World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

John Doggett

von Steffi Raatz

1/1

Als wir heute Morgen im Büro aufeinander trafen, da war ich wütend, da habe ich sie verachtet, doch jetzt? Wir sitzen in einer kleinen Bar, nachdem wir uns den halben Tag gestritten haben und uns die unterschiedlichsten Theorien gegenseitig an die Köpfe warfen. Es soll ein Versöhnungsversuch sein. Wir wollten mit einander reden.

Jetzt sitzen wir hier. Sie nippt an ihrem Glas Ginger Ale, während ich eine Bloody Mary trinke. Ich denke, ich werde was Alkoholisches benötigen, während wir reden.

Es ist merkwürdig, aber der erste Eindruck von Dana Scully war ein guter. Sie wirkte verlassen auf mich, bedrückt, einsam und doch stark. Ihre Art schien mir sympathisch. Doch je länger wir miteinander arbeiten, desto weniger mag ich sie. Ich bin ein aufgeschlossener Mensch, aber ich kann einfach nicht begreifen, daß sie die Ansichten ihres ehemaligen Partners so vehement verteidigt.

Ich sehe auf meine Uhr und muß feststellen, dass wir uns schon ganze zehn Minuten nur anschweigen. Keine gute Basis für eine Aussprache. Doch will ich wirklich eine Aussprache? Na ja, vielleicht wäre es schon gut, sie zu verstehen, vielleicht würde uns das bei unseren Ermittlungen weiterhelfen.

Wir führen schließlich ein berufliches Gespräch, das hier hat nichts mit meiner privaten Abneigung zu tun.

„Was ist Ihr Problem?“, beginne ich einfach so das Gespräch und merke sofort, dass ich falsch angefangen habe.

„Sie!“, bekomme ich entsprechend auch glatt als Antwort.

Wunderbar, hätte ich mir denken können. Agent Scully ist nicht auf den Mund gefallen. Sie ist die sprichwörtliche Kratzbürste und der Name Ice-Queen, den ich schon mehrfach im Hauptquartier gehört habe, scheint immer mehr zu passen.

„Gut, also was ist unser Problem?“ Ich betone das -unser- ganz bewußt und erwarte ihre trotzige Antwort, doch sie folgt nicht. Alles was folgt, ist Schweigen.

Großartig, das ist also unsere Aussprache. Ich leere mein Glas Bloody Mary und bestelle mir sogleich mein zweites. Ich wusste ja, ich würde Alkohol brauchen, um den Abend zu überstehen.

Komischer Weise geht mir ihre erste Antwort nicht aus dem Sinn. Bin ich wirklich ihr Problem? Ich denke nicht. Vermutlich kenne ich ihr Problem sogar und dennoch beschäftigt es mich.

Meine zweite Bloody Mary landet vor mir auf dem Tisch und plötzlich holt Scully Luft und beginnt zu erzählen: „Okay, wir wollten uns aussprechen, also fang ich einfach mal an...“

Ich verschlucke mich fast an meinem Getränk, weil ich nicht mit ihrem Einsatz gerechnet habe und bekomme einen leichten Hustkrampf.

Sie sieht mich an: „Wenn ich nicht...“

„Doch, doch; erzählen Sie!“, röchele ich und versuche, das Kratzen aus meinem Hals zu bekommen, damit ich nicht mehr Husten muß.

Sie reicht mir ihr Glas Ginger Ale und einen Moment lang bin ich tatsächlich versucht, es zu ergreifen, doch dann lehne ich ab.

Mein Husten beruhigt sich langsam und sie beginnt wieder zu erzählen.



Kurze Zeit später...

Unterdessen steht die vierte - oder ist es gar die fünfte - Bloody Mary vor mir auf dem Tisch. Agent Scully hat ihre Geschichte erzählt und ich fühle mich komisch.

Vielleicht fühle ich mich ja so eigenartig, weil ich sie verstehe. Es kommt mir so bekannt vor, erinnert mich an mein eigenes Leben, an mein Kind, an den Verlust, den Schmerz.

Es ist merkwürdig, wie verbunden ich mich ihr auf einmal fühle.

„Ihre Geschichte, John!“ Sie lächelt ein wenig gequält.

Ich frage mich, ob ich ihr davon erzählen soll. Doch sie war so ehrlich zu mir, wie ich es nicht erwartet hätte, warum soll ich also nicht auch ehrlich zu ihr sein?

Meine Finger spielen mit der Serviette, die auf dem Tisch vor mir liegt und ich spüre eine gewisse Nervosität aufkommen.

„Ich erzähle nicht oft jemandem von mir“, beginne ich in der Hoffnung, sie würde abblocken und ich komme um das Erzählen herum, doch dem ist nicht so. Sie sitzt da und sieht mich abwartend an.

Doch statt zu beginnen, bestelle ich noch eine Bloody Mary und merke bereits, wie der Alkohol mein Denken beeinträchtigt. Ihr Glas Ginger Ale ist ebenfalls leer und so bestelle ich für sie gleich mit.

Tja, nun sitze ich schweigend da, starre die Tischplatte an und versuche über meinen eigenen Schatten zu springen.

Bisher habe ich mein Leben, meine Geschichte immer für mich behalten. Selbst den Menschen, denen ich nahe stand, habe ich nichts erzählt, werde ich nichts erzählen. Es ist mein Schmerz, mein ganz persönlicher.

Und dennoch... ich sehe hoch und in ihre Augen. Ich vertraue ihr. Merkwürdigerweise scheine ich sie nicht unbedingt zu mögen, doch ich vertraue ihr.

Die Bloody Mary wird vor mir auf den Tisch gestellt, doch ich schiebe sie zur Seite. Das erste Vernünftige, was ich heute mache.



Etwas später...

Schweigend starre ich in mein Glas. Es ist noch nicht einmal zur Hälfte geleert, und das obwohl es schon geraume Zeit vor mir steht. Doch ich kann nichts mehr trinken. Es ist komisch, endlich mal einem Menschen von meiner Vergangenheit, von meinem Sohn und dem Verlust erzählt zu haben. Ich verstehe zwar selbst nicht, warum ich ausgerechnet Agent Scully meine Geschichte erzählt habe, aber genau das schien das richtige zu sein.

Weil ich mich beobachtet fühle, sehe ich auf und ihr direkt in die Augen. Sie hat schöne Augen, ruhig und voller Kraft. Kraft, die sie braucht, um das zu überstehen, was ihr widerfahren ist.

Sie legt ihre Hand auf meine, doch sie sagt nichts, sieht mich nur an. Irgendwie fühle ich mich verstanden.

Liegt es an der Bloody Mary oder an ihr? Ich kann es nicht mehr richtig einschätzen, dennoch weiß ich jetzt, dass ich sie unterschätzt habe. Sie ist weder eine Verrückte, noch meine Gegnerin. Ich begreife endlich, was in ihr vorgeht und habe den tiefen Drang ihr zu helfen.

Noch immer sehen wir uns in die Augen. Noch immer liegt ihre Hand auf meiner. Zum erstenmal in meinem Leben fühle ich mich wirklich verstanden.

Jetzt geht es mir wieder so, wie vor einigen Tagen, als ich sie im Krankenhaus am Boden fand. Ich hatte das Bedürfnis, sie in meine Arme zu nehmen und zu trösten, spürte ihre Tränen auf meinem Hemd. Damals, für einen kurzen Augenblick, da fühlte ich mich ihr verbunden so wie jetzt. Da waren wir uns nah... so wie jetzt.

Ich lege meine andere Hand auf ihre, so dass ihre Hand jetzt zwischen meinen Händen liegt. Für einen kurzen Augenblick zuckt sie zusammen, sieht auf unsere Hände, ebenso wie ich. Dann richtet sich ihr Blick wieder auf, trifft auf meinen.

Wir sehen uns an und ich spüre eine Wärme in mir, wie schon lange nicht mehr.

„Ich werde alles tun, um Mulder zu finden“, verspreche ich leise, dennoch bestimmt.

Sie nickt und legt ihre Hand nun auch noch auf meine. Wie automatisch verschlingen sich unsere Hände ineinander. Meine rechte mit ihrer linken, meine linke mit ihrer rechten.

„John, ich danke Ihnen“, ihre Stimme ist ruhig, aber über ihre Finger spüre ich das leichte Zittern ihres Körpers. Sie ist aufgewühlt. Vermutlich mehr als ich.

Ich nicke ihr zu und drücke sanft mit meinen Händen zu, um ihr meinen Trost mitzuteilen.

„Möchten Sie noch etwas trinken?“ Die Kellnerin steht neben uns am Tisch, doch wir haben es gar nicht mitbekommen. Ich sehe Scully an und diese schüttelt den Kopf.

„Wir möchten nichts mehr, danke!“, antworte ich, doch die Kellnerin geht noch nicht.

„Ich kann Ihnen auch noch einen schönen Cocktail bringen. Wir haben ein süffiges Ensemble mit zwei Strohhalmen im Angebot.“ Sie zwinkert mir zu. Scheinbar vermutet sie, dass Scully und ich zusammen gehören.

„Danke, wir möchten wirklich nichts!“, sage ich nun bestimmter und Scully ergänzt, „Keinen Alkohol, danke, ich bin schwanger!“

„Oh, dann gratuliere ich...“, lächelt die Kellnerin und will mir ihre Hand reichen.

„Nein... nein, wir sind nur... Freunde?“, ertönt Scullys Stimme und ich sehe zu ihr hinüber.

Freunde?

Wir sehen uns an. Könnten wir wirklich Freunde sein?

„Meinen Sie, wir könnten Freunde werden?“ Ich habe eine belegte Stimme.

Ihre blauen Augen fixieren meine und diesmal durchfährt meinen Körper ein Zittern.

„Vertrauen Sie mir?“ Ihre Stimme ist leise und doch sehr klar.

„Ich werde es versuchen“, erwidere ich, doch im Grunde tue ich es schon.

Sie nickt.

„Vertrauen Sie mir?“, frage ich zurück und ernte ein Lächeln.

„Ich werde es versuchen.“

Fast gleichzeitig erheben wir uns von unseren Stühlen, unsere Hände gleiten auseinander und irgendwie habe ich das Gefühl, dass plötzlich etwas fehlt. Etwas vertrautes, etwas notwendiges.

Ich lege Geld auf den Tisch und nicke der Kellnerin, die drei Tische entfernt ist zu, dann drehe ich mich wieder zu Scully um.

Sie reicht mir meine Jacke, die ich auf einen der Stühle lege, um ihr in ihre zu helfen.

Noch während ich ihr die Jacke über die Schultern lege, habe ich das Gefühl, dass sich in mir ein noch tieferes Gefühl für meine Kollegin entwickeln könnte. Dabei dachte ich, ich könne sie nicht leiden.

Meine Hände liegen einen Augenblick länger auf ihren Schultern und sie dreht ihren Kopf zur Seite, sieht mich an.

In ihren Augen kann ich lesen, dass sie mich mag, dass sie sich mir verbunden fühlt, doch ebenso sehe ich ihre Sehnsucht nach Mulder.

Ich lasse sie los, ziehe meine eigene Jacke an.

Plötzlich spüre ich ihre Hand an meiner. Reflexartig verschlingen sich unsere Hände miteinander, wie zuvor am Tisch. Ich hebe meinen Kopf und sehe ihr wieder in die Augen.

„John Doggett“, mehr sagt sie nicht, doch ich spüre, wie es mich berührt. „Ich glaube, ich werde dich mögen!“ Sie lächelt zaghaft.

In mir drin, breitet sich ein Gefühl von Wärme und Zufriedenheit aus. Ich lege meine Hand an ihre Wange und streiche vorsichtig über ihre Haut.

„Wir werden ihn finden!“, ist alles was ich sage. Etwas sagt mir, dass sie weiß, dass ich sie ins Herz geschlossen habe. Sie ist eine kluge Frau.

„Das werden wir, John“, erwidert sie und zieht mich mit sich zum Ausgang.

„Das werden wir...“, wiederhole ich leise und weiß, dass ich eine neue Freundin und Verbündete habe. Doch ich hoffe, sie wird auch noch dann meine Freundin sein, wenn wir Mulder nicht finden werden, ich hoffe es sehr...





Ende
Rezensionen