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Halloween - Die Nacht der Untoten

von Mona

Kapitel 1

Scullys Appartement; Georgetown, Washington DC; 31. Oktober

4.43 am



„Von allen Wundern, die ich sah, sah ich keines, das so schön war, wie Sie es sind“, drang es leise an Scullys Ohr und von dort in ihr Unterbewusstsein.



Unruhig drehte sie sich in ihrem Bett herum.



*Ring, ring*, ertönte es plötzlich, wie von weit her.

*Das Telefon*, schoss es ihr durch den Kopf, als sie plötzlich einen kalten Lufthauch an ihrem Hals fühlte, der ihr kaum bewusst wurde.

*Ring, ring*, wiederholte sich der schrille Ton.



„Ja, ja“, flüsterte sie vor sich hin, drehte sie sich langsam herum und tastete auf ihrem Nachtisch nach dem lärmenden Gerät.



„Scully“, meldete sie sich verschlafen, ohne die Augen zu öffnen.



„Hey, Scully, ich bin’s“, begrüßte sie ihr Partner gut gelaunt.



„Mulder, . . . wie spät ist es?“, fragte sie müde, setzte sich dabei langsam im Bett auf und knipste ihre Nachttischlampe an. Wahrscheinlich hatten sie einen neuen Fall und dann musste sie sowieso gleich gehen. Also schwang sie die Beine über die Bettkante und bereitete sich seelisch darauf vor, aufzustehen und sich anzuziehen.



„Viertel vor fünf“, antwortete Mulder.



Plötzlich spürte Scully einen kalten Luftzug und ein Rauschen im Rücken. Sie senkte den Telefonhörer, drehte sich um und blickte zum Fenster. Die Gardinen wehten im kalten Luftzug, welchen das offene Fenster kontinuierlich hereinließ.



*Hatte ich das Fenster offen gelassen?* schoss es Scully durch den Kopf. *Wahrscheinlich*, beantwortete sie selbst ihre Frage, ging hin, schloss es und zog die Gardinen vor, nicht wissend, dass sie aus zwei lüsternen Augen beobachtet wurde.



„Scully sind Sie noch dran?“, drang Mulders Stimme wieder an ihr Ohr.



„Ähm, ja“, antwortete sie knapp.



„Alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte Mulder besorgt.



„Ja, alles okay. Ich musste nur schnell das Fenster schließen.“

„Also, Mulder, es ist viertel vor Fünf. Warum rufen Sie mich zu solch einer unchristlichen Zeit an?“, fragte Scully dann.



„Wir haben einen neuen Fall“, bestätigte Mulder ihre Vermutung.

„Die Polizei hat das FBI in einer Mordserie hinzugezogen. Vier Morde in den letzen fünf Tagen. Der letzte heute Nacht“, erklärte er weiter.



„Alles schön und gut, Mulder, aber warum kümmert sich dann nicht die Mordkommission darum?“



„Die würden da wahrscheinlich auch nicht viel weiter kommen Scully. Deshalb hat ja auch die Polizei uns um Hilfe gebeten: Die Todesumstände sind ein ziemliches Rätsel.“



„Und ich soll mir das jetzt einmal ansehen“, mutmaßte Scully.



„Ja, Sie haben 100 Punkte Scully.“



„Okay, ich komme sofort. Wo sind Sie Mulder?“



„Arlington Road 65, 3. Stock.“



„Ich bin gleich da.“



Damit beendete Scully die Verbindung, wusch sie schnell, zog ihre Kleidung an und machte sich auf den Weg.





Arlington Road 65; Washington DC

5.12 am



„Morgen, Scully. Schön, dass Sie so schnell kommen konnten“, empfing sie Mulder.



„Das war zum Glück kein Problem: Um diese Uhrzeit ist kaum etwas los auf der Straße. Wo ist denn unsere mysteriöse Leiche?“



„Kommen Sie“, forderte Mulder sie auf und zusammen bahnten sie sich einen Weg durch das Chaos aus Polizeibeamten, Spurensicherung und Absperrbändern.



„Hier“, sagte Mulder plötzlich, nachdem sie ein paar Zimmer der kleinen Wohnung durchquert hatten und deutete auf eine Decke am Boden, unter der sich deutlich ein menschlicher Körper abzeichnete.



Mulder und Scully traten darauf zu und nachdem sie dem anwesenden Gerichtsmediziner ihren Ausweis gezeigt hatte, kniete sich Scully neben die Leiche und zog langsam die Decke zurück.



„Carla Marcoullier“, begann Mulder.

„19 Jahre alt.“



„Scheint keine äußerliche Gewaltanwendung stattgefunden zu haben. Keine Hämatome, oder Blutergüsse, keine Schürfwunden, oder Kratzer“, stellte Scully fest.



„Ja, bis auf diese eine Stelle am Hals“, fügte Mulder hinzu.



Scully nickte und betrachtete die beiden kleinen, nebeneinander liegenden Löcher, die mittlerweile mit Blut verkrustet waren.



„Das scheint auch die Todesursache gewesen zu sein. Der Blutlache nach, die sich hier um ihren Kopf gebildet hat scheint sie verblutet zu sein. Wahrscheinlich zurückzuführen auf die Verletzung der Halsschlagader.“



„Und was meinen Sie, was diese Verletzung verursacht haben könnte?“



Scully drehte den Kopf des jungen Mädchens etwas zur Seite und schaute sich die Wunde genauer an.



„Schwer zu sagen: Ein Messer vielleicht - irgendein relativ dünner, spitzer Gegenstand. Ein Schraubenzieher, eine Gabel . . . könnte vieles gewesen sein. Um das genauer sagen zu können, müsste ich sie obduzieren.“



„Könnte es auch ein Biss sein?“



Scully drehte den Kopf zu Mulder und sah ihn an.



„Ein Biss? Mulder, was denken Sie? Was ist Ihre Theorie?“, fragte Sie dann, anstatt auf seine Frage zu antworten.



„Ich habe noch keine. Ich fragte mich nur gerade, ob das auch ein Biss sein könnte.“



Scully senkte den Kopf und zog die Augenbraue nach oben.



„Ein Biss wovon?“, fragte sie dann.



„Von einem Tier. Sieht doch ein bisschen aus, wie ein Schlangenbiss.“



„Oder der einer Fledermaus?“



Mulder legte den Kopf schräg.



„Jetzt wo Sie’s sagen“, sagte er dann grinsend.



Scully schüttelte den Kopf.



„Mulder, ich nehme an, Sie vermuten, dass das ein Vampir war“, sagte sie dann.



„Hey, das ist meine Aufgabe: normalerweise denke ich mich in die Gehirne von anderen Menschen, aber wir können ja gerne mal tauschen. Sie übernehmen das Profiling und ich den Schnipseljob“, witzelte Mulder.



„Dann habe ich also Recht?“



„Scully, vier Mädchen sind genau so in den letzen fünf Nächten gestorben. Alle hatten sie diese Male am Hals und sind verblutet. Jetzt frage ich mich, warum ein Serienkiller, wenn er sein Opfer verbluten lassen wollte, ihm nicht einfach die Kehle durchschneidet, sondern kleine Löcher bohrt, die übriges in den drei letzten Fällen immer den selben Abstand von einander hatten. Und ich wette, es ist auch hier nicht anders.“



„Vielleicht, weil es ihm Spaß macht, zuzusehen, wie sein Opfer langsam verblutet, . . . weil er mal etwas Neues ausprobieren wollte . . . , es gibt viele Gründe Mulder. Und alle sind sie wahrscheinlicher, als dass es ein Vampir war.“



„Ist es denn zumindest theoretisch möglich, dass es ein Biss ist?“, bohrte Mulder weiter nach.



Scully zog scharf die Luft zwischen ihren Zähnen ein, drehte dann aber nach einem kurzen Zögern ihren Kopf zurück zu der Leiche und betrachtete die Wunde.



„Kann ich so wirklich nicht sagen Mulder. Wie gesagt, ich müsste eine Autopsie machen.“



Mulder nickte.



„Okay, dann machen Sie das. Ich werde mich inzwischen mit den Polizeibeamten, die die letzen Morde bearbeitet haben, unterhalten und versuchen noch ein paar Zeugen zu finden. Vielleicht können die uns weiterhelfen.“



Damit drehte er sich um und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.



Scully blickte ihm einige Augenblicke nach und dann wieder auf die Wunde an Carlas Hals.



„Vampire“, flüsterte sie dann ungläubig vor sich hin.





Gerichtsmedizin; FBI Zentrale, Washington DC

11. 33 am



„Hi, Scully! Sind Sie fertig?“, platze Mulder in den Obduktionsraum.



„Gleich“, antwortete seine Partnerin und trocknete schnell noch Skalpell und einige andere Geräte ab.



„Gibt’s was Neues?“, fragte Mulder und sah ihr dabei zu, wie sie das abgetrocknete Werkzeug in ein paar Schränken verstaute.



„Nicht sonderlich viel: Todesursache war - wie schon vermutet - das Verbluten. Hervorgerufen durch die zwei Öffnungen in der Halsschlagader. Ich habe mir auch die anderen drei Opfer angesehen. Da war es genau dasselbe. Die Morde stehen also irgendwie in Verbindung zu einander. Und übrigens, auch der Abstand zwischen den Wunden ist identisch.“



„Wie vermutet“, antwortete Mulder, als sie durch die Gänge der FBI Zentrale eilten.



„Ja. Und was gibt’s bei Ihnen Neues?“



„Alle anderen Mädchen wurden - genau wie Carla - in ihrem Schlafzimmer gefunden. Es gab keine Einbruchsspuren an der Tür, noch sonst irgendwo.“



„Der Täter hat das Opfer also gekannt?“



„Möglicherweise, oder er kam durchs Fenster.“



Scully blieb stehen und sah ihren Partner fragend an.



„In allen vier Fällen, standen die Schlafzimmerfenster offen“, erklärte er dann.



„Aber Carlas Apartement lag im dritten Stock“, stellte Scully zweifelnd fest und ging weiter.

„Da würde man schon eine Feuerwehrleiter brauchen, um nach oben zu gelangen“, fügte sie dann hinzu.



„Es sei denn, man könnte fliegen“, antwortete Mulder mit einem Grinsen und sperrte seinen Wagen auf.



„Mulder, . . . Sie wollen doch nicht schon wieder mit ihrer Vampirtheorie anfangen?“.



Mulder sah seine Partnerin über das Wagendach hin an und zuckte nur mit den Schultern. Dann öffnete er seine Tür und stieg ein.



„Na ja, vielleicht haben Sie damit gar nicht so unrecht“, sagte Scully dann, nachdem sie ebenfalls im Wagen Platz genommen hatte.



„Mulder drehte den Kopf zu ihr und blickte sie verwundert und wartend an.



„Bei der Autopsie habe ich um die Wunde kleine rote Färbungen im Gewebe gefunden, als wäre an der Haut gesaugt worden.“



„Wie bei einem Knutschfleck?“, fragte Mulder, startete den Motor und verließ das Parkdeck des Hoover Building.



„Wenn Sie es so nennen wollen.“



„Also doch ein Vampir?“



Scully schüttelte den Kopf.



„Zumindest nicht einer, wie Sie ihn sich vorstellen, mit spitzen Zähnen und Umhang. Ich glaube immer noch, dass wir nach einem Menschen suchen.“



„Der seine Opfer aussaugt?“



„Warum nicht? Solche Perverse hat es schon des Öfteren gegeben und vergessen Sie nicht, wir haben Halloween. Da drehen alle ein bisschen durch. Das einzige, was mich dabei etwas verwundert ist, dass ich überhaupt keine Speichelspuren an der Wunde feststellen konnte, also auch keine DNS - Identifizierung möglich ist.“

„Wo fahren wir eigentlich hin, Mulder?“, fragte Scully dann, nachdem ihr Partner nichts mehr sagte, sondern nur knapp nickte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie Mulder die ganze Zeit hinterhergelaufen war, ohne auch nur im Geringsten zu wissen, wo er hinging.



„Zu einem Mr. Oldmann. Muss irgendein Vertreter oder so sein. Ich habe mit Carlas Freundin gesprochen und sie hat noch gestern Abend mit ihr telefoniert. Dabei muss Carla ihr von einem Typen vorgeschwärmt haben, der gerade bei ihr war und ihr irgendetwas verkaufen wollte. Muss ein toller Hecht sein“, erklärte Mulder.



Scully grinste.



„Dieser Mr. Oldman, Mulder, verkauft Tomatensaft. Er war gestern auch bei mir und wollte mir eine Packung andrehen. Wahrscheinlich will er dieses Zeug gerade in ganz Washington an den Mann bringen. Ist anscheinend sehr „in“ an Halloween.“



Mulder sah seine Partnerin überrascht an.



„Und? Ist er wirklich so toll?“, fragte er dann.



„Na ja. Er ist irgendwie . . . attraktiv, . . . gentleman - like, eben“, gab Scully zurück, „aber Mulder, ich glaube nicht, dass er ein Mörder ist, noch dazu nicht so einer. Er ist wirklich nett und freundlich, wenn ich das nach den fünf Minuten, die ich ihn kenne, beurteilen kann.“



„Gerade die Unscheinbaren sind manchmal die Schlimmsten“, stellte Mulder daraufhin fest, „und selbst wenn er mit den Morden nichts zu tun haben sollte, dann war er immerhin der Letzte der Carla lebend gesehen hat. Vielleicht weiß er ja irgendetwas.“



Nachdem sie noch ungefähr eine halbe Stunde in Richtung Stadtrand gefahren waren, bogen sie in eine lange Hofzufahrt ein, die an die alten Herrenhäuser in den Südstaaten erinnerte und von denen Mulder nicht einmal annäherungsweise vermutete, dass es sie am Stadtrand der US - Hauptstadt gab. Nach ungefähr 500 Metern, die sie durch eine Allee fuhren, tauchte das Wohnhaus - oder besser - die Villa vor ihnen auf.



„Wenn man als Tomatensaftverkäufer so viel verdient, dass man sich so ein Haus leisten kann, dann werde ich im nächsten Leben auch einer“, witzelte Mulder, als er ausgestiegen war und das Haus betrachtete.



Es war aus grauen Ziegelsteinen gemauert und hatte links und rechts je einen kleinen Turm mit Balkon. Die Haustür ähnelte eher einem Tor als einer Tür und den Treppenaufgang zierten kleine Marmorne Figuren, die man nicht mehr so genau identifizieren konnte.



*Poch, poch*, klopfte Mulder an die Türe, nachdem sie vergeblich nach einer Klingel gesucht hatten.



Wenig später öffnete sich das Tor mit einem lauten Quietschen und ein älterer Herr im Frack erschien und sah sie neugierig an, ohne einen Schritt aus dem Haus zu machen.



„Ja?“, fragte er dann mit leiser, heller Stimme.



„Mhhmm, wir sind Agent Mulder und Agent Scully vom FBI. Wir würden gerne mit Mr. Oldman sprechen“, begann Mulder.



„Kommen Sie rein. Er hat sie schon erwartet“, lautete die eigentümliche Antwort des Mannes, wobei er Scully einen seltsamen Blick zuwarf, den sie nicht deuten konnte.



Die beiden Agenten traten ein und nahmen auf ein Kopfnicken des Butlers - das musste der Alte im Frack wohl sein - auf dem schwarzen Ledersofa in der Eingangshalle Platz.



„Ich werde ihm sagen, dass Sie da sind“, teilte er ihnen dann mit und wackelte die breite Treppe hinauf.



Mulder und Scully sahen sich verwundert an und blickten sich dann um. Hätten sie nicht gewusst, dass Sie sich am Stadtrand von DC befanden, hätten sie wahrscheinlich vermutet, auf einem Spukschloss in Irland oder Schottland zu sein. An den Wänden hingen glänzende, silberne Kerzenleuchter, deren flackernde Kerzen ihre Schatten in den Raum warfen. Überall standen Ritterrüstungen und Schwerter und verblichene Kunstgemälde hingen an der Wand. Scully ließ ihren Blick die Treppe, die mit einem roten Teppich überzogen zu sein schien, hinaufwandern. Im ganzen Haus schien es kein elektrisches Licht zu geben. Überall erhellten nur dicke Kerzen in den an der Wand befestigten Kerzenständer die Dunkelheit, die geherrscht hätte. Denn Fenster gab es nicht viele und wenn, dann waren sie mit schweren roten Samtvorhängen verhängt.



„Schön, nicht?“, ertönte plötzlich eine Stimme mit osteuropäischem Dialekt hinter ihnen.



Erschrocken drehten sie sich um und blickten in ein attraktives Männergesicht aus dem sie grüne Augen neugierig musterten.



„Nun, ja, es ist . . . außergewöhnlich“, sagte Scully, die als erste ihre Stimme wiederfand.



„Wie Sie“, hauchte Mr. Oldman, als er Scullys Hand nahm und ihr einen Kuss darauf gab.

„Ich hätte nicht erwartet Sie so schnell wieder zu sehen“, fügte er dann leise hinzu.



„Mr. Oldman?“, fragte Mulder dann.



Langsam wandte er sich von Scully ab und blickte zu Mulder.



„Vladimir. Vladimir Vitaliowski“, sagte er dann.

„Den Namen ‘Oldman’, verwende ich nur, wenn es - sagen wir - ums Geschäft geht“, fügte er dann hinzu.



„Den Tomatensaft?“, fragte Mulder weiter.



Vladimir nickte langsam.



„Ich hatte mich gestern schon über Ihren Akzent gewundert“, stellte Scully fest.



„Ukraine“, sagte Vladimir dann. „Ich stamme aus der Ukraine. Meine Vorfahren waren Adelige. Und sie haben mir einiges vererbt. Deshalb auch das Haus.“

„Es verkauft sich aber einfach besser mit einem englischen Namen, wissen Sie. Sie können gerne einmal probieren, wenn Sie wollen. Vielleicht sind Sie ja nicht so ablehnend wie Ihre reizende Partnerin“, bot er dann, wieder an Mulder gewandt, an.



Mulder schüttelte den Kopf.



„Nein, danke“, sagte er, „wir sind wegen etwas anderem hier. Wir sind Bundesagenten und ermitteln in einer Mordsache.“



„Ich weiß. Yuri hat es mir gesagt. Außerdem dachte ich mir schon, dass Sie kommen.“



Und auf einen fragenden Blick Mulders fügte er hinzu:

„Die Zeitungen waren heute Morgen voll damit. Wirklich, schlimme Sache.“

„Ich weiß nur nicht, wie ich Ihnen da helfen soll“, sagte Vladimir und ließ sich langsam in dem alten Ledersessel, der dem Sofa, auf dem Mulder und Scully saßen gegenüber stand, nieder.



Erst jetzt hatte Mulder die Möglichkeit, Vladimir genauer zu betrachten. Er hatte braunes, kräftiges Haar, das bis auf die Schultern hing und an den Seiten leicht grau durchsetzt war. Seine Haut schimmerte im warmen Licht der Kerzen leicht bronzen und die smaragdgrünen Augen leuchteten. Insgesamt hatte er markante Gesichtszüge und war jemand, der die Frauen durchaus beeindrucken konnte. Er war groß, breitschultrig und ganz in schwarz gekleidet. *Irgendwie geheimnisvoll und fremd*, dachte Mulder. Aber vielleicht war es gerade das, was den Frauen so an ihm gefiel. Abgesehen von der charmanten - für Mulders Geschmack schon wieder viel zu schleimigen - Art, wie er mit ihnen umging. Als Scully ihm die Sache mit den Morden erklärte und Bilder der Mädchen zeigte, schien er wahrlich an ihren Lippen zu hängen.



„Und? Kennen Sie eine von ihnen?“, schaltete sich Mulder dann ein.



„Ich weiß nicht, aber an Carla kann ich mich genau erinnern. Bei ihr war ich gestern Abend. Sie hätte mich fast nicht mehr gehen gelassen . . . aber die Anderen . . . wissen Sie, ich war in der letzten Woche bei so vielen Menschen, ich kann mich wirklich nicht mehr an sie erinnern“, sagte er dann, ohne seinen Blick von Scully zu nehmen.



„Und Carla hat Ihnen nicht zufälligerweise gesagt, ob sie diesen Abend vielleicht noch jemand erwartete?“ fragte Mulder weiter.



„Wissen Sie, ich weiß ja nicht, ob Ihnen die Frauen immer alles erzählen, wenn Sie sie vielleicht eine viertel Stunde kennen. Bei mir ist das nicht so“, sagte Vladimir, nachdem er sich langsam zu Mulder umgedreht hatte.



Mulder schluckte. Dieser Typ ging ihm langsam auf die Nerven. Schon allein, wie er Scully anstarrte. Und dann konnte er keine Frage mit einem klaren ‘Nein’, oder ‘Ja’ beantworten sondern drückte sich aus, als käme er aus dem letzten Jahrhundert oder gar aus dem Mittelalter.



„Und die Art der Wunden? Sagt Ihnen die etwas?“, fragte Mulder wobei er sich bemühte, ruhig zu bleiben.



Vladimir beugte sich langsam nach vorne und blickte einige Sekunden auf das Bild mit Carlas Leichnam.



„Na ja, wenn das ganze ein Steven King - Film wäre, würde ich sagen, dass es aussieht wie der Biss eines Vampirs“, grinste er, „aber in der Realität ist so etwas ja unmöglich.“



Mulder sah ihn einige Sekunden durchdringend an.



„Unmöglich, ja?“, fragte er dann, erwartete aber keine Antwort.

„Warum ist es hier so dunkel, Mr. Vitaliowski?“



Vladimir sah ihn fragend an, dann wendete er schweigend den Kopf ab.



„Mulder, das tut doch wirklich nichts zu Sache“, sagte dann auch Scully.

„Das ist privat.“



„Wenn er nichts zu verbergen hat, kann er es doch ruhig sagen“, beharrte Mulder.



„Mulder -“



„Schon gut. Er hat Recht: . . . ich habe . . . eine äußerst aggressive Sonnenallergie. Nur zwei Minuten Sonne würden meiner Haut Verbrennungen dritten Grades zufügen können.“



Mulder nickte, als wäre das die Antwort, die er erwartet hatte.



„Wo waren Sie gestern zwischen 23.00 und 1.00?“, fragte er dann.



„Wo waren Sie denn?“, fragte Vladimir anstatt auf Mulders Frage zu antworten.



„Hören Sie, es geht hier nicht um mich, sondern um Sie“, fuhr Mulder ihn dann an.

„Ich stehe nicht im Verdacht mindestens einen Mord verübt zu haben.“



„Mulder!“, sagte Scully und drehte sich zu ihm.



„So? Ich stehe also unter Mordverdacht?“, fragte Vladimir.



„Nein, . . . es. . . es tut mir leid. Wir müssen das nur alles überprüfen“, sagte Scully entschuldigend und warf Mulder einen warnenden Blick zu.



Dieser zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und funkelte Vladimir böse an.

Dann wandte dieser sich wieder Scully zu.



„Ich habe geschlafen. Oben in meinem Bett, wie es wahrscheinlich die meisten Menschen auf dieser Welt um diese Zeit tun“, sagte er dann, „und bevor Sie fragen: nein, ich habe keine Zeugen.“



Scully nickte.



„Gut, dann danke ich Ihnen erst einmal für Ihre Geduld.“



„Ich muss mich bedanken: ich bekomme nicht alle Tage so hübschen Besuch“, schmeichelte Vladimir und drückte Scully einen Kuss auf die Hand.



„Vielleicht können Sie Ihren Partner ja noch etwas erziehen“, sagte er dann und grinste Mulder, der bereits aufgestanden war, an, was jedoch nur wieder ein böses Funkeln in Mulders Augen verursachte.



„Übrigens, Verehrteste, ich gebe heute Abend eine Halloweenparty. Ich würde mich freuen, wenn Sie kommen würden.“



Scully sah Vladimir eine Weil an, dann lächelte sie.



„Das ist wirklich nett und ich fühle mich sehr geehrt. . . “



„aber sie hat heute Abend schon etwas anderes vor“, vollendet Mulder ihren Satz, nahm sie an der Hand und zog sie zur Tür hinaus, die mit einem lauten Knall hinter ihnen ins Schloss fiel.



„Verdammt, Mulder! Was ist los?“, fauchte Scully ihren Partner an und riss sich los.



„Was los ist? Das ist so ziemlich der widerlichste und schmierigste Typ, den ich seit langem gesehen habe.“



„Weil er nicht so ein Macho ist, wie andere? Weil er charmant und zuvorkommend ist?“, fragte Scully.



Mulder blickte sie fragend an. *Konnte Scully tatsächlich etwas an so jemandem finden?*



„Wenn Sie das als charmant bezeichnen, . . . ich finde es nur geschmacklos“, sagte er dann und setzte sich in seinen Wagen.



„Danke übrigens, dass Sie für mich entscheiden, ob ich auf eine Party gehe, oder nicht“, sagte Scully dann wütend und ließ sich neben Mulder ins Auto fallen.



„Scully dieser Typ ist eindeutig ein Verdächtiger. Wollen Sie wirklich zu dem auf eine Halloweenparty gehen?“



„Mulder, er ist überhaupt nicht verdächtig. Er hat kein Alibi, gut. Aber was haben Sie gestern Nacht zwischen 11.00 und 1.00 gemacht. Wahrscheinlich auch geschlafen und ich wette, dass auch Sie keinen Zeugen haben.“



„Trotzdem, Scully, für mich ist der nicht ganz normal mit seinem Dunkelheitstick!“



„Es gibt durchaus Sonnenallergien, wie er sie beschrieben hat Mulder und die sind keineswegs spaßig oder mit einem Tick gleichzusetzen. Die Betroffenen müssen große sowohl körperliche, als auch geistige Belastungen ertragen.“



„Das führt wahrscheinlich zu geistigen Störungen“, flüsterte Mulder vor sich hin, worauf Scully ihm nur einen verständnislosen, doch auch sauren Blick zuwarf.



Die restliche Fahrt zum Hoover Building verbrachten sie schweigend. Scully konnte nicht verstehen, warum Mulder sich so aufführte. Gut, Vladimir hatte sich ihm gegenüber nicht besonders höfflich verhalten, aber normalerweise rastete Mulder nicht so aus. Und das Höchste war, dass er für sie eine Party absagte. Das ging wirklich zu weit. Scully mochte Mulder und normalerweise war sie ihm für jeden Ratschlag dankbar, aber in diesem Moment hatte sie sich einfach wie ein Kind gefühlt, dessen Vater ihm gerade verboten hatte auf eine Party zu gehen. Sie verstand Mulder einfach nicht. Auch nicht in der Beziehung, dass er Vladimir so verdächtigte. In ihren Augen war er nicht mehr als ein Zeuge.
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