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Wächter und Nonne

von Diana Battis

Kapitel 1

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Like sentinel and nun, they keep (Wie der Wächter und die Nonne halten sie)
Their vigil on the green. (Ihre Wache auf dem Grün.)

"The Cambridge Churchyard" Oliver Wendell Holmes
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Ich habe eine Schwäche für guten Alkohol. Wodka, Scotch, Gin -- solange es Zeug vom obersten Regal ist, liebe ich es.

Oh, versteht mich nicht falsch, ich bin nicht betrunken, auch wenn ich seit den letzten beiden Monaten jeden Freitag hinten in dieser Nachbarschaftsbar gesessen habe. Es ist nur so, daß ich eine gewissen Wertschätzung für die feineren Dinge des Lebens habe.

Wie für sie.

Sie zieht meinen Blick in dem Moment auf sich, wenn sie eintritt. Teufel, sie zieht den Blick jedes einzelnen Mannes im Laden auf sich.

Sie steht in der Eingangstür und läßt ihren Blick ernst über den Raum schweifen, ihre gebogene Nase zuckt leicht angesichts des erdenen Gemisches aus Bier, Schweiß und Verzweiflung die die Luft durchdringen. Diese Frau hat etwas königliches an sich. Sie ist absolut schön, etwas das ich echte Klasse nenne, trotz der durchgescheuerten Jeans, dem grauen Sweatshirt und der übergroßen Jeansjacke die sie trägt. Diese kleine Mieze würde in Sack und Asche gut aussehen, obwohl ich froh bin, daß sie sie nicht trägt. Aber sie ist exquisit genug um damit wegzukommen. Nicht viele Frauen könnten das.

Ihr Haar ist bildschön. Sie trägt es zurückgekämmt, aber es ist leicht feucht vom Regen. Es kämpft gegen seine Beschränkung, mit losen Strähnen die entkommen um sich wild um ihr blasses Gesicht herumzulocken. Und so eine prachtvolle Haut! Hell und momentan makellos, gehört es z der Art die im Sommer Sommersprossen trägt.

Auch umgibt sie eine bestimmte Aura -- eine Art von unberührter Qualität die dich dazu bringt, sie sofort unter deine Flügel nehmen zu wollen. Zerbrechlich, wie kostbares Knochenporzellan. Aber das Aussehen kann täuschen, wie ich im Verlauf der Jahre gelernt habe. Manchmal können Porzellanpuppen einem schwer in den Hintern treten.

Freitag ist die Haupttrinkzeit im Blarney Stone. An diesem regnerischen Novemberabend beinhaltet die Bar die Stammgäste und die Lust ist angespannt mit Qualm und dem normalen Ende-der-Woche-Bockmist. Ein großer Fernsehr ist mit einem Basketballspiel eingestellt, freundschaftliche Rufe und Protestschreie von den Beobachtern. Aber sie scheint das Chaos nicht zu bemerken.

In dem schwach beleuchteten Innenraum ist ihr Haar wie ein Leuchtfeuer. Ich beobachte, wie sie bestimmt in Richtung der Tische geht und ich bin wieder erstaunt über ihre Fähigkeit in diesen hochhackigen schwarzen Stiefeln zu balancieren die sie bevorzugt.

Habe ich erwähnt, daß sie ein Rotschopf ist? Ihr Haar hat nicht diese schreckliche orange-rote Farbe die aussieht wie zerkochte Karotten, ganz schlaff und unappetitlich. Nein, es hat mehr die die Farbe eines spektakulären Sonnenunterganges über den Pazifik, wunderschöne Farbtöne die in der dunklen Atmosphäre schimmern.

Scheiße, hört mir nur zu, wie ich wegen Haaren vollkommen poetisch werde. Aber die simple und einfache Wahrheit ist -- ich kann einfach nicht anders. Sie *ist* umwerfend.

All die Male die ich sie hier gesehen habe, hat sich ihre Routine nie geändert. Sie sieht sich im Laden um, nimmt Notiz von den anderen Gästen und findet einen Tisch. heute gibt es nur einen der leer ist, der zweite von vorne. Sie setzt sich hin, hängt vorsichtig ihre Jacke über die Rückenlehne ihres Stuhls. Normalerweise entscheidet sie sich dafür in der Nähe des Eingangs zu sitzen, setzt sich immer in Blickrichtung zur Tür. Sie wartet auf ihn und ich kann ihre Erwartung von dem Ort aus spüren, an dem ich sitze.

Schwer vorzustellen, das das hier ein passender Ort für ein romantische Rendezvous ist. Die schmuddelige Wandvertäfelung ist mit uralten Drucken behangen und verlotterte Neonzeichen werben für billiges Bier. Im hinteren Teil steht eine Jukebox und ein kleines Quadrat auf dem Boden das geeignet wäre fürs Tanzen, wenn nicht ein altersschwacher Pool Tisch drauf stehen würde.

Die Gäste sind auch nicht viel besser. Das ist eine Arbeiterbar, ein Ort an dem mal von der kleinen Frau und den schreienden Kindern wegkommt. Sie kommen hier her im in Frieden betrunken zu werden und wenn sie ein wenig Aufregung davon bekamen sie anzusehen, nun, das ist nur die Krönung eines Bieres.

Aber hier ist der Ort an dem die immer auf ihn wartet, Woche für Woche -- wie ein Uhrwerk.

Ich habe mich oftmals gefragt, wie irgend ein Mann erwarten konnte, daß eine Frau die so schön ist wie sie in einer Bar wartet, die angefüllt ist mit solchen geilen Mistkerlen. Eine zu harte Beurteilung meint ihr? Nicht wirklich, denn ich weiß genau, was sie fühlen. Shit, wenn ich zehn Jahre jünger wäre, nun... Ah, aber wem zum Teufel mache ich hier etwas vor? Sie würde einen Kerl wie mir keinen zweiten Blick zuwerfen, egal in welchem Alter.

Oh, glaubt nicht, daß es ein paar von dem Kerlen nicht versucht hätten. Alles was so gut aussieht wie sie sieht sogar noch besser aus durch einen kelsselinduzierten Dunst. Sie schwanken hinüber, riechen nach Schweiß und billigem Cologne, wie Matrosen auf Landgang die nach Spaß Ausschau halten. Und mit einem Zucken ihrer Augenbraue und einem einfachen 'Nein' schickt sie sie wieder zurück an die Bar, während sie aussehen als ob sie ihre Standfestigkeit verloren hätten.

Ich sagte euch, daß sie Klasse besitzt.

Mac der Barkeeper sieht sie und geht sofort zu ihrem Tisch rüber. Er hält einen Pitcher mit Bier und zwei Gläser in seinen großen Händen fest. Sie haben dieses kleine Ritual, das sie durchführen. Er gießt ihr ein Glas voll ein und bleibt dort während sie den ersten Schluck nimmt. Mac ist wie ein gottverdammter Weinkellner, verbeugend und kratzend, wartet um zu sehen ob Madam sein Budweiserjahrgang zusagt.

Er sagt ihr immer zu.

Es hatte mich immer verdammt überrascht, wie sie ihren Drink trinken konnte, aber das tut es jetzt nicht mehr. Es ist mehr dran an dieser kleinen Lady als das Auge vermutet.

Heute Abend konzentrierte sie sich auf das Glas, das vor ihr steht. Sich schüttelnd kippt sie die Hälfte des Inhalts praktisch in einem Schluck hinunter, aber ich kann nicht sagen, ob ihre Reaktion von der Kälte oder der Bitterkeit des Gebräus kommt. Dann stellt sie das Glas wieder vorsichtig auf den Tisch ab, benutzt ihre Finger um geistesabwesend eine Spur Schaum von ihrer Lippe zu wischen. So eine zierliche Geste nach dieser bierschlürfenden Vorstellung, und doch paßt es alles irgendwie zu ihr.

Ich habe eine Menge über sie gelernt, nur indem ich ihre Gewohnheiten beobachte. Sie mag es Bier zu trinken und haßt Basketball. Sie berührt niemals die Erdnüsse oder die Brezeln, obwohl der Barkeeper sich eine Menge Mühe zu machen scheint, damit sie immer gut mit diesen Snacks ausgerüstet ist. Spielt niemals die Jukebox. Sagt niemals mehr als ein paar Worte zu jemandem. Und trotz des ganzen Bieres das sie trinkt, verläßt sie ihren Tisch niemals bis der Laden schließt.

Ich bin immer wieder erstaunt von ihrer Geduld. Sie schafft es die Kontrolle zu behalten, egal was passiert. Vielleicht lehrt einen die Erfahrung wie man mit dem warten klar kommt, ich weiß es nicht. Mir hat es jedenfalls nicht viel geholfen...

Sie ist normalerweise auch sehr ruhig. Abgesehen von Schlucken des Bieres, einer Geste für ein neues Bier oder dem gelegentlichen Blick auf die Uhr hinter der Bar sitzt sie nur still da und beobachtet die Tür. Nichts scheint sie aus der Ruhe zu bringen oder sie von ihrer Nachtwache abzulenken.

Aber dieser Teil ist an diesem besonderen Freitag etwas anders. Sie scheint nervös zu sein. Sie zerfetzt eine Serviette, reißt sie in kleine Stücke, rollt sie dann z Bällen zusammen und legt sie in einer Linie auf den Tisch. Ihre Bewegungen sind methodisch, aber ich glaube nicht, daß sie sich ihrer Handlungen wirklich bewußt ist. Anstelle dessen, konzentriert sie sich weiter auf den Eingang der Bar.

Jedes Mal wenn sich die Tür öffnet, strafft sie sich ein wenig, sucht den Eingang nach ihm ab. Ich kann ihre Besorgnis fühlen, obwohl ich nicht glaube, daß es für jeden anderen offensichtlich ist und ich hasse die Weise wie ihr ganzer Körper in sich zusammenzufallen scheint, wenn jemand anders die Bar betritt.

Es bringt mich fast zum Weinen.

Aber nicht sie -- sie ist ein echter kleiner Kämpfer. Nach jeder Enttäuschung richtet sie nur ihre Schultern auf und nimmt einen weiteren Schluck von ihrem Bier. Und sie hört niemals auf, Ausschau zu halten.

Ich habe mich immer gefragt, was er an sich hat, das sie zuerst angezogen hat. Welche besonderen Eigenschaften besitzt er, die solche Loyalität und Hingabe inspirieren? Nicht viele Männer könnten eine Frau die so schön ist dazu bringen, auf sie zu warten, besonders in einem Laden der so schmierig ist wie der hier. Also was zum Teufel ist es? Was ist sein verdammtes Geheimnis?

Er sieht nicht besonders gut aus. Ich sollte es wissen -- ich habe ihn gesehen, wie er mit ihr an genau dem Tisch gesessen hat. Die Nase zu verdammt groß, schwere Augen und Haare die mit einer Heckenschere geschnitten worden sein müssen. Aber etwas an ihm, etwas, das für den Rest von uns nicht sichtbar ist, spricht sie an.

Also wartet sie.

Sie trinkt ein weiteres Glas voll. Ihre Finger wandern über den Niederschlag auf dem Pitcher, wirbeln durch die Wassertropfen. Es beschäftigt ihre Hände aber nicht ihre Gedanken -- die scheinen noch immer auf die Tür konzentriert zu sein.

Ein Chor von Freudenschreien und Stöhnen steigt von den Sportfans in der Bar auf. Das Basketballspiel ist endlich zu Ende und ich kann das gut gelaunte Knurren der Verlierer hören als Geld die Hände wechselt. Die Gewinner rufen eine Runde für jeden aus, auch für sie, aber sie lächelt nur und schüttelt den Kopf, hebt ihr noch immer halb-volles Glas.

Und so ein liebliches Lächeln. Ein liebes und sanftes biegen ihrer Lippen, das ihr Gesicht erhellt. Und das war nur eines ihrer Lächeln der Form halber. Die echten Lächeln sind ein herrlicher Anblick, Zeug das tausend erotischer Fantasieren versorgen könnte.

Was würde ich nicht geben um am anderen Ende eines dieser Lächeln zu sein. Er hat mehr als seinen Teil von ihnen abbekommen, und ich will, daß ich an der Reihe bin. Wissen zu können, wie es ist, so geliebt zu werden...

Aw, scheiß drauf!

Gerade jetzt könnte ich einen guten, starken Drink gebrauchen. Etwas von dem Shit vom obersten Regal über das ich zuvor geredet habe. Aber ich kann nicht und ich begnüge mich mit einer weiteren Club Soda. Ich muß heute Nacht einen klaren Kopf behalten. Es ist eine lange Fahrt nach Hause...

Sie hat das Bier jetzt ziemlich beständig runtergekippt. Hat über die Hälfte des zweiten Pinchers fertig. Ihre Augen haben ein glasiges Aussehen und ich weiß, daß sie beinahe ihr Limit erreicht hat. Aber glasäugig oder nicht, sie behält ihre Nachtwache bei.

Ich sehe auf meine Uhr -- es ist 1:50 a.m. Wie aufs Stichwort höre ich, wie der Barkeeper die letzte Runde ansagt und der laute Chor der Stöhnens der ausbricht erregt für einen Moment lang meine Aufmerksamkeit. Als ich zurückblicke ist die nach vorn zusammengesackt, die Ellbogen auf dem Tisch und ihr Kinn ruht auf ihren verschränkten Händen. Ihre Augenlider sind schwer und ich weiß, daß es Zeit für mich ist, meinen Zug zu machen.

Meine Knie knacken leicht als ich aufstehe und den Rest meiner Soda mit einer Hand austrinke die beinahe ruhig ist. Ein tiefer Atemzug und ich gehe auf ihren Tisch zu.

"Scully?"

Sie sieht zu mir auf, ihre blauen Augen sind leicht verhangen. Trinken und Enttäuschung sind eine schlechte Kombination und ich höre ein Seufzten, das von ihren Zehen zu kommen scheint. "Ist es schon wieder Zeit, Frohike?"

"Fürchte schon. Komm, wir machen dich gehfertig." Ich streckte meine Hand nach unten um ihre zu ergreifen und ihr auf die Beine zu helfen, aber sie ignorierte die Geste.

"Noch nicht. Wie wärs mit einem für dem Weg?", sagte sie schmeichelnd und hob ihr leeres Glas. "Und schau mal hier, wir haben auch ein hübsches, sauberes für dich." Ihre Stimme klingt undeutlich und ihre Bewegungen sind ebenfalls desorientiert. Sie greift nach dem anderen Glas, verfehlt es und reißt es auf den Boden wo es zerbricht.

"Ich habs zerbrochen." Ihre Stimme ist hohl und sie starrt die Überreste mit etwas das Entsetzen nahekommt an.

Mac kommt rüber um das Glas wegzuräumen, winkt ihre Entschuldigungen mit einem zuversichtlichen Lächeln ab. Es nützt nichts um den Ausdruck des Schmerzes zu vertreiben, den ich in ihren Augen sehe.

"Ich glaube, du hast genug gehabt, Scully. Und es ist Zeit zu Schließen. Du willst doch nicht, daß der arme alte Mac Ärger bekommt, oder?", frage ich sanft und berühre mit meiner Hand ihre Wange.

Sie schüttelt ihren Kopf und steht langsam auf. Sie schwankt merklich, diese verdammten Stelzen die sie trägt helfen ihren Gleichgewichtsgefühl kein Bißchen. Ich strecke meine Hand aus um sie zu stabilisieren, meine Hände ruhen leicht auf ihren Schultern und sie lehnt sich für einen Moment an mich während sie darum kämpft ihr Gleichgewicht wieder zu erlangen.

"Danke", flüstert sie und ich lasse meine Hände sinken, erlaube ihr zurück zu treten. Ihre Finger zittern leicht als sie ein paar flüchtende Strähnen ihres Haares hinter ihre Ohren streicht. "Laß´mich nur..." Sie weist in Richtung der Toiletten und ich gehe beiseite und beobachte sie während sie unsicher in den hinteren Teil geht.

Ich will ihr helfen, ihren Ellbogen nehmen oder hinter ihr gehen während meine Hand sie stützt. Aber ich werde es nicht tun. Sie würde es hassen. Ich bin nicht Mulder.

Sie ist kaum ein paar Minuten weg. Als sie wiederkommt zeigt sich ein Hauch von Farbe auf ihren Wangen. Ihre Haare sind leicht feucht und ihre Augen sehen ein wenig heller aus als vorher. Erstaunlich, was kaltes Wasser und ein rauhes Papiertuch bewirken können. Sie zieht ihre Jacke von der Rückenlehne ihres Stuhls und zieht sie an.

"Ich bin fertig", gibt sie bekannt, ihre Stimme ist rauh vor Müdigkeit. Zusammen verlassen wir das Blarney Stone.

In diesen Nächten spiele ich Chauffeur. Ihr Auto ist in Georgetown, abgestellt an seinem üblichen Parkplatz. Yeah, irgend ein glücklicher Taxifahrer bringt sie her und ich habe das Vergnügen sie nach Hause zu begleiten.

Wie stehen einfach draußen vor der Bar. Sie wackelt merklich und ich greife nach einem Ellenbogen um sie zu stützen. Die feuchte Luft schient sie ein wenig nüchtern zu machen und sie atmet tief ein, ihr Atem kondensiert in der Kühle der Nacht. Nach einer kurzen Weile gehen wir auf den Van zu, die Lady und ihr Tramp.

Die Fahrt zu ihrer Wohnung ist still. Ein paar Mal versuche ich eine Unterhaltung anzufangen, aber es ist mehr so als ob ich mit mir selber reden würde und ich gebe schließlich auf. Sie sitzt still da mit einem ausdruckslosen Ausdruck auf ihrem Gesicht während sie aus dem Fenster starrt. Obwohl sie von der Landschaft gefangen genommen zu sein scheint habe ich das bestimmte Gefühl, daß sie nicht wirklich etwas sieht. Es ist eine ungemütliche Fahrt. Glücklicherweise sind die Straßen zu dieser Zeit praktisch verlassen und in weniger als 30 Minuten erreichen wir ihr Apartment.

Ich fahre draußen vor und drehe mich um um sie anzusehen. Sie ist ziemlich fertig und es gibt keinen Versuch ihre Schultern zu straffen um der Welt zu zeigen wie stark sie ist. An diesem Punkt hat sie die ganze Kraft verlassen und nur diese bloße Hülle zurückgelassen sie neben mir sitzt.

Ich kann nicht anders -- ich ziehe sie zu mir herüber und umarme sie. Sie versteift sich nur für eine Sekunde und dann, Wunder über Wunder, lehnt sie sich an mich und läßt ihren Kopf auf meiner Schulter ruhen.

"Warum Scully? Woche für Woche -- warum läßt du dich das selber immer wieder durchmachen?" Es ist die Frage, die ich ihr schon mehrmals zuvor gestellt habe, aber sie hat sie niemals beantwortet. Ich erwarte auch dieses Mal wirklich keine Antwort.

Aber sie erschreckt mich total. Ihr Kopf kommt hoch und ihre Augen treffen meine. Sie glühen jetzt, ihre Wut hat die Trübnis weggefegt. "Wie kannst mich das fragen?"

"Ich...", versucht ich zu antworten, aber sie will es nicht hören. Sie schiebt sich von mir weg, als ob ich Gift wäre und das Rot in ihre Wangen ist stärker betont. Scully ist wütend auf mich weil ich das undenkbare getan habe...ich habe ihre Schale durchbrochen.

"Er sagte, er würde mich dort treffen. Um elf Uhr. Freitag. Das weißt du!" Ihre Stimme ist lauter und obwohl wir noch immer im Van sitzen schaue ich nervös nach draußen und frage mich, ob uns welche von ihren Nachbarn hören können.

Ich versuche vernünftig mit ihr zu reden. Meine Stimme ist leise und ich versuche mit meinen Worten so sanft wie möglich zu sein. "Scully, sie haben sein Auto vor beinahe drei Monaten aus dem Potomac gefischt. Er ist von uns gegangen, du weißt es. Du bist zu seinem Begräbnis gegangen. Wir alle sind es." Ich berühre ihren Arm, bin dankbar als sie meine Hand nicht abschüttelt. "Er wird nicht kommen und du mußt aufhören dir das anzutun."

Ihre Lippen heben sich leicht nach oben und es schockt mich. Ich kann nicht herausbekommen, was zum Teufel sie gefunden haben könnte, über das sie lächeln könnte, aber ich muß es mich nicht lange fragen. "Sie haben ein Auto gefunden, aber keine Leiche. Er ist nicht tot." Ihre Worte sind so fest, so sicher, daß ich ihr beinahe glaube. Beinahe.

"Scully, du hast den Zustand gesehen, in dem das Auto war. Der obere Teil war praktisch abgerissen. Sein Körper wurde wahrscheinlich aus dem Wrack gezogen und von der Strömung davon getrieben. Es besteht die Möglichkeit, daß er niemals gefunden werden wird." Gott, er war auch mein Freund. Weiß sie nicht, daß ich meinen rechten Arm geben würde um ihn wieder zurück zu haben?

Sie schüttelt ihren Kopf und ich erwarte Tränen des Abstreitens, aber sie lächelt noch immer. "Du hast Unrecht, Frohike. Er ist am Leben. Wenn er es nicht wäre, würde ich es hier drinnen fühlen." Sie klopft leicht auf ihre Brust, über ihrem Herzen. "Er ist da draußen, irgendwo und ich werde ihn finden. Oder er wird mich finden."

Es gibt nichts mehr zu sagen, also nicke ich einfach nur. Und das stellt sie für den Moment zufrieden.

Sie greift nach dem Türgriff und öffnet die Tür. Bevor die aussteigt dreht sie sich wieder zu mir um. "Nächsten Freitag?"

Ich nicke wieder. Nächsten Freitag. Die dreizehnte Nachtwache. Vielleicht hat sie nächstes Mal Glück.

Ich beobachte, wie sie auf ihr Haus zu geht, wie sie vorsichtig den Bürgersteig entlang geht und die Treppen zu ihrer Tür hoch steigt. Den Schlüssel in der Hand dreht sie sich zu mir um und winkt mir zu, bevor sie eintritt. Ich sitze da, warte bis ich das Licht in ihrem Apartment angehen sehe. Dann lege ich den Gang ein und fahre weg.

Bis nächste Woche, Scully.


ENDE
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