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Hourglass Figures

von Karen

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Eine Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie ist.

Hier, im Dunkeln, winken mir ihre Formen und Kurven zu, die Zeit beim Verrinnen zu verfolgen.

Jeder Atemzug von ihr ist wie ein Sandkorn, der durch die Sanduhrgestalt rinnt, die ihr Körper ist.

Eine Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie für mich ist.

Ihre Anwesenheit in meinem Leben ist wie ein offenes Geschichtsbuch, stetig wichtige Ereignisse aufzeichnend, wenn sie passieren. Mit mir. Mit meinem Leben. Mit meinem Körper.

Eine Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie ist.

Bei jedem wichtigen Ereignis, wende ich mich ihr zu zum Trost.

Jeder Atemzug, den sie nimmt, ist wie ein Sandkorn, der durch die Sanduhrgestalt rinnt, die ihr Körper ist.

Jeder Atemzug symbolisiert eine Sekunde. Jede Sekunde symbolisiert Zeit, die verstreicht. Ein neuer Moment, ein neuer Augenblick des Schmerzes – des Leidens – verstreicht mit jeder Sekunde. Jeder Atemzug symbolisiert eine Sekunde. Eine Sekunde, die ich überlebt habe. Eine Sekunde, die ich ertragen habe.

Eine Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie für mich ist.

Nach jedem wichtigen Ereignis, das mit mir, meinem Leben, meinen Körper, passiert, drehe ich sie um. Kehre ihre Welt um. Unterbreche und zerstöre den Fortschritt, den sie gemacht hat. Sie muss wieder neu anfangen. Ein Atemzug pro Zeit. Ein Sandkorn pro Zeit. Eine Sekunde pro Zeit.

Eine Sanduhrgestalt.

Schön.

Stetig.

Das ist es, was sie ist.

Hier, im Dunkeln, ist es das, was sie für mich geworden ist.

Ihre Sanduhrgestalt.

Sie und ich genießen es beide, jeder auf seine Weise.

Ich finde sie schön. Ich genieße ihre Kurven, ihren süßen Duft, ihre gefühlvollen haselnussbraunen Augen.

Sie hält sich selbst für außergewöhnlich. Mit einem Schmunzeln erweist sie ihrer Eigenart Ehre, ihrer auffälligen Veranlagung, ihrer geheimnisvollen Gabe des ‚Fühlens‘.

Keiner von uns schämt sich.

Sie macht sich nicht viel aus Bescheidenheit. Den Regeln der Bescheidenheit. Den Vorzügen und Belohnungen der Bescheidenheit.

Sie erlaubt mir ihre Sanduhrgestalt anzusehen – nackt und anmutig im Dunkeln – wie sie tief in ihrem Schlaf atmet. So wie sie Sandkörnern erlaubt die Zeit zu bewahren.

Sie schämt sich nicht dafür, was sie in meinem Leben symbolisiert.

Eine Sanduhrgestalt.

Geduldig.

Ergeben.

Das ist es, was sie für mich ist.

Hier, im Dunkeln, winken mir ihr Formen und Kurven zu, die Zeit beim Verrinnen zu verfolgen

Schwarzes Haar auf dem Kissen. Meinem Kissen.

Eine Locke schwarzen Haares berührt flüchtig meine Schulter. Ihre Schulter.

Ab und zu erhasche ich einen Blick ihres nackten Rückens, beleuchtet von einem einzelnen Strahl des Mondlichtes, das mir jede Nacht Gesellschaft leistete. Als ich alleine war. Als meine Sanduhrgestalt entfernt, zögerlich und unentschlossen war.

Einen milchigen Teint nimmt sie an. Die Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie ist.

Jeder Schritt, den sie tut, alles, was sie macht, ist mühelos. Natürlich.

Und das schließt die Walstimmen mit ein.

Meine Sanduhrgestalt.

Mein Sinn von Humor.

Meine unverwüstliche Quelle der Kraft. Des Lichts. Des Lebens.

Sie rührt sich und dreht sich zu mir. Zu meinem Gesicht, meinem Körper, meinem Leben.

Hier, im Dunkeln, öffnet sie ihre gefühlvollen haselnussbraunen Augen und lächelt.

Eine schlanke Hand – Handfläche, Finger, Nägel – streichelt meinen nackten Brustkorb, beruhigend, sinnlich.

Meine Sanduhrgestalt.

Eine Heilerin.

Eine Verführerin.

Beides.

„Mmmhhh..“ Sie räkelt sich gleichgültig, ohne jegliche Rücksichtsnahme. Sie verflechtet ihre langen Beine mit meinen und ich werde wieder einmal daran erinnert, dass wir fast gleich groß sind.

Meine Sanduhrgestalt.

Meine Gleichgestellte.

Mein Gegenstück.

„Du schläfst niemals wie ein normaler Mensch, oder?“

Eine lange Kette von Wörtern, in einem Atemzug gesprochen. Ein müdes Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht und ermutigt mich näher zu kommen.

„Du solltest es versuchen, weißt du...“

Ein Arm – mein Arm – findet seinen Weg um ihre schmale Taille herum und bleibt dort.

Das Herz der Sanduhrgestalt.

„Was?“ Ich streife den milchigen Teint ihrer Schultern mit meinem Kinn. Ich murmle ihren Namen gegen ihre Haut und warte. Sie mag es, wenn ich das tue.

„Schlafen. Du solltest es versuchen. Sehr entspannend...“

Eine Sanduhrgestalt. Meine Sanduhrgestalt. In Schlaf versinkend. Mich zuwinkend ihr zu folgen, während wir beide darauf warten, dass Zeit verstreicht.

„Ist dabei auch etwas Übersinnliches, oder was?“

Eine vorschnelle Bemerkung, ich weiß. Sogar unpassend. Aber ich kann es nicht verhindern. Sie weiß, wie ich für sie fühle. Sie weiß über die verschiedenen Arten, wie ich auf jeden Teil von ihr reagiere, Bescheid. Sie wusste es immer.

Ein Ellbogen – ihr Ellbogen – stößt mir verspielt in die Seite.

„Schlaf, oder die Walstimmen, John – entscheide dich.“

Ein Finger – mein Finger – zeichnet die Konturen ihres Körpers nach, ihrer Sanduhrgestalt.

Ein Seufzer entflieht ihren Lippen.

„Du bist so gut zu mir...“, murmelt sie halbbewusst gegen meinen Oberkörper.

Die Zeit hält an. Alles hält an.

Wie kann sie das sagen, nach allem, wovon sie weiß, dass ich es ihr angetan habe?

Eine Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie für mich ist.

Schön.

Stetig.

Geduldig.

Ergeben.

Ein offenes Geschichtsbuch. Sie zeichnet auf und verfolgt jedes wichtige Ereignis in meinem Leben.

Eine Sanduhrgestalt.

Keine Richterin. Keine herzlose Göttin.

Sie ist nicht hier, um zu verurteilen.

Eine Sanduhrgestalt.

Das ist es, was sie ist.

Mir zuwinkend. Hier, im Dunkeln.

„Monica?“

„Hm?“

“Bist du wach?”

„Mmmm... Sicher.“

„Weißt du was?“

„Huh?“

Eine Pause.

Meine Stille verärgert sie. Gefühlvolle haselnussbraune Augen blinzeln schnell, um die Überreste des Schlafes zu verjagen, bevor sie mich intensiv betrachtet. „Was ist es?“

„Weißt du...“, krächze ich, auf einmal meine Stimme, sowie die Redegewandtheit verlierend, die mit dem Denken einhergeht.

Sie hebt ihre Augenbrauen und streichelt das spärliche, fast unsichtbare blonde Haar auf meinem Oberkörper. „Weiß ich...?“

„Du weißt, was du für mich bedeutest. Oder?“

Sie neigt ihren Kopf und beobachtet mich unter ihren dunklen Augenbrauen. „Wir sind Freunde, John.“

Ihre Antwort trägt wenig dazu bei meine Gelassenheit wiederzuerlangen. Ich stütze mich auf einen Ellbogen und sehe vorwurfsvoll auf sie hinab. „Wir sind mehr als das, Mon. Hör auf meinen Verstand zu beeinflussen, okay?“

„Ich beeinflusse gar keinen –“

„Was denkst du, wer du bist?“

Ein seltsames Lächeln empfängt mich und ich weiß, sie wird die Frage umgehen.

„Ernsthaft?“ Sie zuckt die Schultern, greift hinauf und zeichnet abwesend die Umrisse meines Ohres nach. „Ich weiß es nicht.“

„Es tut mir leid. Ich meine, ich dachte –“

Sie schließt kurz ihre Augen und schüttelt ihren Kopf. „Nicht. Wir waren immer so. Wieso sollten sich die Dinge ändern?“

Meine Sanduhrgestalt.

Gleichgültig.

Ist es das, was sie mir gegenüber fühlte – fühlt?“

„Weil sie sich verändert haben.“

Ein Nicken. „Dann ist es geringfügig anders zwischen uns.“

Noch ein vorwurfsvoller Blick, an sie gerichtet. „Du bist meine Partnerin.“

„Ich nehme an in mehr als einer Hinsicht, richtig?“

Sie macht sich nicht viel aus Bescheidenheit. Den Regeln der Bescheidenheit. Den Vorzügen und Belohnungen der Bescheidenheit.

Meine Sanduhrgestalt.

„Monica.“

„Was, John?“ Sie seufzt verärgert, und drückt mit ihrer Hand mein Gesicht sanft von ihrem weg. Ich werde dazu gezwungen zur Seite zu blicken und ihren Worten zuzuhören. „Was willst du von mir hören? Wir haben das schon vorher getan. Und wir sind immer noch gute Freunde. Sehr gute Freunde – versteh‘ mich nicht falsch – aber...“

„Ist es in Ordnung für dich?“

„Welcher Teil?“

„Alles.“

Sie macht einen unverständlichen Laut. Eine Mischung aus einem Ächzen und einem verärgerten Seufzer, bevor sie ihre Augen verdreht und so nahe wie möglich an meinen Körper rutscht. „Du weißt, ich wäre nicht hier, wenn für mich nicht alles in Ordnung wäre. Also frag mich das nie wieder.“

"Monica--"

„Schlaf oder die Walstimmen, John. Wie ich schon sagte, entscheide dich.“

Sie hat sich von mir weggedreht. Die milchige Leinwand, die ihr Rücken ist, winkt mir zu sie zu beruhigen. Hier, im Dunkeln...

Ich beuge mich näher zu ihr und presse meine Stirn gegen ihren warmen Nacken. „Weißt du, was du für mich bedeutest?“

„Wenn ich ja sage, wirst du dann ruhig sein und schlafen?“

„Nein. Du hast keine Ahnung...“

„Gut. Habe ich nicht. Schlafe. Gott, du denkst zu viel.“

„Mon-“

„Ich meine es ernst, John. Oder ich werde mit den Brunftrufen der Orcas anfangen – Ich schwöre es.“

„Ich-“

Sie dreht sich plötzlich um und sieht mich an. „Nicht. John, einfach...“ Ihre Hände streicheln meine Schultern langsam. „Ich weiß, wie du fühlst. Das tue ich.“ Sie öffnet ihre Augen weiter, um ihre Antwort zu betonen. „Wirklich, das tue ich. Es ist manchmal schwer zu glauben, wenn man weiß, was wir alles durchgemacht haben. Ich hätte niemals gedacht, dass du aufhören würdest mich anzusehen, als sei ich eine stetige Erinnerung an L--“

„Bist du nicht. Du bist viel mehr als das.“

„Das meine ich damit – Ich erinnere dich nicht mehr an ihn. Wenigstens nicht so sehr wie früher. Nicht die ganze Zeit. Ich hätte nie gedacht, dass das passiert.“

Noch ein Seufzer. Sie sieht sich im dunklen Schlafzimmer um. Ihre Augen wandern aufwärts und begutachten den Deckenventilator über uns. „Danke, John.“

„Wofür?“

Sie gibt mir einen seitlichen Blick und lächelt ruhig. „Dass du mich siehst. Dass du mich ansiehst.“

Ich kann nur schweigend nicken.

Meine Sanduhrgestalt.

Wir sind beide dankbar dafür uns zu haben.

Ich strecke meinen Arm nach ihr aus und nehme ihr Gesicht in meine Hand. Mein Daumen fährt automatisch über ihre Unterlippe, als wenn er wüsste, wie sehr sie es mag, wenn ich das tue. „Schwer, es nicht zu tun. Du bist schön, Monica. Ich habe immer gedacht, dass du das bist.“

Sie schüttelt abwertend ihren Kopf. „John-“

„Was? Du glaubst mir nicht? Ich meine es so.“

Sie lacht leise, verdreht ihre Augen und schüttelt ihren Kopf wieder. „Danke.“

„Weißt du was?“

Sie nickt und sieht mir direkt in die Augen.

„Es ist schwer für mich, weißt du... Angst zu haben, jetzt, wo du hier bist.“

Meine Sanduhrgestalt.

Nicht länger entfernt. Nicht länger zögerlich oder unentschlossen.

Sie fixiert mich mit einem Blick, der mir mein Herz herausreißt. Ein Blick, der die Zeit stillstehen lässt. Ein Blick, der alles stillstehen lässt.

Alles außer ihr.

Meine Sanduhrgestalt.

Mir im Dunkeln zuwinkend.

Ich habe sie wieder umgedreht.

Sie muss neu anfangen. Eine Sekunde pro Zeit.

Ein wichtiges Ereignis.

Mir im Dunkeln zuwinkend.

Eine Heilerin.

Eine Verführerin.

Meine Gleichgestellte.

Meine Gegenstück.

Sie rückt näher und vergräbt sich in meinen Armen.

Sie heißt mich willkommen, meine Anwesenheit in ihrem Leben.

Und plötzlich wird mir klar, dass auch ich ihr im Dunkelnzuwinke.

Dass auch ich ein Heiler sein kann – bis zu einem gewissen Ausmaß.

Ihr Verführer.

Ihr Gleichgestellter.

Ihr Gegenstück.

Ihre Sanduhrgestalt.

Das ist es, was ich für sie sein kann.


END

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