World of X

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Twilight

von Mona

Kapitel 2

Ich schnappte nach Luft.

Scully musste meine Fassungslosigkeit bemerkt haben und legte ihre Hand auf meine.



„Bitte, Mulder, ich kann so nicht mehr leben. Mein ganzes Leben lang, festgekettet an einem Bett, abhängig von einer Maschine. Was wäre mein Leben denn noch? Meinen Job könnte ich sowieso nicht mehr machen, Sport könnte ich nicht mehr machen. Alles würde sich ändern! Ich bräuchte jemanden, der sich um mich kümmert. Mulder, Sie...Sie sind mir da ähnlich! Würden Sie so leben wollen?“



Ich sah ihr in die Augen. *Nein, ich würde so nicht leben wollen*, dachte ich. Aber ich konnte Scully doch nicht ....töten und das wäre das, was sie hier von mir forderte. Euthanasie im gerichtlichen Sinne. Ich würde mein ganzes Leben nicht mehr froh werden. Ich würde nicht ohne Scully leben können!

Ich sprang auf, stellt mich ans Fenster und starrte nach draußen. Der Regen plätscherte immer noch gegen die Scheiben. Der Himmel war mir dicken grauen Wolken behangen. So etwa, sah es auch in mir aus.



„Mulder, Sie sind mein bester Freund, .... Sie sind mehr als ein Freund. Sie sind immer mein Halt, meine Stütze gewesen. Bitte lassen Sie mich jetzt nicht alleine. Einmal im Leben möchte ich noch den Sonnenaufgang über dem Virginia Beach sehen. Ich war dort oft als kleines Mädchen, habe über den Ozean geschaut. Wie die Sonne langsam, erst als Halbkreis und dann als glühender, roter Feuerball über dem Meer empor gestiegen ist. Ich habe aufs Meer gesehen und mich immer gefragt, wo da draußen wohl gerade mein Vater war. Bitte, Mulder, fahren Sie mit mir dahin.“



Ich blickte immer noch nach draußen. Dann hörte ich mich auf einmal sagen:

„Wann?“



Warum ich es sagte, weiß ich heute selbst nicht mehr. Vielleicht, weil mir innerlich klar wurde, dass es das Richtige war. Vielleicht weil mir bewusst wurde, dass ich es ihr in gewisser Weise schuldig war. Ich war ihr Partner. Wir vertrauten uns gegenseitig mehr als irgendjemand anderem. Wen, wenn nicht mich, hätte sie fragen sollen? War es nicht meine Pflicht, als ihr Freund, ihr wenigstens ihren letzten Wunsch zu erfüllen? Machte nicht gerade das eine Freundschaft aus, wenn man für den anderen Opfer brachte? Auch, wenn es einen selbst schadete?

Vielleicht wurde mir all das unbewusst klar. Jedenfalls kann ich mich heute nicht mehr daran erinnern, das gedacht zu haben – irgendetwas gedacht zu haben.



„Heute Nacht“, flüsterte Scully.

„Sie müssen mich irgendwie aus diesem Krankenhaus raus bringen.“



Ich kann mich nicht erinnern, was ich den Rest des Tages und zu Beginn der Nacht gemacht habe. Ich weiß nur, dass ich nach unserem Gespräch nach Hause gefahren bin.

Irgendwann stand ich dann bei Scully im Zimmer. Sie hatte sich bereits von ihrem Dialysegerät abgeschlossen und normale Kleidung angezogen. Ich hatte einen Rollstuhl mit in ihr Zimmer gebracht, weil ich der Ansicht war, dass sie noch zu schwach zum Gehen war. Doch Scully schüttelte nur den Kopf. Wie hätte ich auch denken können, dass sich Dana Scully von mir in einem Rollstuhl herumschieben ließ? Also, stütze ich sie so gut es ging.

Es war kein größeres Problem unbemerkt das Krankenhaus zu verlassen und Scully in einen Wagen zu schaffen, schließlich waren wir beim FBI und für das „Unbemerkt bleiben“ ausgebildet.

Die Fahrt führte uns zunächst auf dem Freeway über Alexandria und Richmond. Den letzten Teil des Weges mussten wir über ein paar unebene Nebenstraßen zurücklegen. Scully saß schweigend neben mir und sah aus dem Fenster. Vielleicht schwelgte sie in Erinnerungen. Schließlich war sie hier ganz in der Nähe, in Maryland, geboren. Ich warf ihr immer mal einen Seitenblick zu, um zu sehen wie es ihr ging, doch ihr Zustand schien sich nicht zu verschlechtern. Zumindest ließ sie sich nichts anmerken. Als wir den Parkplatz am Virginia Beach erreichten, regnete es noch immer. Zum Glück hatte ich daran gedacht zwei Regenjacken einzupacken. Ich stieg aus und öffnete die Beifahrertür.



„Könnten Sie mir da rauf helfen, Mulder?“, fragte sie und deute auf die Klippen vor uns.



Als ich die steilen, sandigen Felsen vor mir sah, dachte ich *da kommt sie nie rauf*, doch gleichzeitig korrigierte ich mich. Scully schaffte alles, was sie wollte.



Ich half ihr also die Regenjacke überzuziehen und wir machten uns auf den Weg. Mehr als einmal rutschen wir auf dem sandigen Boden aus, oder sanken tief ein. Es kostete schon mich eine ungeheure Kraft da hinauf zu klettern und ich fragte mich, wie Scully das nur schaffte. Irgendwann, wir waren schon fast oben, blieb Scully plötzlich stehen. Wir waren beide nass bis auf die Haut, nicht nur vom Regen, sondern auch vor Schweiß.



„Alles klar?“, fragte ich sie und dachte im selben Moment, was für eine dumme Frage das doch war.



„Ja, ich muss nur einen Moment ausruhen“, keuchte Scully.



Ich dachte kurz darüber nach, was ich wohl tun würde, wenn sie jetzt zusammenbrach. Wäre das nicht die ideale Möglichkeit, um sie zurück ins Krankenhaus zu bringen und dem ganzen Spuk hier ein Ende zu bereiten? Würde ich sie damit aber nicht völlig hintergehen?

Weitere Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, denn Scully war wieder aufgestanden und arbeitete sich weiter nach oben vor.



Und nach kurzer Zeit hatten wir, völlig außer Atem, „den Gipfel“ erreicht.



Scully setzte sich auf einen Felsen und rang nach Luft. Dann ließ sie ihren Blick über das Meer schweifen. Als ich merkte, dass sie zitterte, setzte ich mich neben sie und nahm sie in die Arme. Erst jetzt stellte ich fest, wie friedlich es hier doch war. Das Rauschen des Meeres, das Zwitschern der Vögel... Hier konnte man einfach seinen Gedanken nachhängen und Ruhe vom stressigen Alltag finden. Auch wenn es makaber klingen mag, es gibt wohl keinen besseren Platz, um zu sterben.



In ungefähr einer halben Stunde musste die Sonne aufgehen, doch ich bezweifelte, dass man sie hier zu Gesicht bekommen würde. Der Himmel war immer noch von dicken Wolken überzogen. Der Regen, aber, ließ langsam nach.



„Mulder?“, brach Scully plötzlich die Stille.



„Mmh?“



„Sie sind der beste Freund, den man sich nur wünschen kann. All die Jahre hindurch waren Sie mein Vertrauter und mein Partner und Sie lassen mich auch jetzt nicht im Stich.“



Dann drehte sie ihren Kopf und sah mir in die Augen. Sie war sehr blass. Ihr Gesicht glänzte vor Nässe und ihre Augen waren rot unterlaufen.



„Mulder, hören Sie mir zu. Ich möchte, dass Sie keine Vorwürfe wegen dem hier machen, hören Sie? Es ist mein freier Wille. Sie hätten sich Vorwürfe machen können, wenn Sie es nicht getan hätten, aber nicht so. Ich habe Sie gebeten, weil ich wusste, dass Sie mich verstehen würden, weil ich wusste, dass Sie in meiner Situation auch nicht weiterleben wollten. Sie müssen sich in keinster Weise schuldig fühlen. Ich habe mich selbst vom Dialysegerät abgeschlossen und ich habe einen Zettel hinterlassen, auf dem steht, dass es meine Entscheidung war. Ich hoffe, das Gericht wird Sie dafür nicht belangen.“



Wie konnte Scully jetzt nur so sachlich reden? Das klang so, als wäre das alles ein Plan, ein Auftrag für den alle Vorkehrungen getroffen wurden.



Plötzlich piepste es. Mein Handy. Wahrscheinlich hatten sie im Krankenhaus unser Verschwinden bemerkt. Ich zog mein Handy aus der Tasche und sah auf den Display. Es war Skinner.



„Möchten Sie ihm Auf Wiedersehen sagen?“, fragte ich Scully und zeigte ihr das Handy. Sie blickte es eine Weile lang an und drückte dann den „Off – Knopf“.



„Sagen Sie ihm, dass er der beste Chef ist, den man sich vorstellen kann.“



Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen und der Himmel hatte etwas aufgeklart. Dann erhob sich im Osten ein großer, goldener Ball, der das Meer in einem orangenen Glitzern auffunkeln ließ.



„Sehen Sie das Licht?“, flüsterte Scully.



„Ja“, sagte ich. „Es ist wunderschön“.



„Mulder, ich muss jetzt gehen“, sagte Scully dann.



Ich sah sie erschrocken an.

Ihre blauen Augen blickten ein letztes Mal in meine. Sie sah so schön aus. Ihre roten Haare glänzten im Licht der aufgehenden Sonne und ihre Augen waren dem Ozean gleich. Es war, als wäre sie eins geworden mit der Natur.



„Ich werde immer bei Ihnen sein, Fox Mulder“, flüsterte sie.



Dann schenkte sie mir noch ihr bezauberndes Lächeln, bevor sich ihre Augen für immer schlossen.



Eine Zeitlang saß ich einfach so da und hielt sie im Arm. Sie war immer noch warm und sah aus, als ob sie schlief. Genaue genommen tat sie das ja auch. Nur, dass es ein Schlaf ohne Erwachen war.

Irgendwann trug ich sie die Felsen hinunter und legte sie auf den Beifahrersitz meines Autos. Dann setzte ich mich an den Strand und sah aufs Meer hinaus. Ich saß nur da und blickte vor mich hin. Jedenfalls kann ich heute nicht sagen, dass ich an etwas Bestimmtes gedacht hatte. Ich weiß nicht mal, ob ich irgendetwas empfunden habe: Schmerz, Trauer, Schuld, Genugtuung Scullys letzten Wunsch erfüllt zu haben? Ich weiß es nicht. Vielleicht stand ich einfach unter Schock.

Irgendwann hörte ich Polizeisirenen und dann stand Skinner neben mir. Er schien es schon zu wissen. Wahrscheinlich hatten sie Scullys Leiche im Auto gefunden. Er setzte sich neben mich.



„Ich soll Ihnen sagen, dass Sie der beste Chef sind, den man sich vorstellen kann“, sagte ich dann leise ohne meinen Blick vom Meer zu wenden.



„Hat sie das gesagt?“



Ich nickte.



„An ihrer Stelle hätte ich dasselbe getan, Mulder“, sagte er dann.



Ich sah ihn an.



„Danke, Sir“, antwortete ich dann.



Die nächsten Tage verbrachte ich größtenteils auf der Polizeiwache. Immer wieder folgten neue Befragungen, immer wieder dieselben Fragen, auf die ich nur dieselben Antworten erwidern konnte.

Letztendlich durfte ich gehen. Es wurde keine Anklage gegen mich erhoben, was nicht zuletzt der Verdienst Skinners war. Doch auch Scully hatte in Form ihres Zettels alles getan, um mich zu entlasten.



Heute bin ich mir meistens sicher, dass ich das richtige getan habe. Wie sagt man: die Zeit heilt alle Wunden. Natürlich gibt es immer wieder Momente des Zweifels. Momente, wo ich mich frage, ob ich richtig gehandelt habe. Das erste halbe Jahr ohne sie war wirklich schrecklich. Doch mit der Zeit wurde mir klar, dass ich alles richtig gemacht habe, dass ich auf Scully hören sollte und sie mir schließlich sagte, dass ich mir keine Vorwürfe machen sollte. Ich war es ihr schuldig, das wenigstens zu versuchen. Und es gelang mir immer besser: Immer wenn ich Scully vor mir sah. Wie sie war: Wunderschön, glücklich, und einfach der beste Mensch in meinem Leben. Ich bin froh, dass sie mir so in Erinnerung geblieben ist und nicht als eine ans Bett gefesselte, leidende und traurige Frau. Ich denke, ich konnte ihr viel Schmerz ersparen.

Was mir vor allem bewusst wurde, ist dass wir in einem Zwielicht leben. Einem Zwielicht geschaffen durch die Sonnen – und Schattenseiten des Lebens. Das Leben ist ein Auf und Ab, ein Wechsel zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Gut und Böse, Freude und Trauer und Tag und Nacht. Und doch kann man den meisten Dingen, auch wenn sie noch so schlecht erscheinen, etwas Gutes abgewinnen. Scullys Tod war wahrscheinlich das schrecklichste in meinem Leben, es kostete mir anfangs unheimliche Kraft damit fertig zu werden, doch lebe ich in der Gewissheit, dass ich ihr damit helfen konnte und, dass es als ihr Freud, meine Pflicht war.

Heute, nach fast einem Jahr, habe ich es geschafft alles zu verarbeiten. Ich arbeite wieder beim FBI, sogar in meiner alten Abteilung, bei den X-Akten. Ich habe eine neue Partnerin an meiner Seite, Denise Jackson. Anders wie Scully, ist sie wie ich von der Existenz des Paranormalen überzeugt. Sie wird Scully nie ersetzen können und dennoch arbeiten wir gut zusammen und kommen hervorragend miteinander aus. Auch wenn ich die Diskussionen, die ich mit Scully über meine Theorien führen konnte, mit ihr nicht habe und ich das schon etwas vermisse. Aber das Leben muss irgendwann einmal weitergehen. Auf jedes Tief, folgt ein Hoch. Auch im Leben.

So, wie damals an dem Tag, als Scully starb. Wer hätte denn gedacht, dass es nach tagelangem Regen genau an diesem Morgen aufklaren und Scully den schönsten Sonnenaufgang bescheren sollte? Heute glaube ich sogar, dass der Himmel lachte, weil er einen neuen, seinen schönsten und besten, Engel willkommen geheißen hat.




Hoffe, die story hat euch gefallen!
Bitte um Feedack!
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