World of X

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Teufelskreis

von XS

Chapter 2

0:31 Uhr.

Mulder saß auf seiner Couch, den Kopf in den Händen vergraben. Wie hatte er nur glauben können, daß der Brief tatsächlich von ihr gewesen sei? Die ganze Zeit über nicht das geringste Zeichen, von einer Ausnahme einmal angesehen, und dann etwas derart Direktes? Nein, er hatte sich wohl einfach zu sehr seinen Wunschträumen hingegeben.

Und dann war der Zettel von Diana gewesen. Diana Fowley. Er hatte nicht einmal bemerkt, daß sie anscheinend (immer noch) so viel für ihn empfand. Seine Aufmerksamkeit hatte einer anderen Person gegolten. Aber hatte er ihr denn dabei unbewußt Andeutungen gemacht, daß er ihre Gefühle erwiderte? Entweder war er so abwesend gewesen oder Diana hatte in Nichtigkeiten etwas gesehen, daß nicht da war.

Mulder seufzte. Vielleicht war es ihr ja heute nacht klargeworden. Vermutlich zu klar.

*Dann bekommst Du ihn...*

Müde erhob sich Mulder und ging in sein Schlafzimmer. Er erstarrte noch im Türrahmen stehend. Sein Parfum. Er roch sein Parfum, das den ganzen Raum zu erfüllen schien. Dabei hatte er es heute morgen nicht einmal benutzt.

Diana! Wut flammte in ihm auf. Sie hatte nicht nur seine Wohnung betreten sondern auch noch weiß-Gott-was darin angestellt. Da, der Mantel. Er lag auf dem Fußboden, obwohl er genau wußte, daß er ihn mehr oder weniger sorgfältig auf das Bett gelegt hatte. Wütend ging er auf den Mantel zu, blieb jedoch abrupt nach einem Schritt stehen. Der Mond schickte seine sanften, silbernen Strahlen durch das Fenster in den dunklen Raum. Etwas reflektierte dieses Licht und stach Mulder ins Auge. Etwas lag dort auf dem Boden und leuchtete silbern. Direkt neben seinem Mantel.

Er ging darauf zu, bückte sich und hob den Gegenstand auf. Er betrachtete ihn einige Sekunden und es breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Es war ihr Kreuz. Scully’s Kreuz. Er wußte nicht wieso, aber instinktiv spürte er, daß ihre Kette heute abend hierhergekommen war. Er fragte sich gar nicht erst, wie sie hergekommen war. Scully war hergekommen und hatte aus irgendeinem Grund ihre Kette verloren. Sie hatte seinen Mantel getragen und sein Parfum benutzt. Das wußte er sofort.

Er steckte die Kette in seine Hosentasche und griff nach seinem Mantel. Auch dieser roch stark nach seinem Parfum, aber ganz leicht konnte er den feinen Duft riechen, der zu ihr gehörte. Und wieder lächelte er. Also hatte seine Vermutung doch gestimmt. Zwar war der Brief nicht von Scully gewesen, aber sie war hiergewesen. Vielleicht hatte sie auf ihn gewartet. Vielleicht hatte sie auch etwas für ihn hinterlassen. Vermutlich im Wohnzimmer.

Er ließ den Mantel zurück und sah sich im Wohnzimmer um. Er sah, daß seine Stereoanlage eingeschaltet war. Sie hatte seine CD gehört. Er mußte wissen, welches Lied sie gehört hatte und schaltete den CD-Spieler ein. Sanfte Klänge ertönten und er wurde sofort traurig. Das Lied kannte er nur zu gut. Genauso fühlte er sich nur allzu oft. Also fühlte sie vielleicht genau wie er.

Er sah sich noch einmal um. Plötzlich war alles unglaublich klar. Der Mantel. Das Kreuz. Das alles wies doch deutlich auf einen abrupten Aufbruch hin. Sie war gegangen, ohne das beendet zu haben, was sie begonnen hatte. Was auch immer das gewesen war. Hatte Diana sie gestört? Nein, das hätte sie ihm doch sicherlich mit Genugtuung unter die Nase gerieben. Scully mußte nach Diana hergekommen sein und hatte den Zettel gefunden...

Das mußte es gewesen sein. Nur das konnte den überhasteten Aufbruch erklären.

*Verdammt! Ich muß sofort zu ihr! Es wird sonst alles zerstören, was vielleicht zwischen uns ist!*

Mulder nahm seine Autoschlüssel aus der Lederjacke, die er noch immer trug und hastete zur Tür.

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Verwirrt entriegelte Scully die Tür, entfernte die Sicherheitskette und versuchte eine halbwegs normale oder zumindest verärgerte Miene aufzusetzen. Aber sie wußte, daß ihr das nicht gelang. Trotz dessen öffnete sie die Tür. Sie sah Mulder an, sagte aber kein einziges Wort. Mulder lächelte sie an, doch kaum hatten sich ihre Blicke getroffen, sah er sie bestürzt an und sein Lächeln erstarb.

Mulder fühlte sich, als hätte ihm gerade jemand eine Faust in den Magen gerammt. Sie sah schlecht aus. Er hatte erwartet, daß sie vielleicht ein paar Tränen vergossen hatte, aber das war offensichtlich nicht der Fall. Ihre Augen waren verquollen und stark gerötet. Sie sah müde und blaß aus. Sie sah ihn nicht einmal auf diese genervte Art an, jedesmal wenn er sie mitten in der Nacht aus dem Bett warf oder ihr eine verrückte Theorie auftischte. Sie sah einfach nur traurig und enttäuscht aus. Tieftraurig. Es tat ihm so weh, sie so zu sehen. Er hatte das Gefühl, laut aufschreien zu müssen, da es ihm beinahe das Herz zerriß. Und dann sah er in ihre Augen. Nicht nur, daß auch sie tiefe Traurigkeit und Enttäuschung ausdrückte Sie hatten ihren Glanz verloren. Er vermißte das Blitzen, das er sonst immer darin entdeckte. Das Aufblitzen, das ihm zeigte, daß in ihrem Inneren etwas kämpfte. Das in ihr eine Kämpfernatur steckte, die jeden Fall mit scheinbar ungebrochenem Enthusiasmus beging. Und wenn es nur darum ging, zu beweisen, daß er falsch lag. Nur zweimal hatte er bisher gesehen, daß dieses Blitzen verschwunden war.

Einmal hatte er Urlaub genommen und der Fall, den er Scully anvertraut hatte, war ihr scheinbar egal gewesen. Als wäre etwas in ihr ausgeschaltet worden.

Und dann, als sie kündigen wollte. Sie hatte ihn verlassen wollen. Sie schien keine Kraft mehr gehabt zu haben. Als wäre die Kämpfernatur in ihr gestorben.

Und jetzt war es noch schlimmer. Denn dieses Mal war er der Auslöser. Bei den vorigen Malen, hatte sie sich immer noch auf ihn verlassen können. Er hatte irgendwie wieder diese Kämpfernatur in ihr geweckt. Und wenn es nur durch seine Gegenwart gewesen war, die ihr sagte, daß sie ihm noch etwas beweisen mußte, daß er nicht einfach verschwand.

Und jetzt war die Beziehung zwischen ihnen der Auslöser gewesen. Also konnte diese Beziehung diesmal nichts reparieren, denn diese hatte ja gerade alles kaputt gemacht. Und das durch ein verdammtes Mißverständnis, das Diana ausgelöst hatte.

„Scully...?“, fragte er vorsichtig und seine Stimme zitterte. Er deutete mit einer Handbewegung an, daß er hereinkommen wollte.

Scully war zu müde und zu überrumpelt, um sich dagegen zu wehren. Sie nahm die Hand vom Türrahmen und trat einen Schritt zurück. Sie wollte wissen, wieso Mulder hier war. Er sollte doch bei seiner Verabredung sein. Und selbst wenn nicht, was machte er dann um diese Uhrzeit bei ihr?

Mulder betrat ihre Wohnung und schloß die Tür hinter sich.

„Scully... Dana...“, begann er und stand hilflos einfach nur da und wartete auf eine Reaktion. Aber Scully rührte sich nicht und sagte kein Wort.

Unbeholfen griff er in seine Tasche. Das goldene Kreuz hing an der Kette, die er in der Hand hielt.

„Sie haben dies hier in meiner Wohnung vergessen... oder verloren...“

Mulder wagte nicht, sie anzusehen und starrte statt dessen auf das goldene Kreuz, das leicht hin- und herpendelte.

Scully erschrak leicht. Sie hatte das Kreuz bei ihm verloren. Instinktiv griff sie zu ihrem Hals, aber da war keine Kette. Konnte er sich jetzt etwa alles zusammenreimen? Aber selbst wenn; es müßte ihm doch vollkommen egal sein. Er hätte auch einfach zu seiner Verabredung gehen können und sich über ihre Naivität lustig machen können.

„Dana, ...ich wollte Ihnen nur die Kette vorbeibringen... und...“

*Tja, was und ? Soll ich ihr jetzt auf die Nase binden, daß ich genau weiß, daß sie in meiner Wohnung war und dann den Zettel gefunden hat?*

„Scully?“

Sie hatte noch immer kein einziges Wort gesagt. Vielleicht war sie ja auch krank?

*Ja, krank vor Kummer!*

Mulder ging auf sie zu und legte ihr die Kette um. Dann beugte er sich zu ihr hinab und sah ihr in die Augen.

„Danke“, flüsterte sie.

Mulder lächelte ein wenig. Sie hatte wenigstens mit ihm gesprochen. Er trat wieder einen Schritt zurück und für einen Augenblick hegte er die Befürchtung, daß sich eine tödliche Stille ausbreiten könnte.

„Möchten Sie etwas trinken, Mulder?“

Sie hatte ihre Stimme gefunden und damit die drohende Stille durchbrochen. Sie war allerdings noch immer enttäuscht. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, daß dieser Zettel nur einseitig war. Daß Mulder diese Gefühle gar nicht erwiderte. Es kam ihr zwar auch jetzt noch nicht in den Sinn, aber etwas, ein Hauch vielleicht, schien sich in ihr Bewußtsein zu drängen. Außerdem war da immer noch die geheime Hoffnung, die sie hegte.

Eigentlich hatte Mulder keinen Durst, aber er hoffte, daß sie dadurch mehr Zeit haben würden, um zu reden. Um alles klären zu können. Um die richtigen Worte zu finden. Also nickte er.

„Ein Glas Wasser, bitte.“

Scully sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an und für einen kleinen Moment konnte er ein schwaches Aufblitzen in ihren Augen sehen, das aber sofort wieder erlosch.

„Sie können sich schon setzen“, forderte Scully ihn auf und deutete auf das Sofa.

Mulder ging daraufhin zur Couch und setzte sich, während Scully ihnen etwas zu trinken holte. Er schnellte fast sofort wieder hoch. Er hatte sich auf etwas Hartes gesetzt. Er hob es hoch, ließ sich wieder nieder und betrachtete den Gegenstand. Es handelte sich um ein Buch. Da es aufgeschlagen auf dem Sofa gelegen hatte, konnte Mulder zweifelsfrei feststellen, daß es sich dabei um Scully’s Tagebuch handelte.

Er wollte es ganz sicher nicht lesen. Er hatte nicht die Absicht in Scully‘s Privatsphäre einzudringen. Aber er konnte seinen Blick nicht abwenden, als er einen zufälligen Blick auf die ersten Zeilen des letzten Eintrages geworfen hatte. Wörter, Satzteile stachen ihm ins Auge.

„Ich habe heute geweint. Wieder.

Du warst immer für mich da, wenn ich Dich brauchte.

Ich weine, weil Du nicht da bist, nicht bei mir sein und mich trösten kannst.

Und dann weine ich noch mehr, weil ich es Dir nicht früher gesagt habe und ich es Dir jetzt immer noch nicht sagen kann. Ich weine, weil der Schmerz einfach zu groß ist.

Du bist meine einzige Rettung aus diesem Teufelskreis. Und nur eines kann für den Moment den Schmerz ein wenig lindern: Die Gewißheit, daß ich Dich liebe!“

*Oh, Dana. Ich bin hier. Ich möchte Dich aus diesem Teufelskreis befreien...*

Traurig legte er das Buch zur Seite. Warum hatte er es auch gelesen? Jetzt wußte er zwar, was sie empfand und wie schlecht es ihr ging, aber es war jetzt noch schwieriger für ihn die richtigen Worte zu finden.

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Scully stand plötzlich wieder vor ihm und drückte ihm ein Glas Wasser in die Hand. Dann setzte sie sich neben Mulder. Schweigend nippten beide an ihren Getränken, starrten ziellos in den Raum und vermieden es, sich anzusehen.

Scully starrte auf ihre Hände. Sie hatte sich mit einigem Abstand neben Mulder gesetzt, um jeden Kontakt zu vermeiden. Sie war nicht wütend auf ihn, nur unendlich traurig. Und sie vermied es, ihn anzusehen, denn sie wußte, daß sie sonst wieder anfangen würde zu weinen. Ein Blick in seine sanften Augen, die ihr immer zu sagen schienen, daß er sie liebte, würde sie töten. Nachdem was sie erfahren hatte, würde es sie seelisch umbringen. Das Wissen, daß seine Augen sie womöglich angelogen hatten. Oder, daß sie den Blick falsch interpretiert hatte. Wie oft hatte sie dann möglicherweise das Falsche in seinen Augen gelesen? Sie hatte doch immer gedacht, in seinen Augen alles lesen zu können. Und bis in seine Seele hineinsehen zu können. Sollte sie sich tatsächlich in all diesen Momenten getäuscht haben? War das tatsächlich möglich?

„Scully...?“, begann Mulder leise, beinahe flüsternd und gab ihr keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken.

Sie drehte ihren Kopf in seine Richtung, vermied jedoch jeden Augenkontakt.

„Ja?“

„Ich...“, setzte Mulder erneut an und fuhr sich nervös durch die Haare. „Ich, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, aber...“

*Gut gemacht, Mulder! Sag‘ ihr ruhig noch, was für ein Idiot Du bist. Du brauchst es ihr nicht nur zu zeigen.*

Scully erwiderte nichts. Was hätte sie auch sagen können? Sie blieb einfach stumm und wartete.

„...aber, ich wollte Ihnen sagen, daß...“

*Was wollte ich ihr sagen? Oder eher, wie sage ich es ihr?*

„Scully, waren Sie heute in meiner Wohnung?“

*Du Idiot, jetzt wird sie Dir gleich eine Ohrfeige verpassen und nie wieder mit Dir reden!*

Scully verpaßte ihm keine Ohrfeige, aber sie erstarrte, als sie seine Frage gehört hatte. Was sollte sie ihm denn jetzt sagen? Sollte sie etwa alles zugeben? Sollte sie ihm sagen, daß sie es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten hatte und zu ihm gegangen war? Daß sie den Brief gefunden hatte und sich aus Liebeskummer beinahe die Augen aus dem Kopf geheult hatte? Wie konnte sie ihm das denn sagen?

Obwohl sie es nicht wollte, veranlaßte sie etwas in ihr dazu, stumm zu nicken. Sie konnte nicht sprechen, denn sie hätte kein Wort über die Lippen gebracht. Aber vielleicht wollte sie es ihm doch mitteilen. Vielleicht wollte sie sich endlich alles von der Seele reden. Selbst wenn er wirklich eine Verabredung gehabt hatte, dann konnte sie wenigstens einmal alles loswerden. Auch wenn sie das sonst nie tat. Sie brauchte dieses Gespräch jetzt einfach. Und vielleicht... vielleicht hatte sie sich ja auch geirrt und er hatte keine Verabredung gehabt.

*Sei nicht dumm, Dana! War der Brief denn nicht eindeutig genug gewesen? Mußt Du Dich an Dinge klammern, die nicht da sind? Das tust Du doch sonst nie!*

Aber warum war Mulder dann hier?

*Vielleicht hat seine Verabredung ihn versetzt oder er hat eine neue X-Akte ausgegraben und den Brief noch gar nicht gefunden.*

Scully seufzte innerlich auf. Ihre rationale Stimme war einfach so überzeugend, daß ihr kleiner Ansatz von Hoffnung nicht die geringste Chance hatte.

„Scully, ...Dana, ich... ich weiß, daß Du den Brief gefunden hast.“

Scully rührte sich immer noch nicht und erstarrte noch mehr. Hatte er sie gerade tatsächlich Dana genannt? Und hatte er wirklich gesagt, daß er wußte, daß sie den Brief gefunden hatte? Das konnte doch nicht sein.

„Dana, bitte! Sieh‘ mich an!“

Sie rührte sich nicht. Langsam hob Mulder eine Hand. Als diese Scully’s Wange streifte, zuckte sie kurz zurück. Doch dann nahm Mulder ihr Kinn in seine Hand und drehte ihr Gesicht zu sich, so daß sie ihm in die Augen sehen mußte.

Sie sah in seine Augen und schmolz beinahe dahin. Sie blickten sie auf diese sanfte Art an und sie waren unglaublich klar. So klar, wie sie nur selten waren. In diesen Augenblicken schien sie wirklich bis auf den Grund seiner Seele sehen zu können. Sie wollte so gerne darin lesen. Sie wollte nach einer Antwort suchen. Die Antwort, die sie vielleicht schon seit vielen Jahren suchte. Die Versuchung war so groß... Aber sie traute sich nicht. Sie hatte Angst davor, daß sie das darin finden könnte, wovor sie sich am meisten fürchtete. Wegen dieser Sache hatte sie lieber die Ungewißheit ertragen, als die Wahrheit zu erfahren. So hatte sie wenigstens ihre Hoffnung behalten können. Und diese Hoffnung hatte ihr die ganze Zeit über Kraft gegeben. Auch wenn es wieder Tage gab, an denen sie die Ungewißheit verfluchte, so hatte sie sich damit getröstet, daß sie immer noch die Hoffnung besaß, die ihr niemand hatte nehmen können. Bis jetzt.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, in der sie sich der Wahrheit stellen mußte. Und es gab dabei keinen Ausweg in die Ungewißheit oder stille Hoffnung. Es gab nur Bestätigung oder Ablehnung.

„Dana? Du vertraust mir doch, oder?"

Stumm nickte sie. Sie konnte nichts sagen. Es war auch so schon schwierig genug, nicht wieder in Tränen auszubrechen. Sie sah seine Augen und hätte am liebsten weggesehen. Sie wollte nicht das hören, was sie erwartete. Sie hatte zu große Angst.

„Dana, ich möchte, daß Du mir jetzt zuhörst und nicht wegrennst. Ich möchte Dir alles erklären. Okay?“

Mulder sah sie ernst an. Noch immer war er ganz ruhig und seine Augen blickten so sanft. Er konnte jetzt einfach nichts sagen, daß sie verletzen würde. Das war bei diesen sanft blickenden Augen unmöglich. Und doch... Wieso sollte sie einmal in ihrem Leben solch ein großes Glück haben? Wieso sollte sich etwas erfüllen, was sie sich schon so lange wünschte? Vor allem, nachdem er ihr alles erklären wollte. Das schrie doch nur danach, daß sie jetzt mit der bitteren Wahrheit konfrontiert wurde. Sie wollte den Blick jetzt endgültig abwenden, aber Mulder nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und hielt sie fest.

„Dana. Hör mir zu! Der Brief war von Diana Fowley. Sie hat ihn in meine Wohnung gelegt. Ich weiß nicht, wie sie an den Schlüssel herangekommen ist, aber das spielt auch keine Rolle mehr. Sie hat gedacht, ich würde ihre Gefühle erwidern... Aber das tue ich nicht...“

Jetzt liefen Scully wieder Tränen über das Gesicht.

*Diana Fowley! Also doch. Wieso zum Teufel erzählt er mir das? Wieso muß er mich nur so quälen?*

Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie das eben gehörte abschütteln. Aber was hatte er noch gesagt? Er erwiderte Diana’s Gefühle nicht? Aber wieso...?

„Dana, hörst Du mir zu?“

Scully nickte wieder. Langsam schienen ihre Tränen zu versiegen, denn etwas schien in ihr zu wachsen. Hoffnung. Und diese Hoffnung ersetzte die Tränen. Mit sanften Fingern strich Mulder die Tränen fort.

„Ich liebe Diana nicht! Verstehst Du? Ich mag sie nicht einmal besonders. Denn meine Liebe gehört einer anderen Person. Und dafür ist diese Liebe auch unendlich groß...“

Erwartungsvoll sah Scully ihn an. Sie wußte, was er jetzt sagen würde. Was er sagen mußte. Denn warum sollte er das sonst zu ihr sagen? Aber auf der anderen Seite nagte wie immer die Ungewißheit an ihrer Hoffnung. Sie wollte sich nicht schon wieder etwas vormachen... Aber Mulder hatte doch gesagt...

„Dana, weißt Du, wen ich liebe?“

Sanft strich Mulder über ihre Wange. Er erwartete keine Antwort, aber er wußte auch so, daß sie verstand. Sie sah ihn jetzt mit weit geöffneten Augen an. Durch den Tränenschleier hindurch konnte er das faszinierend leuchtende Blau sehen, das ihn schon immer so gefesselt hatte.

Dana wollte bei seiner Frage den Kopf schütteln, aber sie konnte es nicht. Sie hatte das Gefühl, daß sie mit diesem einen Kopfschütteln erneut ihre Gefühle verleugnen würde. Und genau das hatte sie doch nicht länger gewollt. Sie wußte genau, daß er sie genauso liebte, wie sie ihn. Das hatte er ihr ja gerade klargemacht. Er hatte ihr doch gesagt, daß er nichts für Diana empfand. Es war nicht nur logisch, daß er hergekommen war, weil er sie liebte sondern sie fühlte es ganz einfach. All die unterdrückten Gefühle der vergangenen Jahren schienen sich jetzt endgültig gegen diese Unterdrückung zu wehren und hervorzukommen. Und selbst wenn sie gewollt hätten, es wäre ihnen nicht möglich gewesen, diese mit der Zeit übermächtig gewordenen Gefühle zu unterdrücken.

Also statt den Kopf zu schütteln, wollte Scully nun nicken, aber Mulder ließ es gar nicht so weit kommen. Noch immer ihr Gesicht sanft in seinen Händen haltend beugte er sich zu ihr hinüber und zog sie gleichzeitig etwas näher zu sich.

Er sah in ihre Augen, versank in ihnen. Ihr Mund, ihre Lippen. Das leichte Rot, das ihre Wangen zierte. Alles war so perfekt. Und wenn er dann daran dachte, was er alles mit ihr erlebt hatte. Sie hatte ihm ihre Stärke bewiesen, mehr als einmal. Er liebte ihre Stärke, wie auch ihr Schwäche. Ihr Humor und ihre Ernsthaftigkeit. Ihren Haß und ihre Liebe. Alles Widersprüchliche, das in ihr so selbstverständlich nebeneinander existierte, liebte er. Das war einfach sie. Dana Katherine Scully. Und diese Person liebte er.

Sie sah in seine Augen, versank in ihnen. Jetzt wagte sie es. Sie folgte dem Pfad, der sich ihr darbot bis in sein Innerstes, das er bereitwillig vor ihr ausbreitete. Sie las jetzt in ihm, wie in einem offenen Buch. Seine Seele, seine ganzen Gefühle und Gedanken, alles war da. So klar und deutlich und so selbstverständlich, daß sie sich fragte, wieso sie nicht schon früher gewagt hatte, dieses Kapitel seiner Seele zu lesen. Es hätte so vieles leichter gemacht. Es hätte ihr viele Tränen und schlaflose Nächte erspart und ihm sicher auch. Also wieso? Wieso hatten sie es sich so schwer gemacht? Es war doch gar nicht so schwierig, das konnten sie doch jetzt erkennen...

Als Mulder die Augen schloß, tat Scully es ihm gleich. Sie wollte sich dem vollkommenem Gefühl seiner Lippen auf ihren hingeben. Andere Sinneswahrnehmungen konnten warten.

Blind näherten sich ihr Lippen einander, fanden sich aber mit einer Sicherheit, als hätten sie nie etwas anderes getan. Und schließlich trafen sie sich. Sanft lagen ihre Lippen aufeinander und die Welt schien in diesem Moment zum Stillstand gekommen zu sein. Kleine elektrische Wellen wurden von ihren Lippen durch den Rest ihrer Körper geschickt. Doch dies Gefühl hielt nicht lange an und beide wollten augenblicklich mehr. Nur einmal lösten sie sich kurz voneinander und sahen sich an.

„Ich liebe Dich, Dana Katherine Scully“, hauchte Mulder und strich kurz über ihre Wange, um eine weitere Träne wegzuwischen. Diesmal jedoch eine Träne des Glücks.

„Ich liebe Dich auch..., Fox William Mulder“, erwiderte Scully und blinzelte einmal kurz, woraufhin eine weitere Träne ihren Weg ihre Wange hinunter fand. Sie war so glücklich, daß sie das Gefühl hatte zerbersten zu müssen. Und durch die Tränen konnte sie dem übermäßigen Druck in ihr wenigstens ein kleines Ventil bieten.

Mulder betrachtete sie einen Augenblick und sah in ihren Augen etwas flackern. Sie war zu ihm zurückgekehrt. Seine Scully. Seine starke, kämpfende Scully, die niemand besiegen konnte, die ihm immer beweisen musste, dass er Unrecht hatte. Er hatte den Teufelskreis, den er auch mitverursacht hatte, durchdrungen und hatte sie gerettet. Sie hatten sich beide gegenseitig gerettet. Der Teufelskreis war durchbrochen und er würde sie nie wieder in seine Gewalt bringen.

Mulder beugte sich abermals vor und suchte ihre Lippen mit seinen. Erneut diese unglaubliche Kribbeln, als sich ihre Lippen trafen. Doch noch schneller als zuvor schien diesmal dieses Gefühl abzuflauen, so daß Mulder seinen Mund öffnete und mit seiner Zunge die ihre suchte. Ungehindert ließ Scully ihn in ihren Mund ein und als sich ihre Zungen berührten, da schienen noch größere elektrische Wellen ihre Körper zu erfüllen. Während ihre Zungen sich in einem uralten Tanz zu drehen schienen, hielten Mulder und Scully sich eng umschlungen und waren nicht nur durch ihre Zungen miteinander verbunden. Ihre Seelen verbanden sich. Sie teilten in diesem Moment all ihre Ängste, Sorgen, Hoffnungen und Geheimnisse miteinander. Und ihre Liebe. In einem von ihnen war sie schon so gewaltig und jetzt, vereint, drohte sie einen zu überwältigen. Ihre Liebe bedeutete ihre Kraft; die Kraft mit der sie, wenn nötig, den Rest der Welt bekämpfen konnten, solange sie nur zusammen waren...


Ende

Authors-Note: Tja, Ende, jedenfalls vorläufig. Ich hab‘ da noch ‘ne Idee, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht, die ich hier vielleicht einbinden könnte. ;) Aber das steht noch nicht fest. *g*

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