World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Alptraumland

von Talli W

Kapitel #2

14. Februar 1999

Sie hat mich verlassen. Sandy hat einfach ihre Sachen gepackt und ist verschwunden. "Ich möchte nicht den Rest meines Lebens mit jemandem verbringen, der nur auf Äußerlichkeiten Wert legt." stand in dem Abschiedsbrief.

Dieses verdammte Flittchen hatte nicht mal den Mut, es mir persönlich zu sagen. Und alles nur, weil ich ihr vorgeschlagen habe, ihre leicht schiefe Nase zu operieren. Danach wäre ihr Gesicht wirklich ebenmäßig gewesen - einfach perfekt. Und es hätte sie keinen Cent gekostet. Verdammt noch mal, wozu bin ich Schönheitschirurg, wenn ich nicht mal meine eigene Freundin verschönern kann.

16. Februar 1999

Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, ich vermisse sie. Deshalb bin ich heute durch die Stadt geschlendert und habe all die Plätze besucht, wo wir gemeinsam waren. Irgendwie hatte ich gehofft, sie dort zu finden. Das war dumm, ich weiß. Aber sie hat mir nicht einmal eine Adresse hinterlassen.

Dann kam ich an dem alten Trödelladen vorbei, in dem Sandy oft gestöbert hatte. Ich konnte nicht widerstehen, ich musste eintreten. Es gab dort denselben alten Plunder wie immer. Ich habe nie verstanden, wie Sandy sich so dafür begeistern konnte. Ich wollte bereits wieder gehen, da fiel mein Blick auf ein wundervolles Stück, einen goldenen Handspiegel. Er war alt, die Spiegelfläche war fast völlig eingetrübt und eigentlich war er dadurch wertlos. Aber was ihn so kostbar für mich machte, waren die Gravuren am Rande. Zarte, vollkommene, fast göttliche Gesichter umrahmten das Glas und zogen mich magisch in ihrem Bann. Ich musste diesen Spiegel haben.

Erstaunlicherweise verkaufte ihn mir diese alte Schachtel für einen Spottpreis. Ich musste nicht einmal handeln. Nur ihre Worte bereiteten mir Unbehagen. Sie grinste mich höhnisch an und sagte, der Spiegel hätte auf mich gewartet. Ich wäre der Auserwählte.

Verrückte alte Hexe! Wo kam sie überhaupt her? Bisher verkaufte hier immer ein fetter schmieriger Mann. Aber sie war wahrscheinlich der Hausdrachen des Alten.

Mittlerweile habe ich den Spiegel geputzt und poliert. Er scheint aus massiven Gold zu sein. Pech für die Alte, dass sie seinen Wert nicht erkannt hat. Sogar die Glasfläche ist mit etwas Spiritus wieder klar geworden, als wäre der Spiegel nagelneu. Es wäre das ideale Geschenk für Sandy, wenn sie zu mir zurückkommen würde.

17. Februar

Ich höre sie tuscheln, in den Gängen und im Ärztezimmer. Begreifen sie denn nicht, dass eine so makellose Frau wie Mrs. Barranger für die Nachwelt erhalten bleiben muss?! Ich habe sie vor sechs Jahren operiert und es ist noch keine einzige Falte auf ihrem Gesicht zu sehen. Sie war wirklich mein Meisterstück.

Zu dumm, dass sie jetzt bei einem so harmlosen Eingriff wie einer Gallensteinentfernung sterben musste. Aber wenn man sie konservieren würde, könnten sich alle auch weiterhin von meiner Kunst überzeugen. Aber dieser Trottel von Chefarzt hat mich nur ärgerlich abgewiesen und ihre Angehörigen starrten mich seltsam an, als ich sie darum gebeten habe.

26. Februar 1999

Heute ist sie das erste Mal zu mir gekommen. KaaRaa!

Sie ist so bezaubernd, ich möchte mich ihr zu Füßen werfen.

Sie kommt in meinen Träumen, spricht zu mir und ich kann nicht anders tun als sie anzubeten.

27. Februar 1999

Sandy habe ich bereits fast vergessen. Nur noch KaaRaa ist wichtig. Sie zeigte mir meine Bestimmung, zeigte mir den Weg zur Vollendung. Was sie verlangt, ist furchtbar. Aber was sie fordert, ist so gering im Vergleich zu meiner Belohnung. Ich werde unsterblich sein mit meinen Kunstwerken.

Wie kann ich da ihr Ansinnen zurückweisen. Sie hat bereits meinen größten Wunsch erfüllt: Ich habe die vollkommenste Frau gesehen, die absolute Schönheit.

28. Februar 1999

Heute hat man mich gefeuert. Ich würde nicht mehr zum Image der Klinik passen, haben sie gesagt.

Sie werden schon noch sehen, was sie davon haben.

4. März 1999

Seit zwei Tagen bin ich unterwegs.

Ich habe nur das Nötigste mitgenommen. Etwas Kleidung, meine ganzen Ersparnisse, den Spiegel und dieses Tagebuch.

Ich habe alles hinter mir gelassen, doch ich habe bisher noch keine Minute bereut. Zum ersten Mal fühle ich mich richtig frei. Keine Vorschriften mehr, keine Gesetze, die mein Leben regeln. Nur noch KaaRaa.

12. März 1999

Heute habe ich die Erste gefunden. Ich würde es spüren, hat KaaRaa gesagt. Die besondere Ausstrahlung der Erwählten. Sie hatte recht, sie sind schön, fast makellos und doch nicht perfekt. Nicht die Modeltypen, wie sie momentan bevorzugt werden, sondern von einer Schönheit, die Jahrhunderte überdauert.

15. März 1999

Es ist vollbracht. Mein erstes Kunstwerk. Sie hat geschrien und dagegen angekämpft, als würde sie nicht verstehen, welche wunderbare Chance ich ihr biete. Niemals wird sie alt werden, nie ihr faltiges Gesicht im Spiegel betrachten müssen und der Zeit ihrer Jugend nachtrauern."

 

Mulder spürte, wie ihm langsam übel wurde.

Der Wahnsinn sprach aus jedem Eintrag Folkners. Er hatte so viele Menschen auf dem Gewissen. Wundervolle Frauen, die sterben mussten, nur, weil er sich einbildete einer Gestalt aus seinen Träumen folgen zu müssen.

Mulder blätterte weiter...

 

"27. Juni 1999

Gestern hat man meine letzte Arbeit entdeckt. Ich war so unvorsichtig.

Die Polizei weiss jetzt, wer ich bin.

Das macht meine Arbeit so viel schwieriger."

28. Juni 1999

"Mein Foto war in allen Zeitungen. Sie haben mir den Namen Dr. Beauty gegeben. Wie recht sie doch haben.

Das ganze Land ist jetzt hinter mir her. Aber niemand kann mich aufhalten. Ich weiß, KaaRaa wird mich beschützen."

 

Mulder hatte genug. Folkner war verrückt gewesen.

Seinen letzten Eintrag hatte er an dem Tag von Scullys Entführung geschrieben.

"Sie ist das göttlichste Geschöpf, dass ich je gesehen habe. So zart und doch so selbstbewußt. Wie Aphrodite!

KaaRaa ist schon seit Tagen nicht mehr bei mir gewesen. Aber ich bin sicher, wenn ich ihr diese Königin der Schönheit weihe, wird sie wieder zu mir kommen."

Darunter stand die Adresse und Telefonnummer Scullys.

Wütend schlug Mulder das Tagebuch zu. Folkner war tot. Tot und begraben! Er konnte Scully nicht mehr gefährlich werden.

"Na und, was soll das Ganze? Man hat Folkners Tagebuch gefunden und seine Tante ist verschwunden. Bei der Verwandtschaft würde ich auch einfach abhauen. Ist das etwas alles? Deshalb haben sie uns zurückbeordert?" fragte Mulder.

Anstatt eine Antwort auf Mulders Frage zu geben, schob er ein Foto in seine Richtung. "Sie wurde vor zwei Tagen gefunden. Kimberley Bowers, 31 Jahre alt. Eine bildschöne Frau. Die Todesursache war heißes Wachs. Und vor 2 Stunden fanden wir eine weitere Leiche. Cynthia Rockford, 28. Die beiden Toten waren in der selben Weise aufgebahrt wie die Opfer Folkners. Ich vermute, das Verschwinden Rethel Miltons steht in direktem Zusammenhang zu diesen Morden."

Mulder studierte das Foto, dann blickte er seinen Vorgesetzten herausfordernd an.

"Sie glauben doch nicht etwa der Geist Folkners ist zurückgekommen und in den Körper seiner Tante gefahren?! Oder?"

Direktor Skinner wich Mulders prüfendem Blick aus. Ihm war ziemlich unwohl in seiner Haut.

"Ich möchte, dass Sie sich mit diesen Vorkommnissen befassen. Zwei andere Agenten, Sandler und Wilson betreuen derzeit den Fall. Ich habe schon dafür gesorgt, dass Sie zu dem Fall hinzugezogen werden."

Er sah Scully fragend an. "Agent Scully, sie möchten sicherlich die Autopsie an dem zweitem Opfer vornehmen." Scully nickte zustimmend. "Ja, Sir!"

"Gut, dann fahren wir jetzt wohl besser zum Tatort."

Ungeduldig trommelte Mulder auf das Lenkrad. ‚Können diese Idioten denn nicht schneller fahren?' Er hatte es eilig zum Tatort zu kommen, um sich selbst zu überzeugen, dass Skinner sich irrte. Diese alte kranke Frau konnte unmöglich einen Mord begangen haben. Und nun saß er hier im Nachmittagsverkehr fest und kam nicht vorwärts. `Vermutlich handelt es sich bei dem Mörder um einen Nachahmungstäter, der die Presse auf sich aufmerksam machen will, indem er Folkners Vorgehensweise kopiert.' dachte er.

"Mrs. Milton hat diesen Mord sicher nicht begangen. Ich tippe eher auf einen Nachahmungstäter." sprach Scully plötzlich Mulders Gedanken aus.

"Da stimme ich ganz mit Ihnen überein, Scully."

"Tatsächlich? Sie sind mal meiner Meinung? Ich befürchtete schon Sie würden Skinners Theorie nachhängen." meinte Scully.

Mulder musste lächeln. "Das war ziemlich ungewöhnlich für Skinner. Ich war selbst erstaunt. Anscheinend haben die X-Akten und ich ihn mittlerweile davon überzeugt, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns vorstellen können."

"Oder er dreht langsam durch. Was dann sicherlich auch Ihr Verdienst sein dürfte." scherzte Scully.

Mulder lachte. Dann wurde er wieder ernst. "Wie erklären sie sich die plötzlich Genesung der Vermissten?" fragte er dann.

"Ich nehme nicht an, dass Mrs. Milton vollständig genesen ist. Wahrscheinlich ist ihr aufgrund der Tagebuchaufzeichnungen erst jetzt richtig bewußt geworden, was ihr Neffe getan hat. Und das hat einen derartigen Schock ausgelöst, dass ihr Körper in der Lage war, die durch ihre Arthritis verursachten Lähmungen und die Schmerzen vorübergehend auszublocken. Solche Phänomene sind gar nicht so selten. Durch extremen Stress wird verstärkt Adrenalin produziert, der die Menschen zu ungewöhnlichen Taten befähigt." erklärte Scully.

"So wie die Mutter, die ein Auto hochhebt, unter dem ihr Kind begraben liegt." sagte Mulder.

Scully nickte. "Ja, so etwas in der Art."

"Also ein Nachahmungstäter. Naja, wir sind sowieso gleich da. Dann können wir uns selbst davon überzeugen." murmelte er, als er von der Pennsylvania Avenue in die 23. Straße zum Rock Creek Park einbog.

Die Leiche Cynthia Rockfords war bereits abtransportiert worden. Die Spurensicherung hatte den Fundort, einen Pavillon im Park, abgeriegelt und war damit beschäftigt, letzte Beweise zu sichern.

Kurz nach ihnen traf auch Direktor Skinner am Tatort ein. "Man hat sie aufgestellt wie eine Statue." sagte er zu ihnen. "Das alles erinnert mich an den Folkner-Fall. Und das mit dem Verschwinden seiner Tante kann einfach kein Zufall sein." fuhr er fort.

"Die Umstände sind zwar etwas merkwürdig. Aber es gibt für alles eine rationelle Erklärung. Hier handelt es sich ganz einfach um einen Nachahmer, der die Taten Folkners perfekt kopiert hat. Es stand schließlich alles in der Presse." argumentierte Scully.

Skinner schaute sie zweifelnd an.

"Aber Folkner hat vorher immer Formalaldehyd verwendet. Dass er Wachs bei Ihnen probieren wollte, ist nie an die Öffentlichkeit gelangt." sagte er dann.

Mulder schaute erstaunt auf. Dieser Umstand war ihm völlig entgangen.

Aber Scully gab nicht so schnell klein bei.

"Gut vielleicht ist Rethel Milton darin verwickelt. Wenn dann aber mehr als Mitwisserin und auf keinen Fall als Ausführende. Um eine junge durchtrainierte Frau zu überwältigen, muss man recht kräftig sein. Dazu ist niemals eine 76jährige alte Frau in der Lage. Eher glaube ich, dass ihr Neffe ihr das mit dem Wachs erzählte und sie diese Information dann an jemanden weitergegeben hat."

"Das wäre eine Möglichkeit." stimmte Skinner zu, aber es klang wenig überzeugt.

 

Während die Agenten Wilson und Sandler die Beweise analysierten und Scully den Körper Cynthia Rockfords obduzierte, erstellte Mulder ein Profil des Täters . Dann hatte sich Mulder noch einmal mit dem Tagebuch Adrian Folkners beschäftigt. Er spürte, dass darin der Schlüssel zu allen Ereignissen lag. Je mehr er von den Tagebucheinträgen las, desto mehr war er davon überzeugt, dass Skinner mit seiner Vermutung vielleicht doch recht hatte. Irgendetwas hatte Besitz von Folkner ergriffen und war vielleicht auch in Rethel Milton gefahren. Darum hatte das Morden wieder begonnen. Folkner hatte vorher in einem Trödelladen einen alten Handspiegel gekauft. Sollte darin eine dämonische Macht gewohnt haben, die nun freigesetzt worden war? Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, erkundigte er sich nach dem Spiegel. Er erfuhr, dass Agent Sandler bei der Durchsuchung des Gepäcks Adrian Folkners, auf das sie in der Wohnung Sarah Miltons gestoßen waren, auch einen alten Handspiegel gefunden hatte und ihn mit den anderen Besitztümern Folkners im Asservatenraum abgeliefert hatte. Doch als er dort einen Blick auf das Stück werfen wollte, war der Spiegel verschwunden. Niemand konnte sich erklären, wie er weggekommen sein konnte.

Innerhalb der nächsten 24 Stunden überschlugen sich die Ereignisse.

"Agent Sandler ist verschwunden." teilte ihnen Skinner mit.

Dann wurde eine weitere Leiche im Rock Creek Park gefunden.

Als Mulder am Abend schließlich in sein Büro zurückkehrte, um noch einen Bericht zu schreiben, während Scully die nächste Obduktion durchführte, wartete dort schon ein Mann auf ihn: Agent Mark Sandler.

Er saß in Mulders Bürosessel und richtete seine Sig Sauer auf den Eintretenden.

"Was tun Sie hier, Agent Sandler?" fragte Mulder ruhig. "Ich warte. Ich warte auf Agent Scully." kam die Antwort.

Mulder runzelte die Stirn. 'Ist Sandler nun auch unter die Kontrolle des Dämons geraten?'

"Waren Sie es? Haben Sie diese drei Frauen ermordet?" wollte er wissen und überlegte fieberhaft, wie er Sandler entwaffnen konnte.

"Neeeeeeiiiiin! Ich bin kein Mörder!" schrie Sandler.

Mulder sah wie die Emotionen durch Sandler rasten.

"Ist ja schon gut, Mark. Ganz ruhig! Es ist der Spiegel, nicht wahr? Er zwingt sie dazu." Sandlers Blick flackerte unstet und verschleierte sich schließlich. "Dana Scully gehört ihr. Sie vollendet den Kreis." sagte er.

"Welcher Kreis, Agent Sandler, und wer hat das gesagt? Rethel Folkner?" hakte Mulder nach.

"KaaRaa! Es ist KaaRaa." schluchzte Sandler verzweifelt auf.

"Sie ist zu mir gekommen."

"KaaRaa ist zu Ihnen gekommen?"

"Nein! Susan, meine Frau! Und dann kam das Licht..." brabbelte Sandler.

"Bitte geben sie mir die Waffe. Ich bin sicher, ich kann Ihnen helfen." versuchte Mulder Sandler zu überzeugen.

Sandler schüttelte den Kopf. "Mir kann niemand mehr helfen."

"Wir finden eine Lösung. Sie müssen mir glauben!" probierte Mulder es erneut.

"Glauben." wiederholte Sandler.

Tränen strömten über sein Gesicht. Sein Blick fiel auf das Poster an der Wand.

"Ich möchte glauben." las er dort. Immer wieder flüsterte er nun diese Worte vor sich hin. Dann blickte er Mulder direkt in die Augen.

"Hüten sie sich vor dem Licht!" Dann stand er aus dem Sessel auf. "Ich glaube." sagte er fest, hob die Pistole an seine Schläfe und drückte ab.

Bevor Mulder reagieren konnte, hämmerte die Waffe los. Blut und Hirnflüssigkeit spritzte durch den Raum und etwas der grauweißen Masse flog auf Mulders Jacket.

Schockiert starrte Mulder auf den leblosen Körper Sandlers, der langsam zu Boden glitt. Wie in Trance zog er sein Handy hervor und wählte Scullys Nummer.

"Das Büro wird gerade gereinigt. Uns steht in der Zwischenzeit ein Raum im Erdgeschoss zur Verfügung. Geht es Ihnen wieder gut, Mulder?" erkundigte sich Dana Scully.

Mulder saß etwas blaß und nun ohne Jacket in Skinners Büro.

Er nickte. "Es war furchtbar, Scully. Sandler stand unter der Kontrolle von irgendetwas. Er hat sich verzweifelt dagegen gewehrt."

Scully lächelte mitfühlend. "Agent Sandler war psychisch instabil. Vor kurzem ist seine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie war sehr schön. Und dies war sein erster Mordfall. Er hätte niemals mit dieser Sache betraut werden dürfen." erklärte Scully.

"Nein, das war es nicht, Scully. Ich glaube, Sandler war von etwas besessen." widersprach Mulder.

"Das ist unmöglich. So etwas wie Besessenheit gibt es nicht. Und jetzt ruhen sie sich erst mal etwas aus." sprach Scully ganz ruhig auf Mulder ein.

"Wenn Sie nicht so verdammt rationell an die Sache herangingen, würden sie erkennen, dass alle Beweise dafür sprechen, dass Sandler besessen war." sagte Mulder grob.

Scully wusste, dass ihn dieses Ereignis sehr mitgenommen hatte, aber auch an ihr waren die vergangenen Stunden nicht spurlos vorbei gegangen.

"Ach! Und Sie glauben jetzt also wirklich, der Geist Folkners ist zurückgekehrt und in den Körper seiner Tante gefahren?! Wissen Sie, wie verrückt sich das anhört?" sagte sie.

"Nein, ich glaube nicht, dass das Folkner war. Es ist wohl eher etwas anderes, eine Art Dämon." antwortete Mulder etwas ruhiger.

"Es gibt keine Dämonen, Mulder!"

"Verdammt noch mal, machen sie endlich die Augen auf und glauben sie mir wenigstens dieses eine Mal." rief Mulder frustriert. Doch Scully schüttelte ablehnend ihren Kopf.

"Mulder! Folkner war wahnsinnig und offensichtlich liegt das in der Familie. Rethel Milton hat der selbe Wahn befallen, so dass sie glaubt, dass Werk ihres Neffen fortsetzen zu müssen. Und Agent Sandler hat dem emotionalen Druck des Falles nicht ausgehalten. Ich kann nicht an diesen Unsinn von Dämonen und bösen Geistern glauben. Und wenn sie weiter auf diese Version beharren, machen Sie sich nur lächerlich. Vor der Polizei und dem ganzen FBI."

"Und vor Ihnen, nicht wahr?" fügte Mulder bitter hinzu.

"Vielleicht werden Sie die Wahrheit später erkennen, doch ich befürchte, dass es dann bereits zu spät ist. Sie haben Sandlers Worte nicht gehört. Er hat mich gewarnt. Eine furchtbare Macht ist da draußen und ich glaube sie ist hinter Ihnen her." sprach er weiter.

Scully sah ihn kurz an und setzte sich dann in Bewegung. "Ich bin müde, Mulder. Und unser Dienst ist seit 1,5 Stunden zu Ende. Ich möchte nur noch nach Hause fahren und mich ausruhen." sagte sie und setzte sich ins Auto.

Mulder folgte ihr und glitt auf den Beifahrersitz. "Also gut, Scully. Machen wir für heute Schluss." Scully startete das Auto und fuhr los.

"Ich werde Sie vor Ihrer Tür absetzen und morgen früh auch wieder abholen. Wie lange, glauben Sie, wird Ihr Wagen zur Reparatur sein?" Sein Wagen hatte am Morgen unterwegs den Geist aufgegeben, so dass er gezwungen gewesen war ein Taxi zu nehmen.

"Danke, Scully, für das Angebot. Aber ich würde viel lieber mit zu Ihnen fahren und die Nacht bei Ihnen bleiben." Scully warf Ihm einen nervösen Seitenblick zu.

"Tatsächlich, Mulder?"

Mulder nickte. "Ja, dann wäre ich beruhigt. Ich wüsste Sie in Sicherheit und ...."

Weiter kam er nicht. Scully steuerte den Wagen auf den Seitenstreifen und trat hart auf die Bremse.

Wütend wandte sie sich Mulder zu. "Was soll, dass heißen, ich wäre in Sicherheit? Glauben sie etwa, ich könnte nicht selbst auf mich aufpassen? Dass ich den Schutz eines großen und starken Mannes brauche nur weil ich eine Frau bin? Was bilden Sie sich eigentlich ein? Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Das habe ich bereits die letzten 35 Jahre getan." brüllte sie los.

Jetzt wurde auch Mulder wütend. Er hatte sich den ganzen Tag über ihre Ignoranz geärgert, ihre Weigerung das Offensichtliche anzuerkennen.

"Dann haben Sie in der letzten Zeit dabei aber einen verdammt schlechten Job geleistet." schnauzte er zurück. Kaum waren diese Worte über seine Lippen gekommen, bereute er auch schon, was er gesagt hatte. Aber es war zu spät. Er sah, wie sich ihre Augenbrauen zusammenzogen und sich ihre Augen verdunkelten.

Zornig blitzte sie ihn an. "Und wo waren Sie denn? Wo war denn mein großer Beschützer als ich ihn brauchte? Bisher waren Sie mir jedenfalls keine große Hilfe. Sie können sich doch nicht einmal selbst schützen. Wie oft musste ich in den letzten Jahren denn Ihren Hintern retten? Also kommen sie mir jetzt nicht so."

Mulder sah betreten in seinen Schoss. Seine Unterlippe zitterte und er versuchte verzweifelt, die Ruhe zu bewahren. Fest griff er in die Polster des Sitzes und sagte leise, fast flehend: "Es tut mir leid, Scully. Ich habe die Beherrschung verloren. Das hätte ich nicht sagen sollen. Aber.., aber bitte lassen Sie mich mit zu Ihnen kommen. Ich werde sie auch nicht weiter stören. Ich verspreche es, ich verhalte mich ganz ruhig."

Scully reagierte nicht darauf. Stur sah sie gerade aus und gab wieder Gas. Erst als sie den Wagen wieder sicher auf der Spur hatte, sagte sie beherrscht: "Wir haben diesen Abend beide etwas zuviel gesagt. Die letzten Tage waren sehr anstrengend. Wir brauchen alle beide Erholung." Routiniert lenkte sie den Wagen durch Alexandria und stoppte vor Mulders Gebäude. "Wir sehen uns dann morgen. Gute Nacht, Mulder!"

Mulder war überrascht, wie schnell sie bei seiner Wohnung angekommen waren. Scully musste einige Geschwindigkeitsvorschriften missachtet haben.

"Bitte Scully! Nur dieses Mal. Ich verspreche auch, Sie dann nicht mehr damit zu belästigen." bat er.

Scully sah ihn nicht an. "Gute Nacht, Mulder!" wiederholte sie und machte deutlich, dass er endlich aussteigen sollte. Resigniert kletterte Mulder aus dem Wagen. Kaum hatte er die Beifahrertür geschlossen, schoss Scully davon.

‚Hoffentlich geht alles gut.' dachte er. Aber er hatte ein schlechtes Gefühl dabei, ein sehr schlechtes Gefühl.

 

Mulders Telefon klingelte. Er war sofort auf den Beinen und nahm den Hörer von der Gabel. Irgendwie hoffte er, dass es Scully sei würde, aber das war natürlich absurd. Sie hatte ihm deutlich klar gemacht, dass sie von ihm heute nichts mehr hören und sehen wollte.

"Entschuldigen, Sie, dass ich noch so spät anrufe. Ich weiß, Sie haben längst Feierabend. Doch ich dachte, Sie würden gern informiert werden. Vor einer halben Stunde hat eine Streife eine Frau gesehen, auf die die Beschreibung von Rethel Milton passt. Sie ist jedoch so schnell in der Newport Street verschwunden, dass die beiden Polizisten sie aus den Augen verloren haben. Aus der gleichen Gegend wird ebenfalls seit drei Stunden ein junges Mädchen vermisst. Wir möchten diesmal kein Risiko eingehen, dass der Killer uns wieder wochenlang an der Nase herumführt so wie Folkner. Wir werden das Gebiet noch heute Nacht systematisch durchkämmen. Wenn Sie dabei sein möchten, die Einsatzbesprechung beginnt in 40 Minuten in Zimmer 256." sagte Skinner.

"In Ordnung, ich komme sofort." antwortete Mulder knapp.

Kaum hatte Skinner aufgelegt, wählte er Scullys Nummer. Er hatte kurz überlegt, ob er Scully überhaupt anrufen sollte, als ihm einfiel, dass er keinen Wagen hatte. ‚Außerdem wäre sie verdammt wütend, wenn sie erfahren würde, dass ich ohne sie losgezogen bin.' dachte Mulder.

Bereits nach dem zweiten Klingeln nahm sie ab. "Was gibt es Mulder?" meldete sie sich kurz angebunden.

"Woher wussten sie, dass ich es sein würde?" fragte Mulder überrascht.

"Niemand sonst würde es wagen mich nach 23:00 Uhr anzurufen. Also was ist los? Wollen sie sich nur noch mal entschuldigen oder gibt es etwas Ernsthaftes?"

sagte sie hart.

Mulder fuhr sich mit seiner linken Hand nervös durch die Haare.

"Ich hoffe, ich habe sie nicht geweckt." begann er.

"Nein, ich war noch wach. Ich wollte mir in Ruhe einen Film ansehen. Also, weshalb stören sie mich?" Mulder spürte förmlich ihren Zorn durch das Telefon.

"Skinner hat angerufen. Sie haben eine Spur von Rethel Milton." erklärte er.

"Gut. Ich komme und hole sie ab." Und schon hatte Scully wieder aufgelegt.

Wie versprochen war sie 25 Minuten später bei ihm.

Schweigend fuhren sie durch die dunklen Straßen von Washington D.C. zum FBI-Gebäude.

Noch 16 Agenten und einige Polizisten befanden sich neben Assistant Direktor Skinner und Kersh im Raum als sie dort eintrafen. "Sechs Streifen vom 8. Revier und vier vom 10. Revier werden uns unterstützen." erklärte Direktor Skinner gerade. Kersh blitzte sie ärgerlich an, als sie auf den letzten verbliebenen Sitzen Platz nahmen. "Gut, mit Agent Mulder und Agent Scully ist unser Team jetzt vollzählig." sagte Skinner. "Dann werde ich jetzt die Einzelheiten erläutern. Wir suchen eine 76jährige Frau namens Rethel Milton. Die gesuchte Person wurde auf der Newport Street von einer Polizeistreife gesichtet. In direkter Nähe befindet sich der Cross Creek Park, in dem die Leichen von zwei Frauen gefunden wurden. Wir nehmen an, dass die gesuchte Person im direkten Kontakt zu dem Mörder steht. Vor vier Stunden wurde die 16jährige Allison Travis von ihrem Vater als vermisst gemeldet. Sie kam vom Cheerleadertraining nicht nach Hause. Ihre Schule befindet sich hier." Er zeigte den Ort auf einer großen Karte von Washington DC.

"Ah, die Francis Sr. High School. Die ist nicht weit von der Newport Street." warf ein junger Agent ein. "Richtig Agent Dawson." bestätigte Skinner. "Aus diesem Grunde vermuten wir auch, dass das Mädchen von dem selben Täter entführt wurde wie die ermordete Cynthia Rockford und die zweite, noch nicht identifizierte Tote. Wir wissen nicht, ob es noch weitere Mittäter gibt. Es ist also größte Vorsicht geboten.

Glücklicherweise ist das Gebiet nicht allzu groß. Jeweils vier Mann werden eine Straße absuchen. Ich werde jetzt die einzelnen Gruppen einteilen. Agent Jenkins, Dawson, Marshal und Fuller, Sie übernehmen die 25. Street. Agent Cavendish, Taylor, Redfine und Alvares, Sie gehen in die 24. Street. Nachdem er auch die anderen Agenten und die Polizisten bis auf Mulder, Scully und Agent Wilson eingeteilt hatte, wandte er sich den Dreien zu. "Sie kommen mit mir. Wir durchsuchen die Newport Street."

Drei Stunden später waren sie mit der Suche fertig.

In einem verlassenen Hauseingang in der 23. Street hatten sie die Sporttasche mit der Cheerleaderkleidung von Allison Travis gefunden. Daneben lag ein Tuch mit Ätherrückständen sowie ein schmutziger Frauenhandschuh. Hier musste der Täter sich versteckt haben, bis es draußen ruhig genug war, die Betäubte wegzubringen.

Ansonsten fanden sie nichts. Ärgerlich blies Direktor Skinner die Aktion schließlich ab.

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