World of X

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Divergence

von RedFox19

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Es ist ein Uhr morgens und er ist schon wieder wach. Du bist zur gleichen Zeit aufgewacht wie er. Fühltest wie sich das Bett bewegte und hörtest das leise Geräusch seiner Füße auf dem Weg zum Badezimmer. Hörtest das Wasser laufen. Hörtest den Fernseher im Wohnzimmer angehen – zuerst laut, dann schnell heruntergedreht bis du es nicht mehr hören konntest. Du weißt, er ist jetzt da draußen, wühlt sich durch Unmengen Papier, so besessen wie immer. Ein kleines Kind mit seinem Lieblingsspielzeug. Außer dass dieses Spielzeug ihn verletzen, sogar töten könnte.



Zuerst wußtest du es nicht. Du warst so glücklich als er diese Akten fand – so glücklich, weil sie ihn so glücklich machten -, hast ihn die ganze Zeit unterstützt. Nach Jahren als FBI-Wunderkind, brillant und mißverstanden und unglücklich, hier war schließlich etwas das ihn begeisterte. Nicht diese gefährliche, alles verschlingende Begeisterung seiner Profiling - Fälle, sondern eine ruhigere Begeisterung. Eine, die ihn nicht nächtelang wach hielt, ihn nicht deinen Namen oder den des letzten Opfers schreiend aufwachen liess.



Am Anfang war es so.



Dann fing er wieder an nächtelang aufzubleiben und hatte Alpträume. Nur, dass es diesesmal nicht dein Name war, den er schrie, sondern der seiner Schwester. Wieder und wieder und wieder, bis du ihn hart genug schüttelst um ihn zu wecken. Manchmal würde er in deinen Armen zusammenbrechen und sich in den Schlaf weinen. Manchmal würde er nach dir greifen und mit dir schlafen und sich so in den Schlaf flüchten. Immer jedoch war es so, dass wenn sein Atem sich beruhigte und seine Muskeln sich entspannten, du hellwach zurückbliebst und dein Magen sich zusammenzog.



Du fingst an dir zu wünschen, alles wäre wieder wie zuvor. Dann sahst du den Ausdruck kindlicher Begeisterung in seinen Augen wenn er über sein neues Projekt sprach. Trotzdem wünschtest du dir, du müßtest es dir nicht ansehen, als er von gemieden zu verspottet überging und dich mit ihm zog. Es mochte ihm egal sein, aber du hattest etwas in deine Karriere investiert. Am Ende war es sich gleich, er nahm das Kellerbüro und du folgtest ihm. Folgtest, als er sich mit einer Begeisterung in diese Fälle stürzte, die dich erst begeisterte und dann beängstigte. Hörtest zu, als er Geschichten über Werwölfe und Vampire und Aliens erzählte. Oh, er verliebte sich in diese Aliens. Und du verliebtest dich abermals in ihn.



Nach seinem ‚Erlebnis‘ in Maryland nahmen diese verdammten Akten eine neue Bedeutung für ihn an, sie wurden persönlich. Es führte zurück zu seiner Schwester. Er erzählte dir alles über sie. Wie sie verschwand und nie gefunden wurde. Eine einfache Geschichte, die sehr viel tiefer geht als das. Ihre Entführung war das Ende seiner Kindheit. Seine ganze Welt brach zusammen. Er erholte sich nie ganz davon, aber er kam damit klar. Betonung auf dem ‚kam‘. Auf einmal fing er an davon zu sprechen sie zu finden. Er sagte er hätte etwas gefunden, etwas tief in seinem Gedächtnis, das sie retten konnte. Er fing an über Hypnotische Regression und Alienentführungen und Regierungsverschwörungen zu sprechen. Du kriegtest von Tag zu Tag mehr Angst – und nicht weil du dachtest, er läge falsch.



Du wolltest es. Du wolltest all diesen Nonsens als falsch hinstellen und ihn dazu bringen die Aliens und die X-Akten zu vergessen. Du wolltest es als ein Gespinst seiner überaktiven Phantasie hinstellen. Du kannst es nicht, nicht mehr. Nicht seit du zu einem Meeting in ein Büro gerufen wurdest, das voller Zigarettenrauch war und über gewisse Bedenken... informiert wurdest, die einige Leute der Verwaltung hatten. Die X-Akten beinhalteten sensible Informationen. Die meisten waren harmlos, aber es gab Dinge, die nicht untersucht werden sollten. Natürlich zum Wohle des Landes. Sie sprachen mit dir in nur vordergründig verhüllten Drohungen. Es sei einfach, sagten sie. Halten Sie Mulder beschäftigt, sagten sie. Lassen Sie ihn soviel spielen wie er will, aber stellen sie sicher, dass er gewisse Dinge in Ruhe ließ. Du warst nicht glücklich darüber als sein Kindermädchen angesehen zu werden, noch weniger darüber, an einer Leine herumgeführt zu werden, aber sie machten es sehr klar, dass deine Kooperation zu deinen Gunsten ausgelegt werden würde. Und seinen. Ein Mann konnte verletzt, sogar getötet werden, wenn er seine Nase in Angelegenheiten steckte, die ihn nichts angingen. Also spieltest du mit und hieltest euch beide am Leben.



Langsam fingst du an Dinge zu lernen, Dinge, die du niemals wissen wolltest. Geheimnisse, die deine Einstellung zur Welt änderten. Du lerntest Dinge, die dich ängstigte. Du lerntest Dinge über Fox und woher er kam, die du ihm nicht erzählen konntest, weil er einfach noch nicht bereit dafür war. All dieses Wissen hatte seinen Preis. Je mehr du lerntest, desto mehr zogen sie dich in ihre Welt herab und je mehr sie dich in ihre Welt herabzogen, desto mehr lerntest du. Du weißt zuviel um jemals wieder unschuldig sein zu können. Du steckst zu tief drinnen um jemals wieder herauszukommen. Du bist verzweifelt und verängstigt und hast niemanden mit dem du deine Angst teilen kannst. Du bist einsamer als du jemals zuvor warst. Sie kontrollieren dich. Sie nahmen die Hälfte deiner Seele.



Die andere Seite hat Fox. Du gabst sie ihm freiwillig. Er hatte einmal deine ganze Seele und er hat nicht gesehen, wie sie ihm aus der Hand gerutscht ist. Du liebst ihn. Liebst ihn wirklich und unverständlicherweise und es frißt dich von innen auf. Du kannst ihm nicht sagen was du weißt und du würdest es nicht schaffen es ihm verständlich zu machen wenn du könntest. Fox lebt in einer Welt voller schwarz und weiß und du lernst, dass es nichts gibt außer sich stetig verändernden Grauschattierungen. Am Ende wird er verstehen, dass du die Welt anders siehst als er und dass du viel vor ihm verborgen hast. An diesem Tag wird er dich hassen. Du kannst es nicht ertragen diesen Tag zu erleben.



Vor kurzem begannst du die Ausmasse von dem, was passiert, zu verstehen. Du bist verschreckter als jemals zuvor und sicherer, dass wenn du bei Fox bleibst, ihr am Ende beide sterben werdet. Die offensichtlichste Lösung fällt dir ein und sie ist grausam. Mit deinen Verbindungen wäre es ein Leichtes zu verschwinden. Nach Übersee gehen, vielleicht. Irgendwohin, aber weg von Fox. Die einzige andere Wahl ist zu bleiben und deine Vernichtung zu erwarten. Zwei Auswahlmöglichkeiten. Eine wird dich vernichten, die andere wird dich vor allem außer einem gebrochenen Herzen bewahren. Du weißt, welche die richtige ist, aber das macht es nicht schmerzloser.



Seufzend stößt du die Bettdecke weg und gehst in Richtung Wohnzimmer. Du machst dir nicht die Mühe einen Morgenmantel anzuziehen, obwohl alles was du trägst ein altes, ausgeleiertes T-Shirt, das du in Florida gekauft hast, ist. Es ist egal, er hat dich schon in so gut wie allem gesehen. Diese Erinnerungen daran, wie nahe ihr euch steht, senden einen scharfen Schmerz durch deine Brust, aber du ignorierst ihn. Du bist jetzt sehr gut dabei Dinge zu ignorieren.



Fox guckt sich eine religiöse TV-Show an. Es ist eine komische Wahl für einen überzeugten Agnostiker mit einer Wut auf welchen Gott auch immer, aber Fox wollte immer schon daran glauben, dass das Gute existiert und er findet heutzutage nicht viel Gutes in Menschen. Er dreht sich zu dir und lächelt. Er wusste du würdest dich ihm irgendwann anschließen, du tust es immer. Da ist wieder dieser dich durchbohrende Schmerz, so intensiv, dass er dich fast zu Boden zwingt. Stattdessen lächelst du zurück und er rutscht etwas und bietet dir die Hälfte der Decke an. Du setzt dich neben ihn und denkst daran, wie gut ihr zusammenpaßt. Wie einfach es ist, die stetig wachsende Kluft zwischen euch zu vergessen.



Er berührt den weichen Stoff deines Shirts. „Das hast du in diesem Geschenke – Shop in West Palm gekauft. In unseren Flitterwochen.“ Er spricht ruhig, die Stille im Zimmer nicht unterbrechend. Im Hintergrund hört man die Stimme des Priesters, aber ihr schenkt ihm keine Aufmerksamkeit.



Deine Antwort ist ein sanftes „Hmm“, aber es scheint ihm genug zu sein. Er zieht dich näher an sich heran. Du ruhst deinen Kopf auf seiner Brust. Er läßt seine Hand unter dein Shirt wandern und fängt an, kleine Kreise auf deinen Rücken zu ziehen, bemerkt dann aber, dass du nicht weitergehen willst. Noch nicht.



Später wirst du ihn in das Schlafzimmer begleiten und für das wahrscheinlich letzte Mal mit ihm schlafen. Morgen wirst du nach einem Weg suchen, zu gehen, und du wirst ihn vielleicht nie wieder sehen, wenn das passiert ist. Aber jetzt, in diesem Augenblick bist du einfach nur hier, mit ihm, und das ist genug. Das muss es.



End
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