World of X

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Selbstzweifel

von Steffi Raatz

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Zukunft - das ist die Zeit, in der du bereust,
dass du das, was du heute tun konntest, nicht getan hast!

Verfasser unbekannt

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Vor nicht all zu langer Zeit, da dachte ich, die Gefühle, die wir füreinander empfinden, könnten alles besiegen. Hass, Verzweiflung, Lügen. Ich glaubte wirklich, wir wären in unserer Liebe stark genug, alle Schwierigkeiten zu überwinden.

Kälte umschließt mein Herz, wenn ich heute daran denke, wie unrecht wir hatten. Wie viele Freunde unseren Weg mitgingen und auf der Strecke blieben. Wie viele Erinnerungen sich in mein Gehirn einbrannten, von Ereignissen, die ich lieber nicht erfahren hätte.

Und würdest du mich heute fragen, ob ich einen der Schritte bereue, die ich getan habe, dann läge ein klares "Ja" auf meinen Lippen. Vor einiger Zeit, hätte ich diese Frage verneint, hätte dir geschworen, dass alles so wie es verlief, richtig war. Doch heute bin ich mir darüber gar nicht mehr so im Klaren.

Wenn ich lange genug darüber nachdenke, und das tue ich in unserer derzeitigen Situation ständig, dann begannen diese Zweifel bereits an dem Tag, an dem ich dich darum bat, deinen Samen für ein Kind zu spenden.

Dieser klägliche letzte Versuch, endlich einen Traum erfüllt zu bekommen, der nur deshalb ein unerfüllter Traum war, weil ich mit dir an den X-Akten arbeitete, weil ich am falschen Ort zur falschen Zeit war - ständig - dieser klägliche Versuch war mein erster Hilfeschrei. Die Verdrängung von aufkommenden Zweifeln an dem Sinn unserer Arbeit, an dem Sinn eines "uns".

Und diese Hilfeschreie, die ich damals noch nicht als solche erkannte, sie kamen immer öfter.

Die Nacht, die wir miteinander verbrachten. Eine Nacht voller verzweifelter Leidenschaft. Sehnsucht, die gestillt werden musste. In der wir uns aneinander klammerten, als wären wir Ertrinkende. Sie war nur ein weiterer Schritt voller Zweifel.

Nach deiner Entführung - wusstest du eigentlich, dass ich mich bereits damit abgefunden hatte, dass du nie wieder heimkehren würdest? Dass ich mit deinem Tod abgeschlossen hatte? Nicht nach Aussen hin? Nicht zu meinen Freunden hin, zu meiner Familie, Kollegen. Nein, tief in mir drin hatte ich einen Schlußstrich gezogen. Einsam für mich allein. Hatte jegliche Hoffnung begraben, dich jemals wieder zu sehen.

Ja, ich glaube sogar, dass mit diesem Schicksalsschlag ein neues Leben für mich beginnen könnte. Ein Leben ohne dich. Ohne Hass, Verzweiflung und Lügen.

Aber ich habe mich getäuscht, meine Liebe zu dir war stärker. Ich konnte dich nicht aufgeben, nicht als ich die Möglichkeit bestand, dass du doch noch am Leben sein könntest. Ich vergab die Chance auf ein normales Leben unseretwillen. Deinetwegen.

Während wir zusammen sind - jetzt nach all der Zeit - nach all diesen Entscheidungen - denke ich immerfort, dass ich hätte alles ändern können, wenn ich nur eine andere Entscheidung getroffen hätte. Wenn ich dich nicht gebeten hätte, der Vater meines Kindes zu werden. Wenn ich dich nicht gebeten hätte, mit mir das Bett zu teilen.

Und was wäre geschehen, wenn ich nicht nach dir gesucht hätte? Wäre mein Leben dann wirklich anders verlaufen? Wie hoch wären die Chancen gewesen, dass trotzdem alles so verlaufen wäre, wie es verlaufen ist? Kann man das Schicksal überhaupt ändern?

Diese und viele Fragen mehr beschäftigen mich tagein und tagaus seit wir geflohen sind. Sie beschäftigen mich, wenn wir essen, wenn wir miteinander reden, selbst, wenn wir miteinander schlafen. Und das wirklich schlimme daran ist, dass ich mir die Frage stelle, was geschehen wäre, wenn ich mich John Doggett geöffnet hätte. Ich wusste, dass er mich liebt. Dass ich ihm mehr bedeutete, als er je zugegeben hätte. Und ich muss gestehen, trotz meiner unanfechtbaren Liebe zu dir, empfand ich auch für ihn eine starke Zuneigung.

Läge ich dann heute mit ihm in einem Bett? Wäre William vielleicht sogar noch bei mir? Fragen über Fragen, die ich nie beantwortet bekommen werde. Fragen, die ich nur mir selbst stelle.

Wir kennen das Datum der Kolonisierung und somit den Tag, an dem alles Leben, so wie wir es kennen, enden wird. Doch wo liegt der Vorteil, es zu wissen? Ich habe dir mal gesagt, dass wir nie aufgeben dürfen. Ich habe dir gesagt, dass ich stets an deiner Seite stehen werde. Es ist wahr und zugleich fürchte ich mich davor und wünschte, ich könnte einen Rückzieher machen. Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich gehen will. Vermutlich nicht. Nicht nach allem, was ich getan habe, was ich gesagt habe. Was ich einst selbst geglaubt habe.

Vergib mir, denn ich habe gesündigt. Ich habe gelogen. Gelogen, weil ich mir selbst etwas einreden wollte. Weil ich dich beruhigen wollte. Weil ich mich beruhigen wollte.

Nichts ist mehr wichtig. Nichts hat mehr Relevanz. Nicht in meinem Leben.

Ich musste meinen Sohn hergeben, ich musste meine Gesundheit opfern, meine Familie, wegen einer Wahrheit, die ich lieber nie erfahren hätte. Denn wüsste ich das Datum nicht, würde ich glauben können, alles sei normal. Ich hätte weiterleben können ohne einen quälenden Gedanken an die Vernichtung der Menschheit.

"Woran denkst du?", höre ich deine Stimme hinter mir.

Gott, weißt du wie gern ich dir von meinen Gedanken erzählen würde? Nicht, weil ich denke, dass du mich verstehen könntest. Vielleicht könntest du das sogar. Nein, einfach, weil ich sonst niemanden zum Reden habe. Diese Flucht wird für mich immer mehr zur Qual und trotzdem folge ich dir. Werde nicht aufhören, dir zu folgen. Einfach, weil du der letzte Mensch bist, der mir noch geblieben ist.

"An nichts", lüge ich und lasse mich von dir in die Arme ziehen.

Du weißt ganz genau, dass meine Antwort nicht stimmt. Du weißt, dass ich dich anlüge, aber du stellst mich nicht zur Rede. Manchmal glaube ich, dass du ganz genau weißt, was in mir vorgeht. Dass ich nicht mehr das selbe glaube wie du. Dass meine Suche endete, als ich dich fand, doch deine damit erst begann.

Noch während du dich mit mir auf das Bett gleiten läßt, keimt in mir der Verdacht auf, dass unsere Liebe nicht stark genug sein könnte. Dass dies vielleicht nicht unsere letzte gemeinsame Nacht sein wird, aber der Anfang vom Ende ist. Dass wir doch zu verschieden sind, um ewig miteinander glücklich zu sein.

Ich schließe die Augen, als deine Lippen meinen Hals berühren. Möchte meinen Geist abschalten, mich dir noch einmal hingeben, ohne daran zu denken, wie meine Zukunft aussehen wird. Möchte von dir geliebt werden, als wäre unser gemeinsamer Weg nicht vor einer Gabelung, an der wir Entscheidungen treffen müssen. Entscheidungen, die ich vielleicht schon vor langer Zeit hätte treffen sollen.

Und während dein Mund meinen mit einem Kuss versiegelt, lasse ich mich fallen. Versuche dich zu spüren, als wäre es unser erstes mal, als stünden wir noch ganz am Anfang. So als wären wir noch einmal jung. Jung und ahnungslos.



Ende
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