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Das 11. Gebot

von Kinona

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Seit ich dich kenne, beichte ich nicht!

Hast du eigentlich eine Ahnung, was das heißt? Weißt du, wie viel mir das bedeutet? Wie schmerzhaft es ist?

Seit ich denken kann, hat mich dieses hölzerne Gestell des Beichtstuhles magisch angezogen. Es strahlte eine ganz eigene, starke Faszination aus. Sehnsüchtig blickte ich den Erwachsenen hinterher, wie sie darin verschwanden. Wie sie hinterher sichtlich erleichtert, zufrieden, beinahe von innen strahlend wieder herauskamen.

Und am Tag, als ich zum ersten Mal selber zur Beichte durfte, wurde ich nicht enttäuscht: Es war eine erhabene Erfahrung.

Ja, ich weiß, dass das lächerlich klingt. Doch zu meiner Verteidigung muß ich sagen, ich war damals noch sehr jung und naiv.

Nun ja, vielleicht ist naiv das falsche Wort. Unschuldig! Unschuldig trifft es besser.

Ich wusste noch nichts von der großen bösen Welt. Damals gehörten schmierige Doppelagenten, unberechenbare Psychopathen, weltumfassende Verschwörungen, Entführungen durch Aliens, und durch Krebs verursachte Unfruchtbarkeit noch nicht zu meinem täglichen Leben.

Zu jener Zeit durfte ich noch daran glauben, dass jede Prinzessin ihren Prinzen findet und mit ihm glücklich und zufrieden alt wird. Die harte Realität hatte mich noch nicht eingeholt.

Ich glaubte an einen barmherzigen Gott. Einen Gott, der verzeiht. Der einen liebt. Ich glaubte daran, dass er einem alle Sünden vergibt, solange man nur bereut.

In der Beichte fand ich Hoffnung, Kraft und Trost.

Doch mein Glaube wurde einmal zu oft auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Und ich erwies mich als nicht ganz so standhaft, wie ich gedacht hatte. Ich bin gescheitert.

Seit ich dich kenne, beichte ich nicht!

Dabei hätte ich den Trost, die Kraft und die Hoffnung, die ich damals empfand, nötiger als je zuvor. Doch der einfache Vorgang des Beichtens, Bereuens und der Buße, liegt nicht mehr in meiner Macht.

Ich habe es versucht. Oh wie oft saß ich schon vor einem Priester und begann mit dem gewohnten: „Vater vergib mir, denn ich habe gesündigt...“

Wie viele Sünden habe ich gestanden, wie viele Fehler zugegeben. Doch meine Seele fand keine Ruhe. Denn meine größte Schuld gestand ich weder den Priestern, noch dem Herrn.

Ja, ich wollte es mir lange genug nicht einmal selber eingestehen. Die größte Sünde meines Lebens, die Schuld, die zu meinem Verhängnis wurde, wegen der ich auf ewig in der Hölle schmoren werden, weil ich nicht in der Lage bin sie zu bereuen. Meine größte Sünde warst und bis immer noch du.

Seit ich dich kenne, beichte ich nicht!

Nicht so wie früher. Deinetwegen habe ich jede Todsünde begangen, gegen jedes der Gebote, die mir einmal so wichtig waren, verstoßen.

Längst bist du zu meinem Gott geworden. Zum Mittelpunkt meines Lebens. Zu der Sonne, die mich wärmt und der Luft, die ich atme.

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon im Rausch der Gefühle den Namen des Herrn in deinen Armen geschrien habe. Und dein Name ist schon lange zu meinem Mantra geworden, dessen Klang mich in den Schlaf wiegt.

Seit ich dich kenne, besitze ich weder Scham- noch Zeitgefühl. Längst macht es keinen Unterschied mehr für mich, welcher Wochentag es ist. Sonntage haben schon längst an Bedeutung verloren. Genauso wie alles, was ich einst mein Leben nannte. Der einzige Unterschied, den ich kenne, sind Tage mit dir und Tage ohne dich.

Seit ich dich kenne, scheint es, als würden mich alle anderen Menschen, die mir je etwas bedeutet haben, nur verlassen.

Mein Vater starb, ohne dass ich an seiner Seite war. Noch immer frage ich mich, was seine letzten Worte gewesen wären, wenn er gewusst hätte, dass wir uns nie wieder sehen.

Und meine Mutter ist mir fremd geworden. So wie alle, die mir einst nahe waren.

Je näher ich dir kam, desto mehr entfernte ich mich von allen anderen.

Für dich habe ich gemordet, gestohlen und gelogen. Unzählige male. Ich belog mich selber, und alle anderen.

Seit ich dich kenne, weiß ich was Begehren ist. Ich begehre dich mit jeder Faser meines Körpers. Liebe dich. Blind und bedingungslos. Und nichts und niemand könnte daran etwas ändern. Kein Hindernis, keine noch so großen Steine, die sie uns in den Weg legten. Keine andere Frau. Jede, die es versuchte, ist daran gescheitert. Keine deiner wiedergekehrten Verflossenen wagte es, gegen mich anzutreten. Denn sie ahnten, dass ich entschlossen war, alles für dich zu opfern.

Und keine dieser Sünden bereue ich. Jede einzelne würde ich wieder tun. Im vollen Bewußtsein darüber, dass es meine Verdammnis bedeutet. Dass ich auf ewig dafür in der Hölle schmoren werde.

Selbst das oberste aller Gebote, habe ich gebrochen. Du sollst deinen Nächsten und Gott den Herrn lieben und ehren, wie dich selbst. Denn jeder Funke Liebe und Ehrfurcht, den ich hatte, opferte ich dir. Weder für mich, noch für irgend jemand anderen, nicht mal für den Allmächtigen, blieb etwas davon übrig.

Ja, ich habe Mord, Diebstahl und Lüge nicht nur an anderen, sondern auch an mir selber betrieben, an meiner Seele. Deinetwegen habe ich jegliche Unschuld verloren.

Doch dich zu lieben wurde zu meinem neuen, höchsten und einzig relevanten 11. Gebot.

Seit ich dich kenne, beichte ich nicht.

Denn zum ersten mal fehlt mir zur Buße der Wille und die Kraft. Von all den Sünden, die ich in meinem Leben begann, bist du die erste, die ich niemals bereuen werde.

Und darum: Seit ich dich kenne, beichte ich nicht...
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