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Beyond the Truth

von XFilerN

Kapitel 7

~* 7 *~



„Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet; uns daran erinnert, jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen. Was wir hinterlassen, ist nicht so wichtig, wie die Art, wie wir gelebt haben; denn letztlich sind wir alle sterblich!“





Seattle, Innenstadt

Krankenhaus, Intensivstation



Dunkle Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet, Ringe der Schlaflosigkeit und des Schmerzes. Seine ganze Aufmerksamkeit galt nur noch Dana, die mit Schläuchen in Mund und Nase leblos vor ihm lag. Die Ärzte, Pfleger und Schwestern, die gelegentlich ins Zimmer kamen und ihre Vitalfunktionen prüften, bemerkte er beinahe nicht. Nur vage nahm er wahr, wie sie sich Notizen machten und sich miteinander über ihre Patientin unterhielten, deren Chancen zu überleben sie gleich null einschätzten. Vermochten sie es nicht zu sehen, dass diese Frau mehr war, als nur ein bloßer Name auf dem Krankenblatt? John konnte den Argwohn nicht unterdrücken, der bei jedem Wort, das über sie gesprochen wurde, in ihm anstieg. Ein Name – Dana Scully – für ihn bedeutete der Name nichts. Was zählte war die Frau, die er ein zweites Mal lieben gelernt hatte. Sie hatte ihm das versucht zurück zu geben, was er vor Jahren schon verloren hatte – Hoffnung, Zuversicht, Geborgenheit, Liebe und vor allem ihre gemeinsame Vergangenheit. Was nun für John Vergangenheit wurde, war noch vor wenigen Stunden ihre Gegenwart gewesen und ihre Zukunft.

Er nahm ihre kleine Hand in seine, streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken und versuchte nicht an das Unvermeidliche zu denken. Doch der Schmerz, über das Bevorstehende, war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Seine Haut war blass, seine Augen ausdruckslos und er zitterte am ganzen Leib.

Behutsam strich er ihr eine Strähne ihres matt gewordenen, roten Haares aus dem Gesicht und bedachte der kurzen Zeit, die er gemeinsam mit ihr hatte verbringen dürfen. Wenige Wochen mit ihr hatten sein Leben so sehr verändert, dass er sich keinen Tag mehr ohne sie vorstellen konnte. Er atmete tief und schwer ein. Piepende Geräusche der Lebenserhaltungssysteme drangen wie durch einen Nebel an sein Ohr. Töne, die ihm als einziges zeigten, dass sie noch am Leben war. Schwach, aber am Leben. Und solange er diese Geräusche vernahm, war er nicht bereit sie aufzugeben, auch wenn es die Ärzte längst getan hatten.



Stunden vergingen und nichts änderte sich an ihrem Zustand. Mitten in der Nacht, als ein Arzt zur Visite kam und John die Prognose mitteilte, dass sie die Geräte ausschalten würden, die ihren geschwächten Körper am Leben erhielten, verschwand auch der letzte Funke Hoffnung in ihm. Sein Kinn begann zu zittern als der Arzt ihm eine Hand auf die Schulter legte und bedauernd sagte: „Bereiten Sie sich auf den Abschied vor, Mr. Donahou. Sie hat nur noch wenige Stunden.“ Benommenheit breitete sich in John aus. , fragte er sich. Es war als würde eine fremde Macht sein Herz in der Hand halten und es langsam zerquetschen. Wie in Trance nickte John zustimmend und Tränen sammelten sich in seinen Augen. , erinnerte er sich an die Worte des Arztes.

Allein in dem kleinen Zimmer, mit der Frau der sein Herz gehörte, begann er seinem Kummer freien Lauf zu lassen und weinte bittere Tränen. Die salzige Essenz rann ihm über die Wangen, tropfte vom zitternden Kinn und versank in Danas Halsbeuge, in welche John sich Halt suchend schmiegte. Ihr süßer Duft drang ihm in die Nase und er atmete ihn tief ein – wollte ihn niemals vergessen und ihn in seiner Erinnerung aufnehmen. Wie war es nur möglich, dass keiner der Mediziner imstande dazu schien die Gehirnblutung zu stoppen? Wie war es überhaupt möglich, dass sie hier lag, im sterben, wo sie sich doch nur wenige Stunden zuvor leidenschaftlich geliebt hatten? Er hatte ihre Lebendigkeit gespürt, ihre Liebe.

Schluchzer entrannen seiner Kehle, als er ihren Namen flüsterte. Er flehte um Gottes Gnade, ihm diesen Schmerz zu ersparen. Vergeblich. Nur noch wenige Stunden, hörte John erneut die Stimme in seinem Kopf.

, bat er sie in Gedanken. Bilder durchzuckten das Dunkel seiner Gedanken. Plötzlich, unkontrolliert und wirr – aber deutlich.

Sie zeigten Dana, wie sie in einem Bett lag, eine Situation ähnlich wie diese. Er saß weinend vor ihr, suchte Schutz und eine Antwort auf seine Frage – Warum? Heiße Tränen benetzten sein Gesicht, fielen pausenlos auf ihre Hand, die er fest umschlossen hielt, als könne er sie somit am Leben halten. Kurze fragmentale Geistesblitze, mehr nicht, aber sie waren von Bedeutung, das fühlte John. Wieder sah er Dana schlafend auf einer Ledercouch. Er deckte sie liebevoll zu, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann blickte er plötzlich auf Dias, als die Tür aufging und er sich zu der Person umwandte, die den Raum betrat – sie war es, jünger diesmal. , schoss es John in den Sinn. Mehr und mehr Bilder wurden ihm deutlich. - Sie tanzten, in einem verrauchten Lokal - Sie stritten sich um ein Eis, spielten Baseball und küssten sich in einer Neujahrsnacht – Ein Kind, mit traurigem Blick, aber nicht Kathy. , erinnerte er sich wieder an den Namen des Mädchens. Wie eine Lawine aus meterhohem Schnee, begannen die Erinnerungen zurück zu kehren und auf John einzustürzen. Namen, Zahlen, Bilder - mehr und mehr – die Vergangenheit kam zurück.

Ein Lächeln umspielte seine Züge. „Dana, ich kann mich erinnern. Ich bin es wieder – ich bin Mulder!“, sagte er freudestrahlend zu Scully. Doch seine Freude löste sich in Trauer auf, als er sich dessen wieder bewusst wurde, dass sie ihn nicht hörte. Plötzlich schien der Schmerz noch größer, jetzt da er endlich wusste, was sie versucht hatte ihm zurückzugeben. Die Erinnerungen an ihre Arbeit, ihre Partnerschaft, die Freundschaft und ihrer grenzenlosen Liebe waren zurückgekehrt. Doch der Preis dafür war hoch. Mit praktisch jeder Erinnerung, die er wieder bekam, verlor Dana an Lebenskraft.

Sein Blick haftete an dem kleinen Monitor, der neben ihrem Bett stand. Die zackigen Linien wurden flacher, zeigten, dass das Leben aus ihrem Körper wich und er konnte nichts dagegen tun. Atemzug um Atemzug wurde ihr Körper schwächer.

Scully atmete ein.

„Geh nicht!“, bat er atemlos. Sie atmete wieder aus. Erneut verschleierten Tränen seinen Blick, doch er starrte wie paralysiert zu dem Monitor und wieder in Danas Gesicht.

Wieder atmete sie ein. „Wir brauchen dich!“, versuchte er sie verzweifelt zurückzuhalten. Ausatmen. „Ich liebe dich, Dana!“ Sekunden kamen Stunden gleich. Die Zacken wurden noch flacher. Sie atmete wieder ein, nur schwach.

„Für immer, Dana. Ich werde dich ewig lieben“, versprach er mit zitternder Stimme. Er wischte sich die Tränen aus den Augen, um sie besser ansehen zu können. Ein kurzer Blick auf den Monitor und wieder in ihr blasses und dennoch wunderschönes Gesicht. Kürzer und kürzer wurden die Abstände zwischen den piependen Geräuschen, mit jedem immer schwächer werdenden Atemzug, den sie nahm. Mulder hielt den Atem an, als er ihre Hand fest umschloss, das Piepen durchgehend wurde und ihr Herz schließlich stehen blieb. Langsam ließ er die angehaltene Luft aus seinen Lungen. Es schien so unwirklich, so unmöglich. Sie hatte ihn verlassen, jetzt, da er endlich seine Erinnerungen wieder hatte.

Mulder stand von dem Stuhl auf, den er seit mehr als zehn Stunden nicht mehr verlassen hatte, lehnte sich zu Scully und nahm die Schläuche aus Mund und Nase, gab ihr einen letzten Kuss, auf ihre blassen Lippen.

„Lebwohl, Dana“ brachte er mit Tränen erstickter Stimme hervor und nahm Abschied von ihr. Mulder betrachtete sie noch ein letztes Mal, bevor er schließlich das Zimmer verließ. Es war vorbei. Aus und vorbei. Sie war gegangen. Hatte ihn und ihr gemeinsames Kind sich selbst überlassen, um an einen besseren Ort zu gehen. Mulder hoffte so sehr, wie noch nie zuvor, dass es etwas nach dem Tod gab, eine Art Himmel. Sie verdiente es, nicht einfach nur tot zu sein und er betete, dass sie, wo immer sie jetzt auch war, dort ihre Familie wiedersehen würde.

Ein Arzt und zwei Schwestern kamen ihm auf dem schmalen Korridor entgegen, doch er beachtete sie nicht. Sie würden zu ihr gehen, um den Todeszeitpunkt festzulegen und schließlich ihre Akte zu den anderen legen. Sie würden die Akte in irgendeinen Schrank zu zig anderen sortieren und niemand würde sie je wieder dort herausholen.

Was ein Name für das Krankenhauspersonal war, bedeutete für ihn und seine Tochter den Verlust eines Menschen, den sie niemals vergessen würden und für immer einen Platz in ihren Herzen haben würde. Dana Scully hatte sich für die Ewigkeit entschieden und Mulder zusammen mit Kathy zurückgelassen. Allein. Sie war seine Welt gewesen, doch Mulder wusste, dass er nun stark sein musste. Für sich selbst und für ihre Tochter, die nun mehr denn je auf ihren Vater angewiesen war, und einen Teil von Dana Scully in sich trug.





Einige Tage später



Er saß auf einem Stuhl, Kathryn neben ihm, inmitten der vielen Trauernden, die zu Dana Scullys Beerdigung erschienen waren. Ihre Kleidung vollständig in schwarz oder dunkelgrau standen sie um ihn und seine Tochter herum, hielten Regenschirme in den Händen. Der Regen prasselte schon den gesamten Morgen auf Seattle herab, schmolz dabei den Schnee. Es war, als würde selbst der Himmel weinen an diesem Tag, zu warm für Schnee, doch nicht annähernd warm genug, um die Kälte aus seinem Herz zu verbannen.

Starr richtete sich sein Blick auf den Sarg, der vor ihm stand, geschmückt mit einem Kranz aus dunkelroten Rosen. Die kleine Hand Kathryns in seiner eigenen haltend, hörte er den Worten des Priesters aufmerksam zu.

Assisant Director Skinner war den weiten weg von Washington DC gekommen, um seiner ehemaligen Agentin die letzte Ehre zu erweisen. Direkt neben ihm stand John Doggett, der mitfühlend zu Mulder und seiner Tochter hinabblickte. Auch wenn er nur knapp ein Jahr mit Dana zusammengearbeitet hatte, so traf auch ihn der Schmerz des Verlustes deutlich.

Worte in Gedenken an das, was Dana in ihrem Leben geleistet und erlebt hatte, drangen durch den Regen an die Trauernden. Worte, die niemals all dies ausdrücken konnten, was Dana Scully in ihrem Leben tatsächlich bewirkt hatte. Zurück blieben nur Trauer, Wut, Angst und Hoffnungslosigkeit. Unendlicher Schmerz, der nicht in Worten auszudrücken war.

Die Bibel in der Hand haltend, las der Priester letztlich den Psalm Davids vor.

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird es an nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“ Wie durch eine große Entfernung hörte er die Worte. Bedachte ihnen. Dana würde es gefallen, so glaubte und hoffte Mulder zumindest. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Dann klappte er das heilige Buch zusammen, machte ein Kreuz vor dem Sarg und bespritzte ihn mit ein wenig Weihwasser, welches in einem kleinen Kübel neben ihm stand.

Die Gunmen sprachen Mulder zuerst ihr Beileid aus, gefolgt von Skinner und Doggett, zahlreichen Freunden und Kollegen Danas. Sie hatte viel mehr Leute gekannt, als er es sich vorgestellt hatte.

Nach und nach gingen die Trauernden, und lediglich Mulder, Kathy und Amber blieben zurück. Kathy sah zu den beiden Erwachsenen auf. „Ist Mom jetzt bei Gott?“

Amber unterdrückte ein Schluchzen und drückte nur die Hand des Mädchens. Sie war nicht in der Lage auch nur ein Wort hervorzubringen.

Mulder nickte und nahm die Kleine hoch auf seinen Arm, während er Amber kurz ansah. „Ich bin mir sicher, dass Mom bei ihm ist. Zusammen mit deinen Großeltern und deinen Tanten.“

Beinahe instinktiv sahen alle drei nach oben in den Himmel, ignorierten dabei die dicken Regentropfen, die sich auf ihren Gesichtern mit den Tränen vermischten und standen einige Zeit reglos auf dem Friedhof.

Schließlich war es Mulder, der sich zuerst von ihrem Grab abwandte, um in das Leben ohne sie zurückzukehren. Er ließ seine Tochter wieder herab und wartete einige Meter entfernt, bis Amber ihnen folgte. Langsam entfernten sie sich Schritt für Schritt von ihr.





Ende
April 2002

Und wieder einmal hat der Krebs seinen Tribut gefordert und einem weiteren Menschen das Leben genommen. Nach zahllosen Untersuchungen, Chemotherapien und wochenlangen Krankenhausaufenthalten hat auch sie den harten Kampf, den sie bis zum Schluss nicht bereit war aufzugeben, verloren. In Gedenken an Karin Rutschmann, die Mutter meiner Freundin Sandra, schreibe ich nun hier diese Zeilen. Sie ist heute, am 02. November 2000 von uns gegangen. Sie war eine Frau, die mich oft zum Lachen gebracht hat, mit der man sehr viel Spaß haben konnte und die ich solange kannte wie meine eigene Mutter. Sie wird ein tiefes Loch in den Herzen derer zurücklassen, die sie geliebt und respektiert haben; Wunden die niemand zu heilen vermag.

Als ich sie zum letzten Mal besucht habe, hatte sie meinem Sohn einen Lutscher geben wollen. Doch mit seinen knapp drei Jahren fürchtete er sich vor der Frau, die bereits keine Haare mehr hatte und wollte ihn nicht annehmen. Es brach mir das Herz, doch Karin bat mich ihm den Lutscher zu geben – mit einem Lächeln. Sie sagte zu ihm, „Schatz, du musst keine Angst vor mir haben. Ich hab dich doch lieb...“ Zu klein, zu jung um ihre Worte zu verstehen versteckte er sich hinter mir...

In der Gewissheit, dass ein Teil von ihr weiterleben wird, solange die Erinnerung beständig bleibt, nehme ich hiermit Abschied von ihr und sage: „Danke für die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte, Karin. Danke, dass ich dich kennen lernen durfte. Ich werde dich nie vergessen.“
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