World of X

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Es ist vorbei

von Andrea Muche

Kapitel 2

„Oh nein!“, rief Kate, kaum daß sie die Wohnung dann betreten und sie einen Blick in die Küche geworfen hatte.

„Was?“ fragte Mulder und reckte neugierig den Hals.

„Eine Maus“, antwortete Kate. „Ich habe gerade eine Maus unter die Dielen huschen sehen. Hoffentlich war es keine Ratte. Mist. Muß mir wohl eine Mausefalle kaufen. Oder öfter mal Rose einladen.“

„Rose?“ Er zog fragend eine Augenbraue hoch.

Kate schmunzelte. „Die Katze von oben.“

„Aha.“

„Komm, jetzt zeig ich dir erst mal das Schlafzimmer, damit du auspacken kannst.“ Sie lief vor ihm her den Flur entlang und bog am Ende nach links ab. Eine modern gemusterte Decke lag über dem Bett. Einem Doppelbett, wie Mulder feststellte. An den Wänden hingen Drucke berühmter alter Gemälde, die einen Kontrast zu der modernen Bettwäsche bildeten, Kerzen standen auf den Nachttischen, eine zerlesene Ausgabe der berühmten „Pepys“-Tagebücher lag daneben. Dies war eindeutig kein Gästezimmer. Es roch sogar nach Kate. Offenbar benutzte sie noch immer das gleiche Parfüm wie damals auf der Uni.

„Du schläfst auch hier?“ fragte Mulder leicht dümmlich. Er erinnerte sich daran, daß er Kate einst einmal ziemlich attraktiv gefunden hatte. Genau genommen war sie das immer noch, selbst jetzt, obwohl es ihr nicht gut ging. Aber es war zwischen ihnen nie etwas gewesen. Alles blieb immer auf rein freundschaftlicher Basis. So wie bei ihm und Scully. – Warum mußte er eigentlich gerade beim Anblick eines Doppelbettes an Scully denken?! – Die sich geweigert hatte, mitzukommen.

„Nein“, unterbrach Kate seine Gedanken und ging zum Schrank. „Das hier ist zwar mein Schlafzimmer, aber ich habe dir das Bett frisch bezogen, ich schlafe auf dem Sofa im Arbeitszimmer, das sonst als Gästebett dient. Ich möchte allerdings jetzt gerade zu jeder Zeit an den Computer können, um an einem Auftrag für eine Freundin weiterzuarbeiten, wann immer mir danach ist. Und das ist oft auch nachts. – Es ist zwar nicht wirklich bezahlte Arbeit, aber wenigstens mein Metier. Die Übersetzung eines alten Buches... In diesem Teil des Schrankes habe ich dir ein Fach freigeräumt.“

Mit diesen Worten zog Kate die Schranktür auf – und aus dem Fach über dem leeren fielen ihr T-Shirts und Pullover entgegen. „Mist!“

Mulder grinste bloß. „Ich sehe schon: Ich werde mich hier ganz wie zu Hause fühlen...“

Im selben Moment setzte irgendwo über ihnen ein ohrenbetäubendes Rumpeln ein. Das ganze Zimmer schien zu vibrieren, und Druck legte sich aufs Trommelfell. Mulder sah Kate fragend an. „Was ist denn das?“

Sie seufzte nur. „Die Waschmaschine in der Wohnung über mir. „Der Besitzer ist leider auf die Idee gekommen, einfach eigenmächtig die Zimmeraufteilung zu ändern. Die Mieter können nichts dafür, aber deren Waschmaschine steht jetzt statt über meiner Küche genau auf der Teilungswand – und wenn sie schleudert, bebt mein Bett. – Und sag jetzt bloß nicht, andere Leute würden dafür noch was zahlen!“

Der Agent mußte bei ihren Worten trotzdem grinsen. Seine Ex-Studienfreundin kannte seinen schrägen Humor noch immer ganz genau.



„Früher war ich immer so gern auf der Dachterrasse.“ Starkes Bedauern schwang in Kates Stimme mit, als sie den Riegel an der Tür löste, die ganz oben vom Treppenhaus ins Freie führte. „Das ist anders seit...“

„Sie ist dort vor deinen Augen hinuntergesprungen?“

„Ja.“ Kate nickte und sah Mulder kurz an, bevor sie weitersprach. „Ich habe noch versucht, sie aufzuhalten, aber es war zu spät.“

Mulder faßte sie sanft am Ellbogen. „Du kannst nichts dafür, Kate. Mach dir deswegen keine Vorwürfe.“

Sie zog die Tür auf. „Ich weiß. Aber das macht auch nicht besser, was passiert ist.“

Kate trat hinter ihrem Studienfreund hinaus auf die Dachterrasse, es war ein grau verhangener, kühler Tag mit dem für London typischen Wind. Die Historikerin streckte den Arm in Richtung des schwarzen Geländers aus, hinter dem in der Ferne die Silhouette von Canary Wharf in den Docklands auszumachen war. „Dort drüben ist sie gesprungen.“

Mulder nickte ihr zu und ging zu der Stelle hinüber. Ihm war bewußt, daß Kate ihm nicht folgte, sondern hinter ihm zurückblieb. Kein Wunder: Wer wollte schon unbedingt die Stelle noch einmal wieder aus der Nähe sehen, an der die beste Freundin vom Dach gesprungen und vier Stockwerke weiter unten aufs Pflaster des Hinterhofes aufgeschlagen war? Er trat ans Eisengeländer und blickte hinunter. Der erwartete, übliche, graue Hinterhof. Sonst nichts.

„Ach, Scheiße!“ Kates entsetzter Ruf kam von rechts hinten. Der Agent drehte sich um. Sie war neben einer Reihe von Blumenkübeln auf die Knie gesunken, griff in dem mobilen Topfgarten nach etwas, ihr sogar in diesem diffusen Licht rotgolden glänzendes, schulterlanges Haar war zwischen den vielen Pflanzen fast nicht mehr zu sehen.

Mulder lief zu ihr hinüber und wollte eben fragen, was passiert sei, da sah er es schon selbst: Kates Hände umfingen den Wurzelballen einer Topfpflanze, deren Behältnis in Scherben auf den Terrassenfliesen lag, andere Töpfe waren umgeworfen, Pflanzen ausgerissen, Blüten abgeknickt, in der Erde mancher Töpfe steckten ausgedrückte Zigarettenstummel, überall lag Müll. Kate sah zu ihm hoch, Verzweiflung in ihrem Blick. Und – was? Resignation? Sie hielt ihm die traurigen Überreste der Pflanze entgegen, die sie gerade in den Händen hatte. „Wer tut so etwas?“ fragte sie. „Wer tut mir und meinen Pflanzen so etwas an? Warum?“ Ihre Lippe zitterte, die Stimme war heiser. „Die Pflanzen sind doch unschuldig. An allem. Ach...“ Sie seufzte tief. Dann schluckte sie, schüttelte den Kopf, wie um die negativen Gedanken zu vertreiben, und sah ihren Studienfreund entschuldigend an. „Du denkst jetzt wahrscheinlich, ich spinne total. Schließlich sind es nur Pflanzen. Aber du weißt ja: Wir Engländer und Gartenarbeit... Unsere Pflanzen sind unsere Lieblinge, wir hegen und pflegen sie und freuen uns über jedes neue Blättchen, das wir sehen...“ Sie biß sich auf die Lippe und sah sich um. „Nun, manche Mitmenschen wohl nicht, schätze ich.“

Mulder trat zu einem der Müllhaufen auf der Terrasse, ging in die Hocke und griff hinein. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er die Reste einer in der Mitte durchgeschnittenen Plastik-Getränkeflasche in den Händen. „Es gibt hier noch mehr von dem Zeug.“

Er hielt Kate das Plastik hin, und diese nickte wissend. „Wie gesagt: Ich bin nicht mehr oft genug hier oben...“

„Irgend jemand hat deinen Dachgarten jedenfalls definitiv für eine Drogenparty mißbraucht. Und im Drogenrausch sind sie dann über deine Pflanzen hergefallen, so, wie das hier aussieht. Vielleicht haben sie gedacht, sie kämpfen gegen eine grüne Armee vom Mars.“

Er lächelte Kate aufmunternd zu, sie erwiderte das Lächeln leicht, wirkte aber weiter unfroh.

Mulder kam ein Gedanke. „Könnte es sein... also... Mhm, wie soll ich das jetzt fragen. Denkst du, daß deine Freundin Liz vielleicht... könnte sie etwas genommen haben, bevor sie gesprungen ist? Manchmal denken Leute dann ja, sie könnten fliegen.“

„Drogen?“ Kate fragte es wie ungläubig, dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Das hätten sie außerdem bei der Autopsie doch bemerkt. Und sie hat ja auch noch mit mir gesprochen. Sie dachte nicht, sie könnte fliegen. Sie wollte springen. Sie wollte einfach nur noch, daß es zu Ende ist...“ Ihre Stimme brach, eine Träne rann ihr über die Wange, trotzig wischte sie sie weg und blinzelte.

Mulder zog sie hoch und nahm sie tröstend in die Arme. „Nicht verzweifeln, Kate. Wenn hier wirklich etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, finden wir es schon heraus. Ich bin ja hier, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und jetzt helfe ich dir hier erstmal, von den Pflanzen zu retten, was noch zu retten ist.“

Diese Bemerkung führte dazu, daß Kate sich aus seiner Umarmung löste und unter Tränen nun wirklich lachte. „Nein, Danke, Marten, aber ich erinnere mich mit Schrecken daran, daß in deinem Zimmer sogar der Kaktus eingegangen ist. Für ungewöhnliche Denkansätze hast du Talent – aber ganz bestimmt nicht für Pflanzen.“

„Mhm.“ Der Agent brummte. Er war ertappt. „Also schön. Was hältst du dann davon, wenn du mir mal die Adresse und Telefonnummer dieses Ex-Freundes von Liz gibst, mit dessen Fluch angeblich alles angefangen hat. Das heißt, falls du weißt, wer er ist und wo er wohnt. Dann gehe ich mal ihn fragen, was er eigentlich zum Tod seiner früheren Partnerin gesagt hat, während du dich um deinen Garten kümmerst.“

Sie nickte. „Ich weiß, wer und wo er ist.“

Er zögerte noch kurz. „Du kommst hier sicher alleine klar?“

Sie nickte wieder. „Oh ja. Definitiv. Und ich wüßte auch nicht, was hier oben jetzt gerade wirklich schief gehen könnte.“ Sie rümpfte die Nase. „Naja, außer, daß der Müllsack, in den ich das Zeug hier gleich stopfen werde, vielleicht beim Runtertragen reißt und sich aller Dreck auf den neuen Teppich ergießt.“ Sie machte eine kurze Kunstpause. „Ich könnte natürlich theoretisch auch noch auf den Müllsack treten, das Gleichgewicht verlieren und die Treppe runterfallen. – Falls ich um Mitternacht also noch immer nicht wieder unten sein sollte: Geh mich bitte suchen. Nicht daß sich irgendwann die Nachbarn wundern, wieso sie mich schon so lange nicht mehr gesehen haben und was denn da oben auf den Stufen so fürchterlich stinkt...“



„Hallo, wer ist da?“ Im Hintergrund war ohrenbetäubendes Gebrüll mehrerer Kinder zu hören. „Mulder, sind Sie das?“

„Ja!!!“ schrie er in den Hörer. „Ich sagte, ich brauche Ihre Hilfe.“

„Die braucht hier auch gerade jemand“, seufzte Dana Scully, während sie versuchte, die Tränen eines Mädchens zu trocknen, das ein Junge an seinen Zöpfen gezogen hatte. „Moment!“ schrie sie dann in den Hörer. Und wieder zu dem Mädchen: „Er macht das doch nur, weil er dich beneidet. Er ist ein häßlich angezogener, rotznasiger Bengel mit einem scheußlichen Topfdeckel-Haarschnitt, dem außerdem der Grips fehlt. Wenn du weinst, freut er sich. Lach ihn doch lieber einfach aus!“

Als Scully sich von den Kindern losgeeist hatte, strebte sie zur Toilette und klappte die Tür hinter sich zu. Sie nahm das Telefon wieder ans Ohr. „Was ist los?“

„Ich frage mich gerade, was da bei Ihnen los ist“, drang die vertraute Stimme an ihr Ohr. „Wollten Sie nicht Ferien machen? Das klang ja eben eher, als würden Sie sich mit unseren lieben Kollegen rumschlagen, wie üblich.“

Sie mußte schmunzeln. „Kindergeburtstag.“

„Oh je, diese kleinen Nervensägen, die immer beschäftigt werden wollen. – Aber was haben Sie eigentlich gegen Jungs?“

„Nichts. Wenn sie uns Mädchen in Ruhe spielen lassen.“

„Autsch.“

Sie lachte. „Okay. Nun sagen Sie schon, was Sie wollen. Ich kann hier nicht ewig die Toilette blockieren.“

„Ach, dort sind Sie hin. Ich habe mich schon gewundert, wieso es auf einmal so ruhig ist. Aber bitte ziehen Sie nicht plötzlich die Spülung.“ Dann sagte er ihr, was er wollte: Ob sie nicht zufällig Kontakte zur Gerichtsmedizin in London habe, etwas über die Autopsie einer gewissen Liz Kramer herausbekommen könne, inoffiziell... „Schließlich bin ich hier ja nur im Urlaub.“

„Mhm.“ Sie überlegte. „Doch, ja, ich glaube, das läßt sich machen. Wann, sagten Sie, war das?“ Sie fingerte einen alten Kassenzettel und einen Bleistiftstummel aus der Tasche ihrer Jeans und notierte sich die Daten. „Ich rufe Sie an, sobald ich etwas weiß.“



Mulder klappte sein Telefon zu und starrte zu dem ultramodernen Glas- und Betonbau hoch, der vor ihm aufragte. „Als die Idee entstand, aus den Docklands ein modernes Wohn- und Geschäftsviertel zu machen, dachten die meisten Leute, daß das total verrückt ist“, hörte er hinter sich einen Reiseleiter, der eine Touristengruppe führte. „Sie fragten, wer in diesen alten, heruntergekommenen, rattenverseuchten Lagerhäusern denn wohl würde wohnen wollen. Und sehen Sie sich hier heute um! Jeder, der etwas auf sich hält, will in den ehemaligen Lagerhäusern leben. Und dabei sind die Ratten auch heute noch dort, sie sind nun allerdings größer und tragen Namen. Man nennt sie Makler.“

Die Touristen lachten pflichtschuldig, bevor die Gruppe weitertrabte. „Na, dann gehe ich doch mal einer Ratte guten Tag sagen“, murmelte Mulder, bevor er den Glasbau betrat und sich vom Lift in die Etage tragen ließ, in dem das Maklerbüro von Liz Kramers Exfreund lag.



Der Empfang dort war frostig. „Sind Sie von Donkin and Sons?“ bellte ihn ein Mann an, der aus einem Büro geschossen kam, kaum, daß Mulder sich der Sekretärin vorgestellt hatte. „Sagen Sie Ihrem Mandanten, ich denke nicht im Traum daran, im Preis nach unten zu gehen, nur weil angeblich die Dusche nicht einwandfrei funktioniert. Dafür, daß der Wasserdruck nicht stimmt, bin ich nicht verantwortlich zu machen. Und im übrigen frage ich mich ohnehin, wieso eine Büroetage eigentlich eine Dusche braucht!“

„Ich bin nicht von Donkin and Sons“, warf Mulder ein.

„Eine Dusche! Da könnte man ja vermuten, daß dort eher horizontal gearbeitet wird, finden Sie nicht? Sie... eh...was?“

„Ich bin nicht von Donkin and Sons“, wiederholte Mulder geduldig. „Sind Sie Alan Brady?“

„Ja. Und wer sind Sie und was wollen Sie? Sind Sie wegen der Besichtigung der beworbenen Lofts hier? Das ist leider jetzt noch nicht möglich. Die beauftragte Firma ist bei der Renovierung irgendwie in Verzug gekommen...“

„Scheint, als ob auch in Ihrem neuen Leben nicht alles so ganz glatt läuft, oder?“ fragte Mulder. „Mein Name ist Fox Mulder, ich untersuche den Tod Ihrer Ex-Freundin Liz Kramer.“

„Ja... aber... Wieso das denn? Der Fall ist doch längst abgeschlossen.“

„Ja. Es sind da nur noch Randaspekte aufgetaucht, die mich interessiert hätten...“

„Was für Randaspekte denn? Sie ist vom Dach gesprungen. Ende der Story. Ihre Freundin, diese... wie heißt sie noch gleich, Kate? Die war doch sogar dabei.“

In Mulder wallte ob der offensichtlichen Gefühlskälte des Mannes heißer Zorn auf. Er ließ sich seine Reaktion allerdings nicht anmerken und beschloß, auf Kumpel zu machen.

„Wissen Sie, genau diese Kate... Naja, sie steigert sich da gerade in eine fixe Idee hinein...“

Alan Brady lachte trocken auf. „Ach so. Na, das wundert mich nun gar nicht. Die hat ja noch nie so ganz richtig getickt, mit ihrem geschichtlichen Kram. Und Liz war am Ende genauso durchgeknallt. Ob sowas ansteckend ist? Die Frau hat mir echt nur noch Unglück gebracht. Bin bloß froh, daß ich mich von ihr frei gemacht habe, bevor es zu spät war. Die Tante war die geborene Verliererin. Und sie hat mich mit runtergezogen. Ich habe den Absprung gerade noch rechtzeitig geschafft.“

„Haben Sie das?“ fragte Mulder äußerlich ganz ruhig, obwohl ihm schon die bloße Wortwahl des Mannes zuwider war. „Die Geschäfte gehen jetzt doch auch nicht wesentlich besser, wenn ich unsere Konversation von gerade eben richtig deute, oder?“

„Und was geht Sie das an, wenn ich fragen darf?“ Der Makler kehrte zu seiner feindseligen Haltung zurück.

Mulder hob abwehrend die Hände und zog die Augenbrauen hoch. „Gar nichts. Mich interessieren ausschließlich die Umstände, unter denen Sie Liz Kramer verlassen haben. Ist Sie Ihretwegen in Depressionen verfallen?“

„Blödsinn. Die Frau war eine einzige Katastrophe; hat mir nur Unglück gebracht. Wenn schon, dann hätte ich Depressionen kriegen müssen, verstehen Sie?“

„Bedauern Sie ihren Tod?“

Brady sah Mulder unsicher an und zuckte die Schultern. „Ja. Schon. Sicher. Ich hatte da ja keinen Kontakt mehr mit ihr. Aber daß sie springt... Ist ja für niemand ein schöner Tod, nicht?“

Mulder nickte. „Glauben Sie eigentlich an Flüche?“ fragte er dann unvermittelt.

„An Flüche? Was meinen Sie damit? Ob ich es gotteslästerlich finde, Sachen wie ,Himmel, Arsch und Zwirn‘ zu sagen, oder was?“

„Nein. Wirkliche Flüche. Daß Menschen andere Menschen verfluchen können. So wie auf den Fluchtäfelchen der Römer, die man in der heiligen Quelle in Bath gefunden hat.“

Nun lachte Alan Brady hell auf. „Wollen Sie mich verkohlen? Sowas wie ,wenn du mich anlügst, sollen deine Lippen verfaulen‘? Mit anderen Worten: Hexerei?“

Der Agent zuckte die Schultern und stellte sich dumm. „Naja. So in der Art, ja.“

Brady schüttelte den Kopf. „Nein, Mann. Liz hat mir zwar Unglück gebracht. Aber eine Hexe? Quatsch!“ Er hatte ganz offensichtlich nicht die leiseste Ahnung, daß Mulder ihn gemeint hatte, nicht seine tote Ex-Freundin. „So einen Mist glauben Sie doch nicht etwa, oder? Hexen und Zauberei? Sie lesen zu viele Fantasy-Romane, stimmt’s? Oder haben Sie sich zu lange mit dieser Historikerin unterhalten?“ Er wirkte noch immer sehr amüsiert. Etwas aufgeräumter fügte er in einem Anflug von Ehrlichkeit zuletzt hinzu: „Im übrigen haben Sie so ganz Unrecht nicht, wissen Sie: Das Geschäft läuft in der Tat nicht so, wie ich es mir gedacht hatte... Vielleicht ist es doch der falsche Job für mich. Aber meine Partnerin hat genug Geld für uns beide – also ist es letzten Endes wohl auch egal, nicht?“



Kate brauchte ihn nur kurz anzusehen und wußte Bescheid. „Fehlanzeige, oder?“

Mulder hob bedauernd die Schultern. „Der Mann ist eine Null und hat sein Mitgefühl für andere vermutlich in die Themse geworfen – aber ich bin überzeugt, er hat nichts mit Flüchen oder schwarzer Magie am Hut. Kate, der Typ weiß nicht einmal wirklich, was das ist. Er ist dumm wie Brot.“

Kate lächelte unfroh. „Meine Rede. Ich sagte zu Liz auch, sie solle doch bloß froh sein, daß sie ihn los ist. Aber sie hatte sich völlig in diese Geschichte mit dem Fluch hineingesteigert. Und dann ist sie gestorben und hat ihn mir hinterlassen...“

Mulder seufzte. „Brady hat sicher nichts mit allem zu tun. Dafür war sie ihm...“ Er suchte nach Worten und endete schließlich mit „...in keiner Weise wichtig genug.“

„Womit haben wir es dann hier zu tun?“

„Schwer zu sagen. Doch Zufall?“

„Sieht es für dich mit allem, was du miterlebst, noch danach aus?“

„Die sich selbst erfüllende Prophezeiung?“

„Liz hat an den Fluch geglaubt, ja. Was sie angeht, könnte ich dem zustimmen. Aber ich?? Ich habe Liz in dem Punkt nicht wirklich ernst genommen, fürchte ich. Nicht, bevor es mich selbst erwischt hat. Jetzt allerdings...“ Sie sah Mulder unsicher an und biß sich auf die Lippe.

„Was?“

„Du kennst sicherlich die Mythen, in denen Sterbende denjenigen, die ihnen nahestehen, im Moment des Todes etwas mitgeben. Eine Art Vermächtnis, ein Erbe. Liz hat mit mir gesprochen, mich angesehen, bevor sie gesprungen ist. Sie hat an den Fluch geglaubt. Sie hat geglaubt, ihn so durchbrechen, ihn beenden zu können. Sieht es nicht so aus, als ob sie ihn statt dessen mir hinterlassen hat?“

„Mhm.“ Mulder kannte diese Erzählungen auch. „Es geht aber dort doch gleichzeitig immer darum, eine Aufgabe zu bewältigen. Die Übertragung ist mit einer Herausforderung verbunden. Mit einem Konflikt, der gelöst werden muß. Was war Liz’ Grundproblem?“

Kate hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Ich habe keine Ahnung. Alan? Mit seiner schofeligen Art, sie zu verlassen, hat alles angefangen.“

„Aber er ist kein fieser Magier, der sie mit einem Fluch belegt hat. Er ist nur ein ignoranter Vollidiot. Und wie wollten wir das wohl ändern?“

Sie hob hilflos die Hände. „Etwas anderes fällt mir nicht ein. Und das bedeutet, wir stehen ohne einen weiteren Ansatzpunkt da.“

„Vielleicht kommt mir in den nächsten Tagen noch eine Idee.“

Sie schüttelte ihre Locken. „Und außerdem bist du im Urlaub. – Gibt es eigentlich irgendeine touristische Attraktion, die du sehen möchtest, wenn du nun schon einmal hier bist? Ich begleite dich auch, wenn du willst. – Oder nicht, falls du genug von Mißgeschicken hast.“

Mulder überlegte. „Wenn du mich so fragst... Eigentlich würde ich gerne einmal nach Kew Gardens fahren. Gab es da nicht vor ein paar Jahren einen Mann, der behauptet hat, einer der Gärtner dort würde jeden Monat einen der Besucher oder wahlweise auch einen Obdachlosen, den sowieso keiner vermißt, an eine riesige, fleischfressende Pflanze verfüttern?“

Kate löste sich von ihm und lachte. „Oh ja. Der Gärtner behauptete aber auch, vorher bei der Queen gearbeitet zu haben, die sich angeblich jede Nacht in die Kröte zurückverwandelt, die sie in Wahrheit ist. Ich glaube, sie diagnostizierten Schizophrenie oder etwas ähnliches.“ Kate schwieg kurz. „Die Geschichte mit der Menschenfresserpflanze an sich ist aber eigentlich viel älter.“

„Nämlich?“ fragte Mulder, der am Gesichtsausdruck seiner früheren Studienkollegin genau ablesen konnte, daß nun eine ihrer historischen Anekdoten kommen würde.

„Ende des 19. Jahrhunderts stand in etlichen Zeitungen eine Geschichte, die der deutsche Abenteurer Carl Leche angeblich selbst beobachtet hat. Er will auf Madagaskar Zeuge eines unheimlichen Rituals geworden sein, bei dem Menschen geopfert wurden, indem man sie in eine riesige fleischfressende Pflanze gestoßen hat. Gute Gruselgeschichte. Und schlecht überprüfbar – denn wer kam damals schon mal eben nach Madagaskar? Vielleicht haben ihm auch die Einheimischen die Story erzählt, als Witz des Jahrhunderts, gewissermaßen.“ Kate mußte grinsen. „Wäre ja auch nicht das erste Mal gewesen, daß ein Forschungsreisender verulkt wurde. Kennst du die Story von Herodot und den Pyramiden?“

Mulder schüttelte den Kopf. „Erzähl!“

„Der fuhr 450 vor Christus nach Gizeh, um die Rätsel der Pyramiden zu erforschen. Und hat den Ägyptern jedes Wort geglaubt, als sie ihm erzählt haben, die Inschrift auf der großen Pyramide sei eine Art Tagebucheintrag. Es sei da bloß vermerkt, wie viele Rettiche, Zwiebeln und Knoblauch die Bauarbeiter verzehrt hätten. Und Herodot hat alles brav aufgeschrieben und nicht gemerkt, daß die Einheimischen ihm bloß einen Bären aufgebunden haben.“

Mulder lachte. „Fahren wir trotzdem nach Kew?“ fragte er dann. „Herodot hin, Leche her. Wer weiß, wo wirklich die Wahrheit liegt? – Und es soll ja auch Leute geben, die nicht an Außerirdische glauben.“



„Wow, ist das toll!“ Staunend ließ Mulder den Blick am Stamm riesiger Palmen entlang in die Höhe wandern. Fast hätte man denken können, wirklich irgendwo im Dschungel zu stehen. Es war schwülwarm, ringsum blickte man in tiefstes Grün, und die filigrane, weiß gestrichene Eisenkonstruktion aus der viktorianischen Zeit, die die Scheiben des Gewächshauses hielt, war stellenweise selbst beim Blick in die Höhe kaum zu sehen, so üppig wuchsen die Pflanzen in den riesigen Hallen.

„Sieh mal“, rief Kate und deutete nebenan nach oben. „Bananen!“

Fox Mulder folgte ihrem Blick – und konnte Kate dann gerade noch beiseite ziehen, bevor das dicke Bündel Bananen, das sie noch eben in luftiger Höhe über ihnen gesehen hatten, dort aufschlug, wo Kate soeben noch gestanden hatte. Er sah sie an und seufzte.

„Geht das schon wieder los“, murmelte sie. „Aber wenigstens gibt es weit und breit keine Menschenfresser-Pflanze.“

„Aber vielleicht eine Schlange“, argwöhnte Mulder, als sie mit einem Mal ein eigentümliches Zischeln vernahmen.

„Uaaah!“ schrie Kate dann erschreckt auf, als direkt über ihr ein hartes „Pffffft“ ertönte – bevor sie endlich erkannte, was es war: Es hatte sich die Sprühanlage, die die Pflanzen in gewissen Zeitabständen immer wieder mit der nötigen Feuchtigkeit versorgte, eingeschaltet. Gleich darauf standen Mulder und sie im Nebel.

„Okay“, sagte Kate, „kein Grund zur Panik.“ Und sie stieg über die heruntergeknallten Bananen.
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