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Wie Licht in der Nacht

von Kjaelle

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Der Wind war kalt, eisig, machte die ohnehin schon kalte Luft noch kälter. Er pfiff durch die Baumwipfel, die allesamt mit Schnee bedeckt waren und unter der schweren, weißen Last ächzten. Alles war weiß und vielleicht hätte es ein kleines Kind sehr schön gefunden und wäre herumgetollt, hätte Schneemänner gebaut und sich von der Kälte nicht stören lassen, aber dies hier wirkte dunkel. Eisig. Und sehr einsam. So einsam, dass es im Sommer vielleicht der perfekte Ort für anderweitige Aktivitäten war, aber nicht jetzt, denn die Berge im Hintergrund nahmen der Gegend sämtliche Sonnenstrahlen weg, so dass es schon jetzt um vier Uhr am Nachmittag, anfing dunkel zu werden. Die Berge, die Appalachen in Virginia waren zwar nicht besonders hoch, aber dennoch wollten sie den Respekt, der ihnen zustand. Die Schritte knirschten auf dem festen Schnee und hinterließen keine Abdrücke, nicht die geringsten, denn die Schneedecke war sehr, sehr hart gefroren. Kein Vogel zwitscherte und nichts schien sich zu regen, nichts, es wanderte nur eine kleine Gestalt durch diese Weite, die so mächtig wirkte, so bedrängend. Stille, alles war leise und nichts wagte sich zu rühren, um keine Energie zu verbrauchen, die in diesem Winter noch von Nutzen sein könnte. Die Figur wirkte wie gemalt, da diese Gegend lebensfeindlich war und sie sich vielleicht verirrt hatte. Ja, verirrt, auf so viele Arten, wie man sie nicht beschreiben kann. Es war eine Frau, deren Augen rot geweint waren, ohne Ausdruck, einfach leer. Man konnte die Leere, die sie spüren musste, sehen, wenn man in ihre Augen schaute, sie war fast greifbar. Nichts, alles war still und ihre Gefühle waren weg. Einfach nicht mehr vorhanden, als wären sie seit jener Entscheidung verschwunden. Die Entscheidung, die sie der Vernunft willen getroffen hatte, die sie als Mensch, oder als Mutter aber keineswegs gutheißen konnte. Es war ihre Sache gewesen, doch es war so schwer, sich davon zu trennen. Von ihrem Kind zu trennen, das sie in ihrer Zeit mit soviel Liebe begleitet hatte. Die Liebe, die ihn noch immer begleitete. Aber sie war von ihr gewichen und es schien, als hätte sie all ihre Emotionen mit diesem Kind weggegeben, vergessen in dem Moment, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Und sie war nicht in der Lage sie wieder zu holen, als wären sie ihr gestohlen worden, wie ein Gut, das sie nie wieder bekommen würde, weil es jetzt an einem anderen Ort war, wo es anders genutzt wurde. Sie hatte versucht weiter zu machen, weiter zu arbeiten, als wäre nichts gewesen und als wäre sie wieder die junge Agentin, die ihr Leben noch vor sich hatte. Doch dem war nicht mehr so, denn sie hatte das Gefühl eine gebrochene, alte Frau zu sein, deren einzige Liebe sie aus dem gleichen Grund verlassen hatte, aus dem sie auch ihr Baby weggeben hatte. Die Sicherheit, die sie nicht gewährleisten konnte in dieser grausamen Welt, die, wie es schien, nur existierte, um sie leiden zu lassen. Und sie spürte nichts mehr, denn diese Welt hatte es geschafft ihr die Gefühle, die Freude, die Traurigkeit, die Liebe, den Hass und alles, was sie geliebt hatte, das Lachen, die Melancholie und den Sarkasmus, den sie so grandios beherrscht hatte, zu nehmen Und jetzt klaffte eine gähnende Leere, das Nichts, als großes Loch in ihrem Innern. Das war anders, als alles, was sie jemals gefühlt hatte. Wenn sie ein Freund verlassen hatte, dann war sie wütend und verletzt gewesen und sie hatte ihn gehasst. Und wenn sie etwas Schönes gesehen hatte, so lachte ihr Herz. Doch nun war das alles vorbei und es kam ihr vor, als ob sie diese Emotionen nicht verdient hatte. Als wenn sie alles, was sie jemals an Freunden, an Gefühl besessen hatte, verloren hatte. Sie war nun niemand mehr. Nur eine Art Zombie, der durchs Leben taumelte, wie in einem Traum, der einen benebelte. Etwas Irreales, dass nicht existieren durfte, da es den Namen Mensch nicht mehr verdiente. Und sie wusste, warum sie hier war, in dieser gottverlassenen Gegend, in die sich kein Hirsch verirrte. Sie wollte sterben. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie wirklich das Gefühl, dass nichts mehr einen Sinn machte. Nicht das Atmen, nicht das Essen, denn sie wollte nicht mehr. Es war, als wäre ihre Energie, die sie zu dem machte, was sie war, aus ihr gewichen war. Als ob sie nur noch die leere Hülle der Person war, die sie einmal gewesen war. Stark und selbstbewusst und vor allem geliebt, auf so verschiedene Arten, wie ein Mensch es nur erahnen kann. Doch jetzt war nichts mehr von dem da. Gar nichts. Sie wanderte allein durch die weiße Landschaft, niemand an ihrer Seite, der sie hätte retten können. Mulder war weg, weit weg und er verriet ihr auch nicht, wo er war, da er in Gefahr war. Außerdem hatte er sich seit über zwei Monaten nicht mehr gemeldet und sie hatte das Gefühl, dass er schon gar nicht mehr unter den Lebenden verweilte. Das die kalte Erde schon längst die Heimat seines Körpers geworden war.



Jetzt stand sie auf einem Hügel und schaute in Richtung der Berge, die sie so huldvoll anblicken, als wollten sie ihr verzeihen, was sie zu tun gewagte. Sie spürte das Messer, dass sie in ihrer Jackentasche hatte und sie wusste was sie zu tun hatte, da sie hier sterben wollte. In einer ausgestorbenen Landschaft, die die Leere symbolisierte, die auch in ihr herrschte und wo niemand ihre Leiche fände. Sie hatte alles zuhause gelassen, was ihr als lieb und teuer erschien. Die Dinge, die ihr etwas bedeuteten, wie auch ihr Kreuz, das sooft in Mulders Hand gelegen hatte. Das sie daran erinnerte, dass sie glücklich gewesen war. Und sie fragte sich, warum sie ihre Liebe eigentlich nie hatten richtig ausleben dürfen. Wie lange waren sie miteinander als Paar glücklich gewesen? Ein paar Wochen? Sie wollte sich nicht daran erinnern, denn dann kämen die Erinnerungen an diese schöne Zeit hoch, die sie dennoch erlebt hatten. Die ihnen vergönnt gewesen waren, bevor Leid und Trauer sie eingeholt hatten. Es war so ungerecht. Sie holte das Messer aus ihrer Tasche und besah es sich. Es war nicht besonders scharf, denn sie wollte, kurz bevor sie aus dieser Welt scheiden würde, noch etwas spüren, wenn es auch nur der Schmerz war, den ein stumpfes Messer beim Aufschneiden der Pulsadern verursachte. Es war ihr durchaus bewusst, dass es einfachere Wege gab, um zu sterben: so könnte sie sich auch eine Überdosis Schlaftabletten verpassen, aber sie war gewillt so zu sterben. Mit dem Messer in der Hand und dem roten Blut auf dem gespenstisch weißen Untergrund. Ein Bild für ein Horrorszenario. Doch sie wollte nicht, dass irgendjemand das je zu sehen bekam. Es war klar, das ihr Verschwinden nicht unbemerkt bleiben würde, und das Monica und John sich schreckliche Vorwürfe machen würden. Aber darauf nahm sie jetzt keine Rücksicht. Langsam setzte sie das Messer an ihre Unterarme, sie hatte die Jacke hochgeschoben und das kalte Metall jagte ihr einen Schauer durch den zarten Körper. Sie wollte nicht zögern, sondern das hier schnell durchziehen. Sie drückte auf und kniff die Augen zusammen. Sie wollte den Schmerz in sich aufnehmen, als das letzte, was sie fühlen würde. Langsam glitt das Messer in ihre Haut. Sie wollte lachen, denn bald würde dieses elende Leben vorbei sein, doch sie konnte nicht, denn ihre Kehle war zugeschnürt. Und dann, als die ersten Tropfen des Blutes fielen, hörte sie eine fein klingende Stimme, die mit kindlicher Gutgläubigkeit sang.



Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;

Es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;

Es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,

Ist wie ein Stern in der Dunkelheit.

(Israelisch)



Erschrocken ließ sie das Messer fallen und drückte instinktiv ihre Jacke auf die Blutung, die noch nicht allzu stark war, sie hatte die Pulsader nur angeritzt. Sie schaute sich nach einem kleinen Mädchen um, das gesungen hatte, doch da war keines. Alles war menschenleer, wie ausgestorben. Sie suchte mit ihren Augen, die vollkommen verzweifelt waren und ein paar Tränen sammelten sich in ihren Augen und jetzt erinnerte sie sich. Ihre Schwester Melissa hatte dieses Lied oft gesungen und sie sah vor ihrem inneren Auge ihre Schwester die sang und tanzte. Die lächelte und fröhlich war, wie ein kleines Mädchen nur sein konnte. Engel? War die Seele von ihr hinab gestiegen aus dem Himmel, um sie zu retten, sie davor zu bewahren ihr Leben einfach wegzuschmeißen. War es so? Oder hatte ihr das Unterbewusstsein einen Streich gespielt, um sie davon abzuhalten Sie schaute sich um und presste ihren Mantel auf die Wunde, die langsam aufhörte zu bluten. Dann merkte sie, wie ihr die Tränen die Wangen herunter liefen. Echte Tränen, die nur so flossen und ihr weißes Gesicht benetzten. Sie weinte und dann begann sie zu rennen, weg von diesem Ort und weg von der Leere. Sie lief und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Es war als hätte diese Botschaft etwas in ihr ausgelöst, denn langsam hatte sie das Gefühl, das etwas zurückkehrte und es war die Freude. Die Freude darüber, dass sie jemand gerettet hatte. Dass ihr jemand gezeigt hatte, dass sie nicht allein war. Und sie erinnerte sich jetzt auch daran, dieses Lied gesungen zu haben. Als sie traurig war. Sie hatte auf Gott vertraut und sich in der Hoffnung gewiegt, dass niemand je allein sein konnte, da Gott immer da war. Jetzt ignorierte sie die Beweise, dass die Bibel auf ein uraltes Raumschiff gemeißelt war. Vielleicht war es nur eine Prüfung gewesen, die Gott für sie arrangiert hatte, um sie zu testen. Und jetzt in dem Moment, als sie sich wirklich selbst töten wollte, da war dieses Lied an sie herangetragen worden. Durch unsichtbare Mächte. Gott? Hatte Gott ihr geholfen? Plötzlich kehrte dieses Gefühl der inneren Sicherheit zurück. Ganz langsam und dann immer stärker, es überkam sie gemischt mit einer Welle des Glücks. Sie lebte, sie fühlte, dass sie nicht allein war und auch nie allein sein würde, egal, wie sie weinen würde und wie stark sie das ganze mitnehmen würde. Egal, wie sie leiden würde. Sie erinnerte sich an die Kreuzkette, die sie Zuhause gelassen hatte, und zu der sie jetzt zurück fuhr. Sie hatte ihren Glauben wieder und vielleicht war es ja Gottes Wille gewesen, dass sie William weggeben hatte.



Leben



Manchmal erschlägt es mich,

mit seinen Eindrücken,

seinen Aufgaben,

seinen Schwierigkeiten.

Die schwirrende Leichtigkeit,

und die drückende Melancholie.



Erinnere mich an schöne Tage,

erinnere mich an harte Tage.

An die Sonne auf meinem Gesicht,

an die Dunkelheit in meinen Gedanken.

Die Verwirrung,

Die Klarheit,

die mich auf jedem Schritt begleiten.



An das Glück,

wie ich es festhalten will.

An die Traurigkeit,

wie sie mich überkommt.

Mut, der mir unter den Fingern verrinnt,

und die Angst etwas falsch zu machen.

Kraft.



Die Verrücktheit des Seins.

Aber es ist in Ordnung,

denn ich bin,

trotz aller Unsicherheit,

oder gerade deswegen,

ein ganz normaler Mensch.

Danke.



17.6.02 Jessica Bahr









Ende
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