World of X

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X-Mas

von XLouiseX

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Ich hörte den Streusand unter den Reifen knirschen als wir mit 80 Meilen pro Stunde über den Highway Richtung Oshkosh brausten. Die Straßenränder waren von hohen, schmutzig

grauen Schneewehen gesäumt und dahinter erstreckten sich zugefrorene Maisfelder, auf denen so hoch Schnee lag, dass man kaum bis zum Horizont blicken konnte. Sogar im Wagen konnte man erahnen wie kalt es draußen sein musste. Ich hatte New Yorker Winter erlebt, aber die in Wisconsin waren mindestens zehn mal so schlimm.



Der Himmel war grau und schien in der Ferne den Boden zu berühren. Ich warf einen Blick in der Rückspiegel, der nichts als Nebel und einen leeren Highway zeigte. Noch nicht einmal die vertrauten Fernlichter anderer Wagen waren noch zu sehen. Niemand befand sich zu dieser Zeit auf der Straße und mir fiel nicht zum ersten Mal auf, dass ich ein wenig paranoid geworden war, seit ich bei den X-Akten war.



Zu unserer Linken erstreckte sich die unbewegte Oberfläche des Lake Winnebago und bald würde endlich Oshkosh auftauchen, wo wir ein Hotelzimmer hatten. Doch bisher sah ich nichts als Wildnis, eiskalte Wildnis. Es gab nichts als grau in grau auf der Route 41. Agent Scully, die sich neben mir in ihrem Sitz zurückgelehnt hatte, starrte trübsinnig auf die Straße. Nein, eigentlich sah sie nicht wirklich die Straße an, denn ich konnte in ihren Augen keinen Fokus erkennen. Sie schien abwesend und nachdenklich. An was dachte sie? Ich konnte es mir denken. Es war sicherlich nicht ihr Wunsch am Weihnachtsabend auf einer Straße entlang zu schleichen, die scheinbar nie enden wollte, einen Partner neben sich zu haben, der nicht der Mann war, den sie liebte, nach dem sie ununterbrochen suchte.



Sie hatte ein hartes Los, diese kleine, aber doch so starke Frau. Ich betrachtete eine Weile ihr blasses Gesicht, das von Schatten halb verdeckt wurde. Alles, was ich erkennen konnte, waren ihre blauen Augen, deren Strahlen verschwunden zu sein schien. Auch sie wirkten grau. Langsam kroch die Kälte an meinen Beinen hoch und auch die warme Winterjacke konnte nichts daran ändern, dass ich ein wenig zu zittern begann. Wortlos drehte ich die Heizung auf, doch noch nicht einmal meine Bewegungen, die Scully aus den Augenwinkeln gesehen haben musste, nahm sie war.



Auch sie war in eine warme Jacke gehüllt, und trug einen dicken hellen Schal um den Hals. Sie schien nicht zu frieren oder einfach zu abwesend zu sein, es zu realisieren. Ein Straßenschild war das erste, das ich seit langer Zeit sah und es zeigte an, dass es bis Oshkosh noch mehr als 200 Meilen waren. Seufzend lehnte ich mich wieder zurück und steuerte den Wagen weiter über die lange Straße. Lediglich ein paar kümmerliche Laternen, die in regelmäßigen, aber langen Abständen aufgestellt waren, erhellten den Asphalt. Es war einfach trostlos.



Wieso hatte Kersh uns ausgerechnet heute Abend zu diesem Fall geschickt, der auch noch außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs lag. Besonders unverschämt erschien es mir, dass er Agent Scully, die ja mittlerweile im sechsten Monat schwanger war, nicht ihren ruhigen Weihnachtsabend gönnte. Und so wie es aussah, würden wir vor Morgen Nachmittag nicht zu Hause sein.



Als ich noch so nachdachte wechselten sich die weiten Felder mit einem Nadelwald ab, der von oben bis unten voll Schnee lag. Glitzernd lag er auf den Ästen und mehrere Zentimeter hoch zwischen den Bäumen. Es war schön und doch durch die Dunkelheit ein wenig unheimlich. Der Mond hatte sich hinter den Wolken versteckt und hier gab es nichts als das Licht der Scheinwerfer, das durch leichten Nieselregen und Nebel gedämpft wurde. Ich verlangsamte das Tempo und beugte mich etwas vor um die Straße besser sehen zu können. Ich musste alles tun, um einen Zufall zu vermeiden denn schließlich waren wir, wie ich mit einem kleinen Lächeln dachte, zu dritt im Wagen und ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn Agent Scully oder ihrem Nachwuchs etwas zugestoßen wäre.



Allerdings hatte ich nicht mit dem Reh gerechnet, das in der nächsten Sekunde aus dem Wald gesprungen war und in gefährlich kurzen Abstand an der Kühlerhaube vorbeizischte. Erschrocken trat ich das Gaspedal durch und die Reifen rutschten auf dem glitschigen Asphalt. Scully erwachte aus ihrer Erstarrung und klammerte sich am Armaturenbrett fest. Der Wagen schleuderte und das Reh verschwand mit einem weiteren Sprung wieder zwischen den Bäumen. Krampfhaft versuchte ich das Lenkrad unter Kontrolle zu bringen, doch es drehte nur noch durch.



Ich hörte Scully neben mir kurz aufschreien und biss fest die Zähen zusammen. Mit einem Ruck riss ich das Lenkrad zur Seite. Die Räder gehorchten sofort und pflügten durch den Schnee. Ich sah Bäume an den Seitenfenstern vorbeirasen, Äste peitschten auf die Windschutzscheibe, Schnee klatschte auf das Dach, bis wir schließlich inmitten einer Lichtung zum Stehen kamen. Ich übersah die Lage sofort, wir würden durch den tiefen Schnee nicht mehr mit dem Wagen nach oben kommen und es wäre eine Zumutung auszusteigen. Als erstes wandte ich mich Scully zu, der der Schreck noch in den Knochen saß. Sie zitterte regelrecht.



"Wie geht es Ihnen? Ist alles okay?", fragte ich besorgt und berührte ihren Arm. Sie ließ es geschehen ohne mich anzufahren, wie sie es sonst vielleicht getan hätte, denn noch immer schien sie mich eher als ihren Feind als ihren Freund zu betrachten.

"Ja, ja...", stammelte sie und ich wagte die nächste Frage.

"Ist das Kind in Ordnung."

Scully berührte sanft ihren runden Bauch und nickte. "Ja... ich denke schon."

Umständlich kramte ich mein Handy aus der Jackentasche und gab den Notruf ein. Während ich mit der örtlichen Abschleppzentrale sprach, beobachtete ich Scully, die sich langsam wieder zurücklehnte und etwas entspannte. Sie sah hübsch aus, aber ihre Miene sprach Bände, es ging ihr so schlecht wie schon lange nicht mehr. Kein Wunder! "Vielen Dank." Ich legte auf und wandte mich Scully zu, die mich auffordernd ansah. "Sie werden in etwa einer Stunde hier sein."

Scully verdrehte die Augen. "Verdammt, es ist schon beinahe Mitternacht! Gibt es denn gar keine Möglichkeit noch nach Hause zu kommen?"

"Selbst wenn wir jetzt weitergefahren wären, wären wir erst gegen drei im Hotel gewesen, wir hätten auch so unseren Flug verpasst, Agent Scully."

Sie seufzte völlig entmutigt auf. "Und das am Weihnachtsabend!", sagte sie. Es entstand ein kleines Schweigen in dem wir beide unseren eigenen Gedanken nachhingen, dann begann sie, zu meiner Überraschung völlig von sich aus zu erzählen. "Wissen Sie, ich war bisher jedes Jahr bei meiner Familie, aber im letzten Jahr habe ich mit Mulder gefeiert." Sie lächelte und wich meinem Blicken aus. Wieder berührte sie ihren Bauch zärtlich.

"Und wie haben Sie gefeiert?", fragte ich und es interessierte mich wirklich.

"Mulder musste länger arbeiten, also habe ich den Weihnachtsbaum in Angriff genommen." Sie grinste jetzt schon fast. "Leider gab es da ein kleines Problem..."

Ich hatte zwar keine Ahnung worauf sie hinaus wollte, aber es schien mir wirklich lustig zu sein. "Was war es?", fragte ich neugierig.

"Also..." Sie unterbrach sich selbst mit einem Lachen. "Das Ding war einfach zu hoch und als Mulder nach Hause kam..." Nun musste auch ich lachen. "... waren die unteren Zweige geschmückt, aber die Oberen nicht, denn als ich die erste Kugel aufhängen wollte, bemerkte ich mal wieder, dass ich viel zu klein war."

"Mich hat mein Vater früher immer hochgehoben!", sagte ich und Scully nickte.

"War bei mir genauso. Deswegen habe ich mich auf einen Stuhl gestellt..."

Ich stellte mir Agent Scully auf einem Stuhl stehend vor, krampfhaft bemüht den Stern auf die Baumspitze zu bugsieren, und musste lachen.

"Leider bin ich dann umgefallen." Jetzt lachten wir beide aus vollem Halse. Sie holte Luft bevor sie weitersprechen konnte. "Ich hatte mir den Fußknöchel verstaucht und musste die ganze Zeit auf einem Bein durch die Gegend hüpfen."

"Mulder hat Sie nicht getragen?", fragte ich.

"Doch hat er, aber irgendwann ist der Kerl auf dem Sofa eingeschlafen und ich hatte noch Hunger..." Sie verzog das Gesicht. "Genau wie jetzt."

Ich nickte. "Das geht mir auch so. Leider gibt es hier weit und breit kein Fastfood Restaurant." Lachend wies sie mich darauf hin, dass sie kein Fastfood mochte.

Wieder schien es kälter geworden zu sein und Scully beugte sich vor um an der Heizung zu drehen. Nach einer Weile hob sie den Kopf und sah mich gequält an. "Die Heizung ist ausgefallen."

Ich überprüfte es, doch sie hatte zweifelsfrei Recht. "Oh nein!", fluchte ich und Scully zog ihre Jacke enger um sich. "Wollen Sie wissen, wie ich das letzte Weihnachten verbracht habe?", fragte ich, um sie ein wenig aufzumuntern.

"Ja!" Sie wandte mir den Kopf zu und lächelte.

"Also ich war auf dieser FBI Weihnachtsfeier, und das zusammen mit Assistant Director Skinner." Sie wusste, dass ich von meiner Frau getrennt lebte und sagte nichts dazu, dass ich den Weihnachtsabend im Büro verbracht hatte. "Auf jeden Fall war er sturzbetrunken."

Sie hob skeptisch eine Braue. "Skinner?"

Ich nickte und lächelte sie an. Sie gab mir ein ebenso offenes Lächeln zurück und ich bemerkte, dass ich sie bis zum heutigen Tag noch nicht Lächeln gesehen hatte. Und sie sah wirklich sehr hübsch und attraktiv aus, wenn sie das tat. Ich will nicht leugnen, dass ich sie schon immer sehr anziehend gefunden hatte und ich will auch nicht bestreiten, dass ich mich in diese Frau verliebt hatte, aber ich sagte mir auch immer wieder, dass sie vergeben war. Sie bekam Mulders Kind, es war nicht mein Recht, mich dazwischen zu drängen.

"Skinner betrunken. Wir könnten ihn erpressen", schlug Scully mit verschwörerischem Blick vor.

"Gute Idee..." Ich unterbrach mich. "Ihnen ist auch kalt, oder?" Sie nickte kläglich und doch amüsiert über sich selbst. "Vielleicht können wir auf der Rückbank ein wenig zusammenrücken...", sagte ich und bemerkte eine Sekunde später, dass es wie eine missglückte Anmache klang. "Entschuldigung...", fügte ich hinzu, doch sie reagierte nicht abweisend, wie ich gedacht hatte, sondern schien sogar sehr dankbar zu sein.

"Das ist vielleicht wirklich eine gute Idee." Ich kletterte durch den Sitzen durch nach hinten und reichte ihr meine Hand damit sie folgen konnte. Ihr Bauch behinderte sie natürlich ein wenig, aber wenige Minuten später hatten wir es geschafft. Sie saß neben mir und ich legte zögernd die Arme um sie. Ebenso zaghaft wie ich es gewesen war, legte sie ihren Kopf an meine Schulter und so verharrten wir. Ich umschloss ihren Körper mit meinen Armen, sie hatte sich an meine Schulter gekuschelt. Es erschien so paradox, so unglaublich, dass sie so bei mir lag, nachdem sie mich immer wie einen Eindringling behandelt hatte. Sie brauchte mich, wie ich sie brauchte. Wir waren Partner und aufeinander angewiesen. Endlich hatte sie es auch verstanden. Doch da war noch etwas anderes, das ich fühlte. Ich hatte den unwiderstehlichen Wunsch sie zu küssen und ihr zuzuflüstern, dass ich immer bei ihr sein würde. Ich öffnete den Mund, schluckte und konnte dann endlich sprechen: "Sie... sollten sich etwas ausruhen, ich werde Sie wecken, wenn der Abschleppwagen hier ist."

Sie nickte und murmelte ein schläfriges "Ja".



An ihren langen, regelmäßigen Atemzügen konnte ich wenige Minuten später erkennen, dass sie eingeschlafen war. Der Wagen ließ auf sich warten und man rief mich an, um mir zu sagen, dass sie nicht durchkamen, es würde bis in die frühen Morgenstunde dauern. Und als es langsam heller wurde beugte ich mich weiter zu Scully herunter. Die ersten Strahlen der gleißenden Wintersonne tauchten unser Auto in ein helles Licht. Als Scully blinzelnd erwachte tauschten wir ein erneutes, warmes Lächeln aus.

"Frohe Weihnachten, Dana."

"Frohe Weihnachten, John."





Ende
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