World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

It’s never too late to say I love you

von Mona

1/1

Es war jetzt fast eine Woche her, dass Mulder beerdigt wurde und immer noch konnte ich es einfach nicht fassen. Es war so unwirklich. Noch so deutlich hörte ich seine Stimme in meinem Ohr, hatte ich seinen Geruch in meiner Nase und fühlte ich seine Berührungen auf meiner Haut. Und, obwohl er so lange verschwunden war, hatte ich mich nie mit der Tatsache abfinden können, dass er tatsächlich tot sein könnte. Immer sagte ich mir, nein, das kann einfach nicht sein, nicht Mulder. Doch als wir dann seine schwer zugerichtete Leiche fanden, traf mich die Wahrheit wie ein harter Schlag. Sie löschte alle Funken der Hoffnung einfach aus. Von diesem Moment an sehnte ich mich nur noch nach Schlaf, weil ich dort die Schmerzen nicht fühlen musste und weil ich einfach müde war; müde von der langen Suche nach Mulder. Gleichzeitig hasste ich aber den Schlaf, denn er brachte mir Albträume, die mich schweißgebadet und zitternd hochschrecken ließen. Immer wieder sah ich Mulder. Ich sah, wie er seine Lippen bewegte, als sagte er etwas... Doch ich konnte es nicht verstehen. Dann verschwand er und ich wachte auf. Ich wollte dann einfach nicht mehr schlafen, hatte regelrecht Angst davor. Wenn ich doch wieder einduselte, dann nur, um ein paar Minuten später wieder aufzuwachen. Skinner hatte mir verboten innerhalb des nächsten Monats im Büro zu erscheinen, doch ich hielt es zu Hause einfach nicht mehr aus. Ich hatte schon alles mögliche gemacht, um mich abzulenken: Schränke ausgemistet, aufgeräumt, die Wohnung, inklusive Fenster, von oben bis unten geputzt - nur um nicht an Mulder zu denken. Doch jetzt gab es einfach nichts mehr, was meine Gedanken von Mulder fernhalten konnte. Ich hatte das Gefühl, mir würde jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen. Alles erinnerte mich an Mulder. Ich musste einfach ins Büro fahren. Vielleicht könnte ich mich da irgendwie ablenken.



Im Keller war alles ruhig. Doggett und Reyes hatten Urlaub bekommen. Ich war also alleine und ich war dankbar dafür. Als ich vor der Bürotür stand, hielt ich inne. Ich hatte Angst. Das war Mulders Heiligtum gewesen. Zwar war er schon lange nicht mehr in diesem Büro, doch war es jetzt etwas völlig anderes. Jetzt wusste ich, dass er es nie wieder betreten würde. Ich schloss die Augen, hielt die Luft an und öffnete die Tür. Abgestandene, alte Luft schlug mir entgegen. Alles war noch genauso, wie wir das Büro verlassen hatten. Ich knipste das Licht an und öffnete erst mal die Fenster. Dann stand ich ein paar Minuten einfach nur da und starrte vor mich hin. Was wollte ich eigentlich hier? Was sollte ich hier tun?



„Agent Scully! Was machen Sie denn hier?!“, holte mich Skinners Stimme plötzlich aus meiner Gedankenwelt zurück.



„Ich dachte, ich habe nicht richtig gehört, als mir Agent Miller berichtete, dass Sie hier runter gefahren sind!“, fügte er dann hinzu.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Sie diesen Monat hier nicht sehen will!“



„Sir..., mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf. Ich brauche etwas, um mich abzulenken. Ich kann nicht einfach dasitzen und in Selbstmitleid zerfließen.“



„Dann fahren Sie in den Urlaub, entspannen Sie sich! Aber sehen Sie zu, dass Sie hier verschwinden!“



„Nein, Sir! Das kann ich nicht! Mir geht es gut, ich kann wieder arbeiten. Sagen Sie mir bloß, was ich tun soll.“



„Ich sehe, wie gut es Ihnen geht! Verzeihen Sie, aber Sie sehen aus wie eine wandelnde Leiche. Ich kann es nicht verantworten, dass Sie schon wieder arbeiten. Und Sie sollten das auch nicht können“, sagte er, und blickte auf meinen Bauch.



„Sir, ich bin Ärztin. Ich weiß, was ich mir zumuten kann. Und ich weiß, dass es für mich besser ist, hier etwas aufzuräumen, als zu Hause rumzusitzen. Mulders Sachen müssen noch vollständig ausgeräumt werden und überhaupt müsste hier mal wieder gründlich geputzt werden.“



„Ich glaube nicht, dass das Ausräumen von Mulders Sachen für Sie das Richtige ist. Doggett wird sich darum kümmern, wenn er wieder da ist.“



„Sir, bitte... -“. Ich sah ihn flehend an.



„Agent Scully... - Ach, machen Sie, was Sie wollen. Sie würden ja sowieso nicht auf mich hören.“



Ich senkte den Kopf.



„Danke, Sir.“



„Ich werde später noch mal nach Ihnen sehen“, sagte Skinner, als er den Raum verlies.



Ich drehte mich um und sah auf Mulders Schreibtisch. Viel würde es wohl nicht auszuräumen geben. Das meiste hatte die Task Force ja schon kurz nach seinem Verschwinden mitgenommen. Ich holte einen leeren Karton aus dem Abstellraum und legte alles hinein. Ein paar Akten, ein Lineal, einen Block auf den ein paar Notizen gekritzelt waren und sein „I want to believe“ - Poster, das ich von der Wand genommen und ordentlich zusammengerollt hatte. Und zuletzt sein Namenschild, das ich in meiner Hoffnung, ihn noch lebend zu finden, bis jetzt in der Schreibtischschublade gelassen hatte. Ich hielt es einige Sekunden in der Hand und fuhr die Buchstaben mit den Fingern nach.

„Fox Mulder“, flüsterte ich leise vor mich hin. Als ich merkte, wie sich schon wieder der dicke Klos in meinem Hals festsetzte und mir Tränen in die Augen schossen, stellte ich das Schild mit in die Kiste zu den anderen Gegenständen.

Dann ging ich zum Waschbecken, um mir etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen. Ich hoffte, die Kälte würde meine Müdigkeit vertreiben. Ich blickte in den Spiegel. Skinner hatte Recht. Ich sah wirklich schrecklich aus. Meine Augen waren zu kleinen, engen Schlitzen geworden, die auf dunklen Ringen zu liegen schienen. Meine Backen waren eingefallen und meine Wangeknochen zeichneten sich unter der Haut ab.



„Dana, Dana, du siehst aus wie eine Leiche“, flüsterte ich mir zu.



Und plötzlich zuckte ich zusammen und drehte mich ruckartig um. Noch im Drehen schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf: Ist das wahr? Drehe ich jetzt völlig durch? Sitzt da wirklich Mulder an seinem Schreibtisch, wie ich es im Spiegelbild gesehen hatte? Ist alles nur Einbildung?

Als ich die Drehung vollendet hatte, starrte ich auf Mulders Schreibtischstuhl. Er saß da tatsächlich. Mit seiner Jeans und seinem grauen T - Shirt. Seine Verletzungen schienen völlig verschwunden zu sein. Ich spürte, wie es mir eiskalt wurde und ich zu zittern begann. Ich wollte etwas sagen, doch konnte es nicht. Weder konnte ich den Gedanken formulieren, noch den Mund bewegen und ihn aussprechen. Mulder sah mich immer noch an. Dann bewegte er seine Lippen, als würde er etwas sagen. Doch ich verstand ihn nicht. Es war wie in meinem Traum!

Da wurde mir plötzlich schwarz vor Augen und im Fallen hörte ich gerade noch, wie sich der Aufzug öffnete.



„Agent, Scully! Agent Scully!“, sagte Skinner immer wieder, und klopfte mir leicht auf die Backen.



Langsam fühlte ich, wie das Leben wieder in meinem Körper zurückkam. Skinner hatte meinen Kopf auf sein Knie gelegt und hielt mich fest. Als ich die Augen aufschlug, konnte ich sein besorgtes Gesicht erkennen.



„Agent Scully, Gott sei Dank!“, sagte er dann erleichtert, als er merkte, dass ich wieder zu Bewusstsein kam.



*Mulder*, schoss es mir durch den Kopf. Ich wollte aufstehen, aber Skinner hielt mich fest.



„Bitte, Sir. Mir geht es gut! Lassen Sie mich aufstehen!“



Ich zappelte so sehr, dass Skinner keine Chance hatte mich festzuhalten. Ich stand auf und blickte zum Schreibtisch. Da war niemand. Ich schloss die Augen und schluckte. Wahrscheinlich hatte ich es mir doch eingebildet.



„Agent, Scully, was ist denn los?!“, fragte Skinner besorgt, als er mich den Schreibtisch anstarren sah.



„Nichts, ...., es ist... nichts“, sagte ich leise, und drehte mich zu ihm um.



„Sie wollen mir erzählen, dass Sie wegen nichts einfach so ohnmächtig werden?“



Als ich keine Anstallten machte, irgendwas zu sagen, sondern nur leicht nickte, fuhr er fort:



„Hören Sie, Scully. Ich kenne Sie jetzt schon einige Jahre: Sie kippen nicht einfach so um.“

Den Rest seines Satzes hörte ich kaum noch. Irgendwas stimmte hier nicht. Ruckartig drehte ich mich wieder zum Schreibtisch um. Da sah ich es. Meine Augen weiteten sich und mein Herz raste. Ich musste mich am Schreibtisch festhalten, um nicht wieder ohnmächtig zu werden. Skinner bemerkte dies und stütze mich sofort.



„Scully, was ist denn schon wieder?!“, fragte er dann besorgt.



„Das Poster...“, antwortete ich und deutete auf das „I want to believe“ - Poster.

„... Ich,... ich hatte es vorhin abgenommen.“



Skinners Blick folgte meiner Handbewegung und blieb auf dem Poster, das wieder an seinem ursprünglichen Platz hing, hängen.



„Sind Sie da sicher. Ich meine...-“



„Ich bin mir hundertprozentig sicher. Ich habe es zusammengerollt und in die Kiste gelegt“, sagte ich, indem ich auf den Karton auf dem Schreibtisch deutete.



„Sir?“



„Was?“



Ich löste mich aus Skinners Griff und nahm einen kleinen Zettel vom Schreibtisch.



„Der lag vorhin noch nicht hier. Das ist Mulders Schrift. Ich habe vorhin alles weggeräumt, was nur im geringsten mit Mulder zu tun hatte.“



„Scully, kommen Sie. Vielleicht haben Sie diesen winzigen Zettel einfach übersehen.“



„Nein, Sir. Der lag nicht hier.“

„Sir, ich habe vorhin Mulder in diesem Schreibtischstuhl sitzen sehen“, sagte ich und deutete auf den Stuhl.

„Deshalb bin ich ohnmächtig geworden.“



Skinner sah mich an. Ich wusste nicht, ob ich Mitleid oder Angst aus seinem Blick lesen sollte.



„Scully, Sie denken doch nicht etwa, dass Mulder noch am Leben ist. Ich meine...., Sie waren selbst dabei, als man.... seine Leiche fand und als sein Sarg in die Erde gelassen wurde.“



„Ich weiß nicht, was ich glaube“, entgegnete ich.

„Aber ich denke, dass Mulder versucht, mir etwas mitzuteilen.“



„Scully, kommen Sie. Ich fahre Sie jetzt nach Hause und Sie schlafen ein wenig und dann werden Sie die ganze Sache völlig anders sehen.“



„Sie glauben mir nicht.“



Skinner sah mich ein paar Sekunden lang an.



„Scully,...-“



„Sir, was haben Sie schon alles gesehen, das Sie nicht glauben konnten?“



„Scully, das hier ist etwas an-“.



„Ja, das ist in der Tat etwas anderes. Hier geht es um Agent Mulder!“, rief ich, noch während ich aus dem Büro stürmte und mich auf den Weg zu meinem Auto machte.



Die Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen und ich fühlte mich so ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Ich wusste, dass das nur das Adrenalin verursachte, das zur Zeit unaufhörlich in meinem Körper ausgeschüttet wurde und dass danach der absolute Zusammenbruch folgen würde; aber es war mir egal. Mulder wollte mir etwas sagen. Egal, ob er tot war, oder nicht.

Ich fuhr nach Hause, setzt mich an meinen Schreibtisch und betrachtete den Zettel mit Mulders Handschrift. Ich ließ sämtliche Fälle der letzten Jahre in meinem Kopf Revue passieren, aber dieser Zettel schien einfach zu keinem zu passen. Auf ihm standen Zahlen...., ja, es könnte eine Handynummer sein.

Kurzentschlossen griff ich zum Hörer und wählte: Freizeichen - Freizeichen... schien ausgeschaltet zu sein:



„Hier ist die Mailbox von Linda Evans. Leider bin ich im Moment nicht zu erreichen, aber wenn Sie Interesse daran haben, mit mir zusammen Verbindung zur Geisterwelt aufzunehmen, dann hinterlassen Sie doch bitte eine Nachricht.“ Biep.



Was hatte sie eben gesagt? Ich starrte vor mich hin und rief das Gesagte in meine Gedanken zurück. *Verbindung zur Geisterwelt aufnehmen?* Erst jetzt merkte ich, dass ich ja immer noch den Hörer am Ohr hatte. Ich legte ihn auf die Gabel zurück. Diese ....Linda Evans war also ein Medium. Ich überlegte. Hatten Mulder und ich jemals einen Fall mit einem Medium. Na ja, zumindest sagte mir der Name Linda Evans nichts. Konnte es also sein, dass Mulder mir einfach noch etwas mitzuteilen hatte?

*Nein, Dana. Das ist doch albern*, tat ich die Idee gleich selbst wieder ab. Andererseits... Mulder würde das wahrscheinlich gar nicht als albern betrachten. Vielleicht sollte ich einfach mal hinfahren. Ein Fehler konnte das ja nicht sein!

Ich kramte das Telefonbuch heraus und stieß so auf die Adresse von Linda Evans. Anschließend setzte ich mich in mein Auto und machte mich auf den Weg. Schon von weitem konnte ich das Schild - eine blau blinkende Wolke mit der Aufschrift: „Death is not the end“ - erkennen. Ich parkte meinen Wagen am Straßenrand, betrat das Gebäude und kam so in einen kleinen Raum. Er erinnerte mich irgendwie an das Wartezimmer eines Arztes. Es gab eine Reihe von Stühlen, einen Tisch mit Infomaterial und eine Rezeption, von der aus mich eine junge Frau neugierig ansah.



„Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie dann freundlich, als ich etwas hilflos im Zimmer stand.



„Ja, mhh....“, entgegnete ich und ging an die Rezeption. „Ich ...mmhh....“, stotterte ich.

*Was wollte ich eigentlich hier?*

„Ich suche Linda Evans“, sagte ich dann.



„Haben Sie einen Termin?“, wollte die Frau dann wissen.



„Mmh, nein“, antwortete ich, und schüttelte den Kopf.



„Tut mir leid. Bei uns geht alles nur über einen Ter-“



„Schon Gut, Cathy. Lass sie ruhig rein. Ich bin für heute sowieso fertig“, rief dann eine Stimme durch eine offene Tür aus dem Nebenraum.



„Nein, ich meine, es ist nicht so dringend. Ich kann gerne ein anderes Mal wiederkommen“, entgegnete ich, und wollte mich schon wieder umdrehen, als eine dunkelhäutige junge Frau mit pechschwarzen langen Haaren den Kopf in den Raum streckte und sagte:



„Wenn Sie hier sind, ist es bestimmt dringend.“



Okay, was sollte es. Jetzt war ich schon mal hier. Ich ging auf die junge Frau zu und schüttelte ihr die Hand.



„Ich bin Dana Scully. Hallo!“



„Hi, Dana. Ich bin Linda. Kommen Sie doch rein“, begrüßte sie mich, und machte eine einladende Geste in Richtung Rauminneres.



Hier war alles abgedunkelt. Überall standen weiße Kerzen, die einen fahlen Lichtschimmer in den Raum warfen. Und ganz deutlich konnte man den - für katholische Kirchen typischen - Weihrauchgeruch wahrnehmen. Das Zimmer war nicht sehr groß und lediglich mit einer dunklen Ledercouch und einem davor stehenden Sessel ausgestattet.



„Sie haben erst vor kurzem einen lieben Menschen verloren, was?“, holte mich Lindas Stimme aus meiner Gedankenwelt zurück.



*Wie konnte sie das wissen?* Ruckartig drehte ich mich zu ihr um und sah sie erstaunt an.



„Sie sind ganz in schwarz gekleidet“, erklärte sie dann ihre Vermutung.



„Ja“, antwortete ich. „Die Beerdigung war vor einer Woche“.



„Setzten Sie sich doch“, bat mir Linda an, und nahm, nachdem ich mich aufs Sofa gesetzt hatte, selbst im Sessel vor mir Platz. Dann betrachtete sie mich eine Weile aufmerksam.



„Sie sind nervös“, stellte sie dann fest.



„Ist das so offensichtlich?“, fragte ich.



„Na ja, ich spüre das an Ihren Schwingungen.“



„Wissen Sie, ... ich nehme nicht so häufig an Séancen teil...eigentlich nie... und ... ehrlich gesagt, glaube ich nicht an so etwas“, erklärte ich dann.



„Tun Sie nicht?“



Ich sah Linda an.



„Warum tragen Sie dann ein Kreuz?“, wollte Linda wissen, und deutete auf die Kette an meinem Hals.



„Wissen Sie, in letzter Zeit frage ich mich das auch öfter... Aber ich denke, ...ich glaube an Gott, aber nicht an.... Geister oder Spukgeschichten und solche Dinge.“



„Ist das so ein großer Unterschied?“



Wieder sah ich Linda nur an.



„Bedeutet der Glaube an Gott nicht den Glauben an das Ewige Leben?“



Ich verstand nicht worauf sie hinauswollte.



„Wenn wir nach dem Tod , sozusagen als Geister weiterleben, leben wir dann nicht ewig? Selbst wenn wir irgendwann einmal wiedergeboren werden und wieder sterben und dann wieder ein Geist sind, leben wir dann nicht ewig?“



Ich blickte in ihr Gesicht und dachte nach. So gesehen hatte sie eigentlich Recht.



„Ich werde Ihnen einmal erklären, was ich glaube“, fuhr sie dann fort.

„Ich glaube, dass es eine alles bestimmende Macht gibt... nennen wir sie Gott. Er lenkt alles Leben auf der Erde. Er bestimmt, wann wir geboren werden und wann wir sterben. Der Tod ist aber nur der Tod für unseren Körper. Unsere Seele, unser eigentliches Ich, existiert ewig. Sie hört nie auf zu existieren. Nach dem Tod löst sie sich vom Körper und betritt eine andere Bewusstseinsstufe. Lassen wir sie uns Himmel nennen. Alle Seelen, sowohl die von Menschen als auch die von Tieren, gehen eines Tages dorthin. Dort bleiben sie, bis sie eines Tages, nach Gottes Willen, wieder auf die Erde geschickt werden. Vielleicht haben sie Dinge aus ihrem vorhergehenden Leben gut zu machen, oder sie haben für andere Menschen eine wichtige Funktion. Das Leben ist eine Art Schule für die Seele. Sie muss lernen. Vor allem bedingungslos zu lieben. Das nämlich ist die schwierigste Lektion.“



Ich sah sie immer noch an und hörte ihr zu.



„Das klingt für mich wie ein Märchen“, sagte ich dann.



„Wissen Sie, Dana. Ich habe das auch nicht schon immer geglaubt. Im Gegenteil. Ich war die meiste Zeit auf der Suche nach meinem Glauben. Ich fragte mich, wo Gott in dieser Welt sein sollte und dann machte ich diese Erfahrungen. Ich stellte plötzlich fest, dass ich Dinge über Menschen wusste, die ich gar nicht kannte, die sich dann später tatsächlich als wahr herausstellten. Ich war anfangs überrascht darüber, dachte, dass alles nur Zufall war. Ich suchte mir alle möglichen Bücher die ich über außersinnliche Wahrnehmung finden konnte. Ich lernte, dass alle Menschen von einem sogenannten Charma umgeben sind, einem Energiefeld, das Auskunft über das Befinden des jeweiligen Menschen geben konnte. Ich lernte, dass alle Menschen ASW – Fähigkeiten besitzen. Sie kennen es bestimmt auch: Sie denken an jemanden, den sie schon lange nicht mehr gesehen haben, und schon ruft dieser Jemand an. Das wird oft als Zufall abgetan, doch in Wirklichkeit gibt es keinen Zufall! Ich lernte auch über Meditation und in diesen Büchern stieß ich ebenfalls auf sogenannte Geister. Die Vorstellung mit einer anderen Welt in Verbindung zu treten, faszinierte mich damals sehr. Ich übte es, mein Bewusstsein mittels Meditation auf eine andere Stufe zu bringen. Das ist sehr schwierig. Oft geschieht dies in sehr lebhaften Träumen. Das ermöglicht uns auch im Traum Verstorbene zu sehen.“



Ich sah Linda erschrocken an. *Ich hatte auch von Mulder geträumt*.



„Ist Ihnen das passiert?“, fragte sie dann.



„Ja“, sagte ich. „Mehrere Male. Er hat seine Lippen bewegt, als wolle er etwas sagen, aber ich habe es nicht verstehen können.“



„Ja, die meisten Verstorbenen wollen Kontakt zu ihren Hinterbliebenen aufnehmen. Die Kommunikation ist das nächste Problem. Geister teilen sich uns in Form von Schwingungen mit. Ihr Charma ist wesentlich energiereicher als das unsere. Deshalb, nehmen wir ihre Stimmen oft verzerrt, oder gar nicht wahr.“



„Und Sie haben tatsächlich welche gesehen?“



„Ja. Eine Freundin war zu Besuch. Sie fand das ganze äußerst spannend und sagte, ich soll es doch mal versuchen. Na ja, ich meditierte und merkte zunächst gar nicht was vorging. Auf einmal sah ich eine Frau. Sie hatte ein Photo in der Hand, das ein Baby mit einem Teddybären im Arm zeigte. Ich beschrieb meiner Freundin einfach was ich sah und hörte sie innerlich schon lachen. Stattdessen sagte sie nur: Oh, mein Gott! Das ist Mum. Dieser Kommentar warf mich so aus der Bahn, dass ich die Verbindung abbrechen musste. Meine Freundin sagte mir, dass ihre leibliche Mutter, die gestorben war als sie noch ein Kind war, genauso aussah, wie ich die Frau beschrieben hatte. Dann zog sie ein Photo aus ihrem Geldbeutel: Es war dasselbe, das ich gesehen hatte und ich schwöre, ich kannte dieses Photo vorher nicht. Von diesem Moment an, übte ich es mit anderen Menschen zusammen und es klappte immer besser und na ja, so bin zu einem sogenanntes Medium geworden.“



Das war ja wirklich eine interessante Geschichte, aber woher sollte ich wissen, dass sie es sich nicht nur ausgedacht hatte. Mein skeptischer Blick schien ihr nicht verborgen geblieben zu sein.



„Sie glauben immer noch nicht, oder? Warum sind Sie dann hierher gekommen?“



„Ich habe das Gefühl, dass mich jemand erreichen will. Ich weiß allerdings nicht, ob es jemand aus dem Jenseits ist.“



„Warum versuchen wir es nicht einfach?“



Ich dachte nach. Was sollte schon passieren. Sie konnte mir schlimmstenfalls irgendeinen Mist erzählen.



„Okay“, sagte ich dann.


„Was muss ich tun?“



„Gar nichts, entspannen Sie sich einfach. Schließen Sie die Augen und atmen sie tief ein und aus. Ich werde jetzt ein paar Minuten meditieren.“



Dann schloss sie die Augen, legte die Hände mit den Handflächen nach oben auf die Oberschenkel. Ich tat was sie gesagt hatte. Ich fühlte wie ich langsam innerlich ruhig wurde. Meine Körperglieder entspannten sich.



„Ich sehe jemanden, Dana“, brach Linda dann die Stille.


„Es ist eine männliche Person. Hasselnussbraune Haare und eine .... schwer zu definierende Augenfarbe. Braun, oder Grün.“



Langsam wurde ich hellhörig. Ich hatte nie irgendwelche Angaben über Mulders Aussehen gemacht. Aber es gab viele Menschen mit braunen Haaren und einer undefinierbaren Augenfarbe.



„Ich würde sagen, er sieht wirklich gut aus. Warten Sie, er versucht mir seinen Namen mitzuteilen. Er zeigt mir ein Tier. Ja, einen Fuchs. Könnte es sein, dass er Fox heißt?“



Ich riss ungläubig die Augen auf. Ich hatte weder Mulders Vornamen, noch seinen Nachnamen erwähnt.



„Ja, er hieß Fox Mulder“, sagte ich dann aufgeregt. „Aber er wollte immer Mulder genannt werden.“



„Ja, das stimmt. Er sagt, er wollte nicht mal, dass seine Mutter ihn Fox nennt. Er sagt, es tut ihm leid, dass er nicht bei Ihnen sein kann. Er sagt, er vermisst Sie sehr.“



„Ich vermisse ihn auch“, sagte ich leise.



„Er zeigt mir ein .... Baby. Sind sie schwanger, Dana?“



Ich sah wieder erschrocken hoch. Sie konnte unter meiner weiten Jacke unmöglich gesehen haben, dass ich schwanger war. So dick war ich ja nun auch wieder nicht.



„Ja, ja“, stotterte ich, und war jetzt sicher, dass es tatsächlich Mulder war.



„Er sagt, er ist sehr glücklich, dass sie das Baby nach seinem Vater benennen wollen, wenn es ein Junge wird.“



„Ja, das ist richtig“, schluchzte ich. Tränen liefen meine Wangen hinunter.



„Er hieß William?“



„Ja, William Mulder.“



„Er sagt, er hat oft versucht Sie zu erreichen, aber er konnte es nicht und er sagt, dass er sie heute Morgen nicht so erschrecken wollte. Er hat sich Sorgen gemacht. Verstehen Sie das?“



„Ja, ich bin heute Morgen ohnmächtig geworden, weil ich ihn auf einmal im Sessel sitzen gesehen habe.“



„Er sagt, er musste Sie unbedingt erreichen. Er muss Ihnen etwas mitteilen.“



„Was?“



„Er sagt es tut ihm leid, dass er es nicht schon viel früher getan hat und dass er es Ihnen deutlicher hätte zeigen müssen. Er sagt, sie konnten es damals nur falsch verstehen.“



„Ich weiß nicht, was er meint.“



„Er sagt, er hofft, dass es nicht zu spät ist. Er will, dass Sie wissen, dass es sie sehr liebt. Er sagt, er liebt Sie mehr, als sein Geisterleben.“



Ich musste grinsen. Seinen Humor hatte er also selbst als Geist nicht verloren.



„Sagen Sie ihm, dass ich ihn auch liebe und dass es nie zu spät ist, ich liebe dich zu sagen“, schluchzte ich.



„Er sagt, dass er das weiß. Er sagt, er kann es fühlen und dass er sehr gerne eine kleine Familie mit Ihnen gehabt hätte. Und Sie sollen wissen, dass er immer bei Ihnen sein wird, auch, wenn Sie ihn nicht sehen können.“



„Das weiß ich“, antwortete ich.



„Er meint, er muss jetzt gehen. Er hätte noch eine Verabredung mit seiner Schwester.“



Ich fragte aufgeregt:



„Sam ist auch da?“



„Ja, und Sie hätte ihn, als er starb, am Himmelstor abgeholt.“



„Wird er mich da auch abholen?“, wollte ich wissen.



„Ja, er wird da auf Sie warten. Er sagt aber, dass das noch dauern wird und dass Sie ihr Leben genießen sollen. Vor allem sollen Sie aufhören, um ihn zu trauern. Ihm ginge es hier sehr gut und alle Fragen des Lebens hätten sich geklärt. Er sagt, er müsse jetzt wirklich gehen und dass er sie über alles liebt.“



„Bye, Mulder. Ich liebe dich auch!“, sagte ich dann.



Ein paar Sekunden später schlug Linda die Augen auf und sah mich an.



„Geht es Ihnen jetzt besser?“, fragte sie.



„Ja“, entgegnete ich.


„Jetzt weiß ich, dass es ihm gut geht und dass er da ist, ich ihn nur nicht sehen kann.“



Linda geleitete mich noch mit zur Tür. Als ich schon halb die Straße überquert hatte, rief sie:



„Dana?“



„Ja?“



„Ich habe noch nie eine so große Liebe von einem Geist ausgehen gefühlt, wie von Mulder. Er liebt Sie wirklich abgöttisch!“



„Danke“, sagte ich.



Als sie im Haus verschwunden war, setzte ich mich auf eine Bank auf dem Bürgersteig. Es war inzwischen dunkel geworden und auch der Lärm auf den Straßen hatte nachgelassen. Ich sah zum Himmel hoch und in die Sterne. Ich erinnerte mich an ein Gespräch, das ich einst mit Mulder geführt hatte. Über Sternenlicht. Er sagte, dass das der Platz ist, wo die Seelen weiterleben. Vielleicht hatte er tatsächlich Recht gehabt.

Ich wusste, dass Mulder irgendwo in meiner Nähe war. Vielleicht saß er sogar neben mir. Ich lächelte und ein kühler Wind fuhr durch mein Haar, obwohl es doch den ganzen Tag völlig windstill war.



Alles gab auf einmal wieder einen Sinn. Mein Glaube, mein Leben und meine Liebe ...












The End



Bitte um Feedback!
Rezensionen