World of X

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Broken Throne

von Netty

Kapitel 1

Das fordernde Klopfen hatte den vier Monate alten William aus seinem ohnehin schon leichten Schlaf gerissen und er schrie. Schrie, wie es nur ein wütendes Baby konnte, das bei seiner Nachtruhe gestört worden war.

„Oh Gott“, stöhnte Dana erschöpft und hievte sich in die Höhe und schalt sich zum x-ten Mal dafür, dass sie nicht auf ihre Mutter gehört hatte. Sie hätte um seine Krippe staubsaugen und Musicals veranstalten sollen, sobald sie aus dem Krankenhaus waren. Aber nein, sie und Mulder waren flüsternd um seine Krippe herum getänzelt und was hatten sie nun davon? Ein Baby, das beim leisesten Geräusch aufwachte. Nicht, dass das Klopfen leise war.

Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, dass es gerade kurz nach zwei Uhr morgens war. Sie hatte William erst vor zwanzig Minuten in den Schlaf wiegen können, wer auch immer vor dieser Tür stand, brauchte einen verdammt guten Grund.

„Mulder“ sie stupste ihn an und konnte nicht fassen, dass er immer noch schlief. In den letzten Monaten, seit sie mit William aus dem Krankenhaus gekommen war, hatte er entgegen dem Baby einen erstaunlich tiefen Schlaf entwickelt und schien das Schreien gar nicht zu hören, was oft bedeutete, dass sie aufstehen musste. Was sie sowieso häufig musste, da er William unmöglich füttern konnte, so ganz ohne Muttermilch und den dafür erforderlichen Körperteilen. Allerdings hatten sie begonnen ihn abwechselnd mit dem Fläschchen zu füttern und zu stillen und das Fläschchen konnte sogar Mulder halten, allerdings bis er aufwachte, war William wahrscheinlich längst verhungert, also war sie es, die sich Nacht für Nacht in die Dunkelheit stürzte, um ihr Kind zu beruhigen.

„Hmm“, brummte er auch jetzt noch schläfrig und schob sich ein Stück näher an sie. „Er beruhigt sich schon wieder“, murmelte er und wollte sie in seine Arme ziehen, einen kurzen Moment war sie versucht nachzugeben. Es war so erstaunlich, wie schnell sie sich wieder an seine Gegenwart gewöhnt hatte. Es schien beinahe Jahre her zu sein, seit er... aber das kleine piekende Gefühl in ihrem Herzen als sie daran dachte, wo genau er vor sechs Monaten noch gewesen war, erinnerte sie schmerzlich daran, dass es noch nicht Jahre her war. Sie wollte sich wieder in seine Arme kuscheln und seinem leisen Schnarchen die Zufriedenheit anhören, die sie beide im Moment verspürten. Wollte hoffen, dass William sich einfach schnell wieder beruhigte und erschöpft einschlief, doch dann setzte das Klopfen wieder ein und rief ihr den Grund, warum ihr Sohn nicht mehr schlief, wieder ins Gedächtnis und mit einem undamenhaften Stoß, schob sie den Mann ihres Lebens aus ihrem gemeinsamen Bett.

Es ertönte ein leiser, dumpfer Aufprall und gleich darauf erschien sein Kopf auf Matratzenhöhe. „Was ist?“, fragte er irritiert und sie musste unfreiwillig über seinen Anblick grinsen, er war völlig verwirrt.

„Ich geh zu William und du an die Tür und wer immer es ist, wimmle ihn ab.“ Sie erhob sich und wollte zur Tür gehen. Er rappelte sich auf die Beine, holte sie noch vor der Tür ein und gab ihr einen Kuss auf die Schulter.

„Ich übernehme den Kleinen, bin nicht in der Stimmung für Besuch“, grinste er und verschwand im Kinderzimmer.

„Glaubst du ich?“, grummelte sie und zog ihren Morgenmantel über, um dem entsetzlichen Klopfen endlich ein Ende zu bereiten. Ein Gähnen entkam ihr als sie durch den Spion sah. „Das kann nicht wahr sein“, sprach sie zu sich und entriegelte die Schlösser um zu öffnen.

„Agent Doggett?“, sie klang nur gerade eben so höflich. So höflich, wie man klingen konnte, wenn man seit einer knappen halben Stunde schlief und dann erneut vom Schreien seines Neugeborenen aufgeweckt wurde und einem gegenüber der Grund dafür stand.

„Es tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe.“

„Nicht mich, ihn“, sie deutete zum Kinderzimmer und er schien erst jetzt das laute Schreien zu bemerken.

„Oh, vielleicht sollten Sie zu ihm gehen, ich kann warten“, er scharrte errötend mit seinem Schuh auf dem Teppich, ihm war die Sache wirklich unangenehm. In seinen Augen erkannte sie, dass es sich um etwas Wichtiges handeln musste, ansonsten hätte er bis zum Morgen gewartet.

„Nicht nötig, Mulder ist bei ihm. Kommen Sie rein und erzählen Sie was los ist“, meinte sie und er schien widerwillig ihrer Aufforderung Folge zu leisten.

„Natürlich Mulder“, gab er dabei irgendwie verträumt von sich, als müsste er sich wieder daran erinnern, dass Mulder und sie zusammen wohnten und versuchten, ein Kind großzuziehen. Er setzte sich, immer noch in seinen Mantel gehüllt, auf die Couch und blickte abwesend auf ihren Tisch.

Die Kinderzimmertür öffnete sich und Mulder erschien, nur mit Boxershorts bekleidet, mit dem schreienden William auf dem Arm. Das Baby zappelte und hatte schon einen ganz roten Kopf vom vielen Schreien, ließ sich aber in keinster Weise von seinem Vater beruhigen, sondern strampelte protestierend mit seinen kleinen Beinchen.

„Dana, ich schätze, er hat Hunger“, er sah sie etwas hilflos an, er versuchte sie häufiger Dana zu nennen um sich und seinen Sohn daran zu gewöhnen, er konnte sich bildlich vorstellen wie Williams erstes Wort nicht Mama sondern Scully sein würde. Für seine Eltern wäre das sicherlich normal, für alle anderen vermutlich eher verstörend und Mulder wollte auf jeden Fall verhindern, dass sein Sohn durch irgendetwas was sie beide taten zum Außenseiter werden würde. Allerdings war sie für ihn immer Scully gewesen, nicht das er ihren Vornamen nicht mochte, aber Dana hatte nicht all das mit ihm erlebt wodurch er sie lieben gelernt hatte. Und wenn sie ihn dann mit diesem skeptischen Blick ansah, wie in diesem Augenblick, dann war sie einfach Scully…

„Ich habe ihn erst vor anderthalb Stunden gefüttert, was übrigens deine Aufgabe gewesen wäre, aber er kann unmöglich schon wieder hungrig sein“, erwiderte sie, nahm ihm das schreiende Bündel aber trotzdem aus den Armen.

„Entweder das, oder er will mich ärgern. Vielleicht möchte er aber auch einfach nur ein großer, starker Junge werden und dafür muss er ordentlich essen“, er schenkte ihr ein charmantes Lächeln, das sich schnell zu einem Grinsen ausbreitete.

„Schon dran gedacht, dass eine neue Windel nötig sein könnte?“

„Aber Mami, ich bin doch schon seit 39 Jahren stubenrein“, grinste er und sie verdrehte genervt die Augen. „Nein, er ist sauber“, gab er darauf schnell zur Antwort. Es war nicht ratsam sich mit einer übermüdeten Scully anzulegen. Schließlich seufzte sie und begann, das Baby schaukelnd ins Kinderzimmer zurück zu bringen, wo sie ihn noch einmal füttern würde. Als sich die Tür hinter ihr schloss, lenkte Mulder seinen Blick auf Doggett und sein Grinsen verschwand. Etwas an seinem Blick störte ihn, gewaltig sogar.

„Agent Doggett. Was verschafft uns die Ehre Ihres späten Besuches?“, er leistete dem ungebetenen Gast auf der Couch Gesellschaft und betrachtete ihn. Es war eindeutig, dass Doggett etwas von ihnen wollte. Vielleicht hatte er einen Fall, mit dem er nicht klar kam, schon wieder. Ab und zu begann Mulder zu zweifeln, ob dieser Mann so gut für die X-Akten war. Sicher, er war ein sehr fähiger Agent und hatte sicher auch das Zeug dazu, aber er war manchmal so verbohrt und verschlossen gegenüber den irrealen Möglichkeiten, dass es ein Wunder war, dass er überhaupt schon einen Fall gelöst hatte. Ein Verdienst der sicherlich auch auf Agent Reyes zurückzuführen war, die an allen Punkten aufgeschlossen zu sein schien, die John Doggett so vehement von sich wegzustoßen versuchte. Er fragte sich, warum ihm der Agent diesmal allein aufsuchte, zumal sein nächtliches Erscheinen doch auf ein drängendes Geschehen hinwies und das versuchte Doggett ihm niemals ohne seine Partnerin schmackhaft zu machen.

Jedenfalls würde ihm Mulder heute dieselbe Antwort wie immer geben, er war nicht mehr beim FBI und versuchte gerade in seiner Rolle als Vater aufzugehen, was ihm im Moment noch nicht so besonders gelang. Dabei hätte er weder die Zeit noch die Lust sich mit einer X-Akte herumzuschlagen. Wobei ein Teil gelogen war.

Gott, er vermisste diese verrückten Fälle. Tatsächlich würde er liebend gern zusagen, einfach um wieder etwas zu erleben, eine Herausforderung zu haben, die nichts mit Windeln oder einem schreienden Baby zu tun hatte.

Natürlich liebte er William, er war das süßeste Baby, das er sich vorstellen konnte und Scully als Mutter zu sehen, war ein Anblick, in dem schwelgen zu dürfen er nie geglaubt hatte und er genoss es vollkommen. Doch etwas in seinem Inneren, ein alter bekannter Drang, kehrte von Zeit zu Zeit zurück und er wollte zurück in die alte Zeit. Von einem Fall zum nächsten, in billigen Motels übernachten, sich mit trampeligen Bauernpolizisten rumschlagen, die das Niveau 08/15 – im Dutzend billiger vertraten, Fast Food essen bis zum Umfallen und 16 Stunden am Tag arbeiten. Er musste krank sein das zu vermissen, aber er tat es.

„Nun, ich wollte eigentlich zu Dana, aber Sie sind ebenfalls ein Grund, warum ich gekommen bin“, begann der Agent langsam zu sprechen, schien jedes Wort sorgfältig auszuwählen. Noch etwas, was ihm fehlte, Spontanität. Mulder wäre mit den Neuigkeiten sofort zur Tür hereingeplatzt, hätte sich Scully geschnappt und auf den Weg gemacht, ohne überhaupt auf ihren Protest zu warten. Na ja, wenn er es genau betrachtete, war das langsamere Vorgehen vielleicht doch nicht so falsch. Wie oft hatte er sich schließlich Scullys Zorn aufgehalst mit seinen Manövern.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“ In diesem Moment ertönte ein erneutes Klopfen an der Tür und Doggett sah eilig hinüber. Mulder entging sein Blick nicht. Irgendetwas regte den Agenten auf und machte ihn sehr nervös. Er stand auf und öffnete die Tür und sah überrascht zu ihm zurück, dann öffnete er die Tür ein Stück weiter und ließ Monica Reyes eintreten. Jetzt war er sich hundertprozentig sicher, dass etwas nicht stimmte, wenn sie schließlich doch im Doppelpack auftraten.

„Agent Reyes? Sagen Sie“, er sah auf den Flur hinaus „Wie viele kommen denn noch? Ich wusste nicht, dass wir eine Party geben“, lächelte er, aber sie erwiderte es nur kurz, bevor sie sich Doggett zuwandte, ihm einen fragenden Blick zuwarf und sich dann neben ihm auf die Couch niederließ, offensichtlich keiner Worte nötig. Eine Tatsache, die Mulder sehr bekannt vorkam.

Wie aufs Stichwort kam seine telepathische Hälfte aus dem Kinderzimmer, William noch immer auf dem Arm. Er hatte zwar aufgehört zu schreien, war aber putzmunter und machte nicht den Eindruck heute überhaupt noch zu schlafen.

„Dein Job“, gähnte sie und übergab ihm das Baby. William schenkte ihm ein zahnloses Lächeln und schmiegte sich an ihn. „Hey Buddy, gar nicht müde?“, er knuddelte ihn sachte. Der kleine Mann sah zum großen Mann auf, mit treuen blauen Augen, die absolut die seiner Mutter waren und für einen Moment war die ganze, große, weite Welt in Ordnung.

„Monica? Kommen noch ein paar? Dann hätte ich einkaufen gehen sollen“, scherzte Scully und hatte ja keine Ahnung, dass Mulder genau so einen Kommentar gerade von sich gegeben hatte. Die Agenten lächelten nicht.

„Okay, dann mal raus mit der Sprache“, meinte sie schließlich und setzte sich auf den kleinen Couchtisch, sie hätte sich sicher auch auf einen der Sessel setzten können, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, es wäre besser ihnen beiden direkt gegenüber zu sitzen und als Mulder es ihr gleich tat, wusste sie, dass er es auch fühlte. Etwas stimmte nicht, ganz und gar nicht.

„Kennen Sie die Todesfälle, die ganz Texas zur Zeit in Aufruhr versetzen?“, fragte Doggett und klang ganz beiläufig.

„Nur was man so aus der Zeitung erfährt. Das anscheinend ein Irrer in Beaumont sein Unwesen treibt und wahllos seine Opfer tötet. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie beide an dem Fall arbeiten“, bemerkte Mulder und sah sie fragend an. Es schien etwas zu geben, was die Zeitungen verschwiegen, etwas, dass die unterste Abteilung des FBIs auf den Plan rief.

„Monica ist hinzugezogen worden, aufgrund ihrer Erfahrung von Ritualmorden. Er tötet nicht völlig wahllos, seine Opfer sind immer Pärchen. Allerdings hat sie mich schnell darüber informiert, dass das wohl eher ein Fall für die X-Akten wäre und so bin ich in den Fall hineingekommen“, erklärte er. Mulder fühlte das ABER schon kommen, bevor er es aussprach. „Aber ich bin mir nicht so sicher, dass wir den Fall lösen können“, gab er zu.

„Was haben Sie gefunden?“, schaltete sich jetzt Scully ein und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

„Das.“ Doggett legte einen Umschlag in ihre Hände und wartete bis Scully ihn geöffnet und dessen Inhalt herausgeholt hatte. „Die sind von allen Tatorten, 8 insgesamt mit 16 Opfern. Die Zeitungen haben dem Fall den Spitznamen ‚Höllenopfer‘ gegeben, nicht schwer zu verstehen warum. Und das ist auch genau das, was uns Kopfschmerzen bereitet.“ Er deutete auf ein Foto nach dem anderen, immer auf eine bestimmte Stelle. Zuerst konnte sie nicht erkennen, was es war, dann erkannte sie es und gab die Fotos schweigend an Mulder weiter.

Auch er sah auf die ihm gezeigte Stelle und ließ die Fotos wieder sinken. Alle Fotos zeigten die Leichen, aber der Aufnahmeradius war weitaus größer und nicht nur auf die Körper beschränkt. Im weichen Morast, alle Opfer waren auf Wiesen, Lichtungen oder ähnlichem gefunden worden, erklärte Doggett, sah man ganz deutlich Abdrücke. Abdrücke, die nicht menschlich waren oder nur zum Teil. Nach der Verteilung sah es so aus, als wäre das Wesen, was auch immer es war, zuerst auf normalen menschlichen Füßen gegangen, jedoch kurz vor den Leichen verschwanden die Fußabdrücke und zurück blieben eingeschlitzte Hufabdrücke, die dem eines Pferdes ähnlich sahen, jedoch waren es nur zwei und nicht vier, wie man bei diesem Tier erwartet hätte.

„Die sind an allen Tatorten gefunden worden?“, hakte Mulder nach und Doggett nickte. „Schön, aber was haben wir damit zu tun?“

„Es gab noch zwei Opfer, man hat sie vor fünf Stunden gefunden und identifiziert.“ Er gab Mulder ein weiteres Foto. „Susan van Bolt und ihr Freund Greg Wanschovsky sind in einem Park nicht weit von Miss van Bolts Haus tot aufgefunden worden.“ Mulder sah auf und traf Doggetts Blick.

„Van Bolt von dem Champagnerunternehmen?“, fragte Scully und erhielt ein Nicken.

„Außerdem sind sie adelig und ihr Großvater, Albert van Bolt, ist ein sehr einflussreicher Mann, er hat sofort und ausdrücklich Sie beide verlangt, das Verbrechen an seiner Enkelin aufzuklären. Können Sie mir sagen wieso?“

„Was hatte Susan in dem Park zu suchen?“ Mulder senkte den Blick, als es das fragte und Scully erkannte sofort, dass er sie gekannt hatte.

„Anscheinend war ihr Großvater nicht einverstanden mit der Gesellschaft, in der sie sich rumtrieb. Greg Wanschovsky war weder adelig noch besonders reich, nicht der Umgang, den sich ein verantwortungsvoller Mann für seine Enkelin vorstellt. Anscheinend hatten sich die beiden treffen wollen, sind dabei aber überrascht worden. Wenn Sie jetzt bitte meine Frage beantworten würden“, drängte ihn Doggett.

„Meine Großtante war Alberts erste Frau und so ist unsere Familie in den Adel eingeweiht worden. Sie hat ihn bereits nach zwei Jahren wieder verlassen und so haben wir nicht viel mit ihnen zu tun, man sieht sich auf Familienfeiern und fährt sich ab und zu besuchen. Susan und ich, wir haben uns recht gut verstanden und Albert war der einzige, der sich nicht wie etwas Besseres benahm. Besonders nach dem Tod seiner Tochter und seines Schwiegersohns, die beiden sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, war Susan alles was ihm blieb und er hatte nicht die Art sich hochnäsig zu verhalten. Ich hab ihn vor vier oder fünf Jahren das letzte Mal gesehen und ihm erzählt, was ich beruflich mache. Er hat gelacht und gemeint «Nun mein Junge»“, ahmte er Alberts Stimme nach, eine dunkle, rauchige Alt-Männer-Stimme. „«Solange es dir Spaß macht und genug Geld für die Miete einbringt ist das schon okay.» Das dürfte wohl erklären,  warum er an mich gedacht hat. Haben Sie ihm gesagt, dass ich nicht mehr fürs FBI arbeite?“

„Ja, ich sagte ihm, dass Sie nicht mehr die X-Akten leiten und dass Agent Scully im Mutterschaftsurlaub ist, aber er wollte davon gar nichts hören. Er sagte, Sie könnten auch als Privatpersonen kommen, in seinem Haus wohnen und er würde Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen würden“, erzählte Doggett und sah zwischen Scully und Mulder hin und her.

Scully war ehrlich gesagt ein wenig überrumpelt. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass Mulder Adel in seiner Familie besaß. Er hatte es ihr nie erzählt und hielt es wahrscheinlich auch gar nicht für nötig, bis jetzt.

William gab ein kleines Wimmern von sich, er war inzwischen in den Armen seines Vaters eingeschlafen. Mulder stand auf, um ihn ins Bettchen zu bringen, blieb kurz stehen und wartete, bis sie ihm über sein kleines Köpfchen gestreichelt und ihm einen Kuss gegeben hatte, dann begab er sich ins Kinderzimmer.

„Er ist ein so süßes Baby“, meinte Monica und sprach das erste Mal etwas, seit sie hier war. „Und das sage ich nicht nur, weil er das einzige Baby ist, dem ich auf die Welt geholfen habe.“

„Ja, das ist er“, gab Dana leicht verträumt zurück und wendete ihren Blick schließlich von der Tür wieder ihren Gegenübern zu. „Und das sage ich nicht nur, weil er das einzige Baby ist, das ich auf die Welt gebracht habe.“ Die beiden Frauen lächelten einander kurz an, dann kehrte Ruhe ein. Scully überlegte, was sie jetzt sagen sollte? Eigentlich war sie nicht besonders scharf darauf, einen Fall zu übernehmen. William und Mulder füllten ihr Leben im Moment genug aus, allerdings war dieser Fall etwas Persönliches für ihn und sie konnte es verstehen, wenn er sich darum kümmern wollte. Wenn er es wünschte, würde sie mit ihm nach Beaumont reisen und für William wäre es sein erster Urlaub und er könnte einen entfernten Verwandten kennen lernen, der sogar adelig war.

Niemand sprach ein Wort, es war fast, als würde ein unsichtbarer Schatten über ihnen schweben und jegliches Gespräch im Keim ersticken. Phrasen wie „Was gibt’s sonst Neues“ schienen so unpassend, dass sie niemand aussprach. Aber Scully wollte auch nicht über den Fall sprechen. Die Chance wäre zu groß, dass er ihre Neugier wecken würde und wenn Mulder dann beschloss nicht zu fahren, würde es schwer werden, dem Drang zu widerstehen.

Schließlich kehrte er aus dem Kinderzimmer zurück und lehnte vorsichtig die Tür hinter sich an. Er stellte sich neben Scully und alle Augenpaare ruhten auf ihm. Nach kurzem Überlegen brach er das Schweigen.

„Wann würden wir fahren?“

„Am besten sofort“, erwiderte Agent Doggett und das erste Mal an diesem Abend umspielte so etwas wie ein Lächeln seine Lippen. Langsam begann die Anspannung aus seinem Körper zu weichen. Dieser Fall war eigentlich nicht anders als die Fälle, die er in den letzten drei Monaten mit Monica untersucht hatte, aber bei diesem hatte er von Beginn an ein merkwürdiges Gefühl. Ein Schleier, der sich über sein Haupt gelegt hatte und ihm weismachte, dass etwas Furchtbares geschehen war und wieder geschehen würde. Dazu kam der einflussreiche van Bolt, der sie eigentlich nicht einmal in der Nähe dieses Falls haben wollte und sich nicht überzeugen ließ, dass sie es auch allein schaffen konnten. Eine Tatsache, die Doggett zwar in seinem Stolz kränkte, die er aber auch nicht einfach so von der Hand weisen konnte.

„Ich muss erst darüber nachdenken, drüber schlafen sozusagen. Ich werde Sie morgen anrufen und Ihnen dann Bescheid geben“, entschied er sich schließlich und Scully sah ihn erstaunt an. Das war ganz und gar nicht Mulders Art, entweder er war sofort Feuer und Flamme für einen Fall oder es gab nicht die geringste Spur, dass er ihn übernehmen würde, aber darüber nachdenken musste er nie.

„Mulder, die Zeit drängt“, wollte Doggett ihn überzeugen, aber Mulder hatte seine Entscheidung bereits getroffen.

„Morgen, Agent Doggett, morgen.“ Seine Stimme war ruhig und er schien sich sicher zu sein, dass Doggett ihn gewähren lassen würde, was dieser auch tat. Er nickte niedergeschlagen und erhob sich, sie taten es ihm gleich. Hände wurden geschüttelt und schöne Träume wurden gewünscht, dann wurde es wieder ruhig in der Wohnung.

„Was meinst du, sollten wir noch versuchen etwas Schlaf zu bekommen, bevor er wieder aufwacht?“, fragte er gähnend und deutete auf die angelehnte Tür.

„Sicher“, sie folgte ihm ins Schlafzimmer und legte sich neben ihn. Der Schlaf wollte sie augenblicklich übermannen, aber das konnte sie nicht zulassen, nicht solange ihre Fragen noch unbeantwortet waren. Derer hatte sie eine ganze Menge in ihrem Kopf herumschwirren. „Wirst du annehmen?“

„Ich weiß noch nicht“, wich er aus und sie erhob sich leicht. Sich auf ihren Ellenbogen stützend sah sie ihn prüfend an. In der Dunkelheit glänzten seine Augen fast schwarz und sie konnte den Ausdruck in ihnen nur erahnen.

„Das bist nicht du. Ich meine, entweder du sagst ja oder nein, aber niemals, ich muss erst darüber nachdenken“, widersprach sie und er gluckste kurz.

„Die Zeiten haben sich geändert. Wer weiß, wenn wir noch immer unten in diesem alten Büro sitzen würden, hätte ich den Fall sicher sofort angenommen, aber jetzt liegen die Dinge etwas anders“, erklärte er.

„Weil du das letzte Opfer gekannt hast? Wir haben das schon öfter durchgestanden. Nebenbei bemerkt, hast du jemals in Erwägung gezogen, mir von deiner hohen Verwandtschaft zu erzählen?“ Ihr Ellenbogen schmerzte allmählich und sie drehte sich in eine bequemere Haltung auf den Bauch, schob die Arme unters Kopfkissen und sah ihn wartend an.

„Vielleicht hätte ich es dir erzählt. Es ist nicht gerade etwas, worauf man so besonders stolz sein kann. Die meisten meiner Verwandten sind reiche, versnobte Menschen, die ich glücklicherweise nicht mehr sehen muss. Die einzige Ausnahme waren eben immer Albert und…“

„Susan“, beendete sie für ihn und er nickte stumm. Sie ließ eine Hand unter dem Kissen hervorschlängeln und legte sie sanft auf seine Brust. Das ruhige Heben und Senken beruhigte sie und ließ sie fast einschlafen, bevor sie sich zusammenriss und weiterfragte. „Ist es deshalb anders?“

„Nicht nur. Es geht nicht nur darum, dass es Susan war, immerhin hat es noch 15 andere Opfer gegeben. Es kommt so vieles zusammen, das einen komplexen Grund ergibt, warum ich ablehnen sollte. Susan ist nur ein kleiner Teil davon, einen größeren macht aus, dass ich nicht mehr beim FBI bin. Es dürfte schwer werden einen Fall zu lösen, ohne den nötigen Zugang zu besitzen.“

„Wir haben immer noch Agent Doggett und Agent Reyes dabei, die den nötigen Zugang haben“, warf sie ein und er nickte erneut. Irgendetwas schien es noch zu geben, was den eigentlichen Grund darstellte, aber er machte nicht den Eindruck als würde er es ihr sagen, ohne dass sie nachhakte. „Aber das ist nicht alles, oder?“ Er schüttelte den Kopf. „Was noch?“

„Du“, er amtete tief ein. „Du und William. Welchen anderen Grund könnte es sonst noch geben? Zum ersten Mal zeichnet sich so etwas wie Normalität in meinem, in unserem Leben ab und ich möchte das nicht aufs Spiel setzen und noch weniger möchte ich euer Leben in Gefahr bringen.“ Er hob schnell eine Hand, um ihrem Einwand zuvor zu kommen. „Ich weiß, du entscheidest gerne selber, ob du dein Leben aufs Spiel setzt oder nicht und ich weiß auch, dass ich dich nicht davon abhalten kann. Aber jetzt geht es auch um William, er ist ein kleines, hilfloses Baby, das auf unseren Schutz angewiesen ist und wenn ihm etwas geschieht, dann haben wir in unserer Funktion versagt und das möchte ich nicht riskieren, das ist keine X-Akte wert“, schloss er leise und sie war geschmeichelt und berührt zugleich, so sehr, dass sie sich näher an ihn schmiegte und ihm einen zärtlichen Kuss auf die rechte Brust gab, die sein Herz verbarg, bevor sie ihn prüfend anschaute.

„Bist du sicher? Ich meine, sie war immerhin eine Verwandte von dir und da könnte ich es gut verstehen, wenn du dich selbst um diese Angelegenheit kümmern willst“, der Kloß in ihrem Hals erschwerte ihr das Sprechen merklich, aber sie riss sich zusammen und sah ihn aufrichtig an.

„Ich habe nicht behauptet, dass ich den Fall nicht gerne übernehmen würde, sondern lediglich, dass es das Risiko nicht wert ist, sowohl deins als auch Williams Leben in Gefahr zu bringen“, entgegnete er erklärend. „Aber ich denke nicht, dass wir jetzt darüber reden sollten. Es ist schon spät und es wird mit Sicherheit nicht mehr lange dauern, bis William aufwacht, um uns mitzuteilen, dass eine Stunde Schlaf schon eine Stunde zu viel ist.“

„So verführerisch dieser Gedanke auch klingt, du hast versprochen Agent Doggett morgen früh Bescheid zu geben und ich denke, dass du womöglich nein sagen könntest und es dir – und was noch viel wichtiger ist – es mir auf Ewig vorwerfen könntest“, sie schmiegte sich wieder näher an ihn.

„Wie könnte ich dir jemals etwas vorwerfen?“ gab er kurz übertrieben theatralisch von sich, dann wurde er ernst. „Vermutlich hast du Recht, ich denke, ich vermisse es, auf Geisterjagd zu gehen und dennoch hält mich schon der Gedanke an die Gefahr davon ab.“ Seine Arme schlossen sich fast automatisch enger um ihren Körper. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen dich zu verlieren.“

„Das wirst du nicht, wir machen einfach ein bisschen Urlaub, zeigen Will die Stadt und ganz nebenbei stecken wir unsere Nasen wieder in Angelegenheiten, die uns eigentlich nichts angehen.“ Sie schloss die Augen.

„Also eigentlich alles wie früher“, grinste er und sie nickte an seiner Schulter. „Schön, ich werde Doggett morgen früh anrufen, dass wir bis zu einem bestimmten Grad einverstanden sind, aber, dass wir uns von jeglichen gefährlichen Situationen fernhalten werden“, ergänzte er und sie kicherte leise, ein Geräusch, von dem er nie genug bekommen konnte. „Kannst du mir mal sagen, was so lustig ist?“

„Ich dachte nur, wenn uns unser Glück immer noch hold ist, dann ist das Fernhalten von gefährlichen Situationen ein Ding der absoluten Unmöglichkeit.“

„Das ist ein Argument. Wir werden uns halt anstrengen müssen. Jetzt sollten wir aber sehen, dass wir wenigstens noch eine Mütze voll Schlaf bekommen, ansonsten können wir das Ganze gleich vergessen. Wir müssen morgen früh noch Sachen packen, haben wir noch genug Windeln und alles, was Will sonnst noch so braucht?“ Er erhielt keine Antwort. „Dana?“ flüsterte er und sie kuschelte sich noch ein Stück näher an ihn. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und er küsste sie sanft hinter ihr Ohr, dann lehnte er sich zurück. In Erwartung was auf sie zukam.

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