World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

You are my angel

von Claudia Schubert

Kapitel 2

~*~*~*~





Ruhig saß sie auf der Couch und blickte auf den Fernseher. Sie sah die ablaufenden Bilder, hörte die Stimme des Moderators, welcher gerade den Gewinner des letzten Baseballspiels verkündete, doch sie registrierte es nicht wirklich. Schon seit sie von der Arbeit nach Hause gekommen war, saß sie hier, vor sich hingrübelnd. Nachdem sie heute morgen Mulders Büro verlassen hatte, war sie in den Park gegangen und hatte dort eine ganze Stunde verbracht, doch sonderlich besser hatte sie sich danach auch nicht gefühlt. Das war anscheinend auch Mulder nicht entgangen, weshalb er sie letztendlich doch dazu gebracht hatte heimzugehen. Seit dem versuchte sie sich abzulenken, bis jetzt allerdings ohne Erfolg. Für Baseball hegte sie nur begrenztes Interesse und irgendwelche sinnlose Arbeit würde sie auch nicht weiterbringen. Vielleicht sollte sie irgendjemanden anrufen. Sie verwarf den Gedanken wieder. Es war schon spät und außerdem war sie nicht in der Stimmung zu reden. Resigniert machte sie den Fernseher aus und warf die Fernbedienung auf den kleinen Tisch vor ihr. Müde schloss sie die Augen und ließ sich zurück sinken. Sie fühlte sich so dermaßen erschöpft und doch konnte sie nicht schlafen.

„Du siehst geschafft aus.“

Blitzschnell fuhr sie herum. „Sam!“, brachte sie erschrocken hervor und starrte ihn an. Sie hatte nicht bemerkt, dass er gekommen war. Eigentlich seltsam, denn normalerweise spürte sie seine Anwesenheit immer.

„Habe ich dich erschreckt?“, fragte er entschuldigend.

Sie atmete noch einmal tief durch und lächelte dann. „Ja, ein wenig. Ich hatte heute nicht mit dir gerechnet.“

„Die da oben haben es anscheinend eiliger als gedacht, um dich hier wegzubringen“, sagte er. „Ich sollte so schnell es geht kommen.“

Sie antwortete nicht, sondern sah einfach nur zu ihm, erwartungsvoll. Nach einem kurzen Moment des Schweigens holte er einen Briefumschlag aus seiner Manteltasche hervor und reichte ihn Dana. „Hier steht alles drin, was du wissen musst. Sobald du im Flugzeug sitzt, werden wir dich abholen. Du kennst das ja.“

Mit einem kurzen Nicken nahm sie ihm den Umschlag ab und betrachtete ihn. Sie hatte schon Duzende solche Briefe in der Hand gehalten. Früher war es manchmal sogar interessant gewesen zu erfahren, wie es diesmal ablaufen würde. Vorsichtig drehte sie das Stück Papier herum und öffnete den Umschlag. Sie wollte den kleinen Zettel gerade herausnehmen, als sie innehielt. Vielleicht sollte sie noch warten, denn im Moment wollte sie es gar nicht wissen. Wieder sah sie zu Sam. Er musterte sie einen Augenblick und sah sich dann in ihrer Wohnung um. „Du hast es gemütlich hier“, stellte er fest.

Er bewunderte sie insgeheim ein wenig, denn egal wo oder wann er zu ihr kam, sie schaffte es immer eine angenehme Atmosphäre in ihrer Wohnung zu schaffen. Wenn er früher Aufträge auf Erden bekommen hatte, sah sein Zimmer meist unordentlich aus, ein wüstes Chaos. Er hielt es nicht sonderlich mit der Ordnung, das gab er offen zu, doch Dana schien eine Meisterin zu sein. Sein Blick blieb an ihr hängen und er beobachtete, wie sie nickte und sich noch einmal schwermütig umsah. „Hast du dich schon entschieden?“, fragte er.

Verwundert blickte Dana auf. Es dauert eine Sekunde, bevor sie verstand, was er meinte. Sie nickte leicht, wobei ein trauriges Lächeln ihre Lippen umspielte. „Ja, das habe ich.“ Sie überlegte. „Und es ist die richtige Entscheidung.“

Er beobachtete die Regungen in ihrem Gesicht. Sie war bekümmert, keine Frage. „Daran zweifle ich nicht“, sagte er. „Aber du scheinst mit deinem Entschluss dennoch nicht zufrieden zu sein, habe ich Recht?“

Sie lachte trübsinnig. „Na ja, nicht ganz. Aber es ist besser so.“

Sie sah ihn an, doch Sam sagte nichts. Es gab ohnehin nichts, was er ihr jetzt hätte sagen können. Es war ihre Entscheidung und sie allein musste bestimmen, was sie tat. Er hatte nicht das Recht, in ihre Privatsphäre einzudringen. Nachdem sie Sam eine Weile schweigend gemustert hatte, fuhr sie fort: „Ich würde ihm nur im Weg sein und ihn behindern. Es gäbe nun mal zu viele Probleme.“ Sie stockte. „Sagst du heute auch noch mal was?“

Keine Regung konnte man in seinem Gesicht ausmachen, er blickte sie einfach nur stumm an. Nach einer längeren Pause räusperte er sich. „Tja, ich weiß nicht, was ich dir jetzt sagen soll. Du scheinst dir mit dem, was du sagst, ja ziemlich sicher zu sein.“

Natürlich war sie das, immerhin zerbrach sie sich schon seit knapp 24 Stunden den Kopf darüber! „Ich habe ziemlich lange darüber nachgedacht“, sprach sie ihre Gedanken aus, zögerte dann aber. „Findest du, ich sollte anders handeln?“

„Es spielt keine Rolle, was ich denke. Es ist deine Sache, nur du kannst entscheiden.“

Sie stöhnte genervt auf. „Könntest du bitte mal aufhören zu philosophieren? Ich könnte hier wirklich einen Rat gebrauchen.“

Er ging langsam um die Couch herum. Bis jetzt hatte er die ganze Zeit hinter ihr gestanden, doch diese Position schien ihm jetzt unangebracht, es wusste selbst nicht, weshalb. Er ließ sich ihr gegenüber nieder und dachte nach. „Ich kann dir nur das eine sagen“, begann er und sah sie an. „Es bieten sich einem immer nur wenige wahre Chancen, das ist auf Erden nicht anders als bei uns. Wenn du weißt, dass es nicht funktionieren würde, solltest du gehen.“ Er machte eine kurze Pause. „Aber wenn es nur Angst vor der Zukunft ist... Ich würde dir gern helfen, aber ich kann nicht. Wenn die da oben wüssten, was ich dir gerade gesagt habe, würden sie mich hochkant rausschmeißen“, scherzte er. „Ich vertraue in dein Urteilsvermögen und du wirst dich bestimmt richtig entscheiden. Das hoffe ich zumindest.“

Sie ließ seine Worte auf sich wirken. Er war im Moment der Einzige, mit dem sie über ihre Problem sprechen konnte und somit war das, was er sagte, sehr wichtig für sie. War es nur Angst vor der Zukunft? Wahrscheinlich. Aber war diese nicht berechtigt? Sicher. Sie konnte nicht bleiben, es ging einfach nicht. „Ich kann nicht.“

Sam verstand. „Na ja“, begann er. „Dieser Entschluss hat ja auch seine positiven Seiten. Immerhin kannst du deinen Decknamen ,Scully’ wieder ablegen. Dann wirst du nicht immer mit Baseball in Verbindung gebracht. Soweit ich weiß, magst du diesen Sport ja ohnehin nicht.“

Sie grinste kurz, als sie an ihr verspätetes oder auch verfrühtes Geburtstagsgeschenk von Mulder dachte. Damals hatte sie sich geweigert sich von ihm dieses in ihren Augen kindische Spiel beibringen zulassen, er hatte sie letztendlich aber doch dazu überredet. Und es hatte sich gelohnt! „Ach, manchmal kann es auch Spaß machen“, gab sie schmunzelnd zurück.

Sam sah sie verwundert an, machte sich aber keine weiteren Gedanken. Langsam ging sein Blick zu dem weißen Umschlag auf dem Tisch. Er sagte nichts, doch Dana wusste auch so, was er meinte. Wenn sie nicht blieb, war dieser Brief ihr nächster Schritt. Vorsichtig griff sie nach ihm und zog den kleinen Zettel heraus. Still studierte sie den kurzen Text. Ihre Miene veränderte sich schlagartig und sie begann ungläubig zu lachen. „Das ist nicht euer Ernst, oder?“

Er machte eine entschuldigende Geste. „Tut mir leid, das war nicht mein Vorschlag.“

„Ich denke, es sollte harmlos werden?!“, schrie sie vorwurfsvoll. Da konnte sie auch genauso gut die Wahrheit sagen, das war immer noch besser als das!

Sam stockte und sah sie verdutzt an. Was war daran denn nicht harmlos? Verwundert griff er nach dem Umschlag. Flüchtig überflog er die Zeilen. Nein, es war der richtige Brief. Er sah wieder zu ihr. „Das ist es doch! Oder hättest du vielleicht lieber einen Autounfall?!“

Sie schenkte ihm einen abwertenden Seitenblick. „Das wäre auch nicht schlimmer.“

Sam schüttelte ungläubig den Kopf. Manchmal war sie wirklich seltsam. „Wie du meinst, aber ich finde die Idee gar nicht mal so schlecht. Und er wird es auch verstehen und das ist es doch, was du willst, nicht wahr?“

„Trotzdem!“ Fast schon bockig verschränkte sie die Arme vor der Brust. Diese Idee war nicht gut, sondern hirnrissig. Und Sam wusste genau, wie unangenehm es ihr sein würde, mit dieser Erklärung zu Mulder zu gehen.

Sam beäugte sie kritisch. Im Moment kam sie ihm überhaupt nicht wie die kühne Wissenschaftlerin mit der unerschütterlichen Gefühlsmauer vor, die sie hier auf Erden spielte. In Wirklichkeit war sie ja auch irgendwie vollkommen anders. Sam schmunzelte innerlich, Schutzengel waren wirklich brillante Schauspieler! Er würde ihr gern helfen, wusste aber nicht, wie. Außerdem konnte Dana froh sein, dass es so ablaufen würde. „Na gut, ich muss los.“ Sam erhob sich und ging auf das Fenster zu. Er drehte sich noch einmal zu ihr um. Sie saß reglos da. „Viel Glück“, sagte er sanft. Er atmete tief durch und verschwand genauso plötzlich wie am Morgen.

Dana schien keine Notiz davon zu nehmen. Sie war zu sehr in Gedanken versunken. Er hatte ja Recht, es war wirklich die beste Lösung, die denen da oben hätte einfallen können. Dennoch war es ihr unangenehm. Wie könnte es das auch nicht sein? Auf der anderen Seite musste es ihr gar nicht zuwider sein, immerhin was es etwas vollkommen Selbstverständliches. Was machte sie sich überhaupt einen Kopf? Er hatte es hinzunehmen und es war ihr egal, was er sich dabei denken würde. Punkt.

Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken. Verwundert blickte sie zuerst auf den Apparat und dann auf die Uhr. Es war schon fast Mitternacht. Die Frage, wer um diese Uhrzeit anrufen würde, war überflüssig. Es gab nur einen Menschen, der das fertig brachte. Sie fragte sich gerade ernsthaft, warum alles heute auf sie einstürzte. Mulder würde ihr sicherlich nicht nur „Gute Nacht“ sagen wollen. Er würde einen Grund haben, der sie vom Schlafengehen abhalten würde. Mit einem kurzen Seufzen nahm sie den Hörer ab. „Scully“, meldete sie sich müde.

Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment lang still. „Habe ich Sie geweckt, Scully?“, ertönte dann Mulders Stimme.

Sie konnte deutlich den besorgten und gleichzeitig entschuldigenden Ton in seinen Worten hören. Wenn er sie nicht wecken wollte, warum rief er dann mitten in der Nacht an, fragte sie sich ernsthaft. Sie war dennoch froh seine Stimme zu hören. „Nein, haben Sie nicht“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich konnte ohnehin nicht schlafen. Was gibt’s denn?“

Wieder hielt er kurz inne, bevor er weitersprach. „Wenn ich Sie gestört habe, kann ich auch morgen wieder anrufen.“

Sie schmunzelte innerlich. Jetzt, wo sie ohnehin schon wach wäre, weil er anrief? „Ist schon okay, es macht wirklich nichts. Ich bin ihre nächtlichen Anrufe mittlerweile gewöhnt. Ich hoffe nur, dass Sie innerhalb der nächsten zwei Stunden nicht nach Alaska wollen.“

Er lachte leise auf und verneinte. „Nein, keine Sorge, Sie müssen heute das Haus nicht mehr verlassen. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich es geschafft habe einen früheren Flug nach England für uns zu buchen. Morgen, zwölf Uhr, um genau zu sein.“

Sie schwieg. Er wollte morgen schon fliegen? Das ging nicht. Es war unmöglich, dass sie mit nach England fliegen würde. Sie würde es Mulder gleich sagen müssen. Sie hatte eigentlich vorgehabt, sich in aller Ruhe zu überlegen, wie sie es anstellen wollte. Was hieß hier in aller Ruhe? Am Sonntag wäre sie immerhin schon weg. Den heutigen Tag konnte sie sich ganz groß im Kalender anstreichen –es kam wirklich alles zusammen.

„Scully? Sind Sie noch dran?“, fragte Mulder, als Dana eine Zeit lang still gewesen war.

Sie räusperte sich. „Ähm, ja, natürlich.“

„Also klappt das morgen?“

Mulder hatte wohl vorgehabt eine Frage zu stellen, doch klang es eher wie eine Feststellung. Es schien für ihn selbstverständlich zu sein, dass sie sich nach ihm richten würde – wie immer eben. Leider würde das diesmal wohl nicht möglich sein. „Ich... ich kann nicht“, sagte sie stockend.

Er überlegte nicht lang, sondern fragte gleich: „Wieso, haben Sie morgen schon etwas vor?“

Wieder zögerte sie mit ihrer Antwort. „Nein, das nicht, zumindest nicht direkt“, gab sie zurück. „Es ist mir an sich nicht möglich, Sie nach England zu begleiten.“

Er schwieg. Es kam nicht oft vor, dass sie aus irgendeinem Grund verhindert war. Eigentlich konnte man die Fälle, welche er ohne sie bearbeitet hatte, an einer Hand abzählen und wenn es doch einmal so war, dann war sie entweder böse auf ihn oder in einem Raumschiff gewesen. Er bezweifelte, dass eines von diesen beiden Kriterien im Moment zutraf. „Wie meinen Sie das?“, fragte er verständnislos.

Sie dachte darüber nach, wie sie es ihm jetzt beibringen konnte. Am nächsten Morgen wäre das sicherlich leichter gewesen, jetzt hatte sie keine Ahnung. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie antwortete. „Können wir uns irgendwo treffen?“ Sie hoffte inständig, dass er ‚ja’ sagen würde, so hätte sie wenigstens noch einen kleinen Zeitraum, um sich eine Erklärung zurechtlegen zu können.

„Jetzt?“, fragte er verwirrt.

„Ja. Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Er stockte kurz, war dann jedoch einverstanden. „Von mir aus gern. Soll ich zu Ihnen kommen?“

„Nein.“ Sie zögerte. „Nein, treffen wir uns irgendwo draußen.“

„Am Hafen?“

„In Ordnung.“

„Ich bin in zwanzig Minuten da.“ Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und legte auf.

Gedankenverloren starrte Dana den Hörer an. Sie hatte schon wieder vergessen, welches Gefühl sie zu diesem Treffen veranlasst hatte. Über das Telefon wäre es vielleicht doch einfacher gewesen. Aber nicht richtig... Gott, wenn sie nur an diesen Vorschlag von oben dachte – der war einfach nur schrecklich! Jetzt musste sie sich überlegen, was sie Mulder sagen sollte.





~*~*~*~





Nervös sah er auf seine Uhr. Er wartete nun schon seit über zehn Minuten auf sie und langsam machte er sich Sorgen. Sie hatte ihm den ganzen Tag über gar nicht gefallen, also, im gesundheitlichen Sinne. Er hatte sie selten zuvor so nachdenklich gesehen. Es war offensichtlich, dass sie etwas bedrückte und es stimmte ihn traurig, dass sie ihm nicht sagen konnte, was es war. Das hatte sie noch nie gekonnt, solange sie sich schon kannten. Sie vertraute ihm ihr Leben an, doch nicht das, was sie auf dem Herzen hatte. Er wollte sie doch nur beschützen, vor allem. Allem Anschein nach schien sie das nicht zu wollen, was sie ihm immer wieder auf die verschiedenste Weise zeigte. Die Momente, in denen er tief in sie hinein sehen konnte, direkt in ihre Seele, waren sehr selten, zu selten, in seinen Augen. Es war fast so, als würde sie etwas vor ihm verbergen wollen; als hätte sie ein Geheimnis, welches er auf keinen Fall erfahren durfte. Er musste sich eingestehen, dass er deswegen ebenfalls auf stur geschalten hatte. Wenn sie ihm ihre Gefühle nicht zeigte, tat er es auch nicht. Mit der Zeit hatte sich daraus fast ein Spiel entwickelt – wer hatte die beste Gefühlsmauer? Sie waren beide Spitze, das war nicht abzustreiten, doch allmählich hatten seine Fähigkeiten nachgelassen. Bei ihr war das nicht so, aber innerlich hoffte er, dass sich das heute ändern würde.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er sie in einiger Entfernung endlich erblickte. Sie hatte nicht mehr den langen dunklen Mantel an, den sie heute Morgen getragen hatte. Der, den sie nun trug, war etwas kürzer und genau auf ihre Taille abgepasst, was ihre zierliche Figur noch mehr hervorhob. Er schluckte, sie sah wirklich atemberaubend aus!

Es dauerte nicht lang und sie hatte ihn erblickt. Zielstrebig ging sie auf ihn zu, doch je näher sie der Bank kam, desto langsamer wurde sie. Kurz vor Mulder blieb sie stehen. Sie verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust, es war wirklich verdammt kalt nachts! Es herrschte einen kurzen Augenblick Ruhe, dann forderte Mulder sie mit einem Blick auf sich neben ihn zu setzen. Sie folgte seiner Bitte. Mit kraus gezogener Stirn musterte er sie. Sein Blick war unmissverständlich, er wollte nun endlich wissen, was mit ihr los war und warum sie sich mit ihm hatte treffen wollen. „Sie wollten mit mir sprechen?“, fragte er schließlich, als sie nichts sagte.

Überlegend sah sie zu ihm auf. Dann nickte sie. „Ja, das wollte ich. Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll. Ich hätte es Ihnen eigentlich schon viel früher sagen müssen, aber irgendwie hat sich nie die Gelegenheit ergeben.“

„Aber Sie wissen doch, dass Sie mir alles sagen können“, warf Mulder ein und entlockte ihr ein kleines Lächeln.

„Das schon“, fuhr sie fort. „Aber es ist trotzdem nicht ganz leicht für mich.“

„Was ist denn los mit Ihnen?“, lachte er. „Haben Sie jemanden umgebracht und brauchen mich nun als Alibi?“

Sie reagierte nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Es stimmte, er schaffte es nicht immer ihr ein Lachen zu entlocken, doch zeigte sie auch keine ihrer ansonsten typischen Reaktionen. Kein ironisches Verdrehen der Augen oder ein genervtes ,Mulder’.

„Nein“, sagte sie einfach und ihre Stimme war ohne jegliche Gefühlsregung. „Nein, das ist es nicht.“ Sie stockte. „Um ehrlich zu sein, ich werde fortgehen.“

Im ersten Moment zeigte sich keine Gefühlsregung in seinem Gesicht, doch dann lehnte er sich ein Stück zur Seite und sah sie verwirrt an. „Wie meinen Sie das; fortgehen?“

„So, wie ich es gesagt habe. Ich...“ Wieder unterbrach sie sich und suchte nach den richtigen Worten. Mulder sah sie noch immer aufmerksam an. Er hatte gehofft, sie würde ihn diesen Abend in ihre Gefühle einweihen, stattdessen wollte sie ihm nun beibringen, dass sie ging? Das würde sie ihm erklären müssen.

„Ich habe jemanden kennen gelernt“, fuhr sie schließlich fort „Und wir...“ Mulder schwieg. „Nun, wir werden heiraten.“

Stille.

Hatte Mulder einen Black Out oder hatte sie ihm gerade gesagt, dass sie heiraten würde? „Was?!“, hakte er nach und bestimmt hatte auch Scully nicht überhört, wie geschockt er war.

Sie sah einen Moment zur Seite, er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Sie schien unsicher, doch wahrscheinlich bildete er sich das nur aufgrund seiner eigenen Verfassung ein. Das war sozusagen sein größter Alptraum, den er schon seit Jahren hatte und der jetzt wahr geworden war. Natürlich war ihm klar gewesen, dass sie irgendwann jemanden „kennen lernen“ würde, wenn er nichts unternahm, aber irgendwie hatte er das immer wieder erfolgreich verdrängt. Er hatte gehofft, dass sie genauso für ihn empfand und es daher keiner Worte bedurfte. Tja, Fox, falsch gedacht. Wie konnte er auch so dumm sein und denken, sie würde ewig bei ihm bleiben, unter diesen Umständen. Sie war eine junge, attraktive Frau, die nicht ihr ganzes Leben hinter kleinen grünen Männchen hinterher jagen wollte.

Sie drehte sich wieder zu ihm um und sah direkt in seine Augen. „Ich sagte, dass ich heiraten werde. Ich habe meine Versetzung schon beantragt.“

Er sah sie einfach nur an, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Nach einigen Momenten des Schweigens fuhr Scully fort: „Ich kann mir vorstellen, dass das etwas überraschend für sie kommt.“

„Das stimmt“, erwiderte er, noch immer zerstreut. ,Überraschend’ war gar kein Ausdruck!

Wieder war es ruhig, während Mulder auf das sanfte Wellengekräusel vor ihm starrte. Der Mond verwandelte den Hafen von D.C. in ein Meer aus Silber. In jeder anderen Situation hätte Mulder es als romantisch empfunden hier mir Scully allein zu sein, doch jetzt stimmte es ihn nur noch bekümmerter. Schon der bloße Gedanke, dass sie fortgehen würde, um mit einem anderen Mann ein neues Leben zu beginnen, ließ ihn erschaudern. Ein Gefühl der Hilflosigkeit machte sich in ihm breit. Scully war seine größte Stärke, seine Konstante, aus der er immer wieder Kraft geschöpft hatte. Wie würde er ohne sie weitermachen können?

„Und wann werden Sie gehen?“, fragte er leise, obwohl er die Antwort eigentlich nicht wissen wollte. Es war einfacher in der Illusion zu leben, dass sie noch hier bleiben würde.

„Sonntag“, antwortete sie nach kurzem Zögern.

Er schluckte. „Aber...“ Er warf einen schnellen Blick auf seine Uhr. „Das ist ja schon Morgen!“

Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Es... es tut mir leid. Ich konnte es Ihnen nicht früher sagen, ich weiß nicht warum.“ Deprimiert wandte sie sich ab.

Es dauerte eine Weile, bis er diesen Fakt verarbeitet hatte. Es war schon schockierend, dass sie heiratete, aber dass sie morgen schon abreiste, brachte seine Gedanken vollkommen durcheinander. Verdattert fuhr er sich durch das Haar, räusperte sich dann. „Waren Sie deswegen so abwesend im Büro?“

Sie sah ihn wieder an und lächelte verlegen. „Nun ja, ich war mir im Klaren, dass ich es Ihnen heute sagen müsste und das hat mich vielleicht etwas nachdenklich gemacht.“

Er nickte. Er müsste sich eigentlich für sie freuen, schoss es ihm durch den Kopf. Er wusste natürlich, dass sie sich eine Familie und ein normales Leben wünschte – wer tat das nicht? Auch er hatte sein ewiges Singledasein allmählich satt. Trotzdem, er hatte sich sein Familienleben immer nur mit einer ganz bestimmten Frau ausgemalt und das war Scully. Wenn er sie jetzt gehen ließ, schien für ihn seine einzige reelle Chance auf Glück verbaut zu sein. Er konnte sich ein Leben mit einer anderen einfach nicht mehr vorstellen, nicht nachdem sich derartige Gefühle ihn ihm entwickelt hatten. Er verwarf den Gedanken, er durfte jetzt nicht egoistisch sein. Sie würde glücklich werden und das war alles, was zählte. „Ich werde Sie zum Flughafen bringen“, sagte er dann. Es sollte ein Angebot sein, doch es klang viel mehr nach einer Feststellung, an der es nichts mehr zu rütteln gab.

Dennoch winkte sie lächelnd ab. „Nein, das ist wirklich nicht-“

„Ich bestehe darauf“, unterbrach er sie schnell. Sie konnte von ihm nicht verlangen, dass er sie auf diese Weise gehen lassen würde. Er wollte sich zumindest von ihr verabschieden.

Schließlich gab sie nach und stand auf. „In Ordnung, wir sehen uns dann morgen.“

Mulder sah sie an, doch lange hielt sie seinem musternden Blick nicht stand. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging. Er hielt sie nicht auf. Stattdessen blieb er allein auf der Bank zurück und dachte nach. Sie würde heiraten, sie würde ihn verlassen. Immer wieder schwirrten ihm diese zwei Gedanken im Kopf herum. Es war mittlerweile Jahre her, seit er sich in seine Partnerin verliebt hatte und er hatte nie gewusst, wie er es ihr sagen sollte. Jetzt würde sie gehen und er konnte rein gar nichts dagegen tun! Er stand auf, er musste laufen, um auf andere Gedanken zu kommen, insofern das überhaupt möglich war. Diese zwei Sätze hatten sich in sein Gehirn gebrannt und es schien ihm unmöglich sie zu ignorieren. Ich habe jemanden kennen gelernt. Wir werden heiraten. Immer wieder echoten sie in seinem Schädel und auch als er nach einer halben Ewigkeit in seinem Appartement ankam, hatte er sich noch nicht gesammelt.





~*~*~*~





Langsam ging sie durch die große Halle des Flugplatzes. Neben ihr lief ein mit Koffern und Taschen bepackter Mulder - er hatte darauf bestanden ihre Sachen zu tragen. Sie fühlte sich unwohl. Sie hatte vorgehabt sich gestern Abend bei ihm zu verabschieden und nicht heute und auch nicht hier. Wenn sie ehrlich war, hasste sie solche Situationen! Als wenn es nicht schon schwer genug sein würde, dass sie ging. Während der Fahrt hatten sie kaum miteinander gesprochen. Mulder schien in seiner eigenen Gedankenwelt zu verharren, genau wie sie. Sie konnte ihn ja verstehen. Wenn ihr ein guter Freund auf diese Tour gekommen wäre, dass er einfach so ginge, hätte sie ganz anders reagiert. Ihre Gedanken schweiften zu Sam mit seinen Ratschlägen und zum tausendsten Mal fragte sie sich, ob es richtig war, was sie hier tat. Sie warf Mulder einen kurzen Seitenblick zu und versuchte sich dann wieder einzureden, dass es sein musste. Egal was für Gefühle er ihr entgegenbrachte, sie durfte sich keine Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft machen. Sie waren beide zu verschieden. Himmel, sie war ja noch nicht mal ein Mensch!

„Ihr Flug geht erst in einer dreiviertel Stunde.“

Sie schreckte aus ihren Überlegungen auf und blickte ihn fragend an. „Was haben Sie gesagt?“

Erst jetzt sah er sie wirklich an. Es war ihr etwas peinlich, aber sie war so in Gedanken gewesen, dass sie ihn einfach nicht gehört hatte. „Ich sagte, dass ihr Flug erst in einer dreiviertel Stunde geht“, wiederholte er seine Feststellung erneut. „Ist alles in Ordnung? Sie wirken schon wieder so abwesend.“

„Nein, nein“, sagte sie und schüttelte ihren Kopf. „Ich habe nur nachgedacht. Ich habe so furchtbar viel zu tun, wenn ich in Boston angekommen bin.“

Er nickte. „Das kann ich mir vorstellen.“ Er stellte Danas Koffer auf den Boden und setzte sich auf einen der Metallstühle, die hier überall montiert waren. Auffordernd sah er sie an und sie setzte sich auf den freien Platz neben ihm. Sie saß ziemlich steif da, das war nicht zu übersehen. Ihr Beine waren eng aneinander gepresst und ihre Hände lagen gefaltet auf ihrem Schoss. Ihr Blick war streng geradeaus gerichtet, so dass sie nicht bemerkte, wie Mulder sie skeptisch von der Seite betrachtete. „Wollen Sie vielleicht einen Kaffee?“

Sie sah zu ihm. „Ähm, nein, aber trotzdem danke.“ Wieder begann sie die Wand ihr gegenüber zu fixieren, als wäre diese das achte Weltwunder. Diesmal spürte sie Mulders Blicke und allmählich wurden ihr diese unangenehm. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte. „Oder vielleicht doch.“

Er nickte nur stumm und machte sich auf den Weg zum Kaffeeautomaten. Scully sah ihm nach, als er hinter der nächsten Ecke verschwunden war, atmete sie einmal tief durch und warf einen Blick auf ihre Uhr. Noch vierzig Minuten. Einerseits wollte sie, dass diese zwanzig Minuten nie zu Ende gehen würden, doch auf der anderen Seite fieberte sie dem Moment der Erlösung auch entgegen. Diese Atmosphäre zwischen Mulder und ihr machte sie noch wahnsinnig. So eine bedrückende Stille herrschte sonst nur, wenn sie sich gestritten hatten. Sie wusste auch nicht, worüber sie mit ihm ein Gespräch starten könnte. Bevor sie ihre Gedanken weiterspinnen konnte, kam er auch schon mit zwei Plastikbechern Kaffee wieder. Der heiße Dampf stieg ihr ins Gesicht, als er ihr einen der beiden Becher vor die Nase hielt. Dankend nahm sie ihn entgegen und Mulder setzte sich wieder neben sie.

Eine Weile herrschte wieder Stillschweigen zwischen ihnen. Es war wirklich unerträglich. Sie wagte es kaum ihn anzusehen, geschweige denn einen Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen. Ihm schien diese Stille genauso wenig zu gefallen. Er räusperte sich kurz und musterte sie dann. „Wie heißt er eigentlich?“

Verwirrt drehte sie sich zu ihm. „Wer?“

Er blickte kurz zur Seite, bevor er ihr antwortete. „Ich meine Ihren Verlobten.“

„Oh.“ Sie schwieg einen Moment. Einen Namen, sie brauchte einen Namen! „Nick?“

Nun war es wiederum Mulder, der sie kritisch beobachtete. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah er auf sie hinab und Dana fragte sich, was er jetzt schon wieder hatte. „War das eben eine Frage, Scully?“

Angestrengt versuchte sie gegen ihre Gesichtsröte anzukämpfen und glücklicherweise schien ihr das auch zu gelingen. Dann setzte sie ihren überzeugendsten Blick auf und meinte: „Nein, natürlich nicht, Mulder! Ich werde ja wohl wissen, wie mein Verlobter heißt.“

Er nickte und wandte sich ab. „Natürlich. Tut mir leid.“

Ihr tat es auch leid, denn ihre Stimme hatte härter geklungen, als sie es beabsichtigt hatte. Doch es war ihr in dieser Situation unmöglich sich zu entschuldigen, also schwieg sie einfach und nippte an ihrem Kaffee. Erneut trat Stille ein. Ab und zu warf ihr Mulder einen kurzen Blick zu, nur um sich dann wieder in der großen Halle umzusehen. Zwei, höchstens drei Minuten schaffte er es so neben ihr zu sitzen, dann versuchte er wieder ein Gespräch zu beginnen. „Und wie haben Sie sich kennen gelernt?“, fragte er gespielt neugierig. Eigentlich war es ja auch gar nicht gespielt, denn es würde ihn tatsächlich interessieren, wie und wo Dana Scully ihren Zukünftigen gefunden hatte.

Dana allerdings erfreute Mulders plötzlich aufkommende Wissbegierde überhaupt nicht, denn jede Antwort musste sie sich gründlichst überlegen, damit sie sich am Ende nicht noch verplapperte! „Das ist eine lange Geschichte“, versuchte sie ihren Hals aus der frisch geknüpften Schlinge zu ziehen, was bei Mulder leichter gesagt war als getan.

Abschätzend sah dieser auf seine Uhr und dann wieder zu Dana. „Wir haben noch gut eine halbe Stunde, versuchen Sie die Kurzfassung.“

Die Kurzfassung, er hatte gut reden. Es gab überhaupt keine Fassung! Ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren, um sich eine glaubwürdige Geschichte auszudenken. Der Gedanke, Mulder belügen zu müssen, behagte ihr allerdings überhaupt nicht. Schließlich hatte sie sich für eine Fassung entschieden. „Ich habe ihn beim Joggen umgerannt“, begann sie ihre Erklärung und kam sich dabei reichlich dümmlich vor. „Es entwickelte sich ein Gespräch und am Ende hatte er mich zum Essen eingeladen. Aus einem Date wurden zwei, aus zwei drei und irgendwann hat es dann eben...“

Sie machte eine deutliche Geste. Sie weigerte sich das Wort gefunkt in diesem Zusammenhang zu benutzen.

„Gefunkt?“, beendete er dennoch ihren Satz.

Danke, Mulder, dachte sie innerlich ironisch und nickte. „Ja, genau.“

„Und ich habe nie etwas gemerkt“, flüsterte er mehr zu sich selbst. Sie sagte dazu nichts. „Wann ist es eigentlich soweit? Ich meine, wann ist die Hochzeit?“

Verdammt, konnte er nicht einfach mit diesen ganzen Fragen aufhören? Wusste er überhaupt, was es für sie bedeutete, wenn sie ihn die ganze Zeit anlog? Nein, natürlich tat er das nicht. Wie auch? In seinen Augen war sie gerade die glücklichste Frau der Welt, die sich auf ihren Verlobten freute. Welche Ironie... „Wir... wir wissen es noch nicht genau“, erwiderte sie.

Er schwieg einen Moment und sah sie dann wieder mit diesem überlegenden Blick an. Diesen Blick hatte sie bei ihm eigentlich kaum gesehen, höchstens wenn er wirklich am Boden zerstört war. Sie versuchte sich einzureden, dass sie sich das nur einbildete, denn der Gedanke, dass sie der Grund seiner Traurigkeit war, behagte ihr überhaupt nicht. Er hatte seinen Kopf noch immer zu ihr gewandt und beobachtete sie nun. „Ich weiß nicht, ob das gestern Nacht so rauskam, aber ich freue mich wirklich für sie“, sagte er ruhig.

Dana wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich einfach nur schrecklich, immerhin war das alles hier eine komplette Lüge, wenn auch eine notwendige. Unsicher rang sie sich ein kleines Lächeln ab. „Danke.“

Sie musste hier weg, sofort! Sie konnte hier nicht sitzen und mit ihm über ihre angeblichen Zukunftspläne sprechen. Jedes Wort, das ihre Lippen verließ, machte ihr unmissverständlich klar, dass es falsch war zu gehen. Einfach nur falsch, zumindest sagte das ihr Herz. Langsam stand sie auf, doch in ihrem Inneren war es ein fluchtartiges Aufspringen. Sie sah Mulders verwunderten Blick und lächelte etwas merkwürdig. „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Ich will den Flug nicht verpassen.“

Er nickte und erhob sich ebenfalls. Seinen Kaffeebecher stellte er hinter sich auf die Sitzfläche. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah zu ihr. „Tja, dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen.“ Er lachte kurz auf. „Also, wenn mir jemand am Freitag gesagt hätte, dass wir heute so hier stehen, hätte ich ihn auf Drogen untersuchen lassen.“

Sie lächelte traurig und sah zu Boden. „Tut mir leid, ich hätte es Ihnen wirklich früher sagen sollen.“

Er grinste freundlich. „Nein, entschuldigen Sie sich nicht. Wer weiß, vielleicht hätte ich genauso gehandelt.“

„Ja, vielleicht“, erwiderte sie.

Sie sahen sich einen Augenblick einfach nur an. Aufseufzend kam er dann auf sie zu und sie umarmten sich ein letztes Mal. Sie würde ihren Schützling wirklich verdammt vermissen! Eine Weile verharrten sie in dieser Position, einander einfach in den Armen liegend. Eine einsame Träne lief Danas Wange hinunter und sie wischte sie ungeschickt fort. Schließlich lösten sie sich wieder voneinander und Mulder reichte ihr die Koffer. „Ich wünsche Ihnen viel Glück, Dana. Und lassen Sie mal was von sich hören!“

„Das werde ich“, versicherte sie. „Machen Sie’s gut.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging. Es war ihr klar, dass sie Mulder heute zum letzten Mal gesehen hatte, auch wenn sie ihm gerade das Gegenteil versprochen hatte. Wenn ein Auftrag beendet war, wurde der Kontakt zum Schützling vollständig abgebrochen, das würde hier nicht anders sein. Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis, sich noch einmal zu ihm umzudrehen. Sie zwang sich weiter geradeaus zu gehen, sie durfte jetzt nicht schwach werden! Sie würde in das Flugzeug steigen, Sam würde sie holen und weder ihre jetzigen Familienmitglieder noch die Passagiere des Flugzeuges würden sich jemals wieder an sie erinnern. Nur Mulder. Man würde dafür sorgen, dass er mit den Scullys nicht konfrontiert würde, so dass sich keine peinlichen Situationen ergaben. Er würde nichts merken und sie irgendwann vergessen. Ein kalter Schauer fuhr durch ihren Körper. Könnte sie ihn auch vergessen? Es war wie eine Kurzschlussreaktion, als sie sich wieder umdrehte. Suchend blickte sie sich nach ihm um. Er hatte sich schon zum Gehen umgewandt, konnte sie also nicht sehen. Schnell stellte sie ihr Gepäck wieder ab und lief einige Meter auf den Ausgang zu. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um über die ganzen Köpfe um sie herum sehen zu können. „Fox?!“, schrie sie so laut wie sie nur konnte. „Fox!“

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er sie endlich hörte und verwundert zurückblickte. Sie stand nur da und traute sich nicht auf ihn zuzugehen. Sie wusste ohnehin nicht mehr, was sie sagen wollte. Langsam kam er auf sie zu und blieb ungefähr einen Meter vor ihr stehen. Fragend sah er in ihre Augen. „Was ist? Alles okay?“

Nein, nichts war okay! Sie konnte nicht gehen ohne wirklich zu wissen, was er für sie empfand! „Gibt es...“ Sie schluckte unsicher. „Gibt es irgendeinen Grund, weshalb ich nicht gehen und heiraten sollte?“

Verwundert zog er die Stirn kraus. Diese Frage schien ihn zu verwirren, das spürte Dana. Sie wollte nur eine Antwort. Ein klares ‚ja’ oder ‚nein’, das für sie entscheiden würde, ob sie blieb oder ging. Forschend musterte er sie und Dana war sich sicher, dass er sehen konnte, weshalb sie ihn das fragte. Plötzlich bildete sich ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht und er begann dem Kopf zu schütteln. „Nein“, sagte er leise. „Nein, dafür gibt es keinen Grund. Ihr Mann kann sehr glücklich sein.“ Liebevoll strich er über ihre Wange. „Und Sie werden eine wunderschöne Braut sein, glauben Sie mir.“

Sie versuchte die Tränen zu unterdrücken, was ihr nicht wirklich gelang. Er lächelte wieder und strich die salzige Flüssigkeit von ihren Wangen. „Sie sollten vor Freude strahlen und nicht weinen, Dana.“ Er schluckte. „Versprechen Sie mir, dass Sie glücklich werden.“

Sie nickte, zu etwas anderem war sie nicht im Stande. Noch einmal umarmten sie sich, bevor sie sich einen Schritt von ihm entfernte. „Es war mir eine Ehre mit Ihnen arbeiten zu dürfen“, flüsterte sie und er lachte.

„Ja, mir auch.“ Er musterte sie. „Und jetzt gehen Sie schon, das Flugzeug wartet nicht.“

Seinen Worten Folge leistend kehrte sie zum zweiten Mal diesem Leben den Rücken. Sie dachte nichts, als sie wieder ihre Koffer nahm und ging. Die Tränen strömten unaufhaltsam über ihr Gesicht, doch sie spürte sie kaum. Sie musste einen Schlussstrich ziehen, sagte sie sich, als sie ihr Gepäck auf die große dafür vorgesehene Rampe stellte. Sie widerstand der Versuchung sich noch einmal umzudrehen und so sah sie auch weder den traurigen Blick, mit dem ihr Fox hinterher sah, noch die einzelnen Tränen in seinen Augen...
Rezensionen