World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Sweet little Creatures

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 1

- Prolog -




Halloween, Washington, D. C. , 19:21 Uhr



Es war ein lauer Abend. Die Luft war angenehm kühl und leichte Nebelschwaden waberten durch die Straßen Washingtons, auf der Suche nach einer Oberfläche, an der sie in feinen kleinen Bahnen kristallisieren konnten. Die Spaziergänger konnte an diesem Abend nichts erschrecken, sie waren vorgewarnt. Ja, sie kannten die Prozedur schon, die sich jahrein, jahraus an eben diesem 31. Oktober wiederholte.

Als den hochgewachsenen Mann etwas am Hosenzipfel kniff, wusste dieser sofort, dass es entweder ein kleines Teufelchen oder eine Hexe sein musste. Er lächelte etwas, bevor er sich umdrehte. Er kannte sie alle, und das erfüllte ihn innerlich mit Stolz. Ja, wer ihn an Halloween erschrecken wollte, musste schon fürchterlich ...



„Ah!“



Zu seiner Verwunderung zuckte er zusammen und geriet gleich mit seinem Stolz in einen Gewissenskonflikt. Selbiger war drauf und dran, seine Koffer zu packen und dieses Weichei von einem Mann zu verlassen. Aber er wartete noch und besah sich das Geschehen mit Neugier. Auch ein Stolz hat seinen Stolz ...



„Du siehst ja schrecklich gruselig aus, Kleiner!“



„So...“, antwortete die kleine Portion zaghaft und blickte mit ihren drei Augen den Erwachsenen neugierig an. „Sie ... Sie können sich denken, was jetzt kommt, oder?“



„So ungefähr, ja“, erwiderte dieser und erholte sich langsam von dem Schrecken, welchen ihm das kleine Monster eingejagt hatte. „Mich wundert nur etwas.“



„So...?“, fragte der Schrecken in Kindergröße und setzte einen unschuldigen Blick auf, sofern man das bei drei sich zugleich verändernden Augen überhaupt ausmachen konnte. Es wurde etwas kühler.



„Ja“, antwortete der Mann etwas verwirrt und rückte seinen verrutschten Hut zurecht. „Normalerweise klingelt ihr Kinder immer an Türen und verlangt Süßigkeiten. Ich habe jetzt nichts dabei, da ich davon ausgegangen bin, dass ihr mich später zu Hause heimsu ... besucht.“



„Das macht nichts“, entgegnete Glubschauge und zischelte einmal mit seiner langen grünen Zunge. „Ich brauche nicht unbedingt Leckereien ... ist nicht gut für die Zähne, müssen Sie wissen!“ Er bleckte selbige einmal. Der Erwachsene verzog das Gesicht und schluckte.



„Ja“, stammelte er, „du solltest wirklich in Zukunft die Finger davon lassen und so schnell wie möglich einen Spezialisten aufsuchen...“



„Die wachsen nach.“



„Was? ... In deinen Träumen sicherlich, Junge, aber in der Realität ...? Na ja, was kümmert’s mich eigentlich!?“



„Eben.“



„Und du findest es gar nicht schlimm, dass ich für dich jetzt nicht das Geringste dabei habe? Normalerweise bekommen die Kinder an Halloween dann immer einen Heulkrampf!“ Verwundert besah er sich noch einmal das kleine Etwas, das verstohlen von einem Bein aufs andere wippte und dabei genüsslich mit den Ohren schlackerte.



„Nein, überhaupt nicht“, sagte das grüne Ding und lächelte breit. „Mir ist es Belohnung genug, dass ich Sie habe erschrecken können! Das ist für mich das Größte!“



„Ist ja auch nicht schwer bei der Verkleidung!“, gab der Mann dem Kleinen zu verstehen und lächelte ebenfalls. „Ein tolles Kostüm.“



„Danke!“



„Ich muss jetzt los, mich auf die bevorstehende „Invasion“ vorbereiten.“



„Kein Problem – schönen Abend noch!“



Der Mann mit dem Hut verabschiedete sich von dem Dreiauge und setzte seinen Weg fort. Das kleine Etwas blieb zurück und beobachtete den Mann, wie er im Nebel immer mehr zu einer schwarzen Silhouette verkam, bis er schließlich völlig von ihm verschluckt wurde. Vorsichtig lugte die Gestalt zu allen Seiten und fühlte sich erst sicher, als sie die Gewissheit hatte, dass sie keiner dabei beobachten würde, wie sie vorsichtig die rechte Hand zu einer Siegerfaust ballte und sich selbst für die soeben geglückte Vorstellung beglückwünschte. Nur der Nebel war Zeuge und umspielte das kleine Etwas.



*


Zeitgleich ganz in der Nähe in einer kleinen Gasse bei der Hausnummer 69



Hubert Gordon schreckte hoch und kippte die Schale Erdnüsse um, welche bis zu diesem Moment auf seinem Bauch gestanden hatte. Die runterfallenden Genussgüter erfreuten den Hund des Mannes, welcher sich schwanzwedelnd über das Glück von oben hermachte und genüsslich schmatzend von dannen zog.

Es klingelte noch einmal.

Der fettleibige Mann erhob sich ächzend von seinem Stuhl und schnippte die letzte Erdnuss herunter, welche in eine Falte seines überdimensionalen Hemdes gerutscht war. Aus dem Fernseher erklangen nonstop undefinierbare Melodien einer anscheinend bei Jugendlichen sehr hoch geschätzten jungen Sängerin, welche sich, zur Feier des Tages und ganz der amerikanischen Tradition entsprechend, zünftig in Schale geworfen hatte und als ein kindlich gebliebener Vampir auftrat, der sich nicht zwischen seiner Bestimmung und seinem Hobby, dem Singen, entscheiden konnte. Kurz darauf sollte Hubert herausfinden, dass die Sängerin sich in Wirklichkeit gar nicht verkleidet hatte, sondern schon immer so aussah ...



„Ja!“, brüllte er, „ich komme ja schon!“ – Er griff nach einer Schüssel mit Süßigkeiten und schlurfte zur Haustür. Er holte einmal tief Luft und drückte die Klinke nach unten.



„Hier, das ist alles für euch ... nehmt und esst, aber lasst mich in Ruhe! Nehmt schon!“, trällerte er hinunter und war verwundert darüber, dass er sein Gegenüber gar nicht sehen konnte. Hubert senkte seinen Kopf und bekam große Augen. „Na so was, ihr werdet aber auch immer kleiner, wie?“



„Buh“, sagte der grüne Klumpen und fuchtelte wild mit seinen Tentakeln umher. „Buh, ich bin dein schlimmster Alptraum! Buh, gib mir alle Süßigkeiten, oder dir wird es schlecht ergehen!“



„Ein grüner Klumpen mit Tentakeln“, murmelte Hubert amüsiert und wischte sich die tränenden Augen. „Entschuldige, aber das sieht einfach zu witzig aus, Kleiner! Ist nicht bös gemeint ...“



Das kleine Monster zwinkerte zweimal mit seinen überdimensionalen Augen und legte den Kopf auf die nicht vorhandenen Schultern. „Sie lachen mich aus?“, fragte es zaghaft und zog die faltige Stirn in Falten. „Mache ich Ihnen etwa keine Angst?“



„Na ja, die Ganzkörpermaske ist mehr als beachtlich“, erklärte der Mann lachend und musste sich am Türrahmen festhalten. „Aber du siehst irgendwie nur“ – Er suchte nach dem richtigen Wort – „süß aus!“



„Süß...?“



„Ja, richtig knuffig...“



„Knuffig...?“



„Hör zu, Kleiner, ich mein das doch nicht bös. Ich sage nur die Wahrheit. Dein Kostüm ist wirklich klasse, aber erschreckend ist es nicht. Aber das Gute ist: du bekommst von mir trotzdem Süßigkeiten ... weil du so süß aussiehst.“



„...!“



„Hier, nimm dir soviel ... he, was soll das?! Kleiner, du ... du ... Ah !“



Die Schachtel mit den Süßigkeiten fiel zu Boden und verteilte den Inhalt spontan auf der Fußmatte mit den einladenden Worten Hello, how are you?. Die vormals grüne Matte wurde zunehmend röter, und nach einer Weile gesellten sich eine Hand, ein Finger und ein Ohr zu den am Boden liegenden Leckereien.

Der Körper Hubert Gordons sackte in sich zusammen und war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug. Ausdrucksleer starrten die Augen des Mannes in Richtung Straße und hätten, wenn sie nicht schon lange zuvor aus der Augenhöhle gerissen worden wären , noch eine kleine Gestalt ausmachen können, welche wutschnaubend im nebenstehenden Gebüsch verschwand und ein Wort immer und wieder vor sich herbrummelte.



„Süß ... süß! Ich glaub es nicht!“
Rezensionen