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Geteilte Tränen

von Stefan Rackow

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Sie saß auf ihrem Sofa und dachte nach. Regen lief in langen Bahnen die Fenster hinab, bildete Bahnen aus Tränen. Tränen der Verzweiflung. Von heute auf morgen hatte sich für sie alles verändert, wirklich alles. Sie schluchzte. Ja, es war einfach alles falsch. Mit einem Seufzer aus Verzweifelung warf sich die junge Agentin in die Kissen und begann, bitterlich zu weinen. Warum nur?, dachte sie. Warum nur musste es soweit kommen? War sie nicht schon genug vom Schicksal gebeutelt worden, so dass es sie jetzt endlich in Ruhe lassen könnte?



Das Klopfen an der Türe ließ sie aus ihren Gedanken fahren. Sich insgeheim wünschend, es wäre die Person, die sie nun schon so lange nicht mehr in ihren Armen halten konnte, ging Scully zur Tür und wischte sich schnell eine Träne aus dem Gesicht. „Wer ist da?“, frage sie leise und schluckte den letzten Rest Trauer hinunter. „Dana, ich bin’s“, hörte sie eine männliche Stimme sagen. „Bitte machen Sie auf.“ Ohne lange nachzudenken, entriegelte Scully ihre Tür und ließ den Besucher ein. Auf dem Boden bildete sich aufgrund des tropfenden Regenmantels eine kleine Wasserlache.

„Sir? Was machen Sie zu dieser Zeit hier?“, fragte die Agentin verwundert, nachdem sie einen Blick auf ihre Armbanduhr geworfen hatte und schloss die Tür hinter dem Assistant Director. „Legen Sie doch Ihre nassen Sachen ab“, sagte sie freundlich und half ihrem Vorgesetzen aus dem Mantel. „Danke“, entgegnete Skinner lächelnd. „Ich wollte einfach nach Ihnen sehen, Scully. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ – Er blickte sich um, als in der Küche der Wasserkocher zu pfeifen begann – „Oh, ich hoffe, ich störe nicht...?“

„Nein, nein“, winkte Scully schnell ab. „Ich wollte mir nur gerade einen Tee machen. Wollen Sie auch einen, Sir?“



„Gerne.“



„In Ordnung, bitte warten Sie eine Sekunde. Nehmen Sie doch auf dem Sofa Platz.“ – Schon verschwand sie in der angrenzenden Küche, und Walter Skinner blieb alleine zurück. Sie muss wirklich verzweifelt gewesen sein, dachte er und warf einen Blick auf eine weiße Tür, welche nun offen stand. Es muss ihr außerordentlich schwer gefallen sein, kam es ihm in den Sinn und er holte einmal tief Luft.



Wie ungewohnt ruhig es jetzt hier war...



Nur das Geräusch prasselnden Regens war zu vernehmen. Und Skinners Miene schlug um in tiefstes Mitleid.



„Sie wollten einfach nur nach mir sehen?“ – Skinner zuckte zusammen, als Scully neben ihm auftauchte, zwei Tassen Tee in den Händen haltend. „J-ja“, antwortete er zögerlich und nahm dankend eine der Tassen entgegen. Der Dampf kondensierte, ohne dass er oder Scully es bemerkte, an seinen Brillengläsern, und ein kleiner Tropfen fiel hinab auf die Untertasse. Wie eine Träne.



„Ich, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll...“ – Der Mann atmete einmal tief aus. „Ich kann nicht in Worte fassen, wie leid es mir tut, dass...“



„Wollen Sie auf die Sache mit William hinaus?“, fragte Scully und setzte die Tasse Tee ab, nachdem sie einen kurzen Schluck genommen hatte. „Ich weiß ihr Mitleid zu schätzen, Sir, aber wenn ich ehrlich sein soll, möchte ich dieses Thema nicht wieder von neuem aufbereiten. Es fällt mir schon schwer genug, es selbst zu verarbeiten.“ – Sie blickte kurz nach rechts und erkannte, dass ein Kissen aufgrund der Tränen an einer Stelle richtig farblos geworden war. Sie ließ sich aber nichts anmerken. „Oder sind Sie nur deswegen vorbeigekommen?“



„Nicht direkt“, erklärte Skinner mitfühlend und stellte seinerseits die Tasse Tee ab. „Es hat unter anderem mit William zu tun, Scully. Aber im Grunde ist es wegen was ganz anderem.“ – Er senkte den Blick – „Ich habe die letzte Woche viel nachgedacht.“



„Worüber?“



„Über Sie, Scully. Und über mich. Aber zum größten Teil über Sie.“



„Sie haben über mich nachgedacht? In Bezug worauf?“ – Scully drehte sich zu ihrem Vorgesetzen und stemmte den rechten Ellenbogen auf die Oberseite des Sofas. Ihr Kinn ruhte gespannt auf dem Daumen, während der Zeigefinger eng an der Wange anlag und wie ein Zeichen symbolisch gen Decke deutete. „Weshalb machen Sie sich Gedanken über mich, Sir?“



„Weil ich glaube, dass Sie Hilfe brauchen!“ – Er massierte sich kurz seinen Nacken und blickte Scully an. „Weil ich glaube, dass Sie jemanden brauchen.“



„Sir, ich, ich versteh’ nicht so ganz“, entglitt es der Agentin und sie blickte verwirrt drein. „Was wollen Sie mir damit sagen?“



Er lächelte.



„Dass Sie in diesen schweren Zeiten einen Freund brauchen. Jemanden, der Sie unterstützt und Ihre Sorge teilt.“ – Skinner blickte nach oben – „Kurz gefasst: Sie sollen in mir nicht mehr nur Ihren Vorgesetzen sehen, Scully. Ich möchte mehr als das sein...“



„Sir, Sie überraschen mich...“, erwiderte Scully lächelnd und ergriff die linke Hand ihres Vorgesetzten. „Als ob Sie nicht schon längst für mich die Person sind, die sie hier vorgeben, erst sein zu wollen.“



„Wie...?“



„Haben Sie noch nie bemerkt, dass Sie Ihre Trauer, ihr Mitgefühl schon seit jeher mit mir geteilt haben? Sie waren es, der mir jederzeit in der schweren Zeit, als Mulder wieder auftauchte und keine Hoffnung mehr zu bestehen schien, zur Seite stand. Sie waren immer um das Wohl Ihrer Agenten bemüht, und das rechne ich Ihnen hoch an!“



Skinner lächelte nun auch.



„Und Sie helfen mir die ganze Zeit schon alleine dadurch, dass Sie einfach da sind, Walter. Und das macht einen einsamen Menschen stark. Die Gewissheit, dass er Freunde hat. Dass jemand sich um sein Wohl sorgt.“ – Sie holte einmal tief Luft – „Sie wissen gar nicht, wie dankbar ich Ihnen bin. Und ich verdamme mich dafür, dass ... dass ich Ihnen das nie richtig offen...!“ – Eine Träne verließ ihr Auge und tropfte auf die Untertasse Skinners – „Es tut mir leid...“



Skinner nahm Scully behutsam in seinen Arm.



„Schon gut. Wir durchstehen das gemeinsam. Gemeinsam werden wir weiterkämpfen, Scully. Und so werden wir letztlich auch Mulder finden.“ – Er sprach diese Worte leise und getragen in ihr Ohr und flüsterte: „Dafür sind Freunde doch da...“





Die beiden saßen so noch eine ganze Weile auf dem Sofa, während sich Scullys Träne langsam mit dem Wasser auf Skinners Untertasse vermischte.



Und draußen hörte der Himmel allmählich auf zu weinen.




ENDE
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