherz! „Tut mir leid“, begann er genauso wie Hosenscheißer vor wenigen Minuten. „Aber Dana wollte gerade mit mir an die frische Luft gehen.“

Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass Scully auf ihn einging, ansonsten könnte dieses Gespräch äußerst peinlich für ihn ausgehen. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie sich Jeff fühlen würde, wenn Scully jetzt fragte, was Mulder für einen Unfug redete. Doch sie hatte Erbarmen mit ihm. „Er hat recht“, bestätigte sie Mulders Aussage, als Jeff sie fragend ansah.

Er warf Mulder noch einen bösen Blick zu und machte sich dann zum zweiten Mal an diesem Abend davon. Auf Mulders Gesicht spiegelte sich ein triumphierendes Lächeln und sein Ego war mittlerweile zwei Meter groß geworden! Schon wieder hatte sie sich für ihn entschieden! Trotz seines Sieges wagte er nicht zu sprechen, stattdessen nahm er seinen ganzen Mut zusammen und griff nach ihrer Hand, um sie nach draußen zu führen. Sie ließ es zu. Sie verließen den großen Festsaal. Er brachte Scully auf die Terrasse, welche direkt an den Saal angrenzte. Dem FBI sollte ein Lob ausgesprochen werden, das hier war der perfekte Ort für solch eine Festivität – zumindest dachte das Mulder jetzt. Niemand sonst war hier draußen, nur sie und er.

„Ich wollte also mit Ihnen an die frische Luft gehen“, hörte er auf einmal Scullys amüsierte Stimme neben sich.

Er drehte sich nicht zu ihr, sondern sah grinsend zu Boden. War ja klar gewesen, dass sie ihn durchschaut hatte. Er zuckte unschuldig mit den Schultern. Als Mulder dann doch einen Seitenblick zu ihr warf, bemerkte er, dass sie fror. Er überlegte nicht lang und zog sein Jackett aus, um es ihr um die Schultern zu legen. Sie dankte ihm mit einem kurzen Lächeln. Dann schwiegen sie sich wieder an. Es war vollkommen still um sie herum. Die Türen hinter ihnen waren geschlossen, so dass die Musik nicht nach draußen drang. Dieses Schweigen erinnerte Mulder an die Zeit, als er tatenlos neben Scully gesessen hatte. Er sah zu ihr, noch einmal würde das nicht geschehen! Ohne zu zögern streckte er seine Hand nach ihr aus und wartete auf ihre Reaktion. Verwundert blickte sie zu ihm auf. „Aber hier ist keine Musik, Mulder.“

Er lächelte. „Was macht das schon.“

Das Leuchten in seinen Augen überzeugte Scully. Sie legte ihre Hand in seine und ging auf ihn zu. Sein Herz raste wie wild, als er sie wieder in die Arme nahm. Langsam führte er sie zu einer Melodie, welche nur in ihrer Phantasie existierte. Mulder wusste selbst nicht, woher er den Mut genommen hatte, sie hierher zu bringen und erneut auf diese Art mit ihr zu tanzen und wenn er ehrlich war, war ihm das jetzt auch egal. Er zog sie ein Stück näher, so dass nur noch der dünne Stoff ihrer Kleider sie voneinander trennte. Er spürte sie so nah bei sich, dass er kaum zu atmen wagte. Er beugte seinen Kopf ein Stück nach unten und rieb seine Wange gegen ihre. Sie konnte ihn jederzeit fortstoßen, doch sie tat es nicht und Mulder fasste dies als Bestätigung auf. Er schloss die Augen. „The lady in red is dancing with me, cheek to cheek, there’s nobody here, it’s just you and me, it’s where I wanna be.“ Seine Stimme war rau, als er langsam einige Verse aus dem Lied von vorhin summte. Er konnte sie leise kichern hören. „But I hardly know this beauty by my side, I’ll never forget the way you look tonight...“

Plötzlich schlang Scully ihre Arme um seinen Hals. Er senkte seinen Kopf noch weiter und begann sanft kleine Küsse auf ihrem Hals zu verteilen. Irgendwo in seinem Kopf hörte er eine leise Stimme, die ihn warnen wollte, dass er sich hier auf verdammt dünnes Eis begab, doch sein Verstand war schon zu benebelt, um auf diese Warnung zu hören. Er war jetzt ohnehin schon zu weit gegangen. Auch wenn er jetzt aufhören würde, hätte sich etwas zwischen ihnen verändert. Draufgänger Mulder hatte Skeptiker Mulder in die Flucht geschlagen und alles auf eine Karte gesetzt. Entweder er gewann oder er verlor. Scully hatte ihn bis jetzt noch nicht von sich gestoßen und vielleicht würde er heute den Hauptpreis gewinnen!

Ein kurzer Seufzer entfuhr ihren Lippen. Prickelnde Schauer fuhren durch Mulders Körper, als sie ihre Wange gegen ihn rieb. Er hörte nicht auf, sie zu küssen. Komm schon Mulder, sagte er dann zu sich selbst, jetzt oder nie! Das ist deine Chance und es sieht wirklich gut für dich aus!

Sein Herz schien mittlerweile in seinen Schuhen zu liegen, als er sich ein Stück von ihr entfernte und ihr Gesicht in seine Hände nahm. Er sah ihr tief in die Augen. Sie lächelte. Los, Mulder, das war eine Bestätigung! Er schloss die Augen und senkte sein Gesicht. Er konnte es kaum glauben, als er endlich ihre weichen Lippen auf seinen spürte. In seinem Herzen wurde Silvester gefeiert, als er sie noch fester an sich drückte und ein Feuerwerk der Gefühle in ihm ausbrach. Er hatte sich oft ausgemalt, wie es sein würde, sie zu küssen, aber nichts kam dem hier gleich. Es schienen Jahre zu vergehen, ehe sie sich voneinander trennten. Nach Luft schnappend lagen sie sich in den Armen. Keiner sagte ein Wort und Mulder hielt furchtsam die Augen geschlossen. Hatte er gesiegt?

„Ich liebe dich“, drang plötzlich ihre Stimme an sein Ohr.

Überwältigt sah er sie an. Das war die richtige Antwort auf die 1.000.000 Dollar-Frage gewesen. Herzlichen Glückwunsch, Mr. Mulder, Sie haben gewonnen! Er sah in ihre strahlend blauen Augen und lächelte. „Touchdown“, flüsterte er dann.

Sie lachte und drückte sich wieder an ihn. Mulder grinste, tja, Hosenscheißer, der Punkt ging an mich! Dann beugte er sich zu ihr und sie versanken erneut in einem langen Kuss...





--Ende--
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