World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

If walls could talk

von Claudia Schubert

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Langsam betrete ich unser Büro. Wie oft bin ich schon durch diese Tür gekommen? Sicher tausend Mal. Doch nie fiel es mir so schwer; hat es soviel in mir wachgerufen. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich hier bin, sagt mir eine innere Stimme immer wieder. Womöglich ist es hier zu Ende. An der Türschwelle bleibe ich stehen und lasse meine Blicke durch den mir so vertrauten Raum schweifen. Ich kann mich noch ganz genau an den ersten Tag hier erinnern. Noch jung, naiv und unerfahren, dachte ich damals, dass ich alles unter Kontrolle haben würde, dass ich eine Frau wäre, dir ihr Leben managen kann und mit beiden Beinen fest im Leben steht. Wer weiß, vielleicht war ich das auch. Doch mittlerweile hat sich soviel verändert; ich habe mich verändert.

Ich sehe die Aktenschränke; randvoll mit Fällen, die wir bearbeitet haben. Den Projektor, der mir schon so manch verrücktes Bild offenbart hat, was man sich mit rationalen Begründungen auf Anhieb nicht erklären konnte. Dann die große Pinnwand, die mir auch vor sieben Jahren sofort ins Auge gefallen war. Kuriose Fotografien und sonderbare Ausschnitte aus Berichten oder Zeitungsartikeln schmücken sie mehr oder weniger. Und schließlich sehe ich ihn, meinen Partner. Er sitzt an seinem Schreibtisch und spielt gelangweilt mit einem Bleistift, während er irgendwelche Blätter überfliegt. Er hat mich noch nicht bemerkt. War ich wirklich so leise oder ist er in Gedanken? Ich räuspere mich kurz und er schaut auf.

"Scully", stellt er überrascht fest und blinzelt mich an. Er hatte mich wirklich nicht kommen hören. Ich ringe mir ein kurzes Lächeln ab und sehe ihn an. Das werde ich am meisten vermissen, vielleicht nie wieder in diese Augen sehen zu können.



*~*~*



These walls keep a secret

That only we knew

But how long can they keep it

Cause we two lovers who lose control



*~*~*



Er lächelt zurück. Gott, wie soll ich nur ohne dieses Lächeln weiterleben? Wir sehen uns lange in die Augen. Ich kann in seinen Augen lesen, dass er sich genauso fühlt wie ich. Wir wissen beide, dass es vorbei ist. Die haben es letztendlich doch geschafft. Und das alles wegen eines einzigen Falles.

Ich erwache aus meiner Erstarrung, gehe auf ihn zu und bleibe vor dem Schreibtisch stehen. Etwas neugierig schaue ich auf den Stapel Papiere, den er vor sich liegen hat und in den er vorhin so vertieft war. Wieder umspielt ein schwermütiges Lächeln meine Lippen. Es ist ein alter Fall. Anscheinend schwelgt er in Erinnerungen.

Ich versuche meine Gefühle zurückzustellen und nicke ihm aufmunternd zu, um die Stille, die zwischen uns beiden entstanden ist, zu durchbrechen. "Arbeit?", frage ich, obwohl ich schon weiß, dass es nicht so ist.

Er schüttelt den Kopf und wischt sich dann die Augen, um aus diesem kleinen Trance, in dem er sich befunden hatte, wieder aufzuwachen. "Nein", antwortet er. Er scheint müde zu sein. "Eine alte Akte, die ich aus der Versenkung geholt habe. Ich wollte nur mal reinschauen."

Ich nicke. Es ist dieser Fall von letztem Jahr, als Mulder behauptet hatte, auf der Queen Anne gewesen zu sein. Es wäre gelogen von mir, wenn ich sagen würde, dass ich bei dieser Sache an den Fall an sich denke. Viel mehr denke ich an den Zwischenfall danach, im Krankenhaus. Es kommt mir vor, als hätte er es gerade vor einer Sekunde zu mir gesagt. Mit dieser warmen Stimme und seinem unwiderstehlichen Welpenblick, der auch das nördlichste Polareis zum Schmelzen bringt.

,Ich liebe Sie.’

Ja, tust du das, frage ich mich wieder. Diese simplen drei Worte und doch haben sie damals einen Überschwall an Gefühlen in mir wachgerufen. Und wenn die Erinnerungen kommen, tun sie es immer noch. Natürlich habe ich mein Möglichstes getan, um ihn das nicht merken zu lassen. Schnell hatte ich die erforderlichen Flickarbeiten an meiner inneren Gefühlsmauer ausgeführt und jegliche Emotion aus meinem Kopf verbannt. Ich versuchte meine Stimme genervt klingen zu lassen, als ich mit einem resignierten ,Oh Mann’ das Krankenzimmer verließ.

Oh ja, ich war einsame Spitze im Abwehren! Auf diesem Gebiet konnte mir keiner was vormachen. Wie oft wollte ich mich schon meinen Gefühlen einfach hingeben, doch mein ach so vernünftig denkender Verstand hat mich immer wieder in meine Schranken gewiesen. Gefühlsmauer war genau der richtige Ausdruck.



*~*~*



We’re two shadows chasing rainbows

Behind closed windows

Behind closed doors



*~*~*



"Schon seltsam, dass es das gewesen sein soll", spreche ich nun doch das Thema an, das uns in diesem Moment wahrscheinlich beide beschäftigt.

Ein gequältes Lächeln zeigt sich einen kurzen Moment auf seinem Gesicht. Dann lehnt er sich in seinen Stuhl zurück und sieht mich stumpf an. "Jap, war anscheinend unausweichlich, dass die es irgendwann schaffen würden", sagt er leise.

Ja, vielleicht war es das. Aber wer von uns hat schon daran gedacht? Er hat an vieles geglaubt und auch ich habe mich oft seinen Theorien angeschlossen? Wahrscheinlich waren wir beide naiv zu denken, dass zwei einzelne Kämpfer etwas gegen eine ganze Verschwörung, gegen eine ganze Regierung ausrichten könnten. "Aber wir haben sie trotzdem ganz schön in Trab gehalten", sage ich und er lacht.

Es kann niemand behaupten, dass wir nichts erreicht haben. Er weiß jetzt, was mit seiner Schwester geschehen ist und wir haben genug aufgedeckt, dass Die erst einmal einiges zu tun haben. Das darf man gar niemandem erzählen, was wir alles durchgemacht haben. Wir haben beide Menschen verloren, die uns sehr am Herzen lagen. Uns sind beiden Dinge widerfahren, über die man auch im Nachhinein nicht sprechen möchte. Doch wir haben auch in dem jeweils anderen einen Freund gefunden. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einer Person so nahe gestanden zu haben. Ich würde alles für ihn tun, genauso, wie er schon so viel für mich getan hat. Er war immer da, wenn ich jemanden gebraucht habe. Er hat mich aufgefangen, wenn ich drohte zu fallen. Und auch wenn ich immer versucht habe es vor ihm zu verstecken, bei ihm habe ich mich sicher gefühlt.



*~*~*



Just two people making memories

Too good to tell

And these arms are never empty

When we’re lying where we fall



*~*~*



Ich rüttele mich selbst aus meinen Erinnerungen und setze mich schließlich auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch steht. Ich sitze ihm direkt gegenüber und schaue in sein Gesicht. Ich fühle, dass er nicht damit einverstanden ist, dass er es nicht will. Doch ist es wegen dem allen hier oder ist es wegen mir? Ich ermahne mich selbst. Es ist einfältig von mir zu glauben, er würde etwas für mich empfinden. Es ist ein Wunschtraum, nichts weiter.

"So, und was haben Sie jetzt vor?", frage ich, um mich wieder abzulenken.

Ich beobachte, wie er kurz den Blick von mir abwendet. Er verzieht keine Miene, als er eine gleichgültige Handbewegung macht und einen tiefen Atemzug nimmt. Er scheint sich bis jetzt noch nicht weiter darüber nachgedacht zu haben.

"Keine Ahnung", beginnt er. "Es wird sich schon was ergeben. Vielleicht wechsle ich wieder in meine alte Abteilung oder ich verlasse das FBI ganz."

Das FBI verlassen? Dieser Gedanke streunte mir auch schon im Kopf herum. Was hält mich denn schon noch hier? Seine Suche war zu meiner geworden. Seine Suche ist vorbei. Und meine?

"Ich wollte mich eigentlich nur von Ihnen verabschieden", sage ich und schaue kurz nach unten. "Die haben es mit der Versetzung ziemlich eilig."

Er ist auf einmal so still, sieht mich nur an. Hat er die gleichen Gedanken wie ich? Will er den Abschied auch nicht? Nach außen hin bin ich ruhig, scheine alles unter Kontrolle zu haben, aber tief in meinem Inneren schreit es. Was bin ich denn schon ohne ihn? Die Frage, ob ich ihn liebe, hat sich schon vor einiger Zeit erübrigt. Erst durch ihn bin ich vollständig, eine ganze Person. Er hat mir Flügel verliehen und mein inneres Feuer entflammt. Auch wenn ich mich schwach gefühlt habe, durch seinen Glauben habe ich fliegen gelernt.



*~*~*



When I’m feeling weak

You give me wings

When the fire has no heat

You light it up again

When I hear no violins

You play my every string



*~*~*



Jetzt sieht er auf und nickt, zwingt sich ein schwaches, kaum erkennbares Lächeln ab. "Ich wünsche Ihnen viel Glück", sagt er und sieht mich freundlich und traurig zugleich an.

"Danke", antworte ich, während ich ihn lange mustere. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er war immer der optimistische Draufgänger, nie aber ein pessimistisch angehauchter Nihilist. Langsam beginne ich um den Tisch herum auf ihn zuzugehen. er sieht mich etwas verwundert an, als ich endlich vor ihm stehe und ihn anlächle. Er versteht und lächelt zurück. Allmählich steht er auf und ich schließe ihn in meine Arme. Diese freundschaftliche und zugleich auch verabschiedende Umarmung, eine simple Geste, wie sie zwischen Freunden tagtäglich geschieht und doch weckt sie so viele Sinne in mir wach. Nun wird es mir erst richtig klar. Es ist vielleicht das letzte Mal, dass wir zusammen sind. Wir werden uns trennen, andere, getrennte Wege gehen. Ich bin im Begriff die Liebe meines Lebens zu verlassen und kann absolut nichts dagegen tun. Eine kleine, einsame Träne bahnt sich ihren Weg über meine Wange, um schließlich in seinem Hemd zu versickern. Soll es das wirklich gewesen sein? Ich versuche den Gedanken zu unterdrücken, doch es gelingt mir nicht, ein leises Schluchzen entfährt meiner Kehle. Ich kann fühlen, wie er mich fester an sich drückt und mir über das Haar streicht. Nein, ich will nicht, ich kann einfach nicht! Wieso können wir nicht offen miteinander über unsere Empfindungen sprechen? Unter einem weiteren Schluchzen flüstere ich leise seinen Namen in die Stille und lege meine Wange an seine Brust. Eine Weile stehen wir so da, einfach in den Armen des anderen, doch letztendlich löse ich mich aus seinem Griff und stelle mich aufrecht hin. Ich wische mir mit dem Handrücken flüchtig über die Augen, um die auffälligsten Spuren meiner Gefühle zu beseitigen, doch ich scheine kläglich zu versagen. Ich merke, wie auch ihn diese ganze Situation nicht kalt lässt. Seine Augen schimmern feucht, er hört nicht auf mich anzusehen. Langsam beginne ich mich umzudrehen, ich kann nicht weiter hier vor ihm stehen. Es würde mir sonst schwerer fallen Abschied zu nehmen als es das ohnehin schon tut. Ohne ein weiteres Wort wende ich mich ab. Worte waren bei uns noch nie nötig; wir kennen uns.

Plötzlich greift seine Hand nach meiner und hält sie fest. Stirnrunzelnd drehe ich mich zu ihm um und sehe in sein Gesicht. Eine einzelne Träne läuft herunter und er sieht mich flehend an, während er meine Hand noch fester umschließt. Verwundert blicke ich auf unsere vereinten Hände und dann wieder zu ihm. Und was ich sehe, ist Gefühl; nur Gefühl.

"Bleib", bittet er mich mit tränenerstickter Stimme.



*~*~*



So stop the press

Hold the news

The secret’s safe between me and you

Walls - can you keep a secret?



*~*~*



Bleib? Was meinst du? Soll ich hier oder bei dir bleiben? Sekunden, Stunden, Tage, Jahre vergehen, in denen wir uns nur ansehen. Ist es vielleicht doch nicht nur Traum? Das, was ich da in seinen Augen sehe, kann nicht einfach nur Trauer über einen Abschied sein. Es ist so viel mehr, so viel stärker. Liebe?

Mein Herz schlägt auf einmal schneller, fragend blicke ich ihn an. Was willst du mir sagen? Seine Finger bewegen sich, als er beginnt kreisförmige Bewegungen mit seinem Daumen auf meinem Handrücken zu zeichnen. Ich wende mich nicht ab, hänge weiterhin an seinen Augen und spüre seine behutsamen Berührungen. Gott, ich liebe diesen Mann. Eine Zukunft ohne ihn ist so gut wie keine Zukunft.

"Bleib - für immer, ich brauche dich", flüstert er mir leise zu und eine heiße Welle durchflutet meinen Körper. Natürlich bleibe ich, ich könnte dich nie verlassen; erst recht nicht, wenn du mich bittest nicht zu gehen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein. Egal, wie oft ich schon verliebt war, es war nie wie bei ihm. Das hier ist etwas ganz Besonderes, etwas für die Ewigkeit, das spüre ich. Ich habe einmal gehört, dass das Schicksal für jeden von uns einen ganz bestimmten Menschen ausgesucht hat, die andere Hälfte unserer Seele, und dass wir diese Person suchen müssen. Mittlerweile bin ich mir ganz sicher, ich habe diesen Menschen gefunden. Schon vor sieben Jahren habe ich ihn gefunden.



*~*~*



If walls could talk - oh

They would say "I want you more"

They would say "hey - never felt like this before"

And that you would always be

The one for me



*~*~*



Melissa hatte recht. Es sind wirklich nicht die Wege, die man geht, sondern die Menschen, die einem auf diesen Wegen begegnen. Mit immer noch feuchten Augen lächle ich ihn an. Seine freie Hand berührt sacht meine Wange und wischt die letzten Spuren der Tränen weg. "Weine nicht", sagt er leise. "Ich bin bei dir."

Er streicht eine Strähne meines Haares nach hinten und lässt seine Hand schließlich an meinem Hals ruhen. Sein Gesicht wird plötzlich ernst, ich kann für einen kurzen Moment Unsicherheit in seinen Augen sehen, bevor er sich langsam zu mir hinab beugt. Auf diesen Augenblick habe ich ewig gewartet und trotzdem hätte ich mir nie träumen lassen, dass es jemals geschehen würde. Als uns nur noch wenige Zentimeter trennen, schließe ich meine Augen und warte auf die süße Erlösung, seine Lippen auf meinen zu spüren. Wir versinken in einen Kuss, den man mit Worten nicht beschreiben kann. Alle Empfindungen, die sich in den letzten Jahren bei uns entwickelt haben, kommen jetzt, gebündelt in dieser Zärtlichkeit zwischen uns, zum Vorschein. Ich verliere mich in ihm, glaube, mich aufgrund meiner weichen Knie nicht mehr halten zu können, doch er hält mich fest, schließt mich fest in seine starken Arme und fängt mich mit seiner Liebe auf. Ja, es ist Liebe, das war es schon immer und das wird es immer sein.

Dann hält er plötzlich inne. Seine Augen schauen mich fragend an. Er will sich versichern, dass ich es wollte. Das strahlende Lächeln, welches ich ihm schenke, dürfte seine Zweifel beseitigen. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich gefühlt.

Und auf einmal sage ich es. Ich weiß nicht, was mich dazu bewegt, aber ich kann einfach nicht anders. Die Worte, die mir bis jetzt immer am schwersten über die Lippen gingen, platzen einfach so aus mir heraus. "Ich liebe dich."

Sein Gesicht hellt sich schlagartig auf und er strahlt mich an wie nie zuvor. Mit seiner Umarmung hüllt er mich vollständig ein und ich koste jede Berührung aus, während er sich zärtlich an meine Wange schmiegt. "Und ich liebe dich. Oh Gott, und wie ich dich liebe", bringt er unter freudigem Lachen hervor, während er mich fest an sich presst.

Wieder laufen mir Tränen an den Wangen herunter, doch diesmal sind es keine Tränen der Trauer, nein, jetzt sind es Tränen der Freude. Wer hätte gedacht, dass wir erst durch eine Trennung zusammen kommen würden; dass man uns erst auseinanderreißen muss, bevor wir uns unseren Gefühlen stellen?

Er hebt seinen Kopf ein Stück und sieht mich wieder an. Das Lächeln auf seinem Gesicht ist unbezahlbar. Warm und liebevoll sieht er mich an und dann treffen sich unsere Lippen zu einem zweiten Kuss, fast noch schöner als der erste. Seine Arme umfassen behutsam meine Taille und schließen mich in ein Gefängnis voller Leidenschaft, aus dem ich nie wieder entkommen möchte. Oh ja, ich bin glücklich, glücklich wie nie zuvor...



*~*~*



If the walls had eyes - my

They would see the love inside

They would see - me

In your arms in ecstasy

And with every move they’d know

I love you so



*~*~*





- -Ende- -
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