World of X

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Noch ein Leben

von Sonja K

Kapitel 3

Es war eine miserable Idee gewesen herzukommen. Sarah hatte es von Anfang an gewusst, und jetzt hatte sie den Beweis. Sie hätte niemals zustimmen dürfen, Monica zu ihrem Treffen mit John Doggett zu begleiten. Aber es war zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt stand sie hier zwischen den kahlen Feldern, spürte, wie der Kragen ihres Mantels den Kampf gegen den eisigen Januarwind verlor und versuchte nicht daran zu denken, dass nur ein paar hundert Meter von ihr entfernt ihr Schicksal entschieden wurde. Die Luft war so klar, dass sie jede Bewegung der beiden Menschen sehen konnte, die auf der graugrünen, gefrorenen Wiese standen. Sarah zwang sich, den Blick von ihnen loszureißen und statt dessen nach Winnie zu sehen, der irgendwo in Richtung Waldrand unterwegs war. Doch sie hielt es nicht lange aus. Sie musste wieder hinschauen; ihre Augen wurden magisch zu dem Paar hingezogen, und allmählich begann sie zu erahnen, was Schaulustige dazu treibt, am Ort eines schlimmen Unfalls stehen zu bleiben und die Hälse zu recken: Man weiß, dass das was es zu sehen gibt schrecklich ist und man es besser nicht sehen sollte, aber man kann sich doch nicht dagegen wehren es sehen zu wollen. Sarah beruhigte ihr Gewissen mit dem Gedanken, dass Monica sie nicht mitgenommen hätte, hätte sie keine Zuschauer gewünscht. Außerdem machte sie sich in diesem Augenblick weniger Sorgen um ihre Freundin als vielmehr um ihr eigenes Seelenheil. Bis zuletzt hatte sie noch gehofft, dass etwas passieren würde, das die Entscheidung abwenden oder wenigstens hinauszögern würde. Sie hatte sich ausgemalt, Doggett würde nicht kommen oder Monica würde entscheiden, dass sie ihn doch nicht sehen wollte. Oder die Beiden würden einander ansehen und beschließen, dass es zwischen ihnen nichts mehr zu sagen gab. Aber all ihre irrwitzigen Hoffnungen hatten sich in dem Moment zerschlagen, als Monica und Doggett einander gesehen hatten. Monica war mit einem letzten Hilfe suchenden Blick zu Sarah auf ihn zugelaufen, und sie hatten sich umarmt. Obwohl das gerade mal eine Minute her war, hatte Sarah die Szene schon mindestens zehnmal vor ihrem geistigen Auge wiederholt. Sie sah immer wieder, wie Doggett seine Arme um Monica schlang und sie an sich drückte, wie Monica ihrerseits die Arme um ihn legte und den Kopf gegen seine Brust lehnte, und ihr war, als werde das Messer, das seit dem Gespräch von letzter Nacht in ihrem Herzen zu stecken schien, noch einmal kräftig herumgedreht. Das Bild vor ihr zeugte von einem Wiedersehen zwischen Freunden, die sich gar nicht genug freuen konnten, endlich wieder vereint zu sein.

Was Sarah aus der Entfernung nicht sehen konnte war der Ausdruck von Verlorenheit auf Monicas Gesicht. Als John sie umarmte, war es ihr nur natürlich erschienen, die Geste zu erwidern, aber jetzt begann sie es zu bereuen. Er hielt sie noch immer fest, und auch wenn sie sich dabei an alte Zeiten erinnert und geborgen fühlte spürte sie gleichzeitig, wie fehl am Platz diese Geste eigentlich war. Sie waren nicht hergekommen um Zärtlichkeiten auszutauschen, sondern um zu reden. So löste sie sich schließlich behutsam aber bestimmt aus seinen Armen und trat einen Schritt zurück um ihn genauer ansehen zu können. Er hatte sich kaum verändert; nur seine Haare waren ein wenig grauer geworden, und er hatte ein paar Falten dazubekommen. Trotzdem war er noch immer attraktiv, und sie fühlte wieder die alte freundschaftliche Zärtlichkeit in sich aufsteigen wie in der Nacht, als sie davongelaufen war. Entschlossen schluckte sie den Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle breitgemacht hatte, und setzte zum Sprechen an, doch John kam ihr zuvor: „Monica. Ich bin froh, dich endlich gefunden zu haben. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.“

Seine Worte nahmen ihr den Wind aus den Segeln. Sie hatte ihre Verunsicherung ausdrücken wollen, aber jetzt war sie gezwungen, den von ihm vorgegebenen Weg weiterzugehen. Leise erwiderte sie: „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

„Ich habe eine anonyme E-Mail bekommen in der stand, wo ich suchen sollte. Ich bin ziemlich sicher, dass sie von Mulder und Scully stammt. Der Mann hat mehr Asse im Ärmel als wir uns vorstellen können, und er wusste, dass ich auf der Suche nach dir war.“

Erregung durchfuhr sie. Mulder hatte gewusst, dass John sie suchte? Das konnte nur bedeutet, dass die beiden Kontakt gehabt hatten. Womöglich hatte Sarah recht gehabt und John wusste etwas über Dana! Ganz wie zu ihren Zeiten als FBI-Agentin zwang sich Monica, ein Pokerface zu bewahren, und sie erkundigte sich gespielt beiläufig: „Dann hast du etwas von den beiden gehört?“

Johns Kopfschütteln zerstörte den Hoffnungsschimmer bevor er Zeit hatte, richtig aufzuglühen. „Nein, schon seit Jahren nicht mehr. Ganz zu Anfang, nachdem du verschwunden warst, habe ich über die Notfalladresse die Scully uns beim Abschied gegeben hat per Mail Kontakt zu ihnen aufgenommen und um Hilfe bei der Suche nach dir gebeten. Mulder schrieb, sie könnten nichts tun, und bis vor drei Wochen haben sie sich nicht mehr gemeldet. Ich kann auch nicht sicher sagen, dass der Tipp von ihnen kommt, aber ich vermute es.“

Monica nickte langsam. Sie hätte es wissen müssen, aber insgeheim hatte sie natürlich trotzdem gehofft, auch wenn es albern war. Nun gut, sie konnte es nicht ändern, also sollte sie wohl besser nicht mehr darüber nachdenken. Wenn John Recht hatte und die Nachricht von Mulder kam bestand wenigstens die begründete Hoffnung, dass er und Dana noch am Leben waren und es ihnen gut ging. Andernfalls hätten sie sich nicht die Zeit genommen, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen.

Wieder wollte sie zum Sprechen ansetzen, doch John kam ihr erneut zuvor: „Monica, was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Wie konntest du auch nur eine Minute lang annehmen, dass ich seelenruhig zum FBI zurückgehe nach allem, was wir durchgemacht haben? Ich hätte mehr Vertrauen von dir erwartet. Als du auf einmal verschwunden warst, habe ich höllische Angst um dich gehabt. Ich befürchtete, du wärst erwischt worden. Dir hätte alles Mögliche passieren können.“

Sie unterbrach ihn scharf: „Fang gar nicht erst damit an, John. Ich kann sehr gut auf mich allein aufpassen; dazu brauche ich ganz bestimmt nicht deine Hilfe. Ich entschuldige mich, dass ich ohne mit dir zu sprechen verschwunden bin; das hätte ich nicht tun sollen. Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich gegangen bin. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass dir die Idee nicht gefallen würde und dass du versuchen würdest, sie mir auszureden und mich aufzuhalten. Um das zu vermeiden bin ich ohne dein Wissen gegangen. Ich glaubte damals, das Richtige zu tun, und das glaube ich noch heute. Zugegeben, die Art meines Abgangs war nicht gerade fair, aber es war das Beste für uns beide, uns zu trennen.“

In Johns Blick erkannte sie, dass das absolut nicht das war, was er zu hören erwartet hatte. Aber er erholte sich schnell von seiner Überraschung und erwiderte: „Das ist doch Blödsinn! Wir hätten es zusammen ebenso geschafft wie getrennt. Wenn du geblieben wärst, könnten wir schon längst beide wieder in D.C. sein und uns ein neues Leben aufgebaut haben. Ich weiß nicht, ob deine Freundin“ – er deutete in Richtung Sarah, die noch immer in einigem Abstand wartete – „es dir schon gesagt hat, aber die FBI-Bosse nehmen an, du seist von Mulder und Scully als Geisel genommen worden. Davon, dass du vertrauliche Informationen weitergegeben hast, weiß offensichtlich niemand. Keiner wirft dir irgendwas vor. Du könntest einfach deine Sachen packen und mit mir zurückkommen.“

Die Art, wie John Sarah leichthin als ihre Freundin bezeichnete stach Monica ins Herz. Zuerst hatte sie selbst gezweifelt, was sie ihm über sie sagen und ob sie ihre Beziehung einfach nicht ansprechen sollte, denn sie fürchtete, von ihrem früheren Freund verurteilt zu werden. Schließlich hatte sie ihm irgendwie doch Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft gemacht, und wäre nicht alles anders gekommen wäre sie jetzt vielleicht mit ihm verheiratet. Wenn sie ihm jetzt aus heiterem Himmel eine Lebensgefährtin präsentierte wäre er zu Recht gekränkt. Es wäre so einfach und John gegenüber weniger verletzend, Sarah als eine gute Freundin darzustellen. Und wenn Sarah es niemals erfuhr, würde es auch ihr nicht schaden. Aber John so beifällig über die Frau reden zu hören, die sie drei Jahre lang geliebt hatte, brachte sie zu einem anderen Entschluss. Sie schüttelte den Kopf. „So leicht wie du es dir denkst ist das nicht, John“, sagte sie sanft. „Es ist nicht so, dass ich mich hier still und leise versteckt habe, ohne Kontakt zu meiner Umwelt aufzunehmen. Ich habe mir hier ein ganz neues Leben aufgebaut und ich kann nicht einfach so verschwinden. Wie du inzwischen bestimmt schon herausgefunden hast arbeite ich als Dozentin an der Universität, und es wäre meinen Studenten gegenüber nicht fair, einfach ohne ein Wort zu sagen zu verschwinden. Versteh mich nicht falsch, ich würde liebend gern zurückkommen und wieder beim FBI anfangen; immerhin war dieser Job mein Leben. Außerdem könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als den Schweinehunden das Handwerk zu legen, die mit dem Leben der gesamten Menschheit spielen und die Mulder und Scully all das angetan haben. Vielleicht hätten wir beide zusammen eine reelle Chance sie aufzuhalten. Aber wie ich schon sagte, es wäre den Menschen gegenüber nicht fair, die sich hier auf mich verlassen.“ Tränen traten in ihre Augen, und sie schwieg kurz, um sie abzuwischen. Es schien ihr, als habe sie in den letzten Tagen nichts anderes getan als zu weinen, und nun wurde es Zeit, dass diese ganze Farce ein Ende nahm. Sie musste sich entscheiden: Sollte sie hierbleiben und weiter den Kopf in den Sand stecken, während anderswo die Vernichtung der Menschheit geplant wurde; oder sollte sie den Kampf erneut aufnehmen und damit das zweite Leben zerstören, das sie erhalten hatte, vielleicht sogar sterben, aber vielleicht auch etwas erreichen und der Rettung der Menschen die sie liebte einen Schritt näher kommen, auch wenn sie diese Menschen nicht wiedersehen und diese nie wissen würden, dass sie gegangen war um ihnen eine Zukunft zu verschaffen? Bei dem Gedanken traten noch mehr Tränen in ihre Augen. Sie hob die Hand, um John am Sprechen zu hindern. „Es wäre einfach nicht fair“, murmelte sie so leise, dass er sich zu ihr beugen musste, um sie überhaupt zu verstehen. „Besonders nicht Sarah gegenüber.“

John hob die Brauen. „Was hat diese Sarah damit zu tun? Wenn du wieder nach D.C. ziehst bedeutet das doch nicht, dass ihr nicht weiterhin befreundet sein könnt. Meines Wissens nach hast du Freunde in allen Teilen der Staaten, sogar in Mexiko, und die Entfernung war noch nie ein Problem für dich. Wozu gibt es Telefone?“

Sie biss sich auf die Lippe, um nicht bitter aufzulachen. Telefone? Als ob sich Sarah mit einem gelegentlichen Telefonat zufrieden geben würde. Als ob sie selbst das könnte! Aber wie sollte John das verstehen? Sie musste ihm alles erzählen, sonst würde er nicht begreifen, was für ein Opfer er von ihr verlangte.

„Du hast keine Ahnung“, erwiderte sie kaum hörbar. „Sarah ist nicht bloß meine Freundin. Wir... leben zusammen.“

„Sie wird schon irgendwo eine neue Mitbewohnerin finden“, gab John wenig hilfreich zurück.

„Darum geht es doch gar nicht.“ Jetzt schrie sie beinahe. „Verstehst du denn nicht, was ich dir sagen will? Sarah und ich sind zusammen, ein Paar, wir führen eine Beziehung.“

Hatte sie zuvor Angst vor Johns Reaktion gehabt, so geriet sie jetzt regelrecht in Panik. John starrte sie mit ausdruckslosem Gesicht an. Er öffnete den Mund, aber kein Laut kam heraus. Monica schwieg ebenfalls, denn für sie gab es nichts mehr zu sagen; sie konnte nur noch warten, wie John ihre Eröffnung aufnehmen würde.

Nach ein paar Minuten, die Monica wie eine Ewigkeit vorkamen und in denen sie die allmählich einsetzende Dämmerung betrachtete, die wie so oft in dieser Gegend mit aufsteigendem Nebel einher ging, fasste sich Doggett weit genug, um sprechen zu können.

„Damit ich das richtig verstehe: Du bist mit dieser Frau... zusammen?“

Monica nickte. Nachdem es heraus war schien es ganz leicht zu sein, die Natur ihrer Beziehung zu Sarah zu erklären. „Wir haben uns kennengelernt, als ich an der Universität anfing. Sie war die erste Freundin, die ich hier fand, und sie hat es mir leicht gemacht mich einzuleben. Anfangs war ich viel allein und hatte eine Menge Albträume, fühlte mich andauernd verfolgt und fürchtete, mein Leben nie mehr ganz in den Griff zu bekommen. Aber mit Sarahs Hilfe wurde es allmählich besser, und als ich mein anfängliches Misstrauen überwunden hatte wurden wir erst Freunde und schließlich ein Paar.“

Zu ihrer Überraschung wirkte John beinahe erleichtert über ihre Ausführung.

„Du meinst, ihr wart Freunde und seid irgendwie in eine Beziehung hineingerutscht?“, wollte er wissen. In Monica stieg eine Wut hoch, die sie selbst erstaunte. „So, wie du es sagst, klingt das Ganze ziemlich einfach“, sagte sie mit steinerner Stimme. „Aber das ist es nicht. Wir sind nicht einfach irgendwo hineingerutscht, und ich habe mich auch nicht aus Dankbarkeit oder aus einem Wunsch nach Nähe von Sarah verführen lassen. Im Gegenteil; ich war eine ganze Zeitlang in sie verliebt, bevor irgendwas passierte.“

Johns Enttäuschung war ihm deutlich anzumerken, und sie zeigte Monica, dass er gehofft hatte, das mit Sarah sei bloß eine kleine Marotte, die schnell zu verschmerzen sein würde. Aber dem war nicht so, und sie war es Sarah schuldig, das richtigzustellen: „John, ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber ich war niemals in dich verliebt. Ich hatte gehofft, auch ohne diese Gefühle mit dir zusammensein zu können, denn in unserem Job hätte ich niemals mit einer Frau zusammenleben können, wie ich es mir im Innern immer gewünscht habe. Du darfst nicht denken, dass du mir nichts bedeutet hast; im Gegenteil, du warst der einzige Mann in meinem Leben mit dem ich mir vorstellen konnte, eine Beziehung einzugehen, aber ich habe dich trotzdem nicht so geliebt wie du mich.“ Er wollte sie unterbrechen, aber sie hob die Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. „Du brauchst es nicht zu leugnen, John; ich weiß, dass du mich damals geliebt hast. Und es gab eine Zeit, da hätte ich ohne zu zögern eine Beziehung mit dir angefangen, denn ich wollte, dass wenigstens du glücklich bist wenn ich es schon nicht selbst sein konnte. Aber inzwischen weiß ich, dass das nicht in Ordnung gewesen wäre. Ich hatte nicht vor, es dir zu sagen, aber das ist der eigentliche Grund warum ich damals verschwunden bin. Ich hätte nach allem was passiert war nicht mehr so tun können als sei nichts gewesen. Ich hatte meine wahren Gefühle bis zu diesem Zeitpunkt immer verleugnet, um eine Karriere in meinem Traumberuf zu erreichen, aber als das alles zusammenbrach wurde mir klar, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte. Wie hätte ich dir denn sagen können, dass ich dich nicht liebte, ohne dich zu verletzen, nachdem ich dich monatelang glauben ließ, wir hätten eine Zukunft?“ Sie brach ab und vergrub das Gesicht in den Händen, damit er ihre erneut heftig fließenden Tränen nicht sah. Nun war es heraus, und John würde sie hassen. Diese Vorstellung war noch schlimmer als all die anderen Konsequenzen, die seine Ablehnung mit sich brachte: Er würde gehen, und mit ihm die Chance, ihre Familie wiederzusehen, erneut beim FBI anzufangen, diesen Monstern das Handwerk zu legen.

Plötzlich fühlte sie, wie ihre Hände sanft beiseite gezogen wurden. Im Reflex sah sie auf und blickte in Johns liebevolle blaue Augen. Vorsichtig wischte er mit den Handflächen ihre Tränen ab und zog sie an sich. Monica ließ sich widerstandslos in seine Arme fallen. Dieses Mal kam es ihr richtig vor ihn so nah zu fühlen, denn es war auf einmal wie früher: Sobald einer von ihnen sich schlecht fühlte, war der andere da um ihn zu trösten. Sie konnten sich aufeinander verlassen, das hatte ihre Freundschaft schon immer ausgemacht, und sie wusste plötzlich, dass sich das niemals ändern würde.

„Weißt du“, begann John leise zu sprechen, „ich hatte immer gedacht, dass wir irgendwann zusammensein würden wenn die Welt gerettet wäre, oder welchen Unsinn ich mir auch gerade vorstellte. Ich hätte nie gedacht, dass du die ganze Zeit über so unglücklich gewesen bist. Mir ist klar, dass du nicht beides haben kannst: Es ist unmöglich, gleichzeitig gegen die Verschwörer zu kämpfen und hier mit Sarah zusammen zu sein; du würdest sie bloß in Gefahr bringen. Auch wenn ich selbst gern ihren Platz in deinem Leben hätte finde ich es doch unfair, dass du dich entscheiden musst. Ich bitte dich, komm mit mir zurück. Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber wir schulden es Mulder und Scully, ihre Arbeit weiterzumachen. Ich weiß, dass es eine Menge gibt, was uns aufhält: Die X-Akten existieren nicht mehr, ich bin nicht mal mehr beim FBI, und wahrscheinlich haben wir gar keine Chance, deren Plan aufzuhalten, aber ich finde, wir müssen es versuchen.“ Während er sprach, rieb er die ganze Zeit in einer unaufdringlichen, zärtlichen Geste Monicas Rücken, und sie kam nicht umhin, sich an all die Zeit zu erinnern, die sie gemeinsam verbracht hatten. John fuhr fort: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass ich enttäuscht von dir bin. Natürlich ist es nicht leicht für mich zu erfahren, dass wir beide niemals so zusammensein werden wie ich es mir gewünscht habe, aber ich biete dir hiermit meine ehrliche Freundschaft an. Wenn du dich entscheidest, nicht mit zurückzukommen, werde ich nie wieder herkommen, um dich nicht der Gefahr auszusetzen entdeckt zu werden. Aber wenn du mitkommst, werde ich dir genau das sein, was du von mir brauchst, nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Monica schluckte. Sie hatte geglaubt, John würde sie hassen, aber hier stand er und hielt sie in den Armen, voller Verständnis für ihre Entscheidung, die ihm sehr weh getan hatte, und bot ihr auch noch an, für sie da zu sein. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich wieder wie damals bei den X-Akten, zerrissen zwischen ihren Wünschen und den Verpflichtungen, die ein Leben als FBI-Agentin mit sich brachte. John hatte es auf den Punkt gebracht: Sie allein hatte die Wahl zwischen einem Leben, wie sie es sich insgeheim immer gewünscht hatte und der Pflicht gegenüber den Menschen, die ihre Weggefährten gewesen waren. Dazwischen, akzeptiert oder geliebt zu werden. Zwischen Sarah und John. Zwischen der echten und der künstlichen Monica, zwischen dem, was gewesen war und dem, was sein konnte. Sie begriff, dass sie damals, als sie hierher kam, gar keine freie Wahl gehabt hatte; sie hatte getan, was ihr natürlich erschienen war, und nichts anderes. Die vergangenen Jahre waren nur eine Charade gewesen, sie war erneut den einfachen Weg gegangen ohne darüber nachdenken zu müssen, ob sie es wirklich wollte. Damit war es jetzt vorbei: Monica konnte nicht länger passiv bleiben und die wirklich bedeutsamen Wendungen ihres Lebens von den Umständen bestimmen lassen, sie musste selbst entscheiden, ob sie Monica Reyes oder Monica Jacobs sein wollte, und mit den Konsequenzen dieser Entscheidung musste sie den Rest ihrer Tage eigenverantwortlich umgehen. Sie sah in Johns geduldiges, erwartungsvolles Gesicht und reckte sich, um ihn auf die Wange zu küssen. Die Entscheidung war gerade gefallen, es gab kein Zurück mehr. Alles, was jetzt noch blieb, war ein Abschied, der ihr schrecklich schwer fallen würde.

Trotz der einsetzenden Dunkelheit sah Sarah, wie Monica – ihre Monica, dachte sie mit einem Anflug von traurigem Trotz – John Doggett küsste. Sie wusste was das zu bedeuten hatte: Ihr Platz in Monicas Leben existierte nicht mehr. Es hätte ihr von Anfang an klar sein sollen, denn schon ihre erste Begegnung mit Doggett hatte eine unaussprechliche Angst in ihr ausgelöst. Dennoch und obwohl sie geglaubt hatte, sich gewappnet zu haben, schmerzte die endgültige Gewissheit doch schrecklich. Sie versuchte, wütend auf Monica zu sein weil diese einfach so ihre gemeinsamen Jahre wegwarf um in ein Leben zurückzukehren, an dem Sarah keinen Anteil haben konnte. Aber wo Wut sein sollte fühlte Sarah nur eine tiefe Traurigkeit. Sie konnte den Anblick des Paares nicht einmal mehr durch den Schleier ihrer aufsteigenden Tränen ertragen, deshalb drehte sie sich um und machte sich langsam auf den Heimweg. Wenn Monica kam, um sich zu verabschieden, würde sie schon die erste Tränenflut hinter sich haben und in der Lage sein, sich so lange zusammenzunehmen bis sie wieder allein war und Zeit hatte, mit ihrem Kummer fertigzuwerden. Auch wenn sie wütend auf ihre Freundin sein sollte wusste sie doch, dass sich diese die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht hatte, und sie würde es ihr nicht noch schwerer machen, indem sie vor ihren Augen zusammenbrach und ihr ein schlechtes Gewissen bereitete. Trotzig wischte sie sich grob über die Augen um wieder klar zu sehen. Es fehlte noch, dass sie jetzt vom Weg abkam. Sie machte sich nicht die Mühe nach Winnie zu rufen, denn sie wollte nicht die Aufmerksamkeit des Paares auf sich ziehen. Der Hund würde schon merken, dass sie ging und ihr folgen. Wenigstens er bleibt mir, dachte sie mit einem Anflug von Selbstmitleid, der ganz und gar nicht typisch für sie war, und ging langsam in Richtung der Straße, die sie nach Hause führen würde, als sie plötzlich jemanden rufen hörte: „Sarah?“ Sie drehte sich zögernd um und sah Monica auf sich zukommen. Sobald sie sie erreicht hatte, fiel sie ihr um den Hals, sodass Sarah nichts anderes übrig blieb, als sie aufzufangen. Über die Schulter ihrer Freundin sah sie Doggett, der mit einem schwer zu entziffernden Ausdruck auf dem Gesicht zu ihnen hinüber sah. Dann wandte er sich ab und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Sarah begriff nicht, was hier vor sich ging und wollte verwirrt wissen: „Wo will er denn hin? Ich dachte, du würdest mit ihm zurückgehen.“ Auch wenn sie sich große Mühe gab ihn zu verbergen war ihr der Schmerz, den sie empfand, deutlich anzuhören. Monica sah sie erstaunt an. „Wohin hätte ich denn zurückkehren können?“, fragte sie leise. „Ich ging vollkommen in meinem Beruf auf, aber privat war ich immer allein. Ich habe zwar in meinem früheren Leben zwei Menschen geliebt, John und Dana, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich einsam war. Dana habe ich mit allem geliebt was ich hatte, aber sie konnte meine Gefühle nicht erwidern. John liebe ich als einen Freund, aber nicht so, wie er es sich wünschte. In dir habe ich endlich jemanden gefunden, den ich mit Körper, Herz und Seele lieben kann, und das Wunderbarste daran ist, dass du mir das gleiche zurückgibst. Denkst du, ich könnte das einfach aufgeben? Egal was es mich kostet, ich weiß jetzt, wo ich hingehöre, und zwar genau hierher, wo ich sein kann wer ich wirklich bin und verstanden werde.“

Sarah musste einen Kloß im Hals hinunterschlucken als ihr klar wurde, was diese Worte bedeuteten: Sie würde Monica nicht verlieren! Sie konnte ihr Glück nicht fassen und drückte die Frau in ihren Armen heftig an sich, als könnte sie es sich doch noch anders überlegen und plötzlich verschwinden. Aber auf einmal hatte sie keine Angst mehr davor. Monica hatte sich erst jetzt wirklich für sie entschieden, und diese Entscheidung war ihr sehr schwergefallen. Sie hätte ihr altes Leben zurückhaben können, dennoch war sie geblieben. Nur um Sarahs willen hatte sie alles aufgegeben. Das war das größte Geschenk, das ihr jemals gemacht worden war. Sie unterdrückte ihre Tränen und stellte die Frage, von der sie wusste, dass Monica sie beantworten wollte: „Aber was sagt John dazu?“

Monica sah sie mit ebenfalls nassen Augen an. „Er sagt, ich hätte noch ein Leben bekommen und die Möglichkeit, es so zu leben wie ich es wirklich will, und er respektiere mich zu sehr, als dass er das Recht hätte, mir diese Chance ausreden zu wollen.“ Sie brach nun endgültig in Tränen aus und schlang die Arme fest um Sarah. „Ich fühle mich so schrecklich, Sarah. Wie kann ich ihm das antun? Ich kann ihn nicht so lieben wie er mich, aber trotzdem habe ich das Gefühl, als hätte ich ihm gerade willentlich das Herz gebrochen.“

Sarah drückte die schluchzende Monica an sich und streichelte tröstend ihr Haar. Obwohl gerade ein riesiger Eisblock in ihrem Herzen geschmolzen war und sie eigentlich erleichtert sein sollte, kam sie doch nicht umhin, mit Monica zu fühlen. Es erschien ihr wie eine grausame Ironie, dass ihre Freundin nun genau das durchmachen musste, was sie selbst Dana durch ihr Schweigen erspart hatte. Aber sie würde nicht allein leiden; Sarah würde nicht von ihrer Seite weichen solange sie trauerte, und auch später nicht. Nicht nur Monica hatte eine zweite Chance erhalten, auch ihr war dieses Geschenk zuteil geworden, und Sarah wusste, sie würde es bis zum Schluss auskosten. Sie und Monica konnten noch einmal neu anfangen, dieses Mal ohne den unausgesprochenen Druck der Geheimnisse zwischen ihnen. Sie mussten über vieles reden, aber zusammen konnten sie die Geister der Vergangenheit hinter sich lassen und ein Leben aufbauen, in dem jede von ihnen das sein konnte, was sie wirklich war. Sarah sah kurz in die Richtung, in der John Doggett langsam und ohne sich noch einmal umzudrehen aus ihrem Leben verschwand, dann löste sie sich aus Monicas Umarmung, ergriff statt dessen die Hand ihrer Freundin und pfiff nach Winnie.

„Es ist kalt. Wir sollten nach Hause gehen und uns aufwärmen“, schlug sie mit belegter Stimme vor. Monica nickte. Auch sie drehte sich nicht nach John um, den der die frühe Abenddämmerung begleitende Nebel allmählich verschluckte. Sie drückte Sarahs Hand und fiel mit einer jahrelang geübten Leichtigkeit mit ihr in Gleichschritt. „Du hast recht. Gehen wir nach Hause.“

The End

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