World of X

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Partytime

von Cat, Sonja K

Kapitel 1

Dana Scully schnappte sich ihren Schlüssel vom Tischchen neben der Tür und schickte sich an, ihr Apartment zu verlassen, als das Telefon klingelte. Sie überlegte kurz, ob sie es ignorieren sollte, weil sie ohnehin schon spät dran war. Da sie jedoch den starken Verdacht hatte, dass es sowieso Mulder wäre, der sie später die ganze Zeit auf ihren Handy zu erreichen versuchen würde, beschloss sie, lieber doch eine kleine Verspätung zu riskieren, anstatt sich den ganzen Nachmittag von ihm verfolgt zu fühlen, wenn sie jetzt nicht abnahm.
Noch bevor sie den Hörer an ihr Ohr gebracht hatte, stieß sie in ihrer Eile mit dem Knie gegen das Sofa, sodass das erste, was der (noch) unbekannte Anrufer von ihr zu hören bekam, eine Reihe heftiger Seemannsflüche war.
Ein ungnädiges „Was wollen Sie, Mulder?“ war das nächste.
Er hatte wenigstens den Anstand, so zu tun, als sei er überrascht.
„Haben Sie neuerdings hellseherische Fähigkeiten, Scully?“ erkundigte er sich begeistert.
„Der einzige, der mich zu jedem erdenklich unmöglichen Zeitpunkt erwischen kann, sind Sie, Mulder.“ gab sie kurz angebunden zurück.
„Ich kann doch nicht wissen, dass es Ihnen gerade nicht passt, wenn mir todlangweilig ist.“ Er bemühte sich, ein wenig mitleiderregend zu klingen.
Anscheinend war es ihm gründlich misslungen, denn Scully schien in keinster Weise beeindruckt.
„Was? Sie können nicht hellsehen, Mulder? Das überrascht mich wirklich. Wenn ich etwas Zeit hätte, könnte ich mir beinahe vorstellen, Sie deswegen zu bemitleiden. Aber unglücklicherweise muss ich jetzt weg.“
„Kenne ich ihn?“ wollte Mulder wissen.
„Wie kommen Sie darauf, dass es ein Mann ist?“
„Nicht? Scully, Sie überraschen mich. Sollte an den Gerüchten auf der Herrentoilette doch etwas dran sein?“
„Ich habe beinahe Angst zu fragen, von was für Gerüchten Sie sprechen. Glücklicherweise habe ich auch gar keine Zeit, darüber nachzudenken.“ versuchte sie ihn wieder erfolglos abzuwimmeln. So schnell gab Fox Mulder jedoch nicht auf. Er zauberte eine neue Strategie aus dem Ärmel.
„Sie können doch nicht einfach weggehen und Spaß haben, während sich Ihr Partner zu Hause zu Tode langweilt. Das ist nicht gerade sehr kollegial.“
„Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie von Montagmorgen bis Freitagnachmittag mein Partner sind? Und falls Sie es trotz Ihres zugegebenermaßen scharfen Verstandes noch nicht bemerkt haben, werde ich Sie auch noch darauf hinweisen müssen, dass heute Samstag ist, und der gehört bekanntlich zum Wochenende.“
„Ich dachte immer, wir wären mehr als Partner, und Freundschaft gilt nicht nur während der Arbeitszeit, oder?“ Er klang wirklich betroffen, und Scully bekam schon beinahe ein schlechtes Gewissen, weil sie sich vorstellte, dass er wahrscheinlich auf seiner Couch saß und mit traurigen Augen ins Leere starrte. Sie seufzte innerlich. Dieser Mann schaffte es doch immer wieder, selbst wenn sie ausnahmsweise mal nicht direkt mit seinem Dackelblick konfrontiert wurde. Warum schaffte sie es nur niemals, hart zu bleiben? Zu allem Überfluss schien Mulder auch noch ihren Stimmungsumschwung förmlich zu spüren, denn er fuhr fort: „Nun kommen Sie schon, Scully. Ihr bester Freund sieht einem einsamen und trostlosen Tag mit seinen nicht gerade gesprächigen Fischen entgegen; haben Sie kein Mitleid?“
„Selbst wenn ich wollte, Mulder, ich habe keine Zeit.“ Dies erinnerte sie daran, dass sie eigentlich seit 10 Minuten unterwegs sein sollte, und sie unternahm einen letzten schwachen Versuch, Mulder abzuwimmeln: „So leid es mir tun, Mulder, Sie werden schon allein klarkommen müssen. Oder wollen Sie Ihren Samstagnachmittag lieber mit einer wilden Horde schreiender Siebenjähriger auf einer Geburtstagsparty verbringen, ein Schicksal, das mir für heute bestimmt ist?“
Mulders Antwort kam schnell und überraschend: „Ich liebe Kinder.“ *zumindest theoretisch* fügte er in Gedanken hinzu.
„Sie wollen mir allen Ernstes weismachen, dass Sie einen Nachmittag mit Kinderspielen einem der Videos vorziehen, die Ihnen bekanntlich NICHT gehören?“
„Scully, was denken Sie von mir? Ich kann doch nicht meine beste Freundin in den Klauen dieser kleinen Monster allein lassen, die womöglich schlimmer sind als Krycek und Flukeman zusammen. Wann soll ich Sie abholen?“
Zuerst war Scully erschrocken über sein Angebot – eigentlich hatte sie ihn ja abschrecken wollen – aber dann formte sich ein schadenfrohes Grinsen auf ihrem Gesicht. Womöglich war es gar keine so schlechte Idee, Verstärkung mitzubringen, wenn sie sich schon auf die Geburtstagsfeier der Schwester ihres Patenkindes begab. Sie wusste auch nicht, mit welchem außerirdischen Virus sie gerade befallen gewesen war, als Ellen sie um Hilfe gebeten hatte. Außerdem... Was für einen Anblick würde Mulder wohl inmitten einer Bande von kleinen, quietschenden Mädchen abgeben? Sie würde es herausfinden und hoffen, dass Ellen eine funktionstüchtige Kamera besaß. Eventuell würden Fotos entstehen, die ihr dabei helfen könnten, Mulder dazu zu überreden, seinen rechtmäßigen Anteil an Berichten ein wenig freiwilliger zu erledigen...
„Wenn Sie sich dieser Sache wirklich gewachsen sehen, werde ich Sie in 20 Minuten abholen. Erklärungen und Verhaltensinstruktionen im Wagen.“
Ohne ihren Partner – und natürlich auch besten Freund und in diesem Fall Lebensretter – noch einmal zu Wort kommen zu lassen, legte sie den Hörer auf und verließ endlich ihr Apartment.


40 Minuten später
Haus von Ellen Kelsey

Als Mulder aus dem Wagen stieg, war er etwas blass um die Nase, was nicht nur daran lag, dass Scully ziemlich rasant gefahren war, um die durch seinen Anruf verlorene Zeit wieder aufzuholen. Warum hatte er sich nur darauf eingelassen?? Sie hatten gerade die Gartentür geöffnet, als ihnen schon ein blonder Wirbelwind entgegenfegte und erst durch einen Griff an Scullys Hosenbein zum Stehen kam. Glücklicherweise war Scully darauf vorbereitet gewesen und trug Jeans.
„Dana, wo ist mein Geschenk?“ quietschte das Mädchen. „Ist es größer als letztes Jahr? Ich bin jetzt schließlich schon sieben!“ Durch den Aufruhr im Vorgarten waren auch die restlichen Kinder aufmerksam geworden, und im Nu sahen sich Mulder und Scully von der Schar der kleinen Geburtstagsgäste umringt. Um etwaige Ausbrüche zu verhindern, schloss Scully geistesgegenwärtig das Tor. Sich und Mulder etwas Luft verschaffend, reichte sie dem übereifrigen Mädchen ein bunt verpacktes Geschenk von beachtlicher Größe, worauf die Kleine mit der Beute in den Händen und von ihren Freundinnen gefolgt, wieder im hinteren Teil des Gartens verschwand. Erleichtert atmete Mulder auf, doch dann wurde ihm klar, dass er einen ganzen, endlos langen Nachmittag in Gesellschaft dieser Miniaturmonster verbringen würde.
Doch noch bevor Mulder Gelegenheit für einen weiteren Anflug von Selbstmitleid hatte, wurde die Haustür aufgerissen, und eine dunkelhaarige Frau in Scullys Alter kam herausgerannt. Mulder konnte sich plötzlich lebhaft vorstellen, woher das Geburtstagskind sein überschäumendes Temperament hatte, denn Ellen – wer sonst sollte es sein? – fiel der um einiges kleineren Scully schwungvoll um den Hals. Dabei sprudelte sie schon eine Begrüßung hervor: „Hi, Dana! Schön, dass du endlich da bist. Ich dachte schon... Wer - Ist - Das?“ unterbrach sie sich selbst, während ihre Augen anerkennend über Mulder glitten.
Scully versuchte sich aus der festen Umarmung zu befreien und gleichzeitig eine logische Erklärung für Mulders Anwesenheit zu finden.
„Hallo, Ellen. Tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich wurde... aufgehalten.“ Sie warf einen anklagenden Blick in Mulders Richtung, der zum ersten Mal, seit sie sich kannten, wirklich sprachlos zu sein schien. „Mulder wollte gern mitkommen und uns helfen.“
„Das ist aber schön. Moment mal, das ist der Mulder?“ Ihre Augen blitzten gefährlich in einem Ausdruck, der Scully gar nicht gefiel. Sie beschloss, Ellen keinen Raum für weitere Spekulationen zu geben und Mulders Position in ihrem Leben aufs neue deutlich zu machen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass ihre Freundin keine unangebrachten Dinge ausplauderte.
„Ellen, das ist mein Partner beim FBI (dies betonte sie besonders energisch), Fox Mulder. Mulder, Ellen.“
„Sein Name ist FOX??“ Ellen konnte sich vor Lachen nicht mehr halten, während Mulder versuchte, mit dem Garten im Hintergrund zu verschmelzen, was angesichts seines leuchtend blauen Shirts nicht so einfach war. Scully bemerkte sein Unbehagen und erlöste ihn. „Ellen, ich habe ihn aus gutem Grund nur Mulder genannt, als ich dir von ihm erzählt habe. Er mag es nicht besonders, wenn man ihn mit seinem Vornamen anspricht, also wäre es besser, wenn du ihn auch Mulder nennst. Das wäre ihm sehr wahrscheinlich lieber.“
„Ja, das wäre es. Und, Scully... Sie haben ihr von mir erzählt? Und vor allem: was haben Sie erzählt?“ mischte sich nun auch ein merklich selbstbewussterer Mulder ein. Scully blieb es erspart, nach einer unverfänglichen Antwort zu suchen, da in diesem Moment das Geburtstagskind wieder um die Ecke geschossen kam, sie an der Hand nahm und versuchte, sie zu den anderen Kindern zu zerren. Ellen nahm ihre Tochter beim Arm und fragte sie mit einem strengen Blick, ob sie sich denn schon für ihr Geschenk bedankt habe.
„Mach ich ja schon. Danke, Dana, es ist toll.“
Scully lächelte wohlwollend zu ihr hinunter. „Gern geschehen, Lilly. Ich habe mir schon gedacht, dass es dir gefallen wird.“
Nachdem das geklärt war, bemerkte Lilly auch endlich Mulder.
„Ist das dein Freund?“ erkundigte sie sich mit der kleinen blonden Mädchen eigenen Unschuld, und Mulder bemerkte erstaunt, dass Scullys Wangen auf einmal einen ziemlich roten Farbton annahmen.
„Nein, ist er nicht. Er ist nur ein guter Freund.“
„Ist er dein Verliebter?“ forschte Lilly weiter. Mulder trat unruhig von einem Bein aufs andere, während Scully unter Ellens kritischem Blick verzweifelt versuchte, ihre Fassung zu behalten.
„Nein, er ist nicht mein Verliebter, nur ein Freund.“
„Schade.“ Enttäuscht sah Lilly von einem zum andren, bevor sich ihr Gesicht wieder aufhellte. „Rachel hat aber einen Verliebten. Komm, ich zeig dir Rachel. Aber ihren Verliebten hab ich nicht eingeladen. Der ist ja ein Junge.“ Das letzte Wort sprach sie mit einer gewissen Verachtung aus, die Scully ein Lächeln und Mulder einen schockierten Blick aufs Gesicht zauberte.
„Darf ich dann überhaupt hier sein?“ fragte Mulder, verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser ganzen peinlichen Situation suchend. „Ich bin schließlich auch ein Junge.“
Der Blick, den sie ihm diesmal zuwarf, war schon beinahe mitleidig.
„Du Dummi!“ rief sie. „Du bist doch kein Junge.“
„Bin ich nicht?“ Mulder konnte sich nicht vorstellen, was er jetzt schon wieder falsch gemacht haben sollte.
„Nein. Du bist ein Mann.“ Damit nahm sie Scully bei der Hand und zog sie endgültig in Richtung der Party.
Das erste, was dem ihnen wortlos folgenden Mulder ins Auge fiel, war ein riesiger, reichlich mit herrlich ungesunden Leckereien bedeckte Tisch in der Mitte des Rasens, um den schon 19 kleine Mädchen saßen und ihnen ungeduldig entgegensahen.
„Na endlich, ich hab Hunger!“ beschwerte sich ein dunkelhaariges Mädchen mit Stupsnase und wilden Locken.
„Das ist Rachel. Sie ist meine beste Freundin und sie hat schon einen Verliebten.“ stellte Lilly vor.
Peinlich berührt schlug Rachel ihre Hände vors Gesicht, um ein verlegenes Grinsen zu verbergen.
„Du darfst doch nicht sagen, dass ich einen Verliebten habe. Das war ein Geheimnis.“
„Jetzt ganz offensichtlich nicht mehr.“ flüsterte Mulder Scully ins Ohr, denn inzwischen waren die Blicke sämtlicher Kinder auf die arme Rachel gerichtet. Einige fingen an zu kichern, während andere es offensichtlich gar nicht fassen konnten, dass eine aus ihrer Mitte sich mit einem Jungen abgab. Rachel selbst war inzwischen den Tränen nah, und Mulder, der wusste, wie es war, ausgelacht zu werden, rettete die Unglückliche: „Ich dachte, ihr hattet Hunger. Jetzt, wo wir endlich da sind, können wir eigentlich auch anfangen, oder?“ Als wären seine Worte ein Startschuss gewesen, vergaßen die Mädchen Rachel und fingen übergangslos an, ihre Teller mit Kuchen, Schokoküssen und anderen Süßigkeiten zu beladen, während Scully Mulder einen sowohl überraschten, als auch anerkennenden Blick zuwarf. Sie musste zugeben, dass sie ihrem Partner eine derartige Diplomatie nicht zugetraut hätte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, zerrte Mulder sie an der Hand zu den letzten beiden freien Stühlen und plazierte sie zwischen die Kinder, wobei er selbst direkt neben dem von ihm geretteten Mädchen landete.
Er hatte gerade in sein erstes Stück Kuchen gebissen, als Lillys Stimme die allgemeine Zufriedenheit durchbrach: „Halt! Ich habe eine tolle Idee. Wir spielen Stoppessen!“
Scully verdrehte die Augen, während Mulder mehr oder weniger ahnungslos in die Runde blickte.
„Ich hab Geburtstag, ich darf anfangen!“ stellte Lilly klar, und Mulder warf seiner Partnerin einen hilflosen Blick zu. Diese zuckte nur resigniert die Achseln und schlug Lilly vor, noch einmal die Regeln zu erklären, falls jemand unter ihnen sein sollte, der diese noch nicht kannte. Ihr Blick streifte ziemlich auffällig den Mann an ihrer Seite, während Lilly losschnatterte: „Das ist doch ganz einfach! Ich fange an, ihr esst alle, und wenn ich was sage, dann müsst ihr das machen.“
„Geht es auch ein bisschen deutlicher?“ erkundigte sich Mulder vorsichtig.
Lilly verdrehte die Augen, als müsse sie sich zurückhalten, ihn nicht wieder als Dummi zu beschimpfen.
„Wenn ich stopp sage, darfst du dich nicht mehr bewegen. Wenn ich Hexe sage, dann musst du immer wieder das machen, was du gerade gemacht hast. Wenn ich Schwein sage, musst du essen wie eins.“ An dieser Stelle der Erklärung musste Scully sich sehr anstrengen, ein Grinsen zu unterdrücken. Dieser Teil der Regeln dürfte Mulder gefallen. Lilly merkte nichts und fuhr ungerührt fort: „Wenn ich feine Dame sage, musst du essen wie eine feine Dame und darfst dich nicht bekleckern. Und wenn ich Kuckuck sage, musst du die Arme nach hinten schlagen wie ein Vogel. Kapiert?“ Mulder nickte ahnungsvoll und fragte sich, ob Scully gewusst hatte, worauf sie sich hier einließen. Ihm wurde plötzlich klar, warum sie Jeans und ihr ältestes Shirt trug – zumindest sah das Shirt so untypisch für sie aus, dass es einfach uralt sein musste – obwohl er sie auch irgendwie süß darin fand. Unbehaglich wanderte sein Blick von ihr zu seinem eigenen, noch nagelneuen, Shirt. Er hatte das Gefühl, als sei dies das erste und gleichzeitig letzte Mal, dass er es trug. Viel Zeit zum nachdenken blieb ihm nicht, denn Lilly verkündete, dass sie jetzt anfangen würde. Mulder widmete sich wieder seinem Kuchen, diesmal jedoch äußerst vorsichtig, um nur ja keine Angriffsfläche für ungünstige Befehle zu bieten. Lilly jedoch schien es gar nicht eilig zu haben, ein Kommando zu geben. Sie sah aufmerksam von einem zum anderen und versuchte, eine missliche Situation zu entdecken, die sie durch einen Befehl noch verschlimmern konnte. Es dauerte zwar einen Moment, aber dann hatte sie das perfekte Opfer erspäht: Mulder war von Rachel gebeten worden, ihr Glas mit Apfelsaft zu füllen, da sie die neu angebrochene Flasche nicht allein heben konnte, ohne den ganzen Tisch zu überschwemmen. In dem Augenblick, als er den Saft eingoss, ertönte ein lautes „Stopp!“ Neunzehn Mädchen und zwei Erwachsene erstarrten mitten in ihrer jeweiligen Bewegung. Mulder sah mit Schrecken, dass der Becher vor ihm langsam voll wurde, und er hoffte, dass Lilly ihn rechtzeitig erlösen würde. Doch das Mädchen dachte nicht einmal daran. Ihr Killerblick machte deutlich, dass sie genau auf diese Gelegenheit gewartet hatte und die Situation bis zum Ende auskosten würde. Obwohl er innerlich Stoßgebete zum Himmel schickte, hielt Mulder die Flasche tapfer weiter fest und sah machtlos zu, wie sich die goldgelbe Flüssigkeit allmählich dem Rand des Bechers näherte, diesen erreichte und einen kleinen Berg bildete. *Komm schon, sag weiter. Tu mir das nicht an!* Lilly hielt seinem sonst bei Frauen so wirkungsvollen Dackelblick stand und grinste ein wenig breiter. Mulder erkannte eine Herausforderung, wenn er eine sah, und diese hier weckte seinen Kampfgeist. Er würde nicht nachgeben, auch wenn Scully und ihre Freundin ihm hinterher umbringen würden. Hier ging es um die Bewahrung seiner Ehre vor diesen Kindern, und wenn er jetzt nicht sein Gesicht wahrte, würde der Rest des Nachmittages für ihn die pure Hölle werden. Wie um Mulders Theorie zu bestätigen, waren sämtliche Augen auf das Drama gerichtet, das sich am Tisch abspielte. Der kleine Flüssigkeitsberg stieg unaufhaltsam immer weiter über den Rand des Bechers, bis die dünne Membran schließlich die immer stärker nachdrängenden Flüssigkeitsmengen nicht mehr zurückhalten konnte und riss. In einem Schwall ergoss sich der Apfelsaft über den Rand und floss in Bächen über den Tisch, durchnässte Pappteller und Kuchen und verwandelte die einstmals saubere Tischdecke in einen goldgelben See. Endlich hatte Lilly genug und erlöste Mulder durch ein Gnädiges „Weiter.“ Erleichtert riss er schwungvoll die Flasche hoch und rettete den noch verbliebenen Apfelsaft.
Mulder wagte es nicht, Scully anzusehen. Stattdessen erfreute er sich an der Reaktion der Kinder, die nicht positiver hätte sein können. Einige kicherten leise hinter vorgehaltener Hand, während andere ungeniert lachten. Eine kleine Brünette prustete los, den Mund noch voller Saft, der sich ebenfalls über den Tisch ergoss. Die einzige, die der Situation offensichtlich keine Komik abgewinnen konnte, war – wie hätte es auch anders sein können? – Scully. Für ihren Blick hätte sie einen Waffenschein benötigt, und Mulder konnte nur hoffen, dass sie ihre Dienstwaffe zu Hause gelassen hätte, denn in diesem Moment wirkte sie bereit, ihn auf der Stelle zu erschießen. Er machte einen schwachen Versuch, sich zu rechtfertigen: „Sie hat stopp gesagt.“
„Und wenn ich Ihnen sage, küssen Sie Skinner, machen Sie das dann auch?“ fauchte sie nicht im Mindesten amüsiert.
„Aber, Scullyyyyyyy...“
Weiter kam er nicht, da er von Lilly unterbrochen wurde, die den Dialog mehr als interessiert verfolgt hatte: „Wieso sagst du Scully zu ihr? Sie heißt Dana. Und wer ist überhaupt Skinner? Ist das deine Verliebte?“
Mulder war kurz davor loszulachen, aber Scullys mahnender Blick belehrte ihn eines Besseren. Sie war es auch, die es übernahm, Lilly zu antworten: „Er sagt Scully zu mir, weil wir zusammen arbeiten. Und Skinner ist erstens ein Mann, zweitens nicht sein Verliebter, und drittens unser Boss.“
„Okay. Aber hier bin ich der Boss, und ich sage, er darf nicht Scully zu dir sagen, das klingt nämlich blöd. Du heißt doch schließlich Dana.“
Nun wagte auch Mulder einen Kommentar: „Ich habe aber immer Scully gesagt, und ich finde nicht, dass das blöd klingt. Aber ich nenne sie natürlich gerne Dana, wenn du das bestimmst. Mit dem Boss möchte ich mich lieber nicht anlegen.“ Auch wenn er so tat, als fühle er sich gezwungen, führte Mulder innerlich einen Freudentanz auf. Seit jener verhängnisvollen Überwachung von Eugene Tooms hatte er förmlich um eine Gelegenheit gebetet, sie endlich beim Vornamen zu nennen. Hier wurde ihm eine solche auf dem silbernen Tablett serviert, und er würde sie ganz sicher nicht ungenutzt vorbeigehen lassen.
Egal wie wütend Scully gerade war, sie würde es ihm ganz sicher nicht antun, ihn jetzt Fox zu nennen, das nahm sie sich vor.
Inzwischen hatte Lilly die Befehlsgewalt den Spielregeln entsprechend an das Mädchen links neben sich übergeben, einer wuschelhaarigen, blauäugigen Blondine mit Stupsnase, Amanda. Wie zuvor Lilly wartete auch diese geduldig, bis sich eine Gelegenheit ergab, um irgend jemanden zu blamieren. Sie musste nicht lange warten. Ihre Augen hefteten sich auf Rachel, die gerade versuchte, Mulder einen Schokokuss in den Mund zu schieben. Amandas Wahl war getroffen. Mit lauter Stimme rief sie „Kuckuck!“, und im nächsten Augenblick landete der Schokokuss als breiartige Masse mitten in Mulders Gesicht. Wieder war das Gelächter groß, und wieder war Scully die einzige, die nicht amüsiert schien.
„Müssen Sie sich denn immer wie ein Baby aufführen?“ knurrte sie.
„Ich versuche nur, mich anzupassen.“ verteidigte sich Mulder und konnte sich insgeheim des Gedankens nicht erwehren, wie gern er sie aufgefordert hätte, sein Gesicht sauberzulecken. Doch das würde wahrscheinlich auf einer Kinderparty zu weit führen, und außerdem war sie schon wütend genug, wie ihre nächste Äußerung verriet: „Na, das ist Ihnen ja großartig gelungen. Sind Sie schon einmal auf die Idee gekommen, dass diese Kinder Sie nachahmen könnten? Sie haben definitiv einen schlechten Einfluss.“
Während ihrer kleinen Unterhaltung hatten die anderen Kinder offenbar genug Kuchen in sich hineingestopft, denn sie standen nacheinander auf und verlangten: „Wir wollen jetzt endlich spielen!“ Sofort riss Lilly wieder die Führung an sich: „Ich will Topfschlagen!“ Allgemeine Begeisterung machte sich breit, nur Scully beschloss, ihre Füße lieber in Sicherheit zu bringen und verschwand im Eifer des Gefechts zu Ellen, um ihr beim Abräumen zu helfen. Mulder versuchte ihr zu folgen, wurde jedoch von seiner neuen Freundin Rachel und einem sehr zierlichen asiatischen Mädchen mit Namen Lucy an den Armen gepackt und zurückgehalten. Während des gesamten Spiels wich Rachel nicht von seiner Seite und hinderte ihn so daran, seine Füße vor einigen gut – oder eher schlecht – gezielten Schlägen mit dem Holzlöffel zu retten.
Bevor sie über das nächste Spiel berieten, rannte Lilly in die Küche und holte Scully zurück, die sich dort in aller Ruhe mit Ellen unterhalten hatte, während ihr Partner litt. Nicht, dass sie etwa der Meinung war, er hätte es verdient...
Als sie im Garten ankam und ein paar Mädchen um einen Ball balgen sah, ahnte sie Böses. Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht. „Wir spielen Dornröschen.“ erklärte Drew, ein pummeliges Mädchen mit blonden Struwwelhaaren, das Scully schon von früheren Besuchen kannte.
Wieder war es Mulder, der nichts verstand. „Spielen wir Theater?“ erkundigte er sich verwirrt und erntete von Lilly erneut einen genervten Blick. „Warst du noch nie auf einer Party?“ wollte sie in einem Tonfall wissen, der Mulder an eine genervte Scully denken ließ. Und diese beiden waren wirklich nicht miteinander verwandt?
In einem belehrenden Tonfall begann Lilly abermals zu erklären: „Einer ist die böse Fee und muss versuchen, die anderen mit dem Ball zu verzaubern, sodass sie schlafen. Wer verzaubert ist, muss sich hinsetzen, aber die, die noch nicht verzaubert sind, dürfen die Verzauberten wieder wachküssen. Die böse Fee gewinnt nur, wenn sie alle verzaubert hat.“ Ein Grinsen zog Mulders Mundwinkel nach oben. Dieses Spiel gefiel ihm. Jetzt konnte er nur hoffen, dass weder er noch Scully als böse Fee ausgewählt wurden. Gab es überhaupt männliche Feen? Lillys Wahl kam ihm sehr entgegen: „Cammie ist gut im Werfen, darum soll sie die böse Fee sein.“
„Immer ich.“ beschwerte sich eine weitere kleine Blondine, nahm aber den Ball von Lilly entgegen. Dies veranlasste sämtliche Kinder und Scully, sich in alle Richtungen davonzumachen. Nur Mulder hatte nicht schnell genug reagiert; bevor er auch nur an Flucht denken konnte, traf ihn der knallbunte Plastikball am Hinterkopf. Verwirrt drehte er sich um und sah in das triumphierende Gesicht der bösen Fee. Offensichtlich hatte Lilly im Bezug auf Cammies Fähigkeiten nicht zu viel versprochen. „Hinsetzen!“ befahl sie nun, und Mulder blieb nichts anderes übrig, als sich auf den Rasen plumpsen zu lassen und zu wartet, wer ihn erlösen würde. Ob Scully wohl noch sauer war...?
Inzwischen war das Spiel in vollem Gange, und Mulder bekam langsam Spaß daran, das Geschehen vom Boden aus zu beobachten, immerhin bekam er so einen guten Blick auf seine Partnerin, der es vor lauter Rennen gar nicht auffallen konnte, wie er sie beobachtete. Offensichtlich hatte es sich Cammie zum Ziel gemacht, zuerst die Erwachsenen auszuschalten, denn keine zwei Minuten später saß auch Scully, die einem gut gezielten tiefen Ball nicht mehr ausweichen konnte. Erst jetzt machte sich die „Fee“ auf die Jagd nach den anderen Kindern, die sich wild quietschend durch den Garten jagen ließen, während Mulder sich fragte, wer ihn denn jetzt erlösen sollte. Diese Frage wurde kurz darauf beantwortet, als Rachel auf ihn zukam und ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange drückte, nur um im nächsten Moment wieder davonzurennen. Dieses Mal war auch Mulder schnell genug. Er sah sich suchend nach Scully um und bemerkte, dass der Weg zu ihr mit einigen sitzenden Mädchen gepflastert war. Wäre es wohl sehr auffällig, wenn er sie alle ignorieren und gleich seiner Partnerin zu Hilfe eilen würde? Vorsichtig spähte er nach Cammie aus, die gerade eine schreiende Lilly am anderen Ende des Gartens verfolgte. Die Luft war rein. Mulder machte sich auf den Weg zu Scully, wobei er sich immer wieder bückte, um das eine oder andre Mädchen am „Wegesrand“ zu erlösen. Als er schon befürchtete, vom vielen Bücken Rückenschmerzen zu bekommen, hatte er endlich sein Ziel erreicht. Er beugte sich hinunter und fragte leise: „Was bekomme ich, wenn ich Sie befreie?“
„Die Frage sollte besser lauten, was mit Ihnen passiert, wenn Sie es nicht tun.“
Mulder hob gespielt überrascht die Braue in einer mehr oder weniger gekonnten Imitation der Geste, die er jede Tag zu sehen bekam. „Oh, Scully, ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie so scharf darauf sind, von mir geküsst zu werden. Hätte ich das früher gewusst...“
Der Blick, der ihn aus ihren blauen Augen traf, war mörderisch, und um sie nicht weiter zu provozieren, hauchte er ihr einen leichten Kuss auf die Wange. Scully sprang auf und rannte schnell davon, während Mulder, der noch immer verträumt die Augen geschlossen hatte, im nächsten Augenblick durch einen Ball in seinem Magen daran erinnert wurde, worum es in diesem Spiel neben dem Küssen noch ging. Resigniert ließ er sich unter Cammies Triumpfgeheul erneut auf den Boden fallen und beobachtete, wie nach und nach alle Mitspieler ausgeschaltet wurden.
Lilly, die anscheinend keine Lust mehr auf dieses Spiel hatte, ließ ihnen nicht mal Zeit, sich ein Glas Saft zur Stärkung zu holen, und kommandierte eifrig weiter: „Und jetzt der schwarze Mann!“ Dieses Spiel war selbst Mulder bekannt, und so musste er das Geburtstagskind nicht mit weiteren Fragen ärgern, als dieses ihm gnadenlos mitteilte: „Du bist der schwarze Mann.“
Sich in sein Schicksal fügend, begab er sich auf die andere Seite des Gartens und leierte den erforderlichen Spruch sogar richtig herunter, und während die Kinder noch begeistert die letzte Antwort brüllten, suchte er bereits nach einem passenden Schwachpunkt in der Reihe der Mädchen. Ein dunkelhaariges Mädchen, dessen wilde Locken ihm in die Augen hingen, schien ihm besonders geeignet, nicht zuletzt, weil sie nicht viel zu sehen schien. Entschlossen griff er an und konnte sein Opfer tatsächlich einfangen. Mächtig stolz trat er mit seiner neuen Mitstreiterin zur nächsten Runde an, dieses Mal die Augen auf Cammie gerichtet. Rache konnte schließlich nicht schaden, und er gab sich nicht der Illusion hin, so früh schon Scully erwischen zu können. Scheinbar war Cammie im Werfen besser als im Laufen, denn es kostete Mulder nicht einmal besonders viel Mühe, sie von den anderen abzudrängen und unter den Arm zu klemmen. Lachend ließ sie sich abtransportieren. Bevor er erneut zum Angriff überging, sah er sich nach seinem ersten Opfer um, neugierig, wen dieses erbeutet hatte. Er traute seinen Augen nicht. Vor ihm stand das lockige Mädchen, das er gefangen hatte, aber in zweifacher Ausführung. „Was...?“ brachte er nicht sehr intelligent hervor. Als hätten sie diese Reaktion erwartet, sahen sich die identischen Kinder an und fingen gleichzeitig an zu kichern. Mulder dämmerte etwas. Cammie bestätigte seinen Verdacht: „Das sind Deanna und Beverly. Und sie sind Zwillinge.“
„Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.“ war Mulders schwache Antwort.
„Darum hab ich es ja gesagt, du Dummi.“ Offenbar war dieses Wort im Kreise der Minimonster ein geflügeltes Wort. Anders konnte er es sich nicht erklären, dass er heute schon zum zweiten Mal so tituliert worden war. Bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, ob er einfach nur einen schlechten Tag erwischt hatte, oder ob er immer so wirkte, hatten die Zwillinge schon mit der Fortsetzung des Spiels begonnen, und Mulder musste wieder rennen. Allerdings nicht besonders schnell. Anscheinend hatte ihn Rachel übersehen, denn sie lief ihm direkt in die Arme. Vor Beginn der nächsten Runde rief er seine kleine Mannschaft zu einer Teambesprechung zusammen und stellte einen Schlachtplan auf: „Also, wenn wir gewinnen wollen, ohne uns zu sehr anzustrengen, brauchen wir Dana, denn die ist groß und ziemlich schnell.“ Sieben Köpfe nickten zustimmend und warteten auf weitere Instruktionen. „Am besten, ihr versucht, euch ein paar der anderen zu schnappen, sorgt ein bisschen für Chaos, und ich kümmere mich um Dana.“ Seine Augen blitzten auf. Tatsächlich schafften es die Jägerinnen, eine beachtliche Menge Opfer einzukreisen und Mulder freie Bahn auf seine Partnerin zu geben. Diese überraschte ihn jedoch, indem sie rechts antäuschte und dann links an ihm vorbeirannte. Doch so einfach ließ er sich nicht entmutigen; schließlich hatte er immer noch die längeren Beine. Er drehte auf dem Absatz um und stürmte ihr hinterher. Tatsächlich brauchte er nur drei lange Schritte, bevor er sie mit den Armen um die Taille schnappen konnte. Aber auch Scully wollte nicht kampflos aufgeben und wehrte sich heftig zappelnd in dem Versuch, sich seinem Griff zu entwinden. Kurz entschlossen – und auch ein wenig verzweifelt – hob Mulder sie hoch und nahm ihr somit den Halt. „Geben Sie auf?“ erkundigte er sich siegessicher, war jedoch nicht sonderlich erstaunt, als er ihr gezischtes „Niemals“ hörte.
„Dann eben so.“ meinte er gelassen und trug sie mühelos zu seinem Team, das ihn johlend begrüßte. Mit Hilfe beider Erwachsener war es nur noch eine Frage von Minuten, bis das Spiel mit Lucy als Siegerin beendet war.
Nach einigen erschöpfenden Wiederholungen ließ Lilly endlich eine Verschnaufpause zu, die von allen dankbar genutzt wurde.
Doch die Ruhe währte nicht lange. Übereifrig erklärte Lilly „zublinzeln“, ein neues Spiel, das sie von ihrem Bruder gelernt hatte. Max, ein Mädchen mit glatten roten Haaren, durfte beginnen, während sich die anderen zu Paaren zusammenfinden mussten. Niemanden überraschte es, dass Rachel Mulder zu ihrem Partner erkoren hatte und entschlossen schien, ihn nicht fliehen zu lassen. Lilly hatte klargestellt, dass niemand anderes als sie mit Dana spielen würde, die Zwillinge bildeten ein Paar, und auch die anderen Mädchen fanden sich zu Pärchen zusammen. Da Bobbie vor Kurzem ihren Arm gebrochen hatte und der Gips eher hinderlich war, schied sie aus, und die Gruppe ging auf.
Die Augen aller im inneren Kreis befindlichen Personen waren auf Max gerichtet, die sich aufmerksam umsah und schließlich unauffällig Lilly zublinzelte. Diese duckte sich unter Scullys Armen hindurch und rannte zu ihrer Freundin, um sich hinter sie zu stellen. Scully versuchte, einen der Zwillinge zu sich zu holen, auch wenn sie nicht sagen konnte, ob es sich um Deanna oder Beverly handelte. Sie hätte sich allerdings darüber keine Sorgen zu machen brauchen, denn anstatt einem dunkel gelockten kleinen Mädchen kam plötzlich Mulder in vollem Tempo auf sie zugerannt, eine sehr enttäuscht blickende Rachel hinter sich zurücklassend. Als er sich wortlos hinter Scully stellte, drehte diese sich um und raunte: „Mulder, schiele ich?“
„Warum? Sie haben mir doch zugezwinkert.“ beteuerte Mulder mit perfekter Unschuldsmine.
„Vielleicht haben Sie das letzte Nacht geträumt. Ich habe Ihnen definitiv nicht zugezwinkert, sondern einem Kind, das zwei Pärchen weiter stand.“
„Oops.“ war Mulders einziger Kommentar. Von den streitenden Agenten unbemerkt, hatte sich Rachel bereits eine neue Partnerin geholt und damit Drew allein gelassen. Noch bevor diese überhaupt ein Opfer aussuchen konnte, spürte Scully, wie sie von Mulders Armen umschlossen und an seine Brust gedrückt wurde. Wieder drehte sie sich um: „Was soll das?“ wollte sie wissen.
„Scully, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben, der Sinn dieses Spieles liegt darin, dafür zu sorgen, dass man seinen Partner nicht verliert, und genau das tue ich.“ *Außerdem werde ich mir die Gelegenheit, sie so festzuhalten, mit Sicherheit nicht entgehen lassen...*
„Das haben Sie völlig richtig erkannt, Sherlock. Aber Sie dürfen Ihren Partner erst dann festhalten, wenn ihm jemand zublinzelt.“
„Hat sie das nicht gerade getan?“
„Nein, Mulder, das hat sie nicht. Und jetzt nehmen Sie Ihre Hände von mir.“
Gerade, als er ihrem Befehl nachkommen wollte, bemerkte er, dass Drew Blickkontakt zu Scully aufnahm. Blitzschnell schlang er seine Arme wieder um ihre Taille und zog sie an sich.
„Mulder, sie hat nicht geblinzelt.“ kam die fast schon verzweifelte Antwort seiner Partnerin. Ihr wurde allmählich klar, dass sie den Rest dieses Spieles in Mulders Armen verbringen würde, und so war es auch. Sobald jemand auch nur annähernd in ihre Richtung blickte, begann Mulder erneut, seine Besitzansprüche geltend zu machen, und Scully blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen, zumal auch die Kinder bereits den Versuch aufgegeben hatten, sie wieder von ihm wegzublinzeln. Scully musste sich doch wundern, wie sehr sich Mulder in ein Kinderspiel hineinsteigern konnte. Wenn er doch den Berichten auch nur annähernd so viel Beachtung schenken würde...
Irgendwann wurde selbst dieses neue aufregende Spiel den Kindern langweilig, da die „Wächter“ zunehmend auf der Hut waren und es für die Blinzler immer schwieriger wurde, jemanden zu „erbeuten“. Als nächstes stand „Blinde Kuh“ auf dem Programm, wobei auch Ellen begeistert mitzuspielen forderte. Mulder jedoch stöhnte innerlich auf, da er dieses Spiel schon als Kind gehasst hatte, was ja auch kein Wunder war, wenn man von gemeinen Mitspielern regelmäßig in irgendwelche Teiche gelockt und anschließend wegen der nassen, verdreckten Kleider zu Hause bestraft wurde. Erleichtert stellte er fest, dass es in diesem Garten keine offenen Wasserstellen gab, und in die Regentonne neben der Garage würde er nicht hineinpassen.
Anscheinend hatte Lilly einen gnädigen Moment, denn sie ließ einer ihrer Freundinnen, der bisher sehr zurückhaltenden Bree, den Vortritt. Diese ließ sich willig die Augenbinde umlegen und von ihren Freundinnen im Kreis drehen. Schnell zerstreuten sich die Mädchen, um aus ihrer Reichweite zu entkommen. Da gerade niemand auf ihn achtete, nutzte Mulder die Gelegenheit und verschwand unauffällig hinter der Garage, um sich eine kleine Verschnaufpause zu gönnen und noch einmal in den Erinnerungen an Scully in seinen Armen zu schwelgen. Aber scheinbar war er doch nicht unauffällig genug gewesen, da eine Minute später die Hauptdarstellerin seiner Träume um die Ecke bog. Ihr Gesichtsausdruck jedoch war weit von dem entfernt, von dem er gerade geträumt hatte. Um die Wahrheit zu sagen, sie sah stinksauer aus. So sehr er sonst auch die Scully der Realität der aus seinen Träumen vorzog, in diesem Moment war es umgekehrt. Mulder sah sich suchend nach irgendeinem Mauseloch um, in dem er verschwinden konnte, musste aber feststellen, dass er seiner Partnerin hilflos ausgeliefert war. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sie fest anzusehen und auf das Donnerwetter zu warten, das auch prompt folgte: Scully stemmte die Hände in die Hüften und brachte es fertig, mindestens einen halben Meter größer zu werden – zumindest in Mulders erschrockenen Augen. „Ich dachte, wir hätten geklärt, dass Sie Ihre Pfoten von mit lassen sollen!“ knurrte sie, und noch bevor Mulder antworten konnte, ging es weiter: „Fassen Sie mich noch einmal auf eine Weise an, die nicht zu einem Spiel gehört, und Sie werden es Ihr Leben lang bereuen. Im Übrigen findet die Party um die Ecke statt und nicht hinter der Garage. Aber es sieht Ihnen ja ähnlich, nur an den Spielen teilzunehmen, die Ihnen die Möglichkeit geben, irgendwelche Frauen zu begrapschen. Und jetzt bewegen Sie Ihren Hintern und gehen zu den anderen!“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung der immer noch laut lachenden und kreischenden Kinder, einen sehr an einen begossenen Pudel erinnernden Mulder hinter sich zurücklassend. Das hatte weh getan. Wie konnte sie ihm nur zutrauen, dass er jede beliebige Frau angrapschen würde, sobald sich ihm die Gelegenheit bot, wenn sie die einzige war, die er jemals anfassen wollte? Und wer konnte es ihm schon verübeln, wenn er seine möglicherweise einzige Chance, die Frau zu berühren, die er liebte, reiflich nutzte? Um weiteren Ausbrüchen vorzubeugen, ging er langsam zurück zur Party, wo er gleich in die ausgestreckten Arme von Sarah lief, die unglücklicherweise gerade die Rolle der blinden Kuh innehatte und ihn als einzigen männlichen Erwachsenen natürlich sofort erkannte, sodass er sich im nächsten Moment auf dem Boden kniend wiederfand, mit einem kleinen Mädchen, das ihm ein Tuch vor die Augen band und ihn unter dem Gekicher der Zuschauerinnen mehrmals im Kreis drehte, bevor sie ihn seinem Schicksal überließ. Seines Augenlichtes zeitweilig beraubt, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf seine übrigen Sinne zu verlassen. Wenigstens bestand dieses Mal keine Lebensgefahr wie in vielen anderen Situationen, in denen er sich berufsbedingt schon befunden hatte. Anstatt sofort blind loszurennen, blieb er erst einmal einen Moment stehen, um sich zu orientieren. Das war der Moment, als er es roch: Von irgendwoher trug ihm ein leichter Lufthauch den für ihn unverwechselbaren Duft von Scullys Parfum zu. Er würde diesen Geruch überall erkennen, da er ihn so sehr liebte, dass er sogar einmal in einem unbeobachteten Moment in ihrem Badezimmerschrank nachgesehen hatte, wie das Parfum hieß, das sein Herz höher schlagen ließ und zugegebenermaßen zu den ungünstigsten Zeiten die Wirkung eines Aphrodisiakums entfaltete: Es handelte sich um Jil Sanders „Sun“. Mehr als einmal hatte er der Versuchung widerstehen müssen, für sich selbst ein Fläschchen zu kaufen, um Scully immer riechen zu können, auch wenn sie mal nicht in seiner Nähe war. Doch das wäre wohl selbst für seine Verhältnisse zu weit gegangen. Sich von seinem Geruchssinn leiten lassend, folgte er der leichten Duftspur zielsicher wie ein Suchhund. Er wusste, dass das, was er vorhatte, sein Leben ernsthaft gefährden konnte, aber da er wahrscheinlich nie wieder die Gelegenheit bekommen würde, es zu tun, machte er sich um die Folgen seiner Tat jetzt noch keine Sorgen. Als sich der Duft intensivierte und die Kinder lauter zu kichern begannen, wusste er, dass er sein Ziel fast erreicht hatte. Um sein Opfer in Sicherheit zu wiegen, täuschte er einen Richtungswechsel vor, wirbelte dann jedoch blitzschnell herum und griff zu. Das FBI- Training und die ewige Jagd nach Mutanten hatte seinen Reflexen gutgetan; er hielt tatsächlich Scully in den Armen. Ein Gefühl unmenschlichen Stolzes durchströmte ihn. Nach den Spielregeln musste er jetzt seine Beute abtasten, um erraten zu können, um wen es sich handelte. Zwar hatte er bezüglich dessen Identität schon jetzt keine Zweifel, aber es konnte ja nicht schaden, den Genuss zu verlängern, indem er sich ein wenig dumm stellte, etwas, worin er ziemlich gut war, wie er nicht ohne einen Anflug von Stolz feststellte. Er begann mit ihrem Gesicht. Sanft ließ er seine Fingerspitzen über ihre Wangen gleiten, dann hinauf zur Nase bis zur Stirn, wobei er darauf achtete, ihren Augen nicht zu nah zu kommen. Als nächstes waren ihre Lippen dran, denen er seine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Bildete er es sich nur ein, oder ging ihr Atem tatsächlich schneller? Da er nicht sicher sein konnte, ob das nicht ein Zeichen von Ärger war, brachte er seine Finger lieber außer Reichweite ihrer Zähne. Er würde es ihr glatt zutrauen zu beißen. Also beschloss er, in sichereres Terrain vorzudringen und ließ seine Hände zu ihrem Hals gleiten, wo sie schließlich keine Zähne hatte. Während die eine Hand ihre weiche Haut streichelte, spielte die andere mit dem Kreuz an ihrer Kette um sie auf seine Weise wissen zu lassen, dass er genau wusste, wer sie war. Erst als ein leises knurrendes Geräusch seine Fingerspitzen vibrieren ließ, wanderten seine Hände zu ihren Schultern, dann die Arme hinunter zu ihren Händen. Er wusste, lange würde er dieses gefährliche Spiel nicht mehr spielen können, aber er konnte einfach nicht widerstehen, und seine Hände machten sich selbständig, bevor sich sein Gehirn einschalten konnte. Besitzergreifend umschlossen seine Finger ihren wohlgeformten Hintern, und ehe sie reagieren konnte, sprang er mit einem triumphierenden „Dana!“ zurück, riss sich die Augenbinde ab und suchte Deckung hinter Ellen und den Zwillingen, die sich vor Lachen bogen und sich erkundigten: „Warum hast du denn so lange gebraucht, du Dummi? Dana ist doch viel kleiner als Ellen und hat außerdem kürzere Haare.“ Ellen lachte ebenfalls; sie konnte sich schon denken, warum sich Mulder so lange damit aufgehalten hatte, seine Partnerin zu „erraten“. Sie nahm sich vor, bei Gelegenheit mal mit Dana über ihren Verdacht zu sprechen, aber jetzt war nicht die Zeit dazu; es galt, ein Leben zu retten. Da Mulder es ganz sicher nicht wagen würde, nahm sie ihm das Tuch aus den Händen und ging zu Dana, um es ihr umzubinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Freundin blind in der Lage sein würde, Mulder umzubringen, war nicht sehr groß, und da Ellen keinen großen Wert darauf legte, Zeugin eines Gemetzels in ihrem Garten zu werden, hielt sie dies für die sicherste Lösung. Tatsächlich verlief der Rest des Spieles ohne Zwischenfälle, und eine halbe Stunde später hatten die Kinder – allen voran Lilly – keine Lust mehr und forderten Abwechslung. Ellen verkündete zur allgemeinen Begeisterung, bald werde es Abendessen geben, und da nicht mehr viel Zeit blieb, wurde beschlossen, noch schnell eine Runde Verstecken zu spielen. Dieses Mal durfte Justina anfangen, das zweite rothaarige Mädchen unter den Gästen, da sie bisher noch bei keinem Spiel begonnen hatte und außerdem die einzige war, die fehlerfrei bis hundert zählen konnte. Ellen konnte natürlich nicht mitspielen, da sie sich ums Essen kümmern musste, aber weder Mulder noch Scully bekamen die Erlaubnis, ihr zu helfen. Da es unmöglich war, 20 Leute im Garten zu verstecken, wurde das untere Geschoss des Hauses freigegeben.
Mulder musste feststellen, dass es trotzdem gar nicht so leicht war, ein passendes Versteck zu finden, wenn man sich nicht auskannte. Ziel- und planlos irrte er durch die Räume, wobei ihn Justinas Stimme gnadenlos verfolgte. Sie war bereits bei 80 angekommen, als er die rettende Idee hatte: Er stand direkt vor einem Vorhang, der die Nische zwischen der Hauswand und der Treppe verbarg. Da er aus Erfahrung wusste, dass kein Kind freiwillig hineingehen würde (schließlich lauerte dort neben diversen Spinnen auch der schwarze Mann oder das Hausgespenst – je nach Vorliebe der älteren Geschwister), war dies das perfekte Versteck. Als er hineinschlüpften wollte, wurde ihm klar, dass das schon jemand vor ihm bemerkt hatte. Bei seinem Glück konnte dieser Jemand natürlich niemand anderes als Scully sein, die im Augenblick nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen war. *Na wunderbar!* schoss es durch seinen Kopf. *Offene Konfrontation ohne Entkommen in einer Abstellnische oder auch bei diesem Spiel der Loser des Tages?* Er entschied sich für Ersteres, huschte in die Nische und schloss den Vorhang hinter sich, noch bevor seine Partnerin reagieren konnte. Selbst im Halbdunkel war ihr Blick mörderisch und ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihn absolut nicht hier haben wollte, was durch ihre Worte nur noch bestätigt wurde.
„Mulder, verschwinden Sie aus meinem Versteck!“ zischte sie ungehalten, und ihr Tonfall verriet, dass er den Bogen mit seiner kleinen Show beim Blindekuh- Spiel deutlich überspannt hatte. Sofort tat ihm sein Verhalten leid. Nichts lag ihm ferner als sie wirklich zu verletzen, und er war wild entschlossen, das hier und jetzt wieder in Ordnung zu bringen, aber dazu musste sie ihm erstmal erlauben, in ihrem Versteck zu bleiben. Da in der Dunkelheit sein Dackelblick nicht funktionieren würde, versuchte er, sie mit Worten zu erweichen: „Scully, Sie können mich doch nicht schon wieder verlieren lassen. Die Kinder denken sowieso schon, dass ich ein Dummi bin.“
„Das wäre nicht unbedingt die Beschreibung, die ich wählen würde.“
Zwar nicht besonders freundlich, aber immerhin hatte sie mit ihm gesprochen und nicht wieder darauf bestanden, dass er ging. Mulder beschloss, das als gutes Zeichen zu nehmen, bis er ihre nächsten Worte hörte: „Ich habe keine Lust, mich wieder von Ihnen angrapschen zu lassen, denn im Gegensatz zu den Mädchen auf Ihren Videos bin ich nicht zu Ihrem Vergnügen auf der Welt.“ Damit drehte sie sich, so gut es in dem engen Raum eben ging, von ihm weg. Mulder ließ sich davon nicht einschüchtern, klappte seine langen Beine zusammen und ließ sich neben ihr nieder, denn seine Körpergröße machte es ihm unmöglich, in diesem niedrigen Versteck allzu lange aufrecht zu stehen. Verletzt erkundigte er sich: „So denken Sie also von mir?“
„Sie müssen zugeben, dass Sie nichts getan haben, um meine Meinung diesbezüglich zu revidieren.“ war die kühle Antwort.
„Können Sie denn nicht verstehen, dass das heute womöglich meine einzige Chance war, Sie kennenzulernen? Ich meine nicht Scully, sondern Dana, die auch mal Spaß hat und einfach lacht.“
„Und dazu fällt Ihnen nichts anderes ein, als meinen Hintern zu betatschen?“ Jetzt klang sie traurig, und Mulder hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte er das auch noch tun müssen? Es war doch völlig genug gewesen, ihr Gesicht zu streicheln, aber bis vor einigen Minuten war ihm seine Dreistigkeit aus irgendeinem Grund noch cool erschienen. Das war, bevor ihm klargeworden war, wie sehr er ihr damit weh getan hatte. Er wusste, das war nur durch absolute Ehrlichkeit wiedergutzumachen, egal, wie sie darauf reagierte. Er war es ihr schuldig zu erklären, was ihn dazu bewegt hatte, zu weit zu gehen.
„Wissen Sie, wie schwer es mir fällt, Sie jeden Tag zu sehen und nie berühren zu dürfen? Ich schätze, in dem Moment, als Sie so vor mir standen, konnte ich einfach nicht anders. Da ich nicht wusste, wann ich das nächste Mal eine solche Gelegenheit bekommen würde, musste ich sie einfach nutzen. Und irgendwie habe ich mich dann wohl zu sehr hineingesteigert. Zugegeben, ich fand die Idee zuerst lustig, aber nur, bis ich gemerkt habe, dass ich Ihnen damit weh getan habe, und nichts liegt mir ferner als das.“
„Es laufen doch wohl genug Frauen in DC herum, dass Sie nicht Ihre Partnerin belästigen müssen. Ich bin sicher, Sie könnten jeden Tag eine aufreißen. Warum spielen Sie dann ausgerechnet mit mir Ihre Spielchen?“ Ihre Stimme klang keinesfalls mehr so sicher wie noch vor einigen Sekunden. Er konnte sich zwar nicht sicher sein, da er ihre Augen nicht sehen konnte, aber er hatte den Verdacht, dass sie mit den Tränen kämpfte. Sein Herz setzte ein paar Schläge aus als ihm klarwurde, dass er daran schuld war. Wenn er das jemals wieder in Ordnung bringen wollte, musste er wohl oder übel die Karten auf den Tisch legen.
„Von den ganzen Frauen, die Sie eben erwähnt haben, kommt aber keine an meine Vorstellung von meiner Traumfrau heran. Entweder sind sie nicht intelligent genug, oder nicht so schön wie sie, oder ihnen fehlt einfach das Herz.“
Gespannt wartete er auf eine Antwort, doch es blieb still. Plötzlich wurde ihm klar, wie sie seine Worte aufgefasst haben konnte. Sie glaubte doch nicht etwa, er habe sich in eine andere Frau verliebt und würde sie nur als zweite Wahl betrachten, weil seine Angebetete unerreichbar schien? Nichts konnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, und das würde er ihr zeigen, egal welche Konsequenzen das mit sich bringen würde. Im Dunkeln tastend, ergriff er ihre Hand, die sie ihm nach anfänglichem Sträuben schließlich überließ, wenn auch eher resignierend. Seine Finger spielten sanft mit den ihren, als er sie noch näher an sich heranzog, insgeheim mit heftiger Gegenwehr rechnend, die jedoch ausblieb.
„Scully,“ begann er, unterbrach sich dann aber. „Dana. Wenn Sie jetzt noch nicht begriffen haben, dass ich von Ihnen spreche, dann bin nicht ich, sondern Sie hier der Dummi.“ Mit angehaltenem Atem wartete er auf ihre Reaktion. Er hatte alles erwartet, nur nicht, dass sie anfangen würde zu lachen. Bevor er sich klarwerden konnte, ob er nun erleichtert oder verletzt sein sollte, brachte sie etwas atemlos hervor: „Mulder, Sie sind der einzige Mensch auf der Welt, der es fertigbringt, ein Liebesgeständnis in einem Atemzug mit einem derartig dummen Spruch zu bringen. Falls das eins sein sollte.“ fügte sie zögernd hinzu.
„Was sollte es denn sonst sein?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, beugte er sich vor, um sie zu küssen, wobei er jedoch zuerst ihre Nase erwischte. Im Dunkeln tasteten seine Lippen sich ihr Gesicht entlang, bis sie endlich ihren Mund erreichten. Nach einem kurzen Moment löste er sich wieder ein wenig von ihr und fragte leise: „Besser?“
„Was?“ war die verwirrte Erwiderung.
„Ich wollte wissen, ob es dir jetzt besser geht. Eigentlich müsste es das nämlich. Ich habe erst heute Morgen in der Zeitung gelesen, dass Küssen einen zu hohen Blutdruck senkt. Außerdem wirkt diese Form der Zärtlichkeit Kreislaufbeschwerden entgegen, verbessert die Cholesterinwerte und steigert insgesamt die Lebensqualität.“ Wieder einmal versteckte er seine Unsicherheit und Angst vor Zurückweisung hinter einem mehr als dummen Spruch, doch dieses Mal schlug ihn Scully mit seinen eigenen Waffen: „Ich habe den Artikel, aus dem Sie soeben so wunderbar wörtlich zitiert haben, selbst gelesen. Haben Sie nicht vergessen zu erwähnen, dass ein solcher Kuss erstens mindestens drei Minuten dauern muss, um die von Ihnen erwähnte Wirkung zu haben, und zweitens gilt das nur für Frauen, die in einer dauerhaften und intakten Beziehung leben.“ Den letzten Satz hatte sie sehr leise und zögernd ausgesprochen.
„Ich bemühe mich mal, jetzt keinen dummen Spruch zu bringen und werde dir statt dessen erklären, dass ich gern diese dauerhafte und intakte Beziehung mit dir hätte. Vorausgesetzt natürlich, du willst das auch.“ Jetzt war es an Mulder, unsicher zu klingen.
„Und was ist mit deiner Traumfrau, an die keine andere herankommt?“
„Sie sitzt vor mir.“
„Und sie hätte nichts dagegen, die heilende Wirkung von Küssen mit dir zu erforschen.“ Weiter kam sie nicht, denn Mulder zog sie wieder an sich und begann, genau das zu tun.
Doch auch dieses Mal erreichten sie die magische Dreiminutengrenze nicht, denn der Vorhang wurde zurückgerissen und Justinas triumphierendes „Ich hab‘ sie!“ gellte durchs Haus. Im nächsten Moment war das Paar von zwanzig giggelnden Kindern umgeben, deren Kommentare die beiden frisch Verliebten jedoch zuerst gar nicht wahrnahmen.
„Guck mal, er ist doch ihr Verliebter! Sie hat gelogen.“ beschwerte sich Lilly, während Rachel traurig einen Schritt zurücktrat.
„Was machen die denn da?“ fragte Deanna etwas angewidert, und ihre Zwillingsschwester bemühte sich, sie aufzuklären: „Die knutschen.“
„Kriegt man davon nicht Babys?“ Das war Max, die ebenso interessiert wie alle anderen den Hals reckte.
„Stimmt.“ gab Beverly zu, und im nächsten Moment schrie es aus mehreren Kehlen: „Ellen, komm schnell, Dana kriegt ein Baby!“



THE END
Der Rest bleibt eurer Imagination überlassen; schließlich ist das hier eine Kinderparty...
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