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Wenn das Liebe ist

von Netty

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„Was fühlst du eigentlich für ihn?“ Das ist eine gute Frage. Genaugenommen ist es eine zu gute Frage. Seit Lucy mir gestern diese Frage gestellt hat kann ich an nichts anderes mehr denken. Es war als Wochenendausflug geplant und endete im Desaster. Ich habe mich wirklich gefreut Lucy wieder zu sehen, sie war meine Zimmergenossin im College und ich habe den Kontakt zu ihr nie abgebrochen.



Nun und da wir dieses Wochenende beide nichts besseres zu tun hatten, packte ich meine Sachen und fuhr geradewegs nach Atlanta um sie zu besuchen. Jetzt ist es Samstagabend und ich bin wieder auf dem Weg nach Hause, und alles nur wegen dieser Frage.



Ich kann sie nicht beantworten und das stört mich. Es muß eine Antwort darauf geben. Es gibt auf alles eine Antwort. Vor mir bremst ein Auto scharf und als ich an ihm vorbei fahre, herrsche ich den Fahrer an. Ich bin gereizt und das alles nur wegen einer kleinen läppischen Frage auf die es mit Sicherheit eine Antwort gibt. Sie ist nur noch nicht in mein Sichtfeld getreten.



Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die Frage wieder zu vergessen und trotzdem ein schönes Wochenende zu verbringen. Doch ich bin gescheitert. Mir fiel auf einmal auf, dass es ohne ihn gar kein schönes Wochenende sein kann. Ohne seine Stimme, seine braunen Augen, seine Arroganz, seine Verletzlichkeit.



Ich habe seit dem Frühstück nichts gegessen, ich kann einfach nicht. In mir ist eine Leere, die ich einfach nicht füllen kann. Warum hat eine einzelne Frage so eine Wirkung auf mich?



Was fühle ich für ihn?



Loyalität. Er ist mein Partner und ich respektiere ihn für sein Wissen und seine Art Dinge zu entdecken, die jedem anderen verborgen bleiben. Seine Art mit mir umzugehen, mich ohne mich abschätzig zu behandeln auf etwas Falsches hinzuweisen.



Vertrauen. Würde er sagen, dass mein Leben in Gefahr ist und ich mit ihm fliehen muß, dann würde ich es tun, weil ich ihm vertraue wie keinem anderen. Ich würde für ihn sterben und ich weiß, dass er das auch für mich tun würde. Er würde alles für mich tun, wenn’s sein muß sogar bis ans Ende der Welt folgen. Das hat er bereits getan.



Freundschaft. Er ist der beste Freund, den ich jemals hatte. Mit ihm Pizza zu essen und Bier zu trinken ist besser, als mit einem anderen Mann zu schlafen. Wenn er seine dreckigen Witze reisst und ich gegen meinen Willen lachen muß. Mit einem Problem mitten in der Nacht vor seiner Tür zu stehen und einfach eine Schulter zum anlehnen finden, ist soviel mehr wert als teure Geschenke oder protziges Auftreten.



Trauer. Ich möchte soviel für ihn ungeschehen machen. Die Entführung seiner Schwester, meine Krebserkrankung, die wir gemeinsam überstanden haben. Alle Lasten hat er sich auferlegt ohne sich zu beschweren. Er hat so viel mehr verdient, als nur Schmerzen und Ablehnung.



Wut. Manchmal könnte ich ihm den Kopf abreißen, wenn er alles in Frage stellt, woran ich glaube und es mit seinen wilden Theorien versucht zu beweisen. Wenn er Termine macht und glaubt, dass ich sowieso nichts anderes zu tun hätte, als alles zu tun, was er von mir verlangt (das ich wirklich nichts besseres zu tun habe, steht hier gar nicht zur Debatte).



Liebe... woher kam das?



Liebe? Wie kann das Liebe sein? Wie kann es nicht?



Wenn das Liebe ist, müßte ich dann nicht glücklich sein? Warum tut es so weh diese Gedanken zu haben? Mit ihnen ist immer die Angst verbunden, ihn eines Tages zu verlieren.



Was würde ich tun? Ich kann nicht ohne ihn leben, aber mit ihm kann ich auch nicht. Nicht so, wie es sich für eine Liebe gehört.



Kann es Liebe sein? Müßte er mich dazu nicht auch lieben?



Wenn das Liebe ist, warum bringt es mich um den Schlaf? Warum liege ich wach und frage mich die ganze Zeit, was ich für ihn fühle? Wenn das Liebe ist, warum raubt es mir meine Kraft? Ich bin kaum stark genug weiter darüber nachzudenken, ich möchte mich verkriechen und alles vergessen.



Ich fühle etwas nasses auf meinen Wangen. Tränen? Ist es so schwer? Ja! Warum kann ich ihm nicht einfach sagen, dass ich ihn liebe, er sagt es auch und wir sind glücklich. Aber so einfach geht das nicht, weil wir kein einfaches Leben haben. Bei jedem Fall kann einer von uns sterben. Was ist, wenn er mich nicht liebt? Wie soll ich mit ihm arbeiten, wenn er meine wahren Gefühle kennt?



Ohne, dass ich es wirklich registriere fahre ich auf den nächsten Parkplatz und ziehe mein Handy aus meiner Tasche. Einmal die Eins gedrückt und seine Nummer wird gewählt. Gespannt presse ich das Telefon gegen mein Ohr. Meine Hand zittert.



„Hallo?“ Seine warme Stimme. Sag was. „Hallo?“, fragt er noch einmal. Ich lege auf. Wie kann ich es ihm sagen, am Telefon? Es hängt soviel davon ab.



„Wenn das Liebe ist“, flüstere ich leise in die Leere meines Autos, „was macht sie mit mir?“ Noch eine Frage, auf die ich keine Antwort weiß.



Wenn das Liebe ist und sie so kompliziert ist, was ist dann Hass? Hass ist einfacher. Vielleicht sollte ich ihn hassen, dafür, dass er mir das antut. Aber wie kann ich, wie könnte ich ihn jemals hassen, wo mein Herz bei jedem Gedanken an ihn schneller schlägt. Wo mein Puls beginnt zu rasen und ich ihn küssen will.



Ihn zu küssen ist ein Traum, den ich niemals erleben werde. Seine zarten Hände streichelnd an meinen Wangen zu spüren. Warum ist er jetzt nicht hier? Ich brauche ihn, jetzt. Ich muß eine Entscheidung treffen.



Kopf oder Herz?



Warum ist das Leben voll von Entscheidungen, die man allein treffen muß und von denen soviel abhängt? Was ist, wenn ich die falsche wähle? Was ist, wenn ich die richtige wähle?



Meine Gedanken wandern davon und ich fahre automatisch. Als ich bemerke, dass ich parke, sehe ich mich um. Ich stehe vor seinem Apartmenthaus. Ist das ein Zeichen oder reine Gewohnheit? Verschlägt mich mein Wille oder mein Gefühl hierher?



Ich sollte hochgehen. Wenn ich es ihm nicht sage, dann können wir uns immer noch ein Video oder sowas ansehen. Vielleicht sage ich es ihm ja. Denn wenn das Liebe ist, was habe ich dann zu verlieren?



Ende
Ich hoffe euch hat dieses kleine kopfzerbrechende und melancholische Stück gefallen. Über Feedback würde ich mich sehr freuen, denn dafür nimmt man sich immer Zeit. Bis zum nächsten Mal, Netty!
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