World of X

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Im Koma

von Christian Jankowski

Kapitel 1

1
46. Straße
Washington, D. C.
Montag, 19. April
14:29 Uhr

Gregor Adlard verschloss sorgfältig die Sicherheitsschlösser, die an seiner Tür angebracht waren. In diesem Viertel konnte man es sich nicht erlauben, unvorsichtig zu sein, und in seinem Beruf schon gar nicht. Für Gregor war es keine Freude, endlich zu Hause zu sein. Für Ihn war seine Wohnung lediglich ein Platz zum Schlafen. Er warf seine Jacke unachtsam auf den Boden und legte sich auf die Couch. Gregor hatte einmal große Pläne gehabt. Er hatte nie eine schöne Kindheit genossen, um so größer war sein Wunsch, einmal nicht so zu enden wie sein Vater, der noch mehrere Jahre im Gefängnis verbringen musste. Doch das schnelle Geld hatte seinen Traum von einer Karriere als Archäologe zunichte gemacht. Und obwohl er immer noch von der Geschichte fasziniert war, war er heute kaum mehr als ein Kleinkrimineller. Weniger faszinierend sah dagegen seine eigene Vergangenheit aus, die man fast vollständig einer Polizeiakte entnehmen konnte. Drei Jahre wegen Drogenbesitz, Vier Jahre wegen Diebstahl und Autoschieberei, ein Jahr auf Bewährung wegen schwerer Körperverletzung, und noch etliche Verfahren wegen Diebstahls, die aber aus Mangel an Beweisen eingestellt werden mussten. Doch jetzt wollte Gregor nicht an seine Vergangenheit denken, er hatte viel größere Sorgen. Die Geschäfte waren mies gelaufen, und er war schon seit achtzehn Stunden auf den Beinen. Er schaltete seinen Fernseher auf die "Halb Drei Nachrichten" von Kanal 6. Gregor war so müde, dass er kaum die Augen offenhalten konnte, und schließlich siegte die Müdigkeit und ließ ihn schnell einschlafen...
Gregor wurde vom unüberhörbaren Klingeln des Telefons aus seinen Träumen gerissen. Nach dem dritten Klingeln gab er es auf zu versuchen weiterzuschlafen und stand mühselig auf. Als er den Hörer abnahm, hörte er zu seiner Verwunderung nichts. Nicht einmal das Atmen einer Person am anderen Ende der Leitung. Nach einer kurzen Weile konnte er einige undeutliche Männerstimmen ausmachen. So sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Es folgten zwei Schüsse und der Schrei einer Frau, danach noch ein Schuss. Er lauschte gebannt den Stimmen am Telefon. Er sah nicht, dass sich ihm eine Person näherte. Eine Person, die eine Waffe in der Hand hielt, die auf seinen Kopf zielte. Ehe er begriff, was er hörte, ertönte ein Schuss. Der letzte für Gregor.



2


46. Strasse
16:07 Uhr

Fox Mulder zwängte sich durch das Gedränge der Polizisten in der Wohnung von Gregor Adlard. Er und Scully waren erst vor einer halben Stunde darüber informiert worden, dass sie in diesem Mordfall ermitteln sollten. Sie waren so schnell wie möglich hierher gekommen. Mulder schaute sich um. Die Wohnung war aufgeräumt und sauber, was in diesem Viertel recht außergewöhnlich war. Die Wände waren in einem ausladendem Grau gestrichen, und wer auch immer hier gewohnt hatte, er hatte diese Wohnung nur als Schlafplatz genutzt. Mulder schaute sich die Regale an, die so aussahen als ob sie gleich umkippen sollten. Zu seiner Überraschung waren sie mit Archäologiebüchern und Fachzeitschriften gefüllt, die bei einem Mann mit einem seitenlangen Vorstrafenregister völlig fehl am Platz erschienen. In der Menge entdeckte Mulder einen Mann, der sie zu sich winkte. Seine Größe wirkte etwas einschüchternd, doch sein Gesicht offenbarte einen sympathischen Charakter. Er begrüßte die Agenten mit einem knappen Kopfnicken. "Hallo, ich bin Inspector Morgan. Danke, dass sie so schnell kommen konnten. Ich weiß, es ist ungewöhnlich Bundesagenten zu einem Fall wie diesen anzufordern, aber einige Dinge sind noch ungeklärt, und wir benötigen sie als Sachverständige", sagte Morgan, in einem fast entschuldigendem Tonfall. "Als ich bei der zuständigen Stelle anrief, nannten die mir sofort ihren Namen." Scully musste unwillkürlich lächeln. "Mein Ruf eilt mir wohl voraus.", stellte Mulder grinsend fest. Morgan führte die beiden zwischen den beschäftigten Polizisten hindurch zu Adlards Leichnam. "Wir haben seit einiger Zeit sein Telefon abgehört. Wir hatten ihn verdächtigt größere Mengen an Drogen über die Grenze geschmuggelt zu haben. Er wurde erschossen, während er telefonierte. Wir sind natürlich sofort hierher gefahren, aber es war schon zu spät.", erklärte er. "Wieso wurden wir hinzugezogen? Es sieht nach einem gewöhnlichen Mordfall aus.", wendete Scully ein. "Scheinbar ja, aber als wir die Tür zu Adlards Wohnung öffnen wollten, war sie verschlossen. Die Schlösser hätte der Täter mit einem Schlüssel abschließen können, aber sogar die Riegel waren von innen vorgeschoben. Aus dem Fenster konnte er auch nicht entkommen, wir sind schließlich im 5. Stockwerk. Aber das ist noch nicht alles. Wie ich schon sagte haben wir sein Telefon überwacht, und dabei sind wir auf etwas weitaus ungewöhnlicheres gestoßen.", erzählte Morgan. "Und was war das?", fragte Scully skeptisch. "Das sollten Sie besser selbst beurteilen."


FBI-Zentrale
Washington, D. C.
16:34 Uhr

Scully musste zugeben, dass Morgan äußerst sympathisch war. Während der Fahrt hatte er ihnen einige Geschichten von seiner Kindheit in Seattle erzählt. Er war schon früh von der Polizeiarbeit fasziniert gewesen, und hatte sich als kleiner Junge immer heimlich die Edgar-Wallace Filme angeschaut, obwohl seine Mutter es ihm verboten hatte, da sie fand, dass er noch zu jung dafür war. Von Anfang an war es sein Wunsch gewesen, Polizist zu werden. Sein Gesicht zeigte noch heute die Begeisterung für seine Arbeit. Die technischen Geräte, alle auf dem neuesten Stand der Technik, übten schon fast eine Ehrfurcht auf ihn aus. Scully bemerkte das Leuchten in den Augen des Mannes und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Beeindruckend, nicht wahr?", sagte Bill Kinsley, der Experte für Tonbandanalysen beim FBI, voller Stolz. Auch er hatte Morgans Begeisterung für die technischen Geräte wahrgenommen. "Ich werde mal sehen, was ich mit Ihrem Band anfangen kann.", sagte er und schob das Band mit den Aufzeichnungen der Telefonüberwachung in den Recorder. Er ließ es laufen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Einige Zeit hörte sie nur das Rauschen des Bandes. Doch nach einer kurzen Weile, konnte man einige Männerstimmen ausmachen, die jedoch sehr undeutlich waren. Zwei Schüsse, danach ein Schrei und noch ein Schuss. Zwei Sekunden vergingen, und es ertönte ein weiterer Schuss, allerdings wesentlich lauter und deutlicher als die anderen. Kinsley ergriff als erster das Wort: "Wie viele Schüsse konnten Sie am Tatort feststellen?", fragte er. "Einen", antwortete Morgan knapp. "Das habe ich vermutet. Die anderen drei Schüsse kamen alle vermutlich vom Anrufer aus." "Diese Stimmen. Haben Sie erkennen können was sie sagten?", fragte Scully. "Nein, aber ich kann versuchen, sie herauszufiltern." Blitzschnell glitten seine Finger über die Tastatur des Computers und das Band wurde automatisch zurückgespult. Die Stimmen wurden jetzt verständlicher. Trotzdem konnten sie nicht verstehen, worüber die Männer redeten. Es war jedoch eindeutig, dass sie sich stritten. Morgans Augen weiteten sich. "Oh mein Gott. Eine der Stimmen stammt von Gregor Adlard.", sagte er aufgeregt. "Das ist unmöglich.", entgegnete Kinsley "Diese Stimmen gingen eindeutig vom Anrufer aus." "Vielleicht wurden sie aufgenommen, und während des Anrufs abgespielt", warf Scully ein. "Nein. Diese Personen waren eindeutig direkt am Telefon. Für eine Bandaufzeichnung ist die Tonqualität zu hoch." "Gibt es eine Möglichkeit zu überprüfen, ob es Adlards Stimme ist?", fragte Mulder. "Ja, ich könnte einen Stimmvergleich machen, aber..." "Versuchen Sie es.", unterbrach er ihn. "Vielleicht wird uns das weiterbringen." "Na gut, ich werde das Stimmspektrum durch den Komputer scannen und es vergleichen. Als Vergleich nehme ich eine frühere Aufzeichnung, auf der Adlard deutlich zu hören ist." Er ließ das Band laufen, während der Computer das Stimmuster einscannte. Eine Grafik wurde sichtbar, die den Stimmverlauf zeichnete. Kinsley spulte das Band zurück, auf ein Gespräch, das einige Stunden vor Adlards Tod aufgezeichnet wurde. Wieder scannte der Computer das Stimmspektrum und eine zweite Grafik erschien auf dem Bildschirm. Kinsley betätigte einige Eingaben auf der Tastatur, und der Computer verglich die zwei Diagramme. Nach einigen Sekunden erschienen die zwei Diagramme untereinander. Die Gemeinsamkeiten waren farbig gekennzeichnet. Es erschien ein kleines Fenster, in dem die Übereinstimmungsquote verzeichnet war. Kinsley konnte seine Überraschung kaum zurückhalten, aber der Computer bestätigte Morgans Theorie. In großen Lettern stand im Fenster: Übereinstimmung 96,2 Prozent. Kinsley wollte etwas sagen, aber in diesem Moment klingelte Morgans Handy. Er wechselte ein paar Worte mit dem Anrufer, und legte schließlich auf. "Es wurde ein weiterer Toter gefunden. Nur ein paar Straßen entfernt vom letzten Tatort."


3



Magyar-Street
17:41 Uhr

Morgan, Scully und Mulder waren bis auf zwei Polizisten die ersten, die am Tatort waren. Das restliche Team kam frühestens in einer Stunde. Die Agenten konnten sich auf diese Weise ihr eigenes Bild vom Tathergang verschaffen, ohne dass sie dabei gestört wurden. Die Polizisten stellten sporadisch einige Beweismittel sicher, und versuchten dabei, einen Anblick der Überreste möglichst zu vermeiden. Um die Leiche begutachten zu können zog Scully ein paar Latexhandschuhe aus ihrem Mantel und streifte sie sich über. "Die haben Sie wohl immer dabei", frotzelte Mulder. Sie verdrehte spaßeshalber die Augen und machte sich daran, die Leiche näher zu untersuchen, während sich Mulder in der Wohnung umschaute. Scully vermutete anhand der Blutlache, die sich unter dem Kopf der Leiche gebildet hatte, dass der Täter auf den Hinterkopf geschossen hatte. Sie wendete den Mann und entdeckte einen Schuss, der fast durch den ganzen Kopf durchgedrungen war. Als sie den Kopf näher betrachtete, fiel ihr eine große Narbe an der Stirn des Mannes auf. Scully schaute auf. Morgan kam schnellen Schrittes auf sie zu und kniete sich neben sie. "Trevor Hardesty. Er hat zusammen mit Adlard im Gefängnis gesessen, und mindestens ein doppelt so langes Vorstrafenregister." Er blickte sie an und lächelte. Flirtete er etwa mit ihr? Direkt über einem toten Mann mit jemandem zu flirten war sicherlich ungewöhnlich, aber Scully hatte während ihrer Arbeit an den X-Akten schon weitaus seltsameres erlebt. Sie lächelte kurz, nahm dann aber wieder ihre professionelle Haltung ein. "Der Todeszeitpunkt liegt ungefähr zwei bis drei Stunden zurück. Genau wie bei Adlard wurde Hardesty von hinten angeschossen. Allerdings musste der Täter aus nächster Nähe geschossen haben, er hat ihn regelrecht exekutiert. Der Hinterhauptlappen des Gehirns wurde fast vollständig zerstört", sagte Scully in einem kühlen Tonfall. Morgan erschauerte ein wenig bei dem Gedanken. "Sie vermuten also, dass es der gleiche Täter war, der auch Adlard erschoss?" "Allem Anschein nach ja." Scully blickte auf, als sie Mulders Stimme hörte, der sich aufgeregt mit einem Polizisten unterhielt. Er hatte etwas gefunden und winkte sie und Morgan zu sich. Scully blickte noch einmal auf Hardestys Leiche, bevor sich in Richtung Mulder begab, der triumphierend vor dem Videorecorder stand. "Ich habe etwas gefunden", sagte er. "Offenbar zeichnete Hardesty eine Sendung auf, während es passierte. Schauen sie sich das mal an." Er drückte auf die Play-Taste des Videorecorders, und das Band begann zu laufen. Auf dem Bildschirm erschien eine Nachrichtensendung. Nach einigen Sekunden gab es eine kurze Bildstörung. Dann tauchte ein Bild auf, das nur undeutlich zu erkennen war, außerdem war die Helligkeit viel zu niedrig. Das Bild wirkte, wie mit einer Überwachungskamera aufgezeichnet. Drei Männer standen in einer Art Vorzimmer und stritten sich energisch. Plötzlich tauchte eine Frau am Bildrand auf und versuchte unbemerkt an den Männern vorbeizukommen. Sie hatte ein Kind bei sich, dass sich fest an sie klammerte. Einer der Männer bemerkte die beiden und feuerte zwei Schüsse ab. Er traf den kleinen Jungen am Hinterkopf, der sofort zusammenbrach. Die Frau schrie, und der Mann schoss in der Aufregung noch einmal und traf die Frau an der Schulter. Sie fiel ebenfalls zu Boden, während die Männer schnell aus dem Bildausschnitt verschwanden. Das Programm wechselte nach einer erneuten Bildstörung wieder auf die Nachrichtensendung. "Und jetzt passen Sie mal auf." Mulder spulte das Band zurück und deutete auf den Bildschirm. "Sehen Sie sich diesen Mann genau an." "Adlard!", entfuhr es Morgan. "Richtig, aber da ist noch etwas." Mulder hatte diesen strahlenden Blick. Ein Zeichen für Scully, dass noch etwas folgen würde. Er ließ das Band bis zur Stelle laufen, an der sich einer der Männer umdrehte und zweimal schoss, und hielt es an. "Das hier ist Hardesty. Er hat diese Narbe an der Stirn, sehen Sie das?" Scullys Augen weiteten sich. "Mein Gott, Mulder. Was geht hier vor?" "Ich weiß es nicht, aber wir müssen schnellstens die anderen Personen auf dem Video identifizieren", sagte Mulder. "Ich glaube, dass ich diese Personen kenne", meldete sich Morgan zu Wort. "Woher?", fragte Scully verwundert. "Ich weiß zwar nicht, wie das auf das Band gelangen konnte, aber das waren vor einiger Zeit die Schlagzeilen sämtlicher Tageszeitungen. Adlard, Hardesty und ein gewisser William Pellegrino wurden verdächtigt, ein Kind erschossen zu haben. Die drei wurden aber nicht verurteilt, weil keine eindeutigen Indizien vorlagen. Ich glaube der Junge hieß Teddy Fieldman. Es war eindeutig das Kind auf der Aufzeichnung. Seine Mutter Jane, die Frau auf dem Band, wurde zwar schwer verletzt aber sie lebt noch..." "Sind Sie sich da vollkommen sicher?", hakte Scully nach. "Ja, ich habe nicht die geringsten Zweifel." "Dann haben wir es hier wahrscheinlich mit einem Vergeltungsakt zu tun", stellte Mulder fest. "Sie haben gesagt, dass Jane Fieldman noch lebt. Wir müssen sie so schnell wie möglich auffinden." Morgan schüttelte den Kopf. "Das wir nicht möglich sein. Jane Fieldman liegt seit dem Unglück im Koma."


4


Rozum-Street
19:01 Uhr

Mulder, Scully und Morgan hatten entschieden, schnellstmöglich William Pellegrino aufzusuchen. Wenn ihr Verdacht stimmte, befand er sich in Lebensgefahr. Von außen sah das Haus in dem Pellegrino wohnte, völlig heruntergekommen aus, und auch das Treppenhaus bildete keine Ausnahme. Es kündigte schon an, wie es in Pellegrinos Wohnung aussehen würde. Es war verfallen und eine Staubschicht schien alles zu bedecken. Hier interessierte es keinen, welchen Eindruck das Haus machte. Die meisten waren ohnehin nur zum Schlafen hier, und ihr Leben endete an der Haustür. Sie, Mulder und Morgan stiegen die Treppen zum zweiten Stockwerk auf, wobei Scully auffiel dass ihre Absätze ein furchtbar lautes Geräusch auf dem Betonstufen erzeugten. Die drei langten an Pellegrinos Wohnung an und klingelten an seiner Tür. Einige Sekunden verstrichen und wie erwartet blieb eine Reaktion aus. Sie klingelten ein zweites mal, aber wieder antwortete niemand. Morgan war kein Mann der vielen Worte und trat kurzerhand die Tür ein. Vorsichtig und mit der Waffe in der Hand durchsuchte Scully das Schlafzimmer. Sie durchsuchte den Raum, aber keine Spur von dem Gesuchten. Nachdem sie sich versichert hatte, dass sich Pellegrino nicht im Zimmer war, stürmte sie ins Wohnzimmer, doch sie traf nur Morgan an, der den Kopf schüttelte "Hier ist er nicht." Sie hörten Mulder aus dem Badezimmer rufen. Schnell eilten die beiden dorthin. Mulder hatte die Tür engetreten. Scully sah sich in dem kleinen Raum um. Pellegrino lag bewußtlos in der Wanne. Mulder hatte gerade den Wasserhahn zugedreht, aus dem eisiges Wasser in gelaufen war. Sie beugte sich hinunter zum ohnmächtigen Pellegrino und bemerkte eine Schusswunde an seiner Schulter, aus der Blut lief. Sie fühlte seinen Puls. "Er steht unter Schock! Wir brauchen sofort einen Krankenwagen!"
Morgan, Scully und Mulder sahen zu, wie die Sirenen des Krankenwagens hinter dem nächsten Straßenblock verschwanden. "Ich werde ins Polizeirevier fahren, vielleicht kann ich etwas über Pellegrino oder Jane Fielman herausfinden", sagte Morgan. Er verabschiedete sich und ging zu seinem Wagen. "Was geht hier vor, Mulder?", fragte Scully. "Ich weiß es nicht, Allerdings glaube ich, dass es eine Erklärung für die Aufzeichnungen gibt, die während der Morde entstanden", sagte er vorsichtig. "Haben Sie schon einmal etwas von dem Phänomen der `Zufälligen Aufzeichnung von unerklärbaren Stimmen´ gehört?" "Ja, ich habe während meiner Ausbildungszeit in Quantico etwas gelesen. Eine naturwissenschaftliche Zeitschrift beschäftigte sich damit, dass ein jemand ein Band aufzeichnete, und darauf plötzlich Stimmen von ihren verstorbenen Verwandten zu erkennen glaubten. Die Zeitschrift brachte dieses Phänomen mit Magnetismus in Verbindung, aber ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern." "Jedenfalls behaupten viele führende Forscher in diesem Gebiet, dass die Stimmen oder Bilder, die zufällig aufgezeichnet werden, nicht von Geistern stammten, sondern dass dieses Phänomen unter bestimmten Umständen von den Menschen selbst ausgelöst wird. Unter anderem auch in Stresszustand, oder wenn es zu sehr starken Emotionsentladungen kommt..." "Mulder, wollen Sie damit andeuten, dass der Täter selbst diese Aufzeichnungen erzeugt hat? Das klingt wenig plausibel. Ich glaube jemand hat die Bänder manipuliert, jedenfalls klingt das glaubwürdiger als Ihre Theorie. Ich glaube wir fragen am besten Pellegrino, sobald er vernehmungsfähig ist."


5



Shirley Inget Memorial Hospital
Washington, D. C.
Dienstag, 20. April
12:23 Uhr

Scully fühlte sich in Krankenhäusern immer unwohl. Sie verband einige unangenehme Erfahrungen damit, die sie hauptsächlich während ihrer Arbeit an den X-Akten machen musste. Sie schaute fast Mitleidig auf den schlafenden Pellegrino. Mulder öffnete die Tür und kam herein. Er hatte sich gerade mit einer Schwester unterhalten. "Er hat bisher nichts gesagt. Die Schwester sagte mir nur, dass sie ihm mehrere Beruhigungsspritzen geben musste, weil in Panik ausgebrochen ist." Pellegrino öffnete die Augen und richtete seinen Blick auf Mulder und Scully. Seine Augen brauchten eine Weile um sich an das helle Licht im Krankenhauszimmer zu gewöhnen. Er nahm ein Schluck Wasser und wendete nun seine Aufmerksamkeit den beiden Agenten zu. Er wirkte unerwartet ruhig. "Dürfen wir Ihnen einige Fragen stellen, Mr. Pellegrino?", bat Scully. "Selbstverständlich" , antwortete er. "Wer hat auf Sie geschossen?" "Selbst wenn ich es Ihnen sagen würde, würden Sie es mir nicht glauben." Mulder kannte diesen Satz. Während seiner Arbeit hatte er ihn schon unzählige Male gehört. "Ich versichere Ihnen, ich habe schon einige Dinge erlebt", warf Mulder ein. Pellegrino dachte eine Weile nach und holte tief Luft. "Ich habe ohnehin nichts zu verlieren", sagte er bitter. "Sie war es, die auf mich geschossen hat. Jane Fieldman. Ich habe mir das nicht nur eingebildet, ich habe sie gesehen, und sie hat keinen Moment gezögert. Sie hätte mich fast erschossen, und sie wird es noch einmal probieren, wenn ich dem jetzt kein Ende setze." "Wenn sie all dem ein Ende setzen? ", echote Scully. "Jane Fieldman liegt im Koma. Das müssen Sie sich eingebildet haben." "Ich hatte so eine Reaktion erwartet, aber ob sie nun im Koma liegt oder nicht, ich möchte ein Geständnis ablegen." "Was meinen Sie damit?" , fragte Mulder ungläubig. "Ich meine genau das, was ich gesagt habe", sagte Pellegrino bestimmt. "Wir haben auf Jane Fieldman und ihren Jungen geschossen. Ich und die beiden anderen, Gregor und Trevor." Plötzlich wurde er still. Nach einiger Zeit fragte er: "Sie sind beide tot, nicht wahr?" Mulder schaute hinüber zu Scully. "Es tut mir leid", sagte Mulder. "Wir wussten alle, dass es uns früher oder später mal erwischen würde. Aber keiner hatte damit gerechnet, dass es auf diese Weise passiert", sagte Pellegrino. "Ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie jemanden von der Polizei holen, damit ich mein Geständnis schriftlich niederlegen kann." "Darf ich ihnen eine Frage stellen, Mr. Pellegrino?", bat Scully. Er nickte, aber sie wurde vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Morgan war am Apparat: "Agent Scully, ich bin hier im Polizeirevier. Vor ein paar Minuten hat Janes Mutter, Martha Fieldman ihr Geständnis abgelegt. Sie hat diese Männer erschossen."


12. Polizeirevier
Washington, D. C.
12:51 Uhr

Martha Fieldman wirkte in dem schlechtbeleuchteten Vernehmungszimmer völlig fehl am Platz. Sie war eine liebenswürdige, ältere Frau mit grauen, unheimlich tiefen Augen, so wie man sich eine Großmutter vorstellte. So sehr er es auch versuchte, Morgan konnte sein Mitleid nicht verbergen. Er hätte die Frau am liebsten laufengelassen, aber er musste sich nun einmal an die Vorschriften halten. Es war einer jener Tage, an dem er sich wünschte, kein Polizist zu sein. Die Tür zum Vernehmungszimmer wurde geöffnet. "Die FBI-Agentin ist hier", sagte Mat Beck, Morgans rechte Hand. "Danke, ich komme sofort." Er warf Martha noch einen kurzen Blick zu und begab sich dann zum Eingang des Polizeigebäudes. "Wo ist ihr Partner?" "Er verhört Pellegrino gerade im Krankenhaus." "Danke jedenfalls, dass Sie so schnell kommen konnten. Martha Fieldman sitzt gerade im Vernehmungszimmer." "Sind Sie sich sicher, dass sie es war? Ein Geständnis reicht für die Anklage nicht aus", fragte Scully. "Sie hat uns Dinge genannt, die nur der Täter wissen konnte. Ich fürchte sie hat die Männer erschossen", sagte er. Morgan führte Scully in den Vernehmungsraum und entschuldigte sich: "Ich muss noch einen Berg von Akten durcharbeiten, um diesen Fall zum Abschluss zu bringen." "Gehen Sie nur. Ich schaffe das schon. Viel Glück beim Papierkram", Morgan lächelte und verließ den Raum. Scully und Martha waren allein. Die Frau war ruhig, und ihr war wahrscheinlich nicht im Klaren, was mit ihr geschehen würde. "Wieso haben Sie die Männer erschossen?", ergriff Scully das Wort "Jane und Teddy waren die Einzigen, die ich noch hatte. Diese Männer haben kaltblütig auf die beiden geschossen, und wurden nicht einmal verurteilt. Sie haben es nicht verdient, zu leben." "Ich kann Ihren Hass verstehen, meine Schwester wurde auch von Unbekannten ermordet. Aber im Gegensatz zu Ihnen wollte ich sie immer nur vor Gericht stellen." "Unsere Justiz kennt keine Gerechtigkeit. Ich konnte es nicht ertragen, dass sie da draussen irgendwo vor meiner Tür waren, und vielleicht noch andere Menschen umbrachten." Scully wurde still und eine Weile lang saßen die beiden schweigend da. Nach einer Weile ergriff sie das Wort. "Martha, wieso tun Sie das?", fragte sie. "Ich verstehe nicht, was Sie meinen." Scully schaute Martha in die Augen. "Das waren nicht Sie. Es war Jane. Wieso lügen Sie für sie?" "Ich bin ihre Mutter", sagte sie und sah Scully fest in die Augen. Scully stand auf, ging zur Tür, und sah noch ein letztes Mal zu Martha hinüber. Martha öffnete ihre Lippen um noch etwas sagen, aber dann schloss sie sie wieder und wendete ihren Blick dem Tisch zu, auf dem das unterschrieben Geständnis lag.


6


Scullys Wohnung
Zwei Tage spääter
19:41 Uhr

Scully streifte sich ihren Bademantel über. Sie hatte gerade ein Bad genommen, und das ätherische Öl, dass sie hineingeschüttet hatte, ließ ihren Körper nach Lavendel duften. Kleine Wassertropfen tropften von ihren nassen Haaren auf den Boden als sie zum ihrem Laptop ging, und ihn einschaltete. Während sie wartete bis sich die Dateien geladen hatten, nahm sie einen Schluck Kaffee. Dann fing sie an ihren Bericht zu Ende zu schreiben:
Martha Fieldman wurde eindeutig als Täterin identifiziert. Sie legte ein Geständnis ab und konnte stichhaltige Indizien für ihre Tat nennen. Die Tatwaffe wurde und einige persönliche Gegenstände der Opfer wurden bei ihr zu Hause gefunden. Sie wurde zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ich kann nicht entscheiden, ob Selbstjustiz richtig ist oder nicht. Aber ich weiß nicht, was ich an Martha Fieldmans Stelle tun würde. Adlard, Hardesty und Pellegrino haben ihren Enkel und vielleicht auch ihre Tochter ermordet. Damals wurden sie jedoch nicht schuldig gesprochen, da der Prozess wegen Mangel an Beweisen eingestellt werden musste. Martha hatte Angst, und diese Angst zusammen mit ihrer Wut waren die Motive der Tat.
William Pellegrino wurde vor zwei Tagen tot in seiner Zelle aufgefunden. Die Untersuchung hat ergeben, dass er sich selbst umgebracht hat. Die Tatwaffe konnte nicht gefunden werden.
Jane Fieldman liegt noch immer im Koma. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufwacht liegt bei weniger als fünf Prozent.


Shirley Inget Memorial Hospital
Washington, D. C.
Donnerstag, 22. April
12:23 Uhr

Jane Fieldman war von mehreren Ärzten und Schwestern umgeben. Alle hatten ein Ziel: Sie am Leben zu erhalten. Ihr Blutdruck sank immer weiter, und es sah schlecht für sie aus. Die grüne Line, die ihre Herzaktivität anzeigte, wurde immer kleiner. Plötzlich schlug das Gerät Alarm. Janes Herz war stehengeblieben. "Schwester Benson! Holen Sie sofort den Defibrillator!" Fünf lange Sekunden vergingen, ehe die Schwester das Gerät geholt hatte. "200 Kilojoule!", befahl der Arzt. Er rieb die zwei Elektroden aneinander und presste sie dann auf Janes Brust. Ein Stromstoß durchfuhr ihren Körper. "Es hilft nicht! Geben Sie mir 220!" Die Schwester stellte das Gerät au den entsprechenden Wert, und der Arzt wiederholte die Prozedur. "Wir verlieren sie! 300!" Wieder nahm er die zwei Elektroden, lud sie auf, und presste sie Jane Fieldman auf die Brust. Doch grüne Linie zeigte noch immer keine Aktivität an. Die Ärzte schwiegen. Sie wussten, dass sie keine Chance mehr hatten. "Todeszeitpunkt 12:26 Uhr", sagte der Arzt betrübt.
Scully stand in Janes Fieldmans Zimmer und blickte hinaus zum Fenster. Die Sonne schien zum ersten mal seit Tagen. Sie schaute hinüber zum Tisch, wo Jane Fieldman eben noch von lebenserhaltenden Maschinen umgeben war. Doch das Dröhnen des Beatmungsgerätes war nicht mehr zu hören. Die frischen Blumen standen nicht mehr auf dem Tisch. Die Bettwäsche war ordentlich zusammengefaltet und duftete frischgewaschen. Scully schaute sich noch einmal die Sterbeurkunde an. Todesursache: Herzversagen. Todeszeitpunkt 12:26 Uhr. Sie wurde vom Klingeln ihres Handys aus den Gedanken gerissen. "Scully", meldete sie sich. Morgan hatte sie angerufen, und seine Stime verhieß nichts Gutes. "Agent Scully, Martha Fieldman hatte einen Herzanfall. Um genau 12:26 Uhr ist sie gestorben..."


- ENDE -
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