Washington D.C. , Flughafen, 18:17 Uhr
Es war heiß und die Sonne stand hoch am Himmel, als George Hanning aus der kleinen Privatmaschine stieg. Der Flug nach Washington war anstrengend gewesen, aber man durfte seine Familie wegen des Jobs ja nicht einfach links liegen lassen. Selbige stand schon bereit, ihr Familienoberhaupt mit offenen Armen zu empfangen. George lächelte. Seine kleine Tochter Lara fiel ihm alsbald um den Hals und drückte ihn derart heftig, dass er seine beiden Koffer fallen ließ, welche sodann mit einem lauten RUMS auf den vor Hitze flimmernden Boden krachten.
„Sorry, Daddy“, brabbelte die Kleine und setzte gleich darauf den berühmten „Ich – war’s – nicht“ - Blick auf. George schaute auf die Koffer, welche durch den harten Aufprall aufgesprungen waren und zig Hosen und Hemden bunt auf dem Asphalt verteilt hatten. „Macht nichts, Süße. Mami räumt das gleich wieder rein!“, erwiderte er und blickte in das Gesicht seiner Frau Sarah. „Gut siehst du aus, Schatz. So ... kräftig und ... anders irgendwie. Sind die Haare neu?“
„Nein, George. Ebenfalls erfreut, dich wieder zu Hause zu haben.“ Sie setzte ein Grinsen auf : „Und jetzt begrüß mich endlich, du Blödmann, sonst bekommst du heute Abend kein Essen mehr.“ - Der Chef einer gut laufenden Baufirma nahm seine Frau daraufhin, ohne viel zu sagen, in seine Arme und drückte ihr einen großen Schmatzer auf die Wange. „Schön, dass du wieder da bist, George“, hauchte sie derweil in sein Ohr und genoss den Augenblick noch für eine ganze Weile, bis ihre gemeinsame, furchtbar unromantische 5 – jährige Tochter die beiden in ihrem glücklichen Moment störte.
„Mum, Dad? Mir ist langweilig!“
******
1 Stunde später
Das Anwesen der Hannings war ein großräumiges Haus mit einem einladenden Vorgarten und einem wirklich imposanten Säuleneingang, das alle anderen Häuser in der Straße um mindestens eine Etage überragte. Die Nachbarn kannten die Hannings als eine sehr ruhige Familie, die gerne mal zusammen mit ihren Anwohnern ein Glas Wein am Abend trank, oder ganz spontan ein Gartenfest organisierte. George und seine Frau verstanden es eben, sich Freunde zu machen.
An diesem frühen Abend nun saß das Ehepaar mit ihrer kleinen Tochter am Esstisch und war dabei, das Abendessen herzurichten. Lara konnte nicht davon ablassen, ihren Daddy immer und immer wieder zu löchern, wie denn seine Reise in den Dschungel verlaufen war. So auch gerade in dem Moment, als George den Topf mit Tomatensuppe auf den Tisch stellen wollte.
„Daddy?“
„Hör mal, Schatz, lass Daddy mal kurz zur Ruhe kommen. Er ist geschafft von der langen Reise und muss erst mal ausspannen.“ – George stellte den Topf auf den Tisch und setzte sich auf den in der Nähe stehenden Stuhl. „Und außerdem ist mir momentan gar nicht ...“ Er zuckte zusammen. „Da ... sind sie ... wieder“, brachte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und fasste sich mit der rechten Hand an den Bauch. Sarah kam im selben Moment aus der Küche und rannte sofort zu ihrem Mann. „Liebling, ist dir nicht gut? Soll ich einen Arzt rufen?“
George gelang es wieder, sich zu fassen. „Nein, nein“, antwortete er. „ Kann nur eine kleine Magenverstimmung sein ... nichts Schlimmes. Muss am dortigen Essen liegen. Vielleicht vertrage ich keine eingelegten Sp... – AH!“
Vor Schmerzen sich krümmend, bäumte sich der muskulöse Körper des Mannes auf. Schweiß stand auf seiner Stirn, und seine Haut wirkte angespannt, als wenn sie jeden Moment reißen könnte. Hilflos stand seine Frau neben ihm und begann, panisch auf ihn einzureden. „Was ist los? Sprich mit mir, wo hast du Schmerzen?? Oh Gott, George! Rede mit mir!!“
„Unregelmäßig ... heute schon den ganzen Tag ...!“ Er biss die Zähne zusammen. „Ich ... halte das ... nicht ...!!“
Was nun folgte, geschah so schnell, dass seine Frau nicht wusste, wie ihr geschah. Plötzlich war die ganze Wand des Wohnzimmers rot. Dick lief die rote Flüssigkeit in langen Bahnen die Tapete hinunter und tropfte allmählich in eine sich bildende Pfütze, die sich langsam ihren Weg über das vormals glänzende Parkett bahnte. Lara, die das ganze ebenfalls mitbekommen hatte, blickte zuerst auf die Wand, anschließend auf den Tisch und dann in das entsetzte Gesicht ihrer Mutter.
„Mami? Daddy liegt mit dem Kopf im Suppentopf.“
Doch das war der jungen Frau in diesem Moment völlig egal. Sie stand neben ihrem leblosen Mann, der keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gab und fühlte entsetzt seinen Puls. Einmal, zweimal... – Gefasst blickte sie daraufhin in das Gesicht ihrer Tochter und brachte nur mühsam die folgenden Worte hervor: „Schatz? Räum schon mal ab. Daddy“ - Sie senkte ihren Blick - „Daddy hat heute keinen Hunger mehr…”
Haus der Hannings, früh am Morgen des nächsten Tages
„Meine Güte, wer hat hier denn rumgekleckst?!“ - Agent Doggett stand vor der Wand des Wohnzimmers und tippte mit dem Finger vorsichtig auf die rote Flüssigkeit, die nunmehr fest geworden war. Verwundert blickte er Agent Reyes an, die sich langsam zu ihm gesellte, in der Hand eine Akte. „Lass mich raten, Monica, das Opfer hatte eine kleine Tochter, richtig?“
„Wenn du darauf hinauswillst, dass sie diese Sauerei hier veranstaltet hat: In diesem Punkt hast du Unrecht, John“, erwiderte die Agentin und verschränkte ihre Arme. „Nicht jedes kleine Mädchen macht Unsinn – es gibt auch große und zudem männliche Ferkel!“ Sie grinste, als sie bemerkte, dass ihr Partner zunehmend röter wurde. „ So schlimm war das damals gar nicht! Es ist nun einfach so, dass sich ein weißes Hemd und Tomatensoße nicht vertragen. Ist so.“
„Na ja“ , erwiderte Reyes. „Dafür hast du dem Kellner ja auch kein Trinkgeld gegeben.“ Sie öffnete die Akte und überflog kurz die Einzelheiten. Doggett tippte derweil weiter mit seinem Finger auf der Wand herum. „Was für eine Sauerei“, murmelte er.
„Das Opfer heißt George Hanning“, begann Reyes, immer noch halb in die Akte vertieft. „Er war der Chef einer sehr gut laufenden Baufirma, deren Auftragsgebiet sich über den ganzen Globus verteilt.“
Doggett wischte sich die Finger an einem geblümten Taschentuch ab und nickte: „Ein Großunternehmer, wie er im Buche steht.“ – Er blickte auf die Wand und zog die Stirn kraus: „... - stand.“
Reyes fuhr fort: „ Nun, John, das sind die Fakten. Viel mehr ist den herbeorderten Polizisten und uns bisher nicht bekannt.“ Sie blickte auf den Esstisch, welcher ebenfalls mit einer roten Flüssigkeit überzogen war. „So weit ich weiß, soll George Hanning hier gestorben sein – mit dem Kopf im Suppentopf.“
„Oh...“
„Ja.“
„Und warum sind wir hier, Monica?“ , fragte Doggett. „In diesem Fall wäre ja der Hausarzt weitaus qualifizierter als unsereins. Der Mann scheint krank gewesen zu sein, wenn er so einfach zusammenbricht.“
„Er war gerade 28 Jahre alt! Ein überaus sportlicher Mann, der, laut Krankenakte, nie etwas Schlimmeres als eine etwas schwerere Grippe gehabt hat.“
„Ach...“
„John, du bist heute ja wahnsinnig gesprächig“, erwiderte Reyes. „Nichtsdestotrotz: Als mich Derik Walters, der jetzige Einsatzleiter, der von der Witwe angerufen wurde, kontaktierte, klang es so an, als ob selbige davon ausgeht, dass ihr Mann heimtückisch ermordet wurde – durch Gift! Und da George Hanning immerhin eine gewisse Autoritätsperson in Washington darstellte, dachte Derik sofort an ein Komplott gegen den Geschäftsmann.“ – John hörte gespannt zu:„Also sollen wir eine Verschwörung aufdecken.“
„Nicht unbedingt. Vielmehr gilt es herauszufinden, woran der Mann gestorben ist. Die Umstände, die zu dem möglichen Mord führten, sind anschließend zu klären.“ – John nickte: „Und im Moment steht erst einmal die Befragung der Frau des Opfers an. Übrigens: Monica?“
„Ja?“
„Du hast Tomatensuppe an deinem Anzug.“
******
Die junge Frau sah alt aus, wie sie so da saß: die Hände vor dem Gesicht, die Haare wild durcheinander. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Familienfoto. Reyes beugte sich kurz vor, um das Bild genauer zu betrachten, bevor sie sich Sarah Hanning zuwandte. „Miss Hanning? Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen? Mein Partner John Doggett und ich, wir ...“
„Fragen Sie“, brachte die junge Frau mühsam hervor. Ihre Stimme zitterte. „Deshalb habe ich Sie ja herbeordert!“ – Die Agentin blickte kurz zu Doggett, welcher sich neben sie gesetzt hatte und ernst das Foto auf dem Tisch anstarrte. „ Ma’ am“, begann er, „hat Ihr Mann in letzter Zeit über irgendwelche Schmerzen geklagt oder hat er sich bedroht gefühlt?“
Sarah sah Doggett mit ihrem großen blauen Augen an, welche in diesem Moment ins Leere zu blicken schienen. John kannte das. Genau das Gleiche tat er immer bei Kersh.
„Ich weiß es nicht. Er war ja so gut wie nie da. Wir waren schon froh, wenn er einmal für ein Wochenende nach Hause kommen konnte.“
„War Ihr Mann viel unterwegs?“, fragte Reyes.
Sarah wandte ihren Blick von Doggett ab. „Ja, das war er. Geschäftsmann war er. Er musste immer weg – sei es nach Afrika, Australien oder was – weiß – ich – wohin. Im Grunde waren Washington und sein hiesiges Zuhause nur eine Zwischenstation auf seiner nicht enden wollenden Reise.“ Sie schluchzte. „Ich habe ihn geliebt, mehr als alles andere!“
„War Ihr Mann vor kurzem auch noch unterwegs gewesen?“, wollte Doggett wissen.
„Ja“, murmelte Sarah Hanning. „Irgendwo weit weit weg, in einem Ort, dessen Namen man beim ersten Hören sofort wieder vergisst.“ –
Zu Reyes’ Verwunderung nickte Doggett in diesem Moment, so als wolle er bejahen, dass er diese Sache auch kannte.
Nicken! Unpassender geht’ s wohl nicht mehr, dachte die Agentin und hoffte in ihrem tiefsten Inneren, dass in Wirklichkeit nur Doggetts Nacken etwas verspannt war. „Das kenne ich, Miss Hanning, nur zu gut“, sagte Doggett in diesem Augenblick.
„Miss Hanning, Sie meinten, Ihr Mann wäre ermordet worden. Was lässt Sie dies vermuten?“, fragte sie daher ohne Umschweife. Doggett bemerkte, wie die junge Frau ihre Hände zu Fäusten ballte. Innerlich schien sie zu beben.
„Es muss so sein. Mein Mann war kerngesund. Er wäre niemals ohne Einwirken anderer einfach so - “
„ - in den Suppentopf gefallen“, beendete Doggett den Satz. „Hatte Ihr Mann Feinde?“
„Ob mein Mann Feinde hatte? Sicherlich muss er die gehabt haben! Immerhin war er in einer durch und durch hohen und angesehenen Position. Neider wird es genug gegeben haben! Und diese haben ihn auf dem Gewissen!!“
Doggett fuhr sich mit der Hand durch die Haare: „Für unsere Ermittlungen wäre es durchaus von Vorteil, wenn wir einige Namen wüssten. Damit könnten wir den Verdächtigenkreis deutlich auf ein Minimum reduzieren.“ – Die junge Frau schüttelte den Kopf: „Nein, erst will ich wissen, was meinen Mann sterben ließ. Das „Wie“ und „Warum“ ist zweitrangig.“ - Sie nahm das Foto in ihre Hand und fing an, bitterlich zu weinen: „Oh George.“
Reyes blickte zu Doggett und deutete durch eine Kopfbewegung an, dass es wohl besser wäre, die arme Frau jetzt in Ruhe zu lassen. Der Agent stand alsbald auf und legte kurz seine Hand auf Sarah Hannings Schulter: „ Wir werden diesen Dreckskerl finden, der das gemacht hat“, sprach er der Witwe Mut zu und ging daraufhin mit seiner Partnerin Richtung Haustür.
Pathologie, Washington, Obduktionsraum 3 , 9:00 Uhr
Michael Langer liebte seinen Job. Besonders die Mittagspausen hatten es ihm angetan. Jemandem, der jeden Tag Fleisch zu sehen bekommt, kann das ja auch nicht verübelt werden. Heute, früh am Morgen, war es ein besonders großer Burger, den sich der Pathologe als Frühstück genehmigte. Viel Käse und ...
„Igitt, Tomatensoße auf dem Kittel!“, fluchte der junge Mann und versuchte zu retten, was noch zu retten war. „Dass das auch immer mir passieren muss!“ – Das Telefon klingelte plötzlich und Michael sah ein, dass es im Moment besser wäre, den Hamburger Hamburger sein zu lassen. Vorsichtig legte er ihn auf den Operationstisch und griff zum Hörer.
„Ja?“
Michael setzte ein Lächeln auf, als er erkannte, wer am anderen Ende antwortete. „Agent Reyes! Erfreut, mal wieder was von Ihnen zu hören. Was haben Sie auf dem Herzen?“ Die nun folgende Antwort der Agentin verwunderte den Pathologen nicht wirklich. Genauso gut hätte man einen Marathon – Bestreiter fragen können, wie’s läuft. Er blickte an die Decke.
„Schon klar. Eine Autopsie. An wem?“
Seine Augen weiteten sich, als ihm erklärt wurde, um wen es sich handelte.
„George Hanning? Der berühmte Mister Hanning? Sagen Sie bloß, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt!“
Eine kurze Minute des Schweigens folgte, in der Michael gespannt lauschte, was Reyes zum Tod des Mannes berichten konnte.
„ Das meinen Sie nicht ernst. In den Suppentopf? Ist er denn überhaupt schon unterwegs zu mir?“
Die Tür zum Operationsraum ging auf und Michaels Gehilfe trat ein, eine Trage vor sich herschiebend. „Frischfleisch“, sagte er und setzte ein breites Grinsen auf. Michael murmelte nur etwas Unverständliches vor sich hin und nahm das Gespräch wieder auf.
„Hat sich erledigt, ist soeben eingetroffen, Agent Reyes. Wonach soll ich suchen?“ Bitte kein Gift, bitte kein Gift!
„Gift. Aha. Und das ist nicht irgendwie zufällig über die Haut übertragbar?“ Verdammt, und der Tag hatte so schön angefangen!
Er blickte auf den Operationstisch, auf dem der Burger darauf wartete, gegessen zu werden. Nach Reyes’ Kommentar fuhr Michael energisch dazwischen.
„Berufsrisiko? Ich bitte Sie, ich mach das doch nicht aus Vergnügen hier!“
Schweigen.
„Ihnen auch viel Spaß...!“
(„Klick!“)
Michael setzte einen leicht misstrauischen Blick auf, als er auf die Trage blickte, auf der die Leiche von George Hanning lag. Der Gehilfe des Pathologen stand kurze Zeit später neben ihm und schien recht gespannt zu sein, was im Folgenden wohl zutage gefördert werden würde. „Brauchen Sie Hilfe, Michael?“, fragte er. Michael wandte sich dem Jungen zu: „Nein, in diesem Fall nicht. Das heißt - “ Er warf einen Blick auf den Operationstisch hinter ihm. „Doch, du kannst losgehen und mir noch einen doppelten Cheeseburger mit extra viel Ketchup besorgen. Dir kannst du auch einen mitbringen.“ – Der Gehilfe verzog sein Gesicht: „Zum Frühstück?“, fragte er leicht irritiert. Michael grinste: „Na ja, auf jeden Fall besser als eine Leiche zum Frühstück, oder?!“
„Ja. Schon.“
„Nun?“
„Ähm...“
„Also geh’. Ich werde versuchen, das hier so schnell wie möglich abzuschließen.“
******
Michaels Gehilfe verschwand kurz darauf. Der Pathologe selber ging zum Wandschrank und holte ein sauberes Paar Gummihandschuhe heraus, welches er über seine großen Hände zog. Alsbald machte er sich an seine Arbeit. Während er den ersten Schnitt vornahm, war er in Gedanken jedoch schon bei dem doppelten Cheeseburger, welchen er in Kürze genüsslich verspeisen würde. Oh ja, welch’ Genuss! Welch -
Ein seltsames Kneifen in seiner rechten Hand lief ihn urplötzlich zusammenzucken. Das Skalpell entglitt seinen Fingern und fiel mit einem dumpfen Knall auf den gefliesten Boden, auf dem sich innerhalb kürzester Zeit eine kleine rote Pfütze bildete. Eine Pfütze aus Blut – frischem Blut! –
Michael wollte schreien, aber die Schmerzen waren zu stark, als dass er sich ihnen hätte widersetzen können. Er biss die Zähne zusammen und versuchte verzweifelt an das Telefon zu gelangen, um Hilfe herbeizuordern. Doch auf halbem Wege sackte sein Körper zusammen. Krämpfe packten den Mann, als ein weiterer Schmerzensschub seinen immer schwächer werdenden Körper peinigte. Kneifen , Schmerzen – der arme Mann erlitt fürchterliche Qualen.
Ein lautloser Schrei wanderte durch die weißen Gänge des Pathologischen Institutes, ein vergeblicher Versuch, sich gegen etwas aufzulehnen, das stärker als man selber ist. Ein letzter Hilferuf eines Mannes, dessen Leben in diesen Minuten schon begann an ihm vorbeizuziehen. Ein letztes Auflehnen ...
... vergeblich.
******
9:23 Uhr
„Bin wieder da!“ , rief der junge Mann und machte sich auf den Weg Richtung Obduktionsraum. Seine rechte Hand beinhaltete einen fettigen Altpapierbeutel, den ein übergroßer goldener Buchstabe zierte. Die andere Hand lässig in der Tasche, öffnete der Mann vorsichtig die Tür des Obduktionsraumes und blickte durch den immer größer werdenden Spalt.
„Michael? Sind Sie schon fertig? Ich habe hier einen doppelten Cheeseburger und eine extragroße Coke für Sie. Und - “ – Der Junge blickte auf die Tüte, die an ihrem unteren Ende rhythmisch zu tropfen begann.
„Vergessen Sie die Cola, die lässt sich gerade der Boden schmecken. Sind Sie nun schon ... oh mein Gott!“
Michaels Gehilfe ließ den Beutel mit der Mahlzeit auf den von Cola durchtränkten Marmorboden fallen und war drauf und dran, es dem Essen gleichzutun. Sein Chef war fertig!
Das, was von ihm übrig geblieben war, lag ziemlich unästhetisch in einer großen Blutlache und sein Gehilfe , Peter P. King, erkannte sofort, dass da nicht mehr viel zu retten war.
Es war heiß und die Sonne stand hoch am Himmel, als George Hanning aus der kleinen Privatmaschine stieg. Der Flug nach Washington war anstrengend gewesen, aber man durfte seine Familie wegen des Jobs ja nicht einfach links liegen lassen. Selbige stand schon bereit, ihr Familienoberhaupt mit offenen Armen zu empfangen. George lächelte. Seine kleine Tochter Lara fiel ihm alsbald um den Hals und drückte ihn derart heftig, dass er seine beiden Koffer fallen ließ, welche sodann mit einem lauten RUMS auf den vor Hitze flimmernden Boden krachten.
„Sorry, Daddy“, brabbelte die Kleine und setzte gleich darauf den berühmten „Ich – war’s – nicht“ - Blick auf. George schaute auf die Koffer, welche durch den harten Aufprall aufgesprungen waren und zig Hosen und Hemden bunt auf dem Asphalt verteilt hatten. „Macht nichts, Süße. Mami räumt das gleich wieder rein!“, erwiderte er und blickte in das Gesicht seiner Frau Sarah. „Gut siehst du aus, Schatz. So ... kräftig und ... anders irgendwie. Sind die Haare neu?“
„Nein, George. Ebenfalls erfreut, dich wieder zu Hause zu haben.“ Sie setzte ein Grinsen auf : „Und jetzt begrüß mich endlich, du Blödmann, sonst bekommst du heute Abend kein Essen mehr.“ - Der Chef einer gut laufenden Baufirma nahm seine Frau daraufhin, ohne viel zu sagen, in seine Arme und drückte ihr einen großen Schmatzer auf die Wange. „Schön, dass du wieder da bist, George“, hauchte sie derweil in sein Ohr und genoss den Augenblick noch für eine ganze Weile, bis ihre gemeinsame, furchtbar unromantische 5 – jährige Tochter die beiden in ihrem glücklichen Moment störte.
„Mum, Dad? Mir ist langweilig!“
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1 Stunde später
Das Anwesen der Hannings war ein großräumiges Haus mit einem einladenden Vorgarten und einem wirklich imposanten Säuleneingang, das alle anderen Häuser in der Straße um mindestens eine Etage überragte. Die Nachbarn kannten die Hannings als eine sehr ruhige Familie, die gerne mal zusammen mit ihren Anwohnern ein Glas Wein am Abend trank, oder ganz spontan ein Gartenfest organisierte. George und seine Frau verstanden es eben, sich Freunde zu machen.
An diesem frühen Abend nun saß das Ehepaar mit ihrer kleinen Tochter am Esstisch und war dabei, das Abendessen herzurichten. Lara konnte nicht davon ablassen, ihren Daddy immer und immer wieder zu löchern, wie denn seine Reise in den Dschungel verlaufen war. So auch gerade in dem Moment, als George den Topf mit Tomatensuppe auf den Tisch stellen wollte.
„Daddy?“
„Hör mal, Schatz, lass Daddy mal kurz zur Ruhe kommen. Er ist geschafft von der langen Reise und muss erst mal ausspannen.“ – George stellte den Topf auf den Tisch und setzte sich auf den in der Nähe stehenden Stuhl. „Und außerdem ist mir momentan gar nicht ...“ Er zuckte zusammen. „Da ... sind sie ... wieder“, brachte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und fasste sich mit der rechten Hand an den Bauch. Sarah kam im selben Moment aus der Küche und rannte sofort zu ihrem Mann. „Liebling, ist dir nicht gut? Soll ich einen Arzt rufen?“
George gelang es wieder, sich zu fassen. „Nein, nein“, antwortete er. „ Kann nur eine kleine Magenverstimmung sein ... nichts Schlimmes. Muss am dortigen Essen liegen. Vielleicht vertrage ich keine eingelegten Sp... – AH!“
Vor Schmerzen sich krümmend, bäumte sich der muskulöse Körper des Mannes auf. Schweiß stand auf seiner Stirn, und seine Haut wirkte angespannt, als wenn sie jeden Moment reißen könnte. Hilflos stand seine Frau neben ihm und begann, panisch auf ihn einzureden. „Was ist los? Sprich mit mir, wo hast du Schmerzen?? Oh Gott, George! Rede mit mir!!“
„Unregelmäßig ... heute schon den ganzen Tag ...!“ Er biss die Zähne zusammen. „Ich ... halte das ... nicht ...!!“
Was nun folgte, geschah so schnell, dass seine Frau nicht wusste, wie ihr geschah. Plötzlich war die ganze Wand des Wohnzimmers rot. Dick lief die rote Flüssigkeit in langen Bahnen die Tapete hinunter und tropfte allmählich in eine sich bildende Pfütze, die sich langsam ihren Weg über das vormals glänzende Parkett bahnte. Lara, die das ganze ebenfalls mitbekommen hatte, blickte zuerst auf die Wand, anschließend auf den Tisch und dann in das entsetzte Gesicht ihrer Mutter.
„Mami? Daddy liegt mit dem Kopf im Suppentopf.“
Doch das war der jungen Frau in diesem Moment völlig egal. Sie stand neben ihrem leblosen Mann, der keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gab und fühlte entsetzt seinen Puls. Einmal, zweimal... – Gefasst blickte sie daraufhin in das Gesicht ihrer Tochter und brachte nur mühsam die folgenden Worte hervor: „Schatz? Räum schon mal ab. Daddy“ - Sie senkte ihren Blick - „Daddy hat heute keinen Hunger mehr…”
Haus der Hannings, früh am Morgen des nächsten Tages
„Meine Güte, wer hat hier denn rumgekleckst?!“ - Agent Doggett stand vor der Wand des Wohnzimmers und tippte mit dem Finger vorsichtig auf die rote Flüssigkeit, die nunmehr fest geworden war. Verwundert blickte er Agent Reyes an, die sich langsam zu ihm gesellte, in der Hand eine Akte. „Lass mich raten, Monica, das Opfer hatte eine kleine Tochter, richtig?“
„Wenn du darauf hinauswillst, dass sie diese Sauerei hier veranstaltet hat: In diesem Punkt hast du Unrecht, John“, erwiderte die Agentin und verschränkte ihre Arme. „Nicht jedes kleine Mädchen macht Unsinn – es gibt auch große und zudem männliche Ferkel!“ Sie grinste, als sie bemerkte, dass ihr Partner zunehmend röter wurde. „ So schlimm war das damals gar nicht! Es ist nun einfach so, dass sich ein weißes Hemd und Tomatensoße nicht vertragen. Ist so.“
„Na ja“ , erwiderte Reyes. „Dafür hast du dem Kellner ja auch kein Trinkgeld gegeben.“ Sie öffnete die Akte und überflog kurz die Einzelheiten. Doggett tippte derweil weiter mit seinem Finger auf der Wand herum. „Was für eine Sauerei“, murmelte er.
„Das Opfer heißt George Hanning“, begann Reyes, immer noch halb in die Akte vertieft. „Er war der Chef einer sehr gut laufenden Baufirma, deren Auftragsgebiet sich über den ganzen Globus verteilt.“
Doggett wischte sich die Finger an einem geblümten Taschentuch ab und nickte: „Ein Großunternehmer, wie er im Buche steht.“ – Er blickte auf die Wand und zog die Stirn kraus: „... - stand.“
Reyes fuhr fort: „ Nun, John, das sind die Fakten. Viel mehr ist den herbeorderten Polizisten und uns bisher nicht bekannt.“ Sie blickte auf den Esstisch, welcher ebenfalls mit einer roten Flüssigkeit überzogen war. „So weit ich weiß, soll George Hanning hier gestorben sein – mit dem Kopf im Suppentopf.“
„Oh...“
„Ja.“
„Und warum sind wir hier, Monica?“ , fragte Doggett. „In diesem Fall wäre ja der Hausarzt weitaus qualifizierter als unsereins. Der Mann scheint krank gewesen zu sein, wenn er so einfach zusammenbricht.“
„Er war gerade 28 Jahre alt! Ein überaus sportlicher Mann, der, laut Krankenakte, nie etwas Schlimmeres als eine etwas schwerere Grippe gehabt hat.“
„Ach...“
„John, du bist heute ja wahnsinnig gesprächig“, erwiderte Reyes. „Nichtsdestotrotz: Als mich Derik Walters, der jetzige Einsatzleiter, der von der Witwe angerufen wurde, kontaktierte, klang es so an, als ob selbige davon ausgeht, dass ihr Mann heimtückisch ermordet wurde – durch Gift! Und da George Hanning immerhin eine gewisse Autoritätsperson in Washington darstellte, dachte Derik sofort an ein Komplott gegen den Geschäftsmann.“ – John hörte gespannt zu:„Also sollen wir eine Verschwörung aufdecken.“
„Nicht unbedingt. Vielmehr gilt es herauszufinden, woran der Mann gestorben ist. Die Umstände, die zu dem möglichen Mord führten, sind anschließend zu klären.“ – John nickte: „Und im Moment steht erst einmal die Befragung der Frau des Opfers an. Übrigens: Monica?“
„Ja?“
„Du hast Tomatensuppe an deinem Anzug.“
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Die junge Frau sah alt aus, wie sie so da saß: die Hände vor dem Gesicht, die Haare wild durcheinander. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Familienfoto. Reyes beugte sich kurz vor, um das Bild genauer zu betrachten, bevor sie sich Sarah Hanning zuwandte. „Miss Hanning? Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen? Mein Partner John Doggett und ich, wir ...“
„Fragen Sie“, brachte die junge Frau mühsam hervor. Ihre Stimme zitterte. „Deshalb habe ich Sie ja herbeordert!“ – Die Agentin blickte kurz zu Doggett, welcher sich neben sie gesetzt hatte und ernst das Foto auf dem Tisch anstarrte. „ Ma’ am“, begann er, „hat Ihr Mann in letzter Zeit über irgendwelche Schmerzen geklagt oder hat er sich bedroht gefühlt?“
Sarah sah Doggett mit ihrem großen blauen Augen an, welche in diesem Moment ins Leere zu blicken schienen. John kannte das. Genau das Gleiche tat er immer bei Kersh.
„Ich weiß es nicht. Er war ja so gut wie nie da. Wir waren schon froh, wenn er einmal für ein Wochenende nach Hause kommen konnte.“
„War Ihr Mann viel unterwegs?“, fragte Reyes.
Sarah wandte ihren Blick von Doggett ab. „Ja, das war er. Geschäftsmann war er. Er musste immer weg – sei es nach Afrika, Australien oder was – weiß – ich – wohin. Im Grunde waren Washington und sein hiesiges Zuhause nur eine Zwischenstation auf seiner nicht enden wollenden Reise.“ Sie schluchzte. „Ich habe ihn geliebt, mehr als alles andere!“
„War Ihr Mann vor kurzem auch noch unterwegs gewesen?“, wollte Doggett wissen.
„Ja“, murmelte Sarah Hanning. „Irgendwo weit weit weg, in einem Ort, dessen Namen man beim ersten Hören sofort wieder vergisst.“ –
Zu Reyes’ Verwunderung nickte Doggett in diesem Moment, so als wolle er bejahen, dass er diese Sache auch kannte.
Nicken! Unpassender geht’ s wohl nicht mehr, dachte die Agentin und hoffte in ihrem tiefsten Inneren, dass in Wirklichkeit nur Doggetts Nacken etwas verspannt war. „Das kenne ich, Miss Hanning, nur zu gut“, sagte Doggett in diesem Augenblick.
„Miss Hanning, Sie meinten, Ihr Mann wäre ermordet worden. Was lässt Sie dies vermuten?“, fragte sie daher ohne Umschweife. Doggett bemerkte, wie die junge Frau ihre Hände zu Fäusten ballte. Innerlich schien sie zu beben.
„Es muss so sein. Mein Mann war kerngesund. Er wäre niemals ohne Einwirken anderer einfach so - “
„ - in den Suppentopf gefallen“, beendete Doggett den Satz. „Hatte Ihr Mann Feinde?“
„Ob mein Mann Feinde hatte? Sicherlich muss er die gehabt haben! Immerhin war er in einer durch und durch hohen und angesehenen Position. Neider wird es genug gegeben haben! Und diese haben ihn auf dem Gewissen!!“
Doggett fuhr sich mit der Hand durch die Haare: „Für unsere Ermittlungen wäre es durchaus von Vorteil, wenn wir einige Namen wüssten. Damit könnten wir den Verdächtigenkreis deutlich auf ein Minimum reduzieren.“ – Die junge Frau schüttelte den Kopf: „Nein, erst will ich wissen, was meinen Mann sterben ließ. Das „Wie“ und „Warum“ ist zweitrangig.“ - Sie nahm das Foto in ihre Hand und fing an, bitterlich zu weinen: „Oh George.“
Reyes blickte zu Doggett und deutete durch eine Kopfbewegung an, dass es wohl besser wäre, die arme Frau jetzt in Ruhe zu lassen. Der Agent stand alsbald auf und legte kurz seine Hand auf Sarah Hannings Schulter: „ Wir werden diesen Dreckskerl finden, der das gemacht hat“, sprach er der Witwe Mut zu und ging daraufhin mit seiner Partnerin Richtung Haustür.
Pathologie, Washington, Obduktionsraum 3 , 9:00 Uhr
Michael Langer liebte seinen Job. Besonders die Mittagspausen hatten es ihm angetan. Jemandem, der jeden Tag Fleisch zu sehen bekommt, kann das ja auch nicht verübelt werden. Heute, früh am Morgen, war es ein besonders großer Burger, den sich der Pathologe als Frühstück genehmigte. Viel Käse und ...
„Igitt, Tomatensoße auf dem Kittel!“, fluchte der junge Mann und versuchte zu retten, was noch zu retten war. „Dass das auch immer mir passieren muss!“ – Das Telefon klingelte plötzlich und Michael sah ein, dass es im Moment besser wäre, den Hamburger Hamburger sein zu lassen. Vorsichtig legte er ihn auf den Operationstisch und griff zum Hörer.
„Ja?“
Michael setzte ein Lächeln auf, als er erkannte, wer am anderen Ende antwortete. „Agent Reyes! Erfreut, mal wieder was von Ihnen zu hören. Was haben Sie auf dem Herzen?“ Die nun folgende Antwort der Agentin verwunderte den Pathologen nicht wirklich. Genauso gut hätte man einen Marathon – Bestreiter fragen können, wie’s läuft. Er blickte an die Decke.
„Schon klar. Eine Autopsie. An wem?“
Seine Augen weiteten sich, als ihm erklärt wurde, um wen es sich handelte.
„George Hanning? Der berühmte Mister Hanning? Sagen Sie bloß, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt!“
Eine kurze Minute des Schweigens folgte, in der Michael gespannt lauschte, was Reyes zum Tod des Mannes berichten konnte.
„ Das meinen Sie nicht ernst. In den Suppentopf? Ist er denn überhaupt schon unterwegs zu mir?“
Die Tür zum Operationsraum ging auf und Michaels Gehilfe trat ein, eine Trage vor sich herschiebend. „Frischfleisch“, sagte er und setzte ein breites Grinsen auf. Michael murmelte nur etwas Unverständliches vor sich hin und nahm das Gespräch wieder auf.
„Hat sich erledigt, ist soeben eingetroffen, Agent Reyes. Wonach soll ich suchen?“ Bitte kein Gift, bitte kein Gift!
„Gift. Aha. Und das ist nicht irgendwie zufällig über die Haut übertragbar?“ Verdammt, und der Tag hatte so schön angefangen!
Er blickte auf den Operationstisch, auf dem der Burger darauf wartete, gegessen zu werden. Nach Reyes’ Kommentar fuhr Michael energisch dazwischen.
„Berufsrisiko? Ich bitte Sie, ich mach das doch nicht aus Vergnügen hier!“
Schweigen.
„Ihnen auch viel Spaß...!“
(„Klick!“)
Michael setzte einen leicht misstrauischen Blick auf, als er auf die Trage blickte, auf der die Leiche von George Hanning lag. Der Gehilfe des Pathologen stand kurze Zeit später neben ihm und schien recht gespannt zu sein, was im Folgenden wohl zutage gefördert werden würde. „Brauchen Sie Hilfe, Michael?“, fragte er. Michael wandte sich dem Jungen zu: „Nein, in diesem Fall nicht. Das heißt - “ Er warf einen Blick auf den Operationstisch hinter ihm. „Doch, du kannst losgehen und mir noch einen doppelten Cheeseburger mit extra viel Ketchup besorgen. Dir kannst du auch einen mitbringen.“ – Der Gehilfe verzog sein Gesicht: „Zum Frühstück?“, fragte er leicht irritiert. Michael grinste: „Na ja, auf jeden Fall besser als eine Leiche zum Frühstück, oder?!“
„Ja. Schon.“
„Nun?“
„Ähm...“
„Also geh’. Ich werde versuchen, das hier so schnell wie möglich abzuschließen.“
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Michaels Gehilfe verschwand kurz darauf. Der Pathologe selber ging zum Wandschrank und holte ein sauberes Paar Gummihandschuhe heraus, welches er über seine großen Hände zog. Alsbald machte er sich an seine Arbeit. Während er den ersten Schnitt vornahm, war er in Gedanken jedoch schon bei dem doppelten Cheeseburger, welchen er in Kürze genüsslich verspeisen würde. Oh ja, welch’ Genuss! Welch -
Ein seltsames Kneifen in seiner rechten Hand lief ihn urplötzlich zusammenzucken. Das Skalpell entglitt seinen Fingern und fiel mit einem dumpfen Knall auf den gefliesten Boden, auf dem sich innerhalb kürzester Zeit eine kleine rote Pfütze bildete. Eine Pfütze aus Blut – frischem Blut! –
Michael wollte schreien, aber die Schmerzen waren zu stark, als dass er sich ihnen hätte widersetzen können. Er biss die Zähne zusammen und versuchte verzweifelt an das Telefon zu gelangen, um Hilfe herbeizuordern. Doch auf halbem Wege sackte sein Körper zusammen. Krämpfe packten den Mann, als ein weiterer Schmerzensschub seinen immer schwächer werdenden Körper peinigte. Kneifen , Schmerzen – der arme Mann erlitt fürchterliche Qualen.
Ein lautloser Schrei wanderte durch die weißen Gänge des Pathologischen Institutes, ein vergeblicher Versuch, sich gegen etwas aufzulehnen, das stärker als man selber ist. Ein letzter Hilferuf eines Mannes, dessen Leben in diesen Minuten schon begann an ihm vorbeizuziehen. Ein letztes Auflehnen ...
... vergeblich.
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9:23 Uhr
„Bin wieder da!“ , rief der junge Mann und machte sich auf den Weg Richtung Obduktionsraum. Seine rechte Hand beinhaltete einen fettigen Altpapierbeutel, den ein übergroßer goldener Buchstabe zierte. Die andere Hand lässig in der Tasche, öffnete der Mann vorsichtig die Tür des Obduktionsraumes und blickte durch den immer größer werdenden Spalt.
„Michael? Sind Sie schon fertig? Ich habe hier einen doppelten Cheeseburger und eine extragroße Coke für Sie. Und - “ – Der Junge blickte auf die Tüte, die an ihrem unteren Ende rhythmisch zu tropfen begann.
„Vergessen Sie die Cola, die lässt sich gerade der Boden schmecken. Sind Sie nun schon ... oh mein Gott!“
Michaels Gehilfe ließ den Beutel mit der Mahlzeit auf den von Cola durchtränkten Marmorboden fallen und war drauf und dran, es dem Essen gleichzutun. Sein Chef war fertig!
Das, was von ihm übrig geblieben war, lag ziemlich unästhetisch in einer großen Blutlache und sein Gehilfe , Peter P. King, erkannte sofort, dass da nicht mehr viel zu retten war.
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