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Wärme und Kälte

von aubrey

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John hatte keinen Urlaub nehmen wollen, aber Skinner hatte darauf bestanden. Seiner Meinung nach brauchten er und Monica nach dem Stress der letzten Wochen und Monate eine kleine Auszeit. John hatte eigentlich Barbara besuchen wollen. Er hatte schon so lange keinen Urlaub mehr gemacht, dass ihm nichts besseres einfiel. Als Monica ihn aber fragte, ob er sie auf einen Skiurlaub begleiten möchte, hatte er nach kurzem Nachdenken zugestimmt. Das würde auf jeden Fall mehr Spaß machen, als den ganzen Tag den traurigen und anklagenden Blick seiner Ex-Frau ertragen zu müssen.



Also, da waren sie nun am Washington National Flughafen und warteten auf ihren Flug nach Lyon, Frankreich.

Monica telefonierte gerade mit ihrer Mutter, die vor einigen Tagen in eine neue Wohnung umgezogen war und erstaunlich wenig dazu in der Lage war, Ordnung in ihr Leben zu bringen.

John sah ihr beim Telefonieren zu und musste unwillkürlich lächeln, als er ihre Stirnfalten und ihren genervten Blick bemerkte. „Ja, Mum... Nein, keine Angst... Ja, werde ich... Natürlich sind wir nur Freunde, was denkst du denn?“

Johns Lächeln wurde unsicherer. War sie sich dieser Sache so sicher? Er war es mittlerweile nicht mehr, sie hatte ihn gehörig durcheinander gebracht. Er wusste nicht genau, was er ihr gegenüber fühlte, aber nach ihrem Autounfall hatte er ein so tiefes Gefühl der Leere und Hilflosigkeit gespürt, dass er sich der „nur Freundschaft“ nicht mehr so sicher war.

„Hey, alles klar?“, schreckte ihn Monica aus seinen Gedanken. In den Händen hielt sie zwei Pappbecher mit Kaffee.

„Ja, ich war nur gerade etwas in Gedanken.“ Er nahm ihr die Becher ab und rappelte sich auf dem unbequemen Flughafenstuhl auf.

Monica seufzte. „Unser Urlaub geht ja gut los. Ich glaube, mit Laufen wären wir schneller gewesen.“

John grinste. „Aber dann trägst du die Koffer, ja?“

Bevor Monica antworten konnte, ertönte die Lautsprecheranlage: „Alle Passagiere für Flug 279 nach Annecy bitte an Schalter 8 einchecken. Halten Sie Ihre Tickets bereit.“

„Na endlich“, sagte John und ergriff seinen und Monicas Koffer. Sie riss ihm ihren beinahe aus der Hand.

„Schon gut, ich bin ein starkes Mädchen, ich werde ihn selbst tragen.“



Eine Stunde später saßen sie endlich auf ihren Plätzen im Flugzeug. Die Stewardess ging herum und verteilte „Willkommensgeschenke“, die aus winzigen Präsentkörben bestanden.

John machte es sich, so gut es ging, bequem. „Ich glaube, ich werde etwas Schlaf nachholen. Weck mich, wenn wir da sind.“

„Okay“, erwiderte Monica auf ihrem Fensterplatz. Ihr war es unmöglich in Flugzeugen zu schlafen. Stattdessen setzte sie sich die flugzeuginternen Kopfhörer auf, lugte aus dem Fenster und ließ sich von Bob Dylan berieseln.



9 Stunden später landeten sie auf dem Saint Exupéry Flughafen in Lyon. Ihr Mietauto wartete schon auf dem Parkplatz. Es würde sie in das Skigebiet Val d’Isère bringen. Monica holte die Schlüssel von der Information ab, während John ihre Koffer zum Auto brachte.

Der Urlaub war ebenso herrlich wie das Wetter. Endlich konnten sie einmal fern aller Großstadthektik und FBI-Büros entspannen. Sie fuhren jeden Tag bis es dunkel wurde Ski und kehrten dann erschöpft in ihre gemütlichen Hotelzimmer zurück – natürlich in getrennte. Manchmal gingen sie abends noch in ein kleines Restaurant im Ort und probierten kulinarische Köstlichkeiten des Landes.

An einem dieser Abende hielt Monica John auf, bevor er in seinem Zimmer verschwinden konnte. John spürte ihre Hand auf seinem Arm und drehte sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihr um. „Hm?“

Monica schaute einen Moment verlegen zu Boden, aber dann zwang sie sich dazu ihm in die Augen zu sehen. „Gefällt dir der Urlaub bis jetzt?“, fragte sie ihn.

John sah sie verdutzt an. „Ja, natürlich, das habe ich dir doch schon gesagt. Das Skifahren...“ „Ich meine nicht das Skifahren, ich meine wie es dir gefällt, den Urlaub mit ...mir zu verbringen?“

John wirkte unsicher. Er fragte sich, worauf sie hinaus wollte, hier zwischen Tür und Angel. Kam es ihr etwa so vor, als wäre es ihm unangenehm, seinen Urlaub mit ihr zu verbringen? John sah sie an, sah ihr glänzendes, dunkles Haar, ihren leicht geöffneten Mund und ihre gütigen, liebevollen Augen. Er genoss es, in ihrer Nähe zu sein, mit ihr zu lachen und zu diskutieren. Aber genügte das, um sie zufrieden zu stellen? Oder mehr noch, um ein gemeinsames Leben zu führen? Er sah es ihrem Gesichtsausdruck an, dass sie aus dem, was er nun sagen würde, eine indirekte Antwort auf diese Frage ableiten würde. Aber zu so einer Entscheidung war John nicht oder noch nicht bereit.

„Es ist schön, den Urlaub mit dir zu verbringen, das bringt etwas Abwechslung in den Alltag.“

‚Aha, so sieht er das also‘, dachte Monica. Als Abwechslung. Warum sah er nicht, wie sehr es sie anstrengte, ihre Gefühle vor ihm zu verbergen? Damals, als sie an seinem Krankenbett stand und den Stecker zog, musste es offensichtlich für ihn gewesen sein. Aber das war ein anderer John gewesen. Dieser Mann, der jetzt vor ihr stand, hatte ihre Liebe für ihn nicht gesehen, er hatte sich nur über ihre Tränen gewundert. Am liebsten hätte Monica sein Gesicht in ihre Hände genommen und ihn geküsst, anstatt ihn zu umarmen. Aber sie konnte es nicht, und jetzt wusste sie auch warum. Er empfand keine Liebe für sie, höchstens freundschaftlicher Natur. Sie zwang sich dazu, sich nichts anmerken zu lassen.

„Ja, das finde ich auch. Na dann gute Nacht, John. Wir sehen uns morgen.“

John nickte und ging in sein Zimmer. Monica blieb noch eine Weile vor seiner Tür stehen, aber als ihr klar wurde, dass er nicht noch einmal heraus kommen würde, ging sie ebenfalls in ihr Zimmer.



Sie lagen beide noch sehr lange wach in dieser Nacht. John wälzte sich in seinem Bett hin und her und schlief schließlich ein. Er träumte, dass er zu Monica ins Zimmer ging und ihr sagen wollte, dass es ihm leid tat. Aber sein Mund war irgendwie verklebt und es gelang ihm nicht, Monica zu wecken.

Monica schlief erst gar nicht ein, sondern machte sich eine Tasse Tee und setzte sich ans Fenster. Wovor hatte John Angst? Hatte sie sich so in ihm getäuscht? Oder war er nur ein guter Schauspieler, ein noch besserer als sie? Sie konnte es nicht wirklich glauben, dass sie sich seine Liebe nur einbildete. Sie hatte sie doch ganz deutlich gespürt, als er bei ihr im Krankenzimmer gewesen war und sie verzweifelt einen Weg zurück in die Wirklichkeit gesucht hatte. Oder hatte sie es sich doch nur eingebildet, weil sie es wollte? Als sich Monica schließlich doch ins Bett legte, beschloss sie, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Dann schlief sie ein. Ihr Schlaf blieb traumlos.



Am nächsten Morgen, dem vorletzten Tag ihres Urlaubs, taten beide so, als hätte ihr verwirrendes Gespräch am letzten Abend nie stattgefunden.

Sie fuhren wieder Ski. Monica war die erfahrenere Skifahrerin von beiden und war John immer etwa 100 Meter voraus. Es war die vorerst letzte Abfahrt vor ihrer Mittagspause, als Monica doch wieder begann, über John nachzudenken. In diesem Augenblick der Unaufmerksamkeit verhedderte sich Monicas linker Ski unter einem aus dem Schnee herausragendem Tannenast und sie stürzte. Sie konnte sich zwar mit den Händen abfangen, schlug aber mit dem rechten Fuß hart auf dem festgefahrenen Schnee auf, da sich ihr rechter Ski gelöst hatte. Monica fühlte einen stechenden Schmerz im Knöchel, dann wurde ihr Kopf von dem sich verselbständigten Ski getroffen und ihr wurde schwarz vor Augen.

Als sie wieder zu sich kam, war John bei ihr, der den Sturz gesehen hatte und sofort zu ihr gefahren war. Sie schaute ihn benommen an, dann klärte sich ihr Kopf wieder und sie sah die Furcht in Johns Augen. „Monica! Ist alles in Ordnung? Hast du dir weh getan?“

‚Natürlich habe ich mir weh getan, und du warst der Grund dafür, siehst du das denn nicht?‘, wollte sie ihm ins Gesicht schreien. Stattdessen kam nur ein gemurmeltes „Hm“ aus ihrem Mund. John schnallte sich seine Ski ab und half ihr auf. „Aua, mein Fuß“, stöhnte Monica und legte instinktiv einen Arm um Johns Hals, um nicht wieder hinzufallen. Er legte ihr seinerseits einen Arm um die Taille.

„Ich werde dich zu dieser Hütte dort drüben bringen“, sagte John und deutete auf eine winzige Holzhütte am Rand der Skipiste. „Dann fahre ich zum Lift und hole Hilfe. Die werden sich sicher auf so einen Bergrettungsschlitten legen und nach unten bringen.“

Monica nickte und humpelte mit Johns Hilfe in Richtung der Hütte. Plötzlich hörten sie ein Grollen und Rumpeln, wie von einem schweren Gewitter. Monica wusste sofort, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. „John, eine Lawine...“

John wusste es offenbar auch, denn er zog sie immer schneller mit sich zur Hütte. Da sah Monica auch schon die weißen Schneemassen, die sich ihren Weg nach unten bahnten.



Ein paar Sekunden später warf John die Tür hinter ihnen zu.



Als die Lawine sie erreichte, schrie Monica. Die Fenster der, der Lawine zugewandten, Seite barsten mit einem lauten Knall und weißer Schnee ergoss sich ins Innere. John zog Monica zur anderen Seite und sie kauerten sich auf den Boden, die Hände schützend über den Kopf haltend. Dann wurde es still und dunkel, ein gewaltiger Unterschied zu dem Lärm, der soeben noch geherrscht hatte. Monica blinzelte und machte die Augen auf, die sie vor Schreck geschlossen hatte. Sie konnte nur schemenhafte Umrisse erkennen.

„Monica, alles in Ordnung?“, fragte John.

„Nein, es ist nicht alles in Ordnung“, fuhr Monica ihn an. „Wie kommen wir denn jetzt hier raus?“ Panik machte sich in ihr breit und sie zwang sich dazu, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Entschuldige, das war nicht so gemeint. Du kannst ja auch nichts dafür.“

John hielt sie an den Schultern. „Schon gut, Monica. Uns wird schon etwas einfallen, wie wir hier rauskommen. Erst einmal müssen wir uns um deinen Fuß kümmern, so gut es geht.“ Den hatte Monica ganz vergessen, durch den Schreck hatte sie gar nichts mehr gespürt. Doch jetzt kamen die Schmerzen wieder an die Oberfläche, als hätten sie nur auf ein Stichwort gewartet. Sie nickte und versuchte ihren Schuh auszuziehen. Sie bekam die Schnalle nicht auf, sie hatte sich verbogen. Ihr Fuß fühlte sich wie ein großer, unbeweglicher kalter Klumpen an. John versuchte sein Glück und bekam den Fuß nach einer Weile frei. Als er ihr den Schuh über den Knöchel zog, musste Monica die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien.

„So das hätten wir“, bemerkte John und zog ihr auch noch den Skistrumpf aus. Ihr Knöchel war dick angeschwollen, als er mit den Fingern darüber fuhr. „Am besten, wir kühlen ihn erst einmal, um die Schwellung zu mindern“, sagte John, legte ihren Fuß sanft ab und tastete sich zur andern Seite der Hütte vor, um etwas Schnee zu holen.

„Wenigstens Schnee haben wir genug“, murmelte Monica.

John kam zu ihr zurück. „Ich schätze, das wird jetzt etwas kalt werden.“ Er füllte den Schnee in ihren Strumpf und zog in ihr an. Monica spürte eigentlich keine Kälte, nur einen warmen Schauer, als er sie berührte. Sie dachte daran, dass sie hier wahrscheinlich eine Weile festsitzen würden, bevor Hilfe kam. Wenn überhaupt Hilfe kam...

„Alles okay, Monica?“, fragte sie John.

Sie sah ihm ins Gesicht. „Ja, ich habe nur eben daran gedacht, wie lange wir hier gefangen sein werden und ob Hilfe kommen wird.“

Er sah für einen Augenblick nach unten, aber dann wieder in ihre Augen. „Natürlich wird Hilfe kommen, Monica. Die sind hier Lawinen gewohnt und haben eine entsprechende Ausrüstung.“

„Und wie sieht diese Ausrüstung aus?“

John dachte einen Moment nach. „Lawinenhunde, Hubschrauber, erfahrene Bergrettungsmannschaften, Lawinensonden, VS-Geräte... so etwas in der Art wahrscheinlich.“

Monica griff in ihre rechte Brusttasche und holte ein VS-Gerät hervor. „Meinst du so etwas hier?“ Sie legte das kleine, runde Gerät in seine Hand.

„Ja. Stecke es wieder ein, sonst verlierst du es noch. Eingeschaltet ist es oder?“

„Ja“, sagte Monica und ließ es wieder in ihrer Tasche verschwinden. Dann nahm sie seine Hand, die nervös auf seinem Bein hin- und hergerutscht war, und zwang ihn, inne zu halten. „John, bitte sag mir die Wahrheit, du musst mich nicht beschützen. Du kannst nichts dafür, dass wir hier festsitzen. Wenn jemand Schuld hat, dann bin ich diejenige, weil ich zu dumm und unvorsichtig war. Also bitte sag mir, was du denkst, wie unsere Chancen stehen, rechtzeitig gefunden zu werden, bevor uns die Luft ausgeht.“

Er seufzte. Darüber hatte er auch schon nachgedacht. „Ich weiß es nicht. Keine Ahnung, wie groß dieser Raum ist oder ob es irgendwo ein Luftloch nach draußen gibt.“ Monica sah seinen Umriss flehend an. In ihren Augen stand Angst, aber auch Entschlossenheit geschrieben. Entschlossenheit dazu, die Wahrheit zu erfahren, auch wenn sie sehr schmerzlich sein sollte. „Bitte, John, was denkst du? Du hast doch bestimmt eine ungefähre Ahnung.“

Er drückte ihre Hand. „Vielleicht 24 Stunden, wenn es keinen Luftaustausch gibt.“

Ihr Mut sank. „Meinst du, das reicht um uns zu finden, John?“

„Es kommt darauf an, ob die Hütte vollständig unter dem Schnee begraben ist, und wie schnell sie dein VS-Gerät orten können.“

Monica sah nach oben, dorthin, wo sie das Dach vermutete. „Ich glaube nicht, dass die Hütte vollkommen vom Schnee bedeckt ist. Sie hätte dem Gewicht nicht standhalten können. Vielleicht können wir irgendwie über das Dach hier herauskommen.“

„Ich weiß nicht“, erwiderte John. „Das Licht müsste durch kleine Ritzen und Spalten hereindringen. Aber ich sehe gar nichts. Es ist zu dunkel.“

„Willst du nur hier rumsitzen und nichts tun?“, fragte sie ihn aufgewühlt. „Ich werde jedenfalls alles versuchen um hier rauszukommen.“

„Was willst du denn tun?“, fragte John.

Ohne zu antworten zog Monica ihren linken Schuh aus, rappelte sich auf und humpelte in Richtung der Tür. Sie suchte nach der Türklinke, fand sie und stemmte sich mit aller Kraft gegen die solide Holztür. Sie bewegte sich keinen Millimeter.

John kam zu ihr. „Monica, das hat doch keinen Sinn. Der Druck durch den Schnee ist viel zu groß.“ Sie hörte nicht auf ihn, sondern versuchte es weiter.

Tränen der Verzweiflung und Wut stiegen ihr in die Augen und liefen über ihre Wangen. Sie wischte sie zornig fort. „Ich kann nicht einfach so rumsitzen, verstehst du das denn nicht? Ich muss etwas tun“, schluchzte sie.

John nahm ihre Arme und zog sie sanft, aber bestimmt von der Tür weg. Er hielt sie bei den Schultern. „Monica, du verschwendest nur deine Energie. Du wirst sie noch brauchen. Wir sitzen hier vermutlich ein paar Stunden fest, unsere Körper kühlen aus und wir haben nichts zu essen. Hör auf damit, bitte.“

Sie zwang sich dazu, ihre Tränen unter Kontrolle zu bringen und sah verlegen nach unten in die Dunkelheit. „Du hast ja recht. Ich komme mir nur so hilflos vor, das ist alles.“

„Ist okay, das ist völlig normal, ich kenne dieses Gefühl“, sagte John und dachte dabei an Luke. Damals hatte er sich auch schrecklich hilflos und nutzlos gefühlt. Er war nicht in der Lage dazu gewesen, Lukes Mörder zu finden. Damals hatte Monica ihm geholfen und ihm zur Seite gestanden, nun musste er das gleiche für sie tun. Er nahm sie in die Arme und streichelte ihr sanft über den Rücken. Sie entspannte sich allmählich und schmiegte sich an ihn.



Keiner von beiden wollte sich von dem anderen lösen, aber Monicas Knöchel zwang sie schließlich dazu. Sie spürte sein Gesicht keine zehn Zentimeter von ihrem entfernt, und für einen kurzen Augenblick dachte sie daran, ihn zu küssen, seine Wärme zu spüren und all das hier für eine Weile zu vergessen. Aber was würde das bringen? Die Situation würde sie doch wieder einholen. Stattdessen ließ sie diesen Moment der Spannung vorüber gehen, berührte dann seine Wange und flüsterte ein „Danke“. Dann setzten sie sich und lehnten sich an die Tür. Ihr rechtes Bein streckte Monica aus, das andere zog sie eng an ihren Körper, umschlang es mit ihren Armen und legte ihren Kopf darauf.

Eine Weile saßen sie einfach nur so da und sagten nichts. Monica war kurz vorm Einnicken, als John zu erzählen begann.

„Nachdem Luke ermordet worden war, konnte ich viele Wochen lang nicht richtig schlafen. Ich dachte, wenn ich einschliefe und morgens wieder aufwachte, hätte ich ihn vergessen. Ziemlich dumm, oder? Aber ich konnte einfach nicht aufhören, daran zu denken. Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst, leicht reizbar und wütend auf alles und jeden. Bis ich eines Tages doch einschlief. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Als hätte ich meinen Sohn verraten. Aber ich konnte mich an alles erinnern. Sein Lachen, seine Lebensfreude oder daran, wie seine Augen am Weihnachtsmorgen leuchteten. Danach konnte ich wieder richtig schlafen. Damals konnte ich dir das nicht erzählen, ich habe es nicht einmal Barbara erzählt. Ich kam mir so dumm vor.“

Monica drehte ihren Kopf zu ihm. „Du warst nicht dumm, John. Du hast deinen Sohn verloren.“

„Ja“, sagte er.

Monica legte ihren Kopf auf seine Schulter. Beide waren in Gedanken versunken. Schließlich hatte Monica auch das Gefühl, John etwas persönliches erzählen zu müssen, so wie er es getan hatte. „Wie du weißt, bin ich adoptiert worden. Bis zu meinem 14. Lebensjahr hatte ich keine Ahnung davon. Ich liebte meine Eltern, mein Land Mexiko und meine Sprache. Als ich es erfuhr, brach für mich eine Welt zusammen. Ich zog mich immer mehr zurück und redete mit niemandem mehr. Durch einen Zufall erfuhr ich, wo meine leiblichen Eltern lebten, in Arizona. Ich riss von zu Hause aus und wollte sie suchen. In der Nacht versuchte ich, über die Grenze zu kommen. Natürlich entdeckte man mich. Ich musste eine furchtbar lange Nacht in einem mexikanischen Gefängnis verbringen, ehe meine Eltern mich abholten. Ich habe es nicht noch einmal versucht. Meine Eltern waren sehr böse auf mich, das machte mich traurig. Ich habe mich seitdem immer angestrengt, ihre Erwartungen zu erfüllen. Es machte sie sehr glücklich, als ich schließlich zum FBI ging. Bis jetzt habe ich meine leiblichen Eltern nicht kennen gelernt, aber ich will es auch gar nicht mehr.“

„Ich bin sicher, sie wären sehr stolz auf dich“, sagte John. „Meine Eltern waren das nie, sie wollten nicht, dass ich zu den Marines ging, und sie wollten auch nicht, dass ich Barbara heirate. Ihrer Meinung nach passten wir nicht zusammen. Als wir uns scheiden ließen, fühlten sie sich natürlich bestätigt. Ich hatte schon ewig keinen Kontakt mehr zu ihnen. Jetzt wünschte ich, ich hätte sie wenigstens einmal angerufen.“

„Mach dir keine Vorwürfe, John. Sie hätten sich ja auch bei dir melden können. Immerhin sind sie deine Eltern.“

John schluckte. „Wenn wir das hier überstehen, dann werde ich sie anrufen.“ Er schaute Monica an. „Geht es dir gut?“ Er nahm wieder ihre Hand und erschrak, wie kalt sie war.

„Ja, ich bin nur etwas müde.“

„Das ist der Sauerstoffmangel. Du darfst nicht einschlafen. Die Gefahr wäre zu groß.“

Monica zuckte zusammen. „Du meinst, dass ich nicht mehr aufwachen würde? Ist schon so viel Zeit vergangen?“

„Nein, höchstens eine Stunde, ich fürchte ich habe mich verschätzt, was die Größe der Hütte anbelangt. Sie muss doch ziemlich klein sein“, antwortete John.

„Ich will hier drin nicht sterben, John. Es gibt so vieles, was ich noch machen wollte“, sagte Monica.

„Was willst du noch tun? Erzähl mir davon.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie näher an sich. Ihre kalte Hand hatte ihm Angst gemacht. Sie ließ es geschehen.

„Na ja, ich wollte schon immer mal mit Delfinen schwimmen“, sagte Monica. „Das sind so wundervolle Tiere, sie scheinen immer zu lächeln, sind freundlich und zärtlich in ihrem ganzen Wesen.

„Ich kenne da noch jemanden, auf den diese Beschreibung zutrifft“, bemerkte John. Beide wussten, wen er meinte, und dieses Wissen wärmte sie. „Gibt es noch etwas, das du tun willst?“

„Nun, das klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich würde wahnsinnig gerne einmal auf einen wirklich hohen Berg klettern. Es muss herrlich sein, so nah am Himmel, mit der Welt zu deinen Füßen.“

„Da schlummern ja wirklich verborgene Sehnsüchte in dir“, scherzte John. „Weißt du, was ich gerne einmal tun würde?“

Monica sah ihn an. „Nein, was denn?“

Als Antwort beugte John sich zu ihr hinüber und küsste sie. Monicas Augen weiteten sich vor Überraschung, dann schloss sie sie und erwiderte seinen Kuss. Seine Lippen fühlten sich weich und warm an. Ihr kam es so vor, als hätte sie sich schon immer nach ihnen gesehnt. Dann löste er sich von ihr und der Augenblick war vorüber.



„Monica... entschuldige, falls ich dich etwas überrumpelt habe. Ich dachte nur, das wäre die passende Antwort auf deine Frage.“

„Du musst dich nicht entschuldigen, John. Du hättest schon gemerkt, wenn ich es nicht gewollt hätte. Außerdem ist mir jetzt nicht mehr so kalt. Eine Frage habe ich allerdings, John. Warum erst jetzt? Ich meine... Gelegenheiten hattest du doch genug, oder?“

„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich hatte ich zu viel Angst vor deiner Zurückweisung. Ich war mir einfach zu unsicher, ich wollte unsere Freundschaft nicht gefährden.“

Monica legte eine Hand auf seine Wange. Sie war noch immer kalt. „Mir ging es genau so, John. Wahrscheinlich waren wir beide zu unsicher und wollten nichts falsch machen. Wir haben nun schon einiges zusammen durchgemacht, aber trotzdem wollte sich keiner von uns seine Gefühle eingestehen.“

„Und jetzt sitzen wir hier frierend im Dunkeln und können uns nicht einmal richtig in die Augen sehen“, sagte John. Monica lachte über diese Feststellung. Sie kam ihr wie ein Symbol für die vergangenen Monate vor. Sie waren im Dunkeln umher gewandelt und waren nicht fähig dazu gewesen, die Zeichen richtig zu deuten. Beide hatten schmerzlich erfahren, wie ein Leben ohne den anderen wäre, trostlos und leer. Und trotzdem waren sie nicht bereit für die Wahrheit gewesen, waren es vielleicht noch nicht einmal jetzt. Aber die Situation hatte sich geändert. Weder John noch Monica wussten, ob sie lebend aus dieser Hütte entkommen würden. Vielleicht hatten sie nie wieder Gelegenheit dazu, die Wärme und Nähe des Anderen zu spüren oder ihre Gedanken zu teilen.

„Meinst du, dass wir hier wieder rauskommen, John?“

Er überlegte einen Augenblick. Konnte er ihr wirklich sagen, was er dachte? Ja, wahrscheinlich schon. Sie war eine starke Frau, zumindest nahm er das an. Schwach war sie nur, wenn es um ihn ging, wenn sie meinte ihn zu verlieren. „Ich weiß es nicht, Monica. Sie hätten uns längst finden müssen. Vielleicht funktioniert dein VS-Gerät nicht richtig, oder es sind zu viele Verschüttete.“

„Ich bin so schrecklich müde, John. Ich weiß nicht, ob ich noch lange wach bleiben kann.“ John wurde ebenfalls langsam müde. Die verbleibende Luft war drückend und stickig.

Monica schloss ihre Augen. Die Vorstellung, schlafen zu können, war wundervoll. Sie wollte in bunte Träume hinabsinken, Träume, in denen es nicht dunkel und kalt, sondern sonnenhell und warm war. So glitt sie schließlich hinab in Vorstellungen von duftenden Wiesen, windigen Bergen und freundlich schnatternden Delfinen. Das letzte Bild, das sie jedoch vor sich sah, war John, wie er sich zu ihr umdrehte und ihr etwas zurief. Die Worte konnte sie allerdings nicht verstehen. Sie murmelte: „Ruf deine Eltern an, John.“ Dann wurde es dunkel. John trieb in einer Art Dämmerzustand dahin. Er erlaubte es sich nicht, einzuschlafen, aber richtig wach zu bleiben vermochte er auch nicht. Bilder zogen an seinen Augen vorbei. Luke beim Geschenke auspacken, Barbara wütend auf ihn einredend, Luke, wie er reglos auf einer Wiese lag, Wolken, die am blauen Himmel dahinzogen und schließlich Monica in einem weißen Kleid. Ihre Haare und Augen hoben sich im Kontrast dazu fast pechschwarz ab. John fand, dass sie wunderschön aussah. Sie hielt ihm ihre Hand entgegen und er nahm sie.



Dann öffnete John die Augen, und er hielt wirklich eine Hand, allerdings die eines erleichtert dreinblickenden Lawinenhelfers. „Schnell, wir müssen sie hier rausholen!“, rief er jemandem hinter oder über sich zu. Licht fiel auf Johns Augen und er schloss sie wieder.



Als er wieder zu sich kam, atmete er wunderbaren reinen Sauerstoff ein und lag in Heizdecken gehüllt auf einer Trage. Er nahm sich die Sauerstoffmaske vom Mund und sagte: „Wo ist Monica?“

Ein Mann beugte sich über ihn. Seine Augen blickten mitleidsvoll. „Wir bringen Sie erst mal in ein Krankenhaus. Dort wird man Ihnen dann alles erklären. Bitte, setzen Sie die Maske wieder auf.“

John klammerte sich an der Jacke des Mannes fest. „Bitte, wo ist sie? Ich muss ihr unbedingt etwas sagen.“

Der Mann schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid. Sie hat es nicht geschafft. Sie war schon tot, als wir sie fanden. Aber Sie verdanken ihrer Freundin Ihr Leben. Durch ihr VS-Gerät haben wir Sie gefunden.“ John ließ ihn los. Sein Blick wurde verschwommen. Er dachte an ihre sanften, gütigen Augen und ihn überkam der Drang, seine Eltern anrufen zu müssen und ihnen von ihr zu erzählen.


ENDE
Dies ist meine erste veröffentlichte Fanfic, ich würde mich daher sehr über Feedback jeglicher Art freuen.
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