World of X

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Give a little, get a little

von Steffi Raatz

Kapitel 1

Es war nur eine kleine Geste gewesen und dennoch, sie konnte es einfach nicht vergessen. Er hatte sich so unbeholfen angestellt, wie ein kleiner Junge, obwohl er mehr Mann war, als Mulder es je hätte sein können. Einen Augenblick hielt sie inne und dachte über ihre eigenen Gedanken nach.

Wann hatte sie angefangen, Doggett und Mulder zu vergleichen?



Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie die Beiden von Anfang an verglichen. Sie hatte neben Doggett gesessen und ihm dann einen Becher Wasser ins Gesicht geschüttet, ja, da schon hatte sie ihn mit Mulder verglichen. Doch jetzt war es anders. Nicht mehr er wurde verglichen, sondern sie verglich Mulder mit Doggett, begann heimlich in ihrem Inneren Doggetts Vorzüge aufzuzählen.



Sie liebte Mulder ohne Gleichen. Ihr Leben schien sinnlos ohne ihn, ihre ganzen Energien waren für die Suche nach ihm drauf gegangen und doch... es schien, als sei all die Faszination am Verpuffen.

Wie konnte das sein? Wie war es möglich, dass sich ihre acht Jahre anhaltende Liebe zu Mulder so plötzlich abnutzte?



Sie ging ans Fenster und sah hinaus, ohne jedoch wirklich etwas anzusehen.



Es war im Krankenhaus gewesen. Doggett war zu ihr gestürzt und hatte sie in den Armen gehalten, so wie Mulder früher. Sie hatte das Bedürfnis gehabt, sich von Mulder trösten zu lassen, in seinen starken Armen zu liegen, doch da war Doggett gewesen und nicht Mulder. Sie hatte es hingenommen, akzeptiert und sie wusste, es war im Prinzip der Anfang vom Ende gewesen.



Dann seine Geste am Krankenbett. Ja, darüber hatte sie vor einem kurzen Augenblick schon einmal nachgedacht. Aufgrund dieses Gedankens hatte sie über ihre Beziehung zu Mulder nachgedacht, über ihre Vergleiche.



Und schon wieder schweifte sie ab, obwohl sie sich lediglich an den Augenblick erinnern wollte, als Doggett ihr eine Genesungskarte zwischen die Hände schob und sie erstaunt aufsah. Unbeholfenheit, obwohl er in ihren Augen nun wirklich alles andere als das war. Ja seine Unbeholfenheit war so fremd und doch so vertraut gewesen. Irgendwie hatte sie diese Geste überrascht, hatte sie gefangen genommen.



Das war nicht der knallharte Mann gewesen, der für Kersh arbeitete, das war nicht der Mann gewesen, dem sie das Wasser ins Gesicht geschüttet hatte, mit dem sie mitten in der Wüste gestritten hatte, nein, er war der Mann, dem sie von diesem Augenblick und spätestens, nach seiner Ankündigung, er würde die X-Akten bearbeiten, Respekt gezollt hatte.

Er wusste nicht worauf er sich einließ, wusste noch nicht einmal, was für ein Mensch sie wirklich war und dennoch versprach er ihr, Mulder zu finden, versprach er ihr, Mulders Arbeit mit ihr fortzusetzen.



Sie schüttelte den Kopf und versuchte klar zu denken, Doggett, Mulder und wen auch immer aus ihren Gedanken zu verbannen.

Sie wandte ihren Blick wieder vom Fenster ab und steuerte auf ihre Küche zu. Ein starker Kaffee würde ihr vielleicht helfen, wieder klar zu denken. Nein, sie blieb unschlüssig stehen, sie war schwanger, Kaffee war tabu, jedenfalls ein derartig starker, wie sie ihn jetzt brauchen könnte.

Also musste eine heiße Tasse Kakao herhalten. Sie holte Kakaopulver aus dem Schrank, setzte Wasser auf und starrte abwartend auf den Topf. Es gab noch so viele Dinge, die sie erledigen wollte, doch im Moment konnte sie sich nicht dazu aufraffen. Selbst während sie Wasser aufsetzte, schweiften ihre Gedanken immer nur in eine Richtung.



Ein merkwürdiges Geräusch an der Tür ließ sie jedoch aufhorchen, dann erklang ein Klopfen.

Scully ließ alles stehen und ging zur Tür, warf einen Blick durch den Spion und lächelte dann. Als die Tür sich öffnete, war das Lächeln einem freundlichen Gesichtsausdruck gewichen, der ihre innere Zufriedenheit und ihre Freude bei weitem nicht darstellen konnte.



"Agent Doggett, was machen Sie hier?" Scully schloß die Tür, nachdem sie ihn herein gebeten hatte.

"Ich wollte mich nur erkundigen, wie es Ihnen geht." Seine Miene war freundlich, aber so verschlossen wie immer. Sie wusste, dass er sich hinter einer Maske versteckte und nie seine wirklichen Gefühle offenbart hätte, doch instinktiv wusste sie, dass er sich freute, zu sehen, dass es ihr gut ging.

"Warum sind Sie nicht einfach hereingekommen?" Scully ging zurück zu ihrem Wasser und hob den Topf von der Platte.



Aus Sicherheitsgründen hatte sie Doggett vor einigen Wochen einen Schlüssel zu ihrer Wohnung gegeben. Mulder war bisher immer der einzige gewesen, doch sie vertraute ihrem neuen Partner. Zu ihrem Erstaunen hatte Doggett in einer ähnlichen Geste reagiert und ihr seinen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt. Beide hatten sie etwas verlegen voreinander gestanden, dann hatten sie sich angelächelt und die Schlüssel in ihren Taschen verschwinden lassen.

Scully konnte sich noch ganz genau an ihr gleichzeitiges: "Nur für den Notfall!" erinnern, was sie zum Lachen gebracht hatte.



"Das wäre doch nicht höflich!", antwortete er auf ihre zuletzt gestellte Frage und kam zu ihr, um ihr den heißen Topf Wasser aus der Hand zu nehmen.



Es ergab sich dadurch eine derart vertraute Situation zwischen ihnen, dass Scully nicht anders konnte, als sich vorzustellen, wie es wohl wäre Agent Doggett ständig um sich zu haben.

Just in diesem Augenblick öffnete sich erneut die Wohnungstür und Mulder betrat den Raum. Scully zuckte unwillkürlich zusammen und aus der vertrauten, harmlosen Geste von Agent Doggett wurde etwas verfängliches, unerlaubtes, was es nie gewesen war.



"Mulder", lächelte sie erstaunt und musste daran denken, dass Doggett vor wenigen Augenblicken etwas von "das wäre doch nicht höflich" gesagt hatte.

Mulder sah es als selbstverständlich, in ihr Privatleben einzudringen, vielmehr hielt er sie für sein Privatleben, was sie ja auch größtenteils war... Ja, sie war sein Privatleben, irgendwie zumindest, doch auch wenn sie es immer als normal empfunden hatte, jetzt störte es sie. Sie lernte gerade, dass es Männer gab, die einen höflich und zuvorkommend behandelten, wie oft hatte sie solche Gesten von Mulder erfahren? Zu selten, entschied sie!



"Hi, ich wollte nur sehen, wie es dir geht." Er wirkte etwas irritiert, weil Doggett noch hinter Scully stand, doch er sagte nichts dazu.

"Ist ja nett, dass sich alle so um mich sorgen...", lächelte sie und nahm Doggett den Topf Wasser wieder aus den Händen. Noch immer bestand zwischen ihnen eine Nähe, die sie nicht beschreiben konnte, während Mulder lediglich in der Tür stand und beobachtete.

"Möchtest du auch einen Kakao?", wandte sie sich an ihren ehemaligen Partner und Freund, doch er verneinte.

"Sie, Agent Doggett?", lächelte Scully ihn an, ohne jedoch Mulder dabei aus den Augen zu lassen.

Doggett hob die Hände und machte einen Schritt zurück. Sein Gesicht war wieder eine undurchschaubare Maske, doch sie wusste, dass er hin- und hergerissen war.

"Ich werde jetzt gehen, Agent Scully. Aber danke für das Angebot!"



Sie nickte und er machte kehrt, drängte an Mulder vorbei und wenig später hörte sie die Wohnungstür zuschlagen. Irgendwie tat es ihr leid, dass er gegangen war, andererseits jedoch war da eine gewisse Erleichterung in ihrem Inneren.



Mulder löste sich nun vom Türrahmen und kam auf sie zu. Es schien ihr zu früh, noch hatte sie nicht all ihre Gedanken und Gefühle sortiert. Doch als er sie in die Arme schloß und sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen konnte, da war sie selig.



"Geht es dir wirklich gut? Du wirkst so verstört?" Mulder küßte sie auf den Haaransatz und murmelte seine Worte in ihr Haar.

Scully spürte, wie seine Stimme die Schmetterlinge in ihrem Inneren tanzen ließ und fragte sich einmal mehr, warum sie vorhin an Doggett hatte denken müssen.

"Mir geht es gut, ich bin durch die Schwangerschaft nur ein wenig extrem, was meine Gefühle angeht", erwiderte sie in sein Hemd.

"Wie soll ich das verstehen?" Er richtete sich auf, so dass sie ihre Position aufgeben musste und sah ihr in die Augen.

Sie seufzte. Sicher, für Mulder war das schwer zu verstehen, ja, eigentlich war es für jedermann schwer zu verstehen: "Ich bin entweder sehr überdreht oder sehr nachdenklich, das wollte ich damit sagen." In ihren Augen stand eine entscheidende Frage. Sie wollte wissen, ob er sie verstand, ob er versuchte, sie zu verstehen.

Mulders Reaktion war jedoch nicht die erwünschte. Statt ihr eine Antwort zu geben und sei es auch nur mit den Augen, so zog er sie wieder an sich und hielt sie fest: "Schon ok, ich werde schon damit klar kommen."

Er! Da war es wieder. Das Kribbeln im Magen verschwand und zurück blieb nur die Ernüchterung. Scully löste sich aus seiner Umarmung und fuhr sich durchs Haar: "Ok, mein Kakao wird kalt."

Mehr brachte sie nicht hervor. Verdammt, sie liebte ihn, er war das, was sie sich immer gewünscht hatte und er war ihr nach seinem Wiederauftauchen so viel näher gekommen, als je zuvor, dennoch schien es nicht zu funktionieren, nicht mehr...

"Mulder...", sie versuchte etwas zu sagen, doch sie schaffte es nicht.

"Gut, ich werde dann wieder gehen und dich allein lassen, ist das ok?"



Sie sah ihn nicht an, nickte nur in ihre Tasse und hörte dann, wie er ging. Ihr war klar, dass ihn die X-Akten lockten, dass er wissen musste, was Agent Doggett in seinen Sachen zu suchen hatte.

Scully haßte diesen elenden Konkurrenzkampf.

Natürlich war Mulder nicht alleine Schuld, Doggett hatte seinen Teil dazu beigetragen, sich unbeliebt bei Mulder zu machen, doch es war an der Zeit, endlich vernünftig zu werden.

Als die Tür zu fiel, atmete Scully aus. Was ging nur vor? Warum veränderte sich alles? Fragen über Fragen, auf die sie keine Antwort kannte, doch eine finden musste.





Die Tür des Büros stand offen. Scully fühlte sich hier bald mehr zu Hause, als in ihrer eigenen Wohnung, doch es war auch merkwürdig, war sie doch nun eine Fremde in diesem Büro.

In Gedanken strich sie über das Schild von Mulder, nur um sich dann umzudrehen und auf Doggetts Schild zu starren. Lag es an der Schwangerschaft, dass sie derartige Gedanken hatte? Konnte sie deswegen nicht klar und vernünftig denken?



Langsam schlenderte sie zu Doggetts Platz und strich über sein Schild.

Als sie ein Räuspern in der Tür vernahm, zuckte sie zusammen und drehte sich um. Skinners Sekretärin stand in der Tür und begutachtete mit einem ahnenden, vielmehr wissenden Blick ihre Gesten.

So schnell es ging, zog Scully ihre Hand von Doggetts Schild weg und sah Skinners Sekretärin fragend an.



"Agent Scully, ich habe hier etwas für Sie. Ich weiß nicht, warum es bei mir abgegeben wurde, aber Ihr Name steht drauf!" Sie reichte Scully eine längliche Schachtel, auf der mit Filzstift Dana Scully geschrieben stand. Irritiert nahm Scully die Schachtel entgegen und bedankte sich bei Skinners Sekretärin, die dann verschwand.



Wer machte ihr Geschenke, und vor allem, wer schickte ihr die ins FBI?

Neugierig legte sie die Schachtel auf Doggetts Tisch und öffnete sie. Eine langstielige rote Rose kam zum Vorschein und verdutzte sie. Wer schenkte ihr rote Rosen? Scully sah noch einmal in die Schachtel und erhoffte, eine Karte oder so zu finden, doch das Kärtchen, was sie tatsächlich fand, sagte nicht genügend über den Absender aus.

"Für Dana!", stand dort geschrieben, doch selbst die Handschrift konnte sie nicht entziffern.

Wer würde ihr eine langstielige Rose schenken und auch noch ins Büro schicken lassen? Sie kam zu dem Schluß, dass es einer ihrer Partner gewesen sein musste oder Skinner. Skinner, weil seine Sekretärin ihr die Rose gebracht hatte. Mulder, weil er ihr etwas Nettes schenken wollte oder Doggett, weil... ja weil was? Weil sie deutlich spürte, wie gern er sie hatte? Weil sie ihn auch sehr gern hatte? War es ein Abschiedsgeschenk für sie oder mehr?



Sie ließ sich matt auf den Stuhl sinken und sah die Rose an. Oh je, ihr Gefühlsleben war so oder so schon reichlich durcheinander, wie konnte ihr jemand in diesem Augenblick so etwas antun? Wusste derjenige denn nicht, dass sie schon so genug Probleme mit ihren Gefühlen hatte? Nein, es konnte ja keiner wissen, schalt sie sich selber und verschloß die Schachtel.
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