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Shakespeare, Fahrstühle und Beziehungskisten II

von Kinona

Kapitel 1

Es ist ein Tag wie jeder andere gewesen. Zumindest bis zu dem Augenblick, als Mulder mir einen Umschlag auf den Tisch legte. Zunächst dachte ich, es hätte irgend etwas mit einem neuen Fall zu tun, doch sein Blick und dieses ungewohnte Lächeln verrieten mir, dass ich falsch lag. Als ich den Umschlag aufmachte fielen mir zwei Theaterkarten entgegen. Ich war ernsthaft irritiert.

„Hamlet! Heute Abend um 20 Uhr.“, erklärte Mulder. „Ich dachte mir, Sie hätten vielleicht Interesse mich zu begleiten.“

Und plötzlich war alles wieder da. Ich erinnerte mich daran, wie ich vor gut drei Wochen mit einem dunkelhaarigen Mädchen im Aufzug stecken blieb. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Mulder sich tatsächlich noch an meine Frage erinnern würde, was er von Shakespeare hält. Ich war überrascht, positiv überrascht.

So kam es, dass ich seine Einladung annahm. Und ohne das ich es wusste, öffnete ich damit dem Chaos Tor und Tür.

Zugegeben: Ich hatte Mulder nie für einen Theatergänger gehalten, doch er hielt sich gut. Er erschien in einem dunkelgrauen Anzug, hatte keine seiner gewöhnungsbedürftigen Krawatten an, und er schlief nicht während der Vorstellung ein. Kurz gesagt: Wir verbrachten einen wundervollen Abend zusammen. Und als wir hinaustraten in die Nacht, wünschte ich mir, dass dieser Abend nie zu Ende gehen würde. Lucy und mein Gespräch mit ihr, hatte ich bereits vollkommen verdrängt. Doch eine Frage brannte mir immer noch auf der Zunge:

„Sagen Sie Mulder, wie komme ich eigentlich zu dieser Ehre?“

„Nun, nachdem ich jetzt weiß, dass Sie meine Vorliebe für Old Will teilen, dachte ich mir: Warum alleine ins Theater gehen...“, antwortete er lächelnd.

„Sie haben eine Vorliebe für Shakespeare? Romeo und Julia? Viel Lärm um nichts? Ein Sommernachtstraum? Shakespeare? Und ich meine das Original, nicht die neumodischen Verfilmungen mit populären Darstellern?“, witzelte ich.

„Nun, eigentlich ist Hamlet mein Lieblingsstück. Ist irgendwie... realistischer als der ganze Rest!“, entgegnete er.

„Realistischer?“

„Mit einer Bühne voll toter Dänen am Ende und nicht mit einem Kuss!“, grinste er. „Und außerdem wissen Sie doch, wie sehr ich auf Verschwörungsgeschichten stehe...“

„Mulder, ich glaube, Sie sind der einzige Mensch, der es fertig bringt Shakespeares Tragödie über einen jungen Prinzen mit Aliens in Verbindung zu bringen!“, erwiderte ich lachend.

„Sie glauben mir nicht?“, wollte er wissen.

„Das Sie Shakespeare-Fan sind?“, fragte ich. „Nun sagen wir es so: Ich sehe Sie eher als Cineasten!“

Plötzlich blieb er stehen. Mit ausholender Geste und ernster Miene blickte er mich an und begann zu zitieren: „My mistress´ eyes are nothing like the sun; coral is far more red than her lips´red; if snow be white, why then her breasts are dun; if hairs be wires, black wires grow on her head. I have seen roses damask´d, red and white, but no such roses see I in her cheeks: And in some perfumes is there more delight than in the breath that from my mistress reeks. I love to hear her speak, yet well I know that music hath a far more pleasing sound: I grant I never saw a goddess go- my mistress when she walks treads on the ground. And yet, by heaven, I think my love as rare as any she belied with false compare. (In ihrem Aug ist nichts von Sonnenstrahl, Korall ist röter als ihr Lippenpaar, wenn Schnee weiß ist so ist ihr Busen fahl. Sind Locken Draht, ist schwarzer Draht ihr Haar. Ich schaute Rosen zwiefarb, weiß und rot, doch solche Rosen trägt nicht ihr Gesicht, und ich fand Duft der mehr an Reizen bot, als jener Hauch der aus dem Mund ihr bricht. Ihr reden hör ich gern, doch muss gestehen: Musik hat einen angenehmern Klang. Ich sah noch niemals eine Göttin gehen: SIE schreitet auf dem Grund bei ihrem Gang. Und doch ist meine Liebe mir so reich als jede die man fälscht mit Lug-Vergleich.)“

Für einen Moment verschlug es mir die Sprache.

„Ich bin beeindruckt!“, gestand ich.

„Freut mich, dass ich Sie nach all den Jahren immer noch überraschen kann!“, lächelte er.

Und als sich unsere Blicke trafen, wusste ich plötzlich nicht mehr, was ich antworten sollte. Eine ungewohnte Spannung lag in der Luft. Momente lang war es still.

Es war Mulder, der die Stille durchbrach.

„Im Literaturkurs bekamen wir einmal die Aufgabe, ein Stück vorzutragen, das versucht uns eine wichtige Lebensweisheit näher zu bringen.“, erklärte er ernst. „Seitdem ist mir dieses Gedicht nie wieder aus dem Kopf gegangen, und ich begriff, dass Shakespeare nicht nur ein hoffnungsloser Romantiker, sondern auch ein sehr kluger Mann war!“

„Oder um es mit Lessings Worten auszudrücken: Trau keinem Menschen ohne Mängel, und lieb ein Mädchen, keinen Engel!“, erwiderte ich.

Wieder trafen sich unsere Blicke und diese ungewohnte Stille zwischen uns trat ein. Dann spürte ich plötzlich erste Regentropfen auf meiner Haut.

„Es wird Zeit dass wir uns ein Taxi besorgen!“

Noch während wir im Taxi saßen, entwickelten sich die wenigen Regentropfen zu einem regelrechten Wolkenbruch. Vielleicht war das der Grund, dass wir beschlossen den Abend hier enden zu lassen. Vielleicht war es die Angst, die letzten Stunden durch irgend etwas zu zerstören. Vielleicht war es auch einfach nur die Unsicherheit vor dem was kommen könnte. Jedenfalls verabschiedeten wir uns.

Zu Hause angekommen rannte ich durch den Regen zur Haustür, in dem vergeblichen Versuch so trocken wie möglich zu bleiben. Noch während ich in der Handtasche nach meinem Schlüssel suchte, erblickte ich plötzlich eine zierliche Gestalt, die, vom Regen durchnässt und zusammengekauert, auf einer Reisetasche auf der Treppe saß. Erst als sie mich mit tränengefüllten Augen ansah, erkannte ich das junge Mädchen.

„Lucy?“

Vorsichtig beugte ich mich zu ihr hinab. Im instinktiven Versuch sie zu trösten und zu wärmen, legte ich meinen Arm um sie. Zitternd ließ sie es über sich ergehen und sah mich mit großen, entschuldigenden, todtraurigen Augen an. Ihr Anblick ließ mich für einen Moment sogar den strömenden Regen vergessen.

„Lucy, was machst du denn hier?“, fragte ich ernsthaft besorgt. „Ist etwas passiert?“

„Alen!“, stotterte sie. „Alen ist passiert.“

Jedes Wort schien sie unglaubliche Anstrengung zu kosten. Ohne auch nur erahnen zu können wovon sie sprach, half ich ihr auf.

„Lass uns reingehen!“, schlug ich vor. „Sonst erkältest du dich noch.“

Ihre Kleidung war schon vollkommen durchnässt und ich konnte nur erahnen, wie lange sie schon hier gesessen hatte. Mit Schrecken dachte ich daran, dass sie schwanger war und hoffte, dies würde keine ernsthaften Konsequenzen haben.

Sie zitterte. Ihre Bewegungen schienen in Zeitlupentempo abzulaufen. Und in diesem melancholischen, erschreckend leeren und irritierten Blick war nichts mehr von dem lebensfrohen, sympathischen Mädchen zu sehen, dass ich vor drei Wochen kennen gelernt hatte.

Doch die Ärztin in mir war stärker als meine Neugier. Bevor ich mich selber von meinem Abendkleid befreite, gab ich ihr einen dicken, bequemen Jogginganzug aus meinem Kleiderschrank.

„Hier, zieh das an!“, bat ich. „Deine Sachen sind ja ganz nass!“

Ohne Widerworte folgte sie meiner Aufforderung.

Nachdem ich mich selber umgezogen hatte, führte ich sie ins Wohnzimmer, setzte Teewasser auf und gab ihr eine Decke, in die sie sich dankbar kauerte. Sie sah aus wie ein einziges Häuflein Elend, wie sie so auf meiner Couch saß. Und doch wusste ich nicht, wie ich das Gespräch beginnen sollte. Sie hatte etwas von Alen gesagt. Alen Siemens, der Vater ihres ungeborenen Kindes, der Mann, den sie abgöttisch liebte. Während ich noch nach den richtigen Worten suchte, traf mich ihr Hilfe suchender Blick.

„Es tut mir leid, ich wusste nicht wo ich hin sollte.“, begann sie mit immer noch zittriger Stimme.

„Was ist passiert?“, versuchte ich erneut herauszufinden.

„Eigentlich wollte ich heute Abend zurück nach L.A. fliegen. Mein Flug ist vor zwei Stunden gewesen.“, begann sie leise zu erzählen.

Das erklärte schon einmal die Reisetasche, aber immer noch nicht, weshalb sie überhaupt hier war.

„Vom Flughafen aus habe ich einen Freund angerufen, der mich abholen sollte. Wir haben uns unterhalten. Und plötzlich sagt er... Es war alles eine Lüge!“, fuhr sie stotternd fort. „Er hat mich die ganze Zeit über belogen!“

Sie stockte.

„Alen?“, fragte ich in dem vergeblichen Versuch aus ihrer Geschichte klug zu werden.

Sie nickte nur. Beruhigend strich ich ihr über den Rücken. Erneut wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Einen Moment lang fühlte ich mich vollkommen hilflos, dann nahm ich sie in den Arm. Sie weinte an meiner Schulter und ich strich ihr beruhigend über den Rücken. Es war okay. Es bedurfte keiner Worte. Die Gefühle, die sich in ihr angestaut hatten mussten raus, dass wusste ich. Und wir hatten alle Zeit der Welt.

Erst als sie sich nach einer Weile beruhigt hatte stand ich auf, und holte den Tee aus der Küche.

„Freundschaft hält Stand in allen Dingen, nur in der Liebe Dienst und Werbung nicht...“, begann sie nach einer Weile zu zitieren. „Ist´s Sieg der Nacht, ist es die Scham des Tages, Dass Finsternis der Erd´ Antlitz begräbt, wenn lebend Licht es küssen sollte?“

Krampfhaft versuchte ich aus ihren Worten schlau zu werden. Ich beobachtete, wie sie versuchte sich an der heißen Tasse die Hände zu wärmen. Dann kam mir eine Idee.

„Gib Worte deinem Schmerz: Gram der nicht spricht, presst das beladene Herz, bis dass es bricht.“, zitierte ich.

Sie blickte mich an, zunächst schien sie zu überlegen, dann umspielte ein Lächeln ihre Lippen.

„Wissen Sie, Agent Scully: Die Liebe lässt uns Dinge bedingungslos glauben, denen wir sonst nur mit größtem Misstrauen begegnen würden.“, begann sie plötzlich wieder zu reden. „Ich glaubte doch tatsächlich, dass alles gut werden würde. Ich dachte, dass ich stark genug wäre. Ich hoffte, wenn ich ihn nur von ganzem Herzen lieben würde, hätte er gar keine andere Wahl, als früher oder später meine Gefühle zu erwidern... Oh mein Herz, dein Hoffen endet hier! Sometimes we have to wake up, to realize that we´ve been dreaming.“

„Habt ihr euch getrennt?“, wollte ich wissen.

Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Offenbar waren wir nie ein Paar! Ich habe mir die ganze Zeit etwas vorgemacht... Hätte er auch nur einen Moment etwas für mich empfunden, würde es ihm nicht so leicht fallen mich zu ersetzten. Hätte ich ihm auch nur annähernd so viel bedeutet, wie er mir, hätte er niemals eine andere in sein Herz gelassen!“

Die Worte trafen mich, wie ein Schlag. Und plötzlich sah sie mich mit unglaublich entwaffnendem Blick an.

„Und das Schlimmste an der Sache ist, das er nicht einmal den Mut hat, es mir zu sagen! Alle anderen haben schon längst mitbekommen, was zwischen ihnen läuft. Nur ich... Ich bin die Letzte, die es erfährt. Von einem gemeinsamen Freund. Scheinbar war ich für ihn nicht mehr als ein Abenteuer, das längst vergangen ist. Ein Abenteuer von dem niemand je erfahren wird...“

Wieder stockte sie.

„Und du bist sicher, das die ganze Sache nicht nur ein Missverständnis ist?“, fragte ich in der Hoffnung, sie würde weiterreden und mir so die Möglichkeit geben, die ganze Geschichte zu verstehen.

„Ich wünschte es wäre eins!“, antwortete sie leise. „David, unser gemeinsamer Freund, hat keinen Grund zu lügen. Er weiß nicht, was zwischen Alen und mir passiert ist. Wir haben es erfolgreich geschafft unsere kleinen Eskapaden geheim zu halten. Und jetzt weiß ich auch, weshalb er das so wollte. Rhonda, dieses andere Mädchen ist ebenfalls in unserem Freundeskreis. Und im Gegensatz zu der Sache mit mir, ist ihre Affäre mit Alen öffentlich. Alle wissen davon. Da würde es natürlich ein schlechtes Licht auf ihn werfen, wenn er plötzlich noch ein Eisen im Feuer hätte...“

„Aber wenn er diese Rhonda liebt, wieso dann...“

„Weil sie ihn nicht ranlässt. Scheinbar hat sie eine Tugend, die mir fehlt: Keuschheit! Laut David, ist das aber auch schon alles, was Alen an ihr auszusetzen hat. Und bis er sie so weit hat, bin offenbar auch ich gut genug, um seine Triebe zu befriedigen. Gott, ich fühle mich so ausgenutzt! Dabei bin ich selber schuld... Was geschehen ist, kann man nicht ungeschehen machen... Die kranke Seele will ins taube Kissen entladen ihr Geheimnis... Ich denk und darf nichts sagen... Vergessen kann ich nicht, dass das gewesen, was mir das Liebste war. Konnte der Himmel es anschaun und nicht helfen?“, wieder stockte sie und ich konnte sehen, wie die Tränen erneut ihre Wangen hinunterliefen. „Es tut mir leid! Ich tauche hier einfach auf und heule Ihnen die Ohren voll...“

„Keine Gesichter sind echter, als die so gewaschen werden.“ ,zitierte ich lächelnd und versuchte, ihr das Unbehagen zu nehmen. „Ich freue mich dich wieder zu sehen und du kannst natürlich so lange bleiben wie du willst.“

Wieder sah sie zu mir auf und zum ersten Mal an diesem Abend konnte ich wieder diesen Funken in ihrem Blick erkennen, der mich schon bei unserem ersten Treffen in den Bann gezogen hatte.

„Danke!“, flüsterte sie.

„Es wird alles wieder gut!“, lächelte ich.

„Die größte Lüge der Menschheit!“, entgegnete sie sarkastisch. „Ich will gar nicht wissen wie viele Menschen dieser Satz schon mit offenen Augen ins Verderben hat rennen lassen.“

Ich musste lachen.

„Wir sollten jetzt schlafen gehen!“, schlug ich vor. „Und morgen sehen wir weiter...“

Zu meinem Erstaunen schlief Lucy in dieser Nacht so friedlich wie ein kleines Kind. Und um ehrlich zu sein, muss ich gestehen, dass es eine beruhigende Wirkung auf mich hatte, diese kindlichen Züge zu betrachten. Denn im Gegensatz zu ihr, schlief ich in dieser Nacht nicht viel. Zu sehr hatte ich damit zu tun, die Gefühle, die erneut in mir aufgebrochen waren zu ordnen. Gefühle, die ich nicht verstand. Gefühle, die ich noch nicht bereit war zu realisieren...

Vielleicht lag es daran, dass ich beschloss, sie nicht alleine zu lassen in dieser Situation, vielleicht war es mein Wunsch zu helfen, vielleicht auch einfach nur die Angst davor, sie könnte eine Dummheit begehen. Jedenfalls informierte ich Mulder durch eine knappe Nachricht auf dem Anrufbeantworter davon, dass ich heute erst später ins Büro kommen würde.

Während ich in der Küche Frühstück für Lucy und mich zubereitete, etwas was selten genug vorkam, fragte ich mich immer wieder, wie ausgerechnet ich ihr helfen könnte. Ich wurde durch das Geräusch der zufallenden Badezimmertür aus meinen Gedanken gerissen. Doch gerade als ich anfangen wollte mir Sorgen zu machen, torkelte Lucy bereits zu mir in die Küche.

„Morgen!“, lächelte sie schüchtern.

Irgendwie wirkte sie noch blasser als sonst. Und der traurige Blick in ihren Augen verriet mir, dass sie unser Gespräch von gestern Abend immer noch beschäftigte.

„Morgen!“, antwortete ich aufmunternd. „Gut geschlafen?“

„Zu gut!“, entgegnete sie. „Ehrlich gesagt war ich überzeugt davon, dass ich Alpträume haben würde. Statt dessen habe ich geschlafen wie ein Baby. Doch meine morgendliche Übelkeit hat mich wieder in die Realität geholt... Wenigstens etwas, was gleich bleibt, worauf ich mich verlassen kann!“

Bei den letzten Worten versuchte sie meinem Blick auszuweichen. Doch irgendwann zwischen jetzt und dem Augenblick als Lucy zum ersten Mal in meinem Leben auftauchte, hatte ich beschlossen ihr zu helfen. Auch ohne Mulders psychologischer Vorbildung, wusste ich, dass sie jemandem zum Reden brauchte. Und wenn Zuhören das einzige war, was ich tun konnte, dann würde ich das tun. Wie ich sie zum Reden bringen konnte, wusste ich...

„Ihr Herz ist schmerzlich beladen. Ich möchte nicht ein solches Herz im Busen tragen, nicht für den Königsschmuck des ganzen Leibes...“, flüsterte ich sanft.

Es wirkte. Plötzlich blickte sie mich mit beinahe erleichtertem Gesichtsausdruck an.

„Es heisst: Komme nie in die Gunst einen Engel zu lieben, denn du wirst es auch mit all deiner Kraft nicht schaffen ihn am Fliegen zu hindern. Nun weiß ich, dass es stimmt, und doch habe ich nicht die Kraft zu bereuen. Alles was ich will, ist er. Ich wünschte, er würde mir eine Chance geben. Ich wünschte, er würde nur für einen Moment in Erwägung ziehen mich zu lieben. Ich schwöre, ich würde alles tun, damit er es nicht bereut...“

„Warum sagst du ihm das nicht?“, wollte ich wissen.

„Das kann ich nicht!“, entgegnete sie. „Man stellt keine Fragen, wenn man nicht bereit ist, die Antwort zu hören. Er hat sich schon längst entschieden. Alles, was ich jetzt noch sage, kann nur in einer Katastrophe enden... Für jedes Wort wirst du bestraft auf Erden, für jedes Mal, das du das Schweigen brichst. So tief du liebst, wirst du verwundet werden, missverstanden fast so oft du sprichst.“

Tief in meinem Innern verstand ich sehr wohl, was sie meinte. Manchmal waren Worte, die tödlichste aller Waffen. Doch im Moment konnte ich dieses Argument nicht akzeptieren.

„Durch Schweigen löst man keine Probleme!“

„Nein!“, lächelte sie. „Doch manchmal kann man sie nur durch Schweigen verhindern.“

Ich blickte sie an und musste grinsen. So sehr mich ihre Dickköpfigkeit im Moment auch zur Weißglut brachte, so sehr erinnerte sie mich doch an mich selber.

„Lass uns Frühstücken!“, gab ich mich schließlich geschlagen.

Und Lucy nahm mein Angebot dankend an. Doch so leicht wollte ich nicht aufgeben.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte ich. „Ich meine...“

„Ich weiss es nicht!“, antwortete sie auf meine unausgesprochene Frage. „Hätt´ ich ihn nur mit Augen nie gesehen! Er hält es mit der Treue wie mit der Form seines Hutes, die immer mit der nächsten Mode wechselt. Man holt ihn sich schneller als die Pest, und wen er angesteckt hat, der wird augenblicklich verrückt... Und doch liebe ich ihn. Vielleicht war es auch anmaßend von mir, zu erwarten, dass er meine Liebe erwidert. Immerhin wurde mir mein größter Wunsch bereits erfüllt: Für einen kurzen Moment wurde mir gestattet, ihm meine Liebe zu zeigen. Und die Frucht dieser Liebe trage ich nun unter meinem Herzen. Und ist´s geschehen, sag´ alle Welt auch nein, behaupt ich, aller Welt zum Trotz, mein Recht. Mein Denken kann das, was er ist, nicht wandeln. Stets sind Engel hell, fiel auch der hellste.“

Und in diesem Moment erkannte ich wieder das, was mich schon bei unserem ersten Treffen mit ihr so fasziniert hatte. Diese unglaubliche Stärke. Trotz ihrer scheinbaren Hoffnungslosigkeit, hielt sie an der Reinheit ihrer Gefühle fest. Trotz all dem Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, verurteilte sie ihn nicht. Sie versuchte zu akzeptieren und war dankbar für das wenige, was er ihr gegeben hatte. So schwer ihr dies auch fallen mochte.

„Wie deine Worte zieren dich die Wunden...“, lächelte ich und griff zärtlich nach ihrer Hand. „Doch ich will nicht glauben, dass es so zu Ende geht. All things happen for a reason. Nichts im Leben ist vollkommen hoffnungslos, tragisch und traurig: Auch die bitterste Träne, die du weinst, kitzelt auf der Wange. Verliebte Neigung schmält man nicht hinweg: Ein Tropfen Liebe ist stärker als ein ganzer Ozean an Wille und Vernunft...“

Ich wunderte mich selber über meine Worte. Und für einen Augenblick fragte ich mich, was Mulder sagen würde, wenn er seine kleine, rationale Scully so sprechen hören würde.

„Lass mich dir einen Rat geben.“, fuhr ich fort. „Rede mit ihm! Sag ihm, was du mir gesagt hast. Nicht sofort, sondern, wenn du dich bereit dafür fühlst. Wenn er sich bereits entschieden hat, was hast du dann noch zu verlieren?“

Mit großen traurigen Augen sah Lucy mich einen Moment lang an. Dann versuchte sie zu lächeln.

„Die Hoffnung!“, antwortete sie.

Ich musste grinsen.

„So jung und schon so klug? Groß möchtest du sein, bist ohne Ehrgeiz nicht; doch fehlt die Bosheit, die ihn begleiten muss. Was recht du möchtest, das möchtest du rechtlich; möchtest falsch nicht spielen und unrecht doch gewinnen:... blick harmlos wie die Blume, doch sei die Schlange drunter. Wenn du ihn so sehr liebst, dann kämpf um ihn, denn sonst hast du bereits verloren!“

Doch alles was ich erntete war ein gequältes Lächeln.

„Ich kann ihn nicht vor die Wahl stellen.“, entgegnete sie kraftlos. „Dazu fehlt mir der Mut. Ich kann nur abwarten und hoffen... Will das Schicksal mich als König, nun, mag mich das Schicksal krönen, Tu ich auch nichts!“

Ich wusste das jegliche weitere Diskussion zwecklos war. Und vielleicht war alles was sie brauchte auch einfach nur ein bisschen Zeit. Etwas anderes schoss mir plötzlich durch den Kopf: „Tu mir bitte einen Gefallen: Ich habe hier die Nummer meines Gynäkologen. Du bist gestern allem Anschein nach ziemlich lange im Regen gesessen. Es würde mich beruhigen, wenn du dich untersuchen lässt. Nur um sicher zu gehen, dass du dich nicht verkühlt hast und mit dem Baby alles okay ist...“
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