Stand up for what you believe in,
even if you stand by yourself.
© Chanya Lioness
Frustriert und leise vor sich hinmurmelnd, schob sich Special Agent Fox Mulder an seiner Partnerin vorbei und feuerte das Geäst, welches er mit einem angewiderten Gesichtsaudruck durch ihr gemeinsames Büro getragen hatte, in den überfüllten Papierkorb. Nur zu deutlich nahm er Scullys fragenden Blick wahr und ihre erhobene Augenbraue.
„Ich schwöre dir, hierbei handelt es sich um einen Komplott, erdacht und ausgeführt auf höchster Regierungsebene.“ Resignierend umrundete der hochgewachsene Mann den Schreibtisch und ließ sich seufzend auf seinen Stuhl fallen.
„Mulder, du führst dich schlimmer auf als der Grinch höchstpersönlich!“ Nicht ohne einen Hauch von Humor in der Stimme zog Dana Scully ihren Kollegen und Freund auf. Dann warf sie einen prüfenden Blick auf den bis zum Rand mit Mistelzweigen gefüllten Mülleimer.
„Möchtest du jetzt auch noch auf allen anderen Etagen den Festtagsschmuck klauen gehen? Oder wie wäre es mit dem Weihnachtsbaum im Eingangsbereich? Mulder, ich weiß, dass du kein Weihnachtsfan bist; nicht einmal Chanukka feierst du. Aber warum lässt du den Menschen, die diesen Feiertag zelebrieren, nicht einfach ihre Freude und fährst nicht gleich jeden entrüstet an, der dir Frohe Weihnachten wünscht?“ Scully stand die Frustration ins Gesicht geschrieben. Morgen war Weihnachten, ein Familienfest, das sie auf Grund der damit verbundenen Traditionen schätzte und liebte. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, wenn sie sich vorstellte, dass sie heute Abend im Kreis ihrer Familie ein mit Liebe zubereitetes Mahl essen und morgen ihre Freude daran haben würde, wie ihre Nichte und die Neffen sich über die Geschenke hermachten, während Mulder nur deprimiert und frustriert in seiner Wohnung sitzen würde. Sollten nicht zu Weihnachten alle froh und glücklich sein? Jeder war es. Mulder konnte mit vielen Definitionen beschrieben werden, doch normal gehörte nicht dazu. Und obwohl sie genau diese Eigenschaft an ihrem Partner liebte, wünschte sie sich doch, dass er gerade an einem Feiertag wie diesem einige seiner dunklen Schatten verdrängen könnte.
„Weihnachten ist nicht mehr das, was es ursprünglich war. Unsere Gesellschaft hat ein kommerzielles Spektakel daraus gemacht. Ich wette, nicht einmal die Hälfte aller Kinder kennt die wahre Bedeutung dieses Festes. Wie sollen sie auch? Sie werden von klein auf in die Formen gepresst, die ihre Eltern annehmen wollen. Für die einen ist Weihnachten das ultimative und große Geschäft, für die anderen ein Megaevent, bestehend aus Einkaufsmarathons und Feiertagsstress. Jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt, damit, nur ja die tollsten und teuersten Geschenke auszuwählen, die besten Plätzchen in der Nachbarschaft zu backen oder die glamouröseste Beleuchtung anzubringen. Ich war gestern in der City, Scully. Dort sind einer alten Frau die Einkäufe runtergefallen, weil sie von vorbeieilenden Geschenkjägern aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Nicht eine Person hat dieser Dame geholfen, niemand hat innegehalten. Ich war der einzige, der ihr geholfen hat, ihre Tüten wieder einzusammeln. Ich vermute, den meisten Schnäppchenjägern ist die Lady gar nicht aufgefallen. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?“ Mulder hatte sich in Rage geredet. Endlich konnte er all die Frustration, die sich über Jahre hinweg angestaut hatte, herauslassen.
„Ich stimme dir zu; für viele Menschen hat das kommerzielle Weihnachtsfest zunehmend an Bedeutung gewonnen, aber ist nicht jeder selbst dafür verantwortlich, wie glücklich oder unglücklich er sich damit macht? Ich liebe Weihnachten, weil es für mich ein Zusammentreffen mit meiner Familie bedeutet. Es ist ein Fest, bei dem ich endlich einmal innehalten kann, wie du es so schön ausgedrückt hast; ich bekomme die Möglichkeit, mich einfach treiben zu lassen. Menschen, die sich im Alltagsstress viel zu wenig sehen, haben die Möglichkeit, einige Tage miteinander zu verbringen. Weihnachten ist aber noch viel mehr. Es ist eine Erinnerung. Eine Erinnerung an all die glücklichen Feste meiner Kindheit, an meine Schwester und an meinen Vater.“ Einen kurzen Moment verstummte Scully. Mulder wusste, woran, oder eher an wen, sie gerade dachte. Leise seufzend erhob er sich aus seinem Stuhl und trat auf seine Partnerin zu.
„Scully, du bist die letzte Person, der ich vorwerfe, den Sinn von Weihnachten vergessen zu haben. Aber schau dir doch nur mal das J. Edgar Hoover Building an. Alle führen sich auf wie auf einem Volksfest. Die meisten männlichen Agenten schleichen durch das Gebäude und hoffen, eine der Agentinnen unter dem Mistelzweig zu erwischen. Es ist nahezu ein Wettstreit. Wer küsst die meisten Frauen? Und es artet immer mehr aus. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe Angst davor, mit jemanden wie Tom Colton zufällig unter einen eben jener Zweige zu stehen... Oder Skinner!“ Scully grinste ihn bei dieser Vorstellung erheitert an und Mulder zog in einer angeekelten Grimasse seine Stirn in Falten. Doch in Wahrheit wollte er nur Scully mit niemand Anderem unter einem Mistelzweig stehen sehen. Genau deshalb hatte er alle Zweige aus ihrer Reichweite entfernt. Kollegen wie Colton warfen Mulder vor, ein spießiger Spielverderber zu sein. Es schien ihnen recht zu sein, Mulder abermals in die Schublade des merkwürdigen Eigenbrötlers zu stecken. Sollten sie ruhig denken, Mulder wolle ihnen einfach nur den Spaß verderben. Der Zweck heiligte schließlich die Mittel.
„Ja, Weihnachten ist ein Familienfest, aber was ist mit all den anderen Personen, Scully? Ende Dezember ist die Selbstmordrate erschreckend hoch. Menschen fühlen sich einsam und verlassen. Und nachweislich sind sie es auch. Sonst würden nicht annährend so viele Selbstmordversuche gelingen. Denn wen kümmert schon der Nachbar, oder wen interessieren die Sorgen, die der Kollege vielleicht haben könnte? Wir sind ein Staat der Zuschauer und der Gaffer. Die Anzahl derer, die beherzt eingreifen, ist verdammt niedrig. Und gerade an einem solchen Fest, das Viele als Fest der Liebe deklarieren, erkennt man die eigentliche Armut unserer Gesellschaft: Einsamkeit. Jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt, die wenigsten schaffen es, über ihren eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Aber nicht nur Alleinstehende leiden. In vielen Familien kriselt es an Feiertagen ganz besonders, und Weihnachten ist der Spitzenreiter. Durch den enormen Druck kommt es vermehrt zu Spannungen, die nicht selten in ausgewachsenen oder handgreiflichen Auseinandersetzungen enden. Viele Familienmitglieder, die sich in den meisten Fällen länger nicht mehr gesehen haben, rufen zusätzliche Stresssituationen hervor. Gerade vor zwei Tagen hat eine Sondereinheit in Kalifornien den Amoklauf und die Geiselnahme eines verzweifelten Familienvaters blutig beendet. Kopfschuss. Und der Auslöser: Seine Scheidung und das Verbot, die Kinder zu Weihnachten zu sehen.“
Schweigen fiel über den Raum. Nur zögerlich erhob sich die rothaarige Frau und kam eine Handbreit vor Mulder zum Stehen.
„Und was ist mit dir? Meine Mum und ich haben dich eingeladen. Du gehörst für uns zur Familie. Bemitleidest du dich selbst, Mulder? Wenn dich Weihnachten so sehr stört, warum änderst du es dann nicht? Ich werde jetzt Feierabend machen, nach Hause gehen, die Geschenke in meinen Wagen laden und zu meiner Familie fahren. Die Einladung steht noch immer, das weißt du! Aber ich rechne nicht damit, dass du bei uns auftauchen wirst.“ Mulder erkannte ganz klar Enttäuschung in ihren blauen Augen und ihrer Körpersprache. Irgend etwas tief in seinem Innersten drängte ihn, jetzt endlich etwas zu sagen. Er öffnete seinen Mund, bewegte lautlos die Lippen und schloss ihn tatenlos wieder. Scully drehte sich von ihm weg, um nach ihrer Tasche zu greifen. Gleich würde sie gehen, ihn allein zurück lassen, einsam. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen griff Dana nach einem bunt verpackten Geschenk und hielt es Fox entgegen. Dann streckte sie sich und hauchte dem verdutzten Mulder einen leichten Kuss auf die rechte Wange.
“Frohe Weihnachten, Mulder.“ Noch ehe sich Mulder aus seiner Starre losreißen oder auch nur ein Wort hervorbringen konnte, war die Bürotüre bereits zugefallen. Verdutzt betrachtete er das Geschenk. Seine Neugierde gewann Oberhand, und mit fliegenden Fingern riss er das farbenfrohe Papier entzwei. Hervor kam eine DVD. Nicht irgendeine, nein. Der Grinch. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Hatte Scully tatsächlich Recht? Irritiert betrachtete er das Geschenk von allen Seiten. Ja, das hatte sie! Entschlossen trat Mulder an seinen Computer und schaltete ihn aus. Dann zog er sich den Mantel an, knipste das Licht aus und verließ, mit einer bereits in seinem Kopf Form annehmenden Idee, das J. Edgar Hoover Building, die Mistelzweige geschickt umgehend.
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Satt und zufrieden lehnte sich Dana in ihrem Stuhl zurück. Den obersten Knopf ihrer Hose hatte sie bereits geöffnet. So gut hatte sie schon lange nicht mehr gegessen. Ihre Mutter hatte sich dieses Jahr selbst übertroffen. Und wie jedes Jahr waren noch Unmengen an Festtagsbraten und Beilagen übrig geblieben. Maggie Scully hatte immer Angst, ihre Lieben würden nicht satt werden. Gracie, Danas fünfjährige Nichte, war die einzige, die noch nicht zu platzen schien. Unermüdlich schöpfte das kleine rothaarige Mädchen einen Löffel Schokoladenpudding nach dem anderen in ihre Dessertschale. Die Erwachsenen warfen sich amüsierte Blicke zu.
„Granny, dieser Pudding ist der beste, den ich je gegessen habe“, verkündete die Kleine mit vollen Backen. Anne, Charlies Ehefrau, ermahnte ihre Tochter, wie ungezogen es sei, mit vollem Mund zu sprechen. Doch das schien das Kind nicht zu stören, schließlich wollte sie viel lieber essen als reden.
„Das freut mich, Gracie“, beteuerte Maggie mit einem fröhlichen Zwinkern in ihren Augen. Sie hatte Stunden in der Küche verbracht, weil dieses Festtagsessen perfekt sein sollte. Und nichts berührte ihr Herz mehr, als das Lob ihrer fünfjährigen Enkelin.
„Ich mag nicht mit Gracie in einem Zimmer schlafen“, quengelte ihr älterer Bruder Andrew, und verdrehte dabei theatralisch seine Augen.
„Andy, das haben wir doch schon besprochen“, versuchte Charlie, seinen Ältesten zur Vernunft zu bringen. Andy schob aber nur seine Unterlippe nach vorne und sah seinen Vater mit einem vorwurfsvollen Blick an, wie es nur ein Siebenjähriger tun konnte.
„Ja, aber jetzt wird sie heute Nacht bestimmt kotzen. Ich will nicht, dass Gracie in unser Zimmer kotzt. Kann sie nicht bei dir und Mummi schlafen?“ Mit großen, unschuldigen Kinderaugen sah er jeden der Erwachsenen kurz an.
„Werde gar nicht kotzen“, murmelte Gracie gekränkt, während sie sich einen weiteren Löffel des Nachtisches in den Mund schob. Dann griff sie nach der großen Glasschüssel, um sich abermals einen Nachschlag in ihr kleines Schälchen zu schöpfen. Resolut ergriff Anne die Hand ihrer Tochter und schüttelte den Kopf.
„Es reicht, Grace. Du hast schon mehr als genug davon gegessen.“ Nun war es an Gracie, schmollen die Unterlippe nach vorne zu schieben.
„Aber Granny hat gesagt, dass ich so viel essen darf, wie ich mag“, beschwerte sich das nimmersatte kleine Mädchen. Dana sah Anne deutlich ihre Verzweiflung an. Doch Maggie eilte ihrer Schwiegertochter bereits zur Hilfe.
„Wenn du jetzt den ganzen Pudding leer isst, Engelchen, dann hast du für morgen gar keinen mehr.“ Dies schien auch für Gracie einleuchtend zu sein. Kurz prägte sie sich den Inhalt der Schüssel ein, damit niemand heimlich etwas naschen konnte, und nickte dann ihrer Großmutter zu. Diese ergriff lächelnd eine Serviette und säuberte liebevoll das schokoladenverschmierte Gesicht des Mädchens. Charlie musterte seine Kinder und sah dann auf die Uhr. Es war schon spät, und die Beiden hatten einen aufregenden Tag hinter sich. Doch wollte er sie nicht direkt nach dem Essen schlafen schicken.
„Was haltet ihr davon, wenn ich mit Gracie und Andy noch einen kurzen Spaziergang mache und sie danach ins Bett bringe, während ihr den Abwasch übernehmt?“ Hoffnungsvoll blickte er zuerst seine Frau, dann seine Schwester und zuletzt seine Mutter an. Diese fingen breit an zu grinsen.
„Du hast dich nicht verändert, Charles Scully. Noch immer tust du alles, um dem Abwasch zu entgehen“, konnte sich Dana einen kleinen Tadel nicht verkneifen. „Na los, raus mit euch, bevor wir es uns anders überlegen.“ Damit scheuchte sie ihren Bruder und die Kinder in den Flur zur Garderobe. Lachend trugen die Frauen das Geschirr in die Küche. Maggie genoss es, einige Zeit nur mit Dana und Anne zu verbringen.
„Endlich ist es hier wieder so lebendig wie früher. Wenn Morgen früh noch Bill und Tara mit den beiden Kleinen ankommen, wird das Haus aus allen Nähten platzen, aber ich würde es nicht anders wollen.“ Rundum zufrieden begann Maggie damit, Spülwasser einzulassen und das Geschirr zu reinigen. Die jüngeren Frauen neben ihr übernahmen das Abtrocknen. Dann vertieften sie sich in ein Gespräch über Gracies Abenteuer in der Einkaufspassage, wo sie verloren gegangen war, weil sie einer Frau, die ein junges Kaninchen gekauft hatte, gefolgt war. Lange hatte Maggie ihre sonst so stille und ruhige Tochter nicht mehr so ausgelassen lachen gehört. Es war Musik für ihre Ohren.
Bald darauf kamen die drei Spaziergänger zurück, wünschten den restlichen Erwachsenden eine gute Nacht und verschwanden nach oben. Eine geschlagene Stunde später erst gesellte sich Charlie zu den Frauen ins Wohnzimmer, wo die Kerzen des Weihnachtsbaumes und das langsam verglühende Feuer im Kamin den Raum in ein sanftes Licht hüllte. Doch sie blieben nicht mehr lange auf, da sie die Energie der Kinder an einem Weihnachtsmorgen kannten, und zogen sich allmählich alle in ihre Schlafzimmer zurück.
Dana konnte nicht so recht einschlafen. Zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf umher; zweifelsohne hatten sie alle mit ihrem Partner zu tun. Fühle er sich jetzt einsam? Nein, Mulder war nicht der Typ für Feiertagsdepressionen. Sie kannte kaum einen Menschen, der mehr Dämonen zu bekämpfen hatte, aber jemanden, dem Weihnachten nichts bedeutete, der konnte sich doch jetzt nicht einsam fühlen, oder? Heimlich hatte sie sich gewünscht, er würde ihrer Einladung nachkommen, auch wenn sie wusste, dass es eine Wunschvorstellung war. Aber Mulder war ein fester Bestandteil ihres Lebens, ihr bester Freund, der Mann, dem sie ihr Leben anvertraute und für den sie ihres blind einsetzen würde, und noch so viel mehr. Doch sie konnte nicht die richtige Erklärung finden. Ihr Seelenverwandter? Ja, genau das war er. Ihr perfektes Gegenteil. Der Mensch, der sie erst komplett und vollständig machte. Ebenso konnte sie sich mittlerweile eingestehen, dass sie Mulder bedingungslos liebte, auch wenn sie nicht bereit war, dieses Gefühl zu analysieren oder gar zu verbalisieren.
PLONG
Erschrocken fuhr sie in ihrem Bett herum. Dieses Geräusch kam vom Fenster. Dana richtete sich auf und ihr Blick tastete im fahlen Mondschein das Glas ab. Nichts.
PLONG
Jemand warf Steine gegen die Scheibe. Irritiert trat sie auf das Fenster zu und blickte hinaus. Der Anblick ihres Partners auf dem Rasen, der schräg nach oben zu ihr aufsah, erstaunte sie nicht im Mindesten. Wer außer Mulder würde Nachts auf eine derartige Idee kommen?
„Mulder, was ist?“, flüsterte sie etwas gereizt.
„Zieh’ dich an und komm raus, ich warte beim Van.“ Und schon huschte die ganz in schwarz gekleidete Gestalt durch den Vorgarten und verließ das Grundstück. Verwirrt schloss Scully das Fenster. Was sollte das?
„Bitte, kein Fall, lass es bitte keinen Fall sein“, hauchte sie, nicht ganz daran glaubend. Warum sonst sollte Mulder hier mitten in der Nacht auftauchen? Dass er Steine warf, verstand sie nicht ganz, doch vielleicht wollte er ihre Familie nicht beunruhigen. Seufzend zog sie den Schlafanzug wieder aus. Sie wusste aus Erfahrung, dass es besser war, Mulder zu begleiten, als ihn alleine losziehen zu lassen, auf sich gestellt. Meist endete ein solches Unterfangen mit einer mittleren Katastrophe. Routiniert und schnell kleidete sie sich in eine dunkle Jeans und einen blauen Wollpullover und schlich lautlos die alten Treppen hinunter. Vorsichtshalber hinterließ sie eine Botschaft auf dem Küchentisch, schlüpfte dann in ihre Schuhe und zog sich ihren Mantel über. Ihre Waffe hatte sie sicherheitshalber in ihrem Auto gelassen, schließlich hielten sich Kinder im Haus auf. Leise schloss sie die Haustüre hinter sich und trat in die dunkle Nacht.
Hatte Mulder Van gesagt?
Als sie auf den Bürgersteig neben dem Anwesen ihrer Mutter trat, sah sie dort Mulder lässig an der Karosserie eines alten VW-Busses lehnen. Obwohl das Gefährt sehr mitgenommen aussah, wirkte es noch zu ordentlich, um den Lone Gunmen zu gehören.
„Ich habe beinahe Angst, zu fragen, was genau du vorhast, Mulder“, war ihre einzige Begrüßung. Mulder aber stieß sich nur lässig vom Wagen ab und musterte seine Partnerin ungeniert. Dieses legere Outfit stand ihr vorzüglich, wie er fand; es betonte ihre zierliche Figur.
„Nun, zum einen musste ich mich noch für dein Geschenk bedanken, und zum anderen habe ich eine Frage: Vertraust du mir blind, Scully?“ Irritiert blickte Dana ihren Partner an.
„Was soll denn diese dumme Frage? Natürlich tue ich das. Aber ich verstehe nicht, was das hier zu bedeuten hat, um ganz ehrlich zu sein. Und egal, was für einen Fall du ausgegraben hast, die Antwort lautet nein. In wenigen Stunden ist Weihnachten.“ Sie hielt einen Moment inne. „Und Mulder, gern geschehen!“
„Wie bitte?“ Verwirrung stand in seinem Gesicht geschrieben.
„Das Geschenk, gern geschehen“, erklärte Scully.
„Oh, mhm, Danke. Und du verstehst mich falsch. Ich kann dir nicht verraten, worum es geht, zumindest noch nicht... nur, dass es nichts mit einem Fall zu tun hat. Ehrenwort.“
Skeptisch beäugte sie den Mann vor sich. Meinte er wirklich, was er sagte, oder handelte es sich hier nur um einen Trick? Sie wollte ihm glauben, schließlich war Weihnachten.
„Okay Mulder. Aber ich hoffe für dich, dass diese Sache gut ist! Verdammt gut, da du mich von meinem wohlverdienten Schlaf abhältst.“ Innerlich brannte sie vor Neugierde. Was hatte Mulder nur vor?
„Nun, Ma’am, dann bitte einsteigen, anschnallen und festhalten. Der Grinch-Express fährt gleich los!“ Lachend kam Scully seiner Aufforderung nach. Gespannt beobachtete sie die vorbeifliegenden Häuser. Wohin brachte Mulder sie? Sie verließen den Stadtteil. Um diese Uhrzeit waren die Straßen nahezu leergefegt. Nach einer zwanzigminütigen Fahrt ließ Mulder den Wagen gemächlich zum Stehen kommen. Dana sah sich irritiert um. Diese Gegend war nicht gerade vertrauenseinflößend, vielmehr befanden sie sich in einem der außerhalb gelegenen Slum-Vierteln. Böse Ahnungen überkamen die Agentin. Hatte Mulder sie doch ausgetrickst? Dieser aber öffnete seine Türe und trat in die Nacht hinaus. Beschwingten Schrittes ging er um das Auto herum und öffnete die Schiebetüre. Scullys Neugierde verdrängte ihre Befürchtungen, und mit einem unguten Gefühl stieg sie ebenfalls aus dem Wagen, um zu sehen, was genau Mulder gerade tat. Überrascht stieg sie neben Mulder in den Innenraum.
„Mulder! Was geht hier vor?“ Die ganze Fläche war beladen. Beladen mit buntverpackten Geschenken jeglicher Form und Größe.
„Unser Gespräch hat mich zum Nachdenken gebracht. Scully, wer hat den meisten Spaß an Weihnachten, für wen feiern wir hauptsächlich dieses Fest?“ Diese Frage verblüfft die rothaarige Frau, und sie suchte nach Worten.
„Für die Kinder, Scully. Kinder lieben Weihnachten.“ Ohne eine weitere Erklärung griff er nach einigen der Geschenke und trat zurück auf die Straße. Auffordernd sah er Scully an. Resignierend tat sie es ihm gleich.
„Woher stammen all diese Päckchen?“, wollte sie wissen, noch während sie zu ihm aufschloss.
„Ich habe sie gekauft. Von meinem Weihnachtsgeld.“ Zielstrebig steuerte Mulder den breitmaschigen Zaun an. Dahinter befanden sich wild wuchernde Sträucher und kleinere Bäumchen. Scully stolperte desorientiert hinter ihm her. Dann blieb er stehen und deutete auf eine Stelle am Zaun.
„Dort ist ein großes Loch, durch das wir beide durchpassen.“ Vorsichtig balancierte er die Geschenke durch die Öffnung und wartete auf der anderen Seite auf seine Partnerin.
„Mulder, das ist illegal! Was ist das für ein Gelände?“ Starr stand Dana noch immer auf der anderen Seite des Zaunes.
„Ein Kinderheim, Scully. Und jetzt komm, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“ Seufzend zwängte auch Dana sich durch die Gitter und folgte abermals Mulder, der entschlossen durch den Garten auf das baufällige Haus zuschritt. An einer der Seitenwände schräg neben dem Eingangsbereich angekommen, setzte er vorsichtig seine Last auf den dunklen Platten ab. Wortlos machte er kehrt und steuerte wieder das Einschlupfloch an, mit Scully dicht auf den Fersen. Beide mussten einige Male laufen, um alle Geschenke an ihrem Bestimmungsort abzulegen. Ein angenehmes Schweigen hatte sich zwischen den Partnern ausgebreitet, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Scully war beeindruckt und auch etwas erstaunt. Mulder fühlte sich einfach nur gut. Müde ließen sich die Beiden später auf die Sitze des VWs fallen.
Erst jetzt meinte Mulder, sein Verhalten erklären zu müssen.
„Das ist es, Scully, so sollte sich Weihnachten anfühlen!“ Ein zufriedenes Seufzen erfüllte den Raum. Aus dem Augenwinkel musterte die junge Frau den Mann hinter dem Lenkrad.
„Wie du schon sagtest, ich mache mir nicht viel aus Weihnachten. Aber Kinder tun es. Ganz besonders Kinder. Und hier wohnen Kids, die am äußersten Existenzminimum leben. Welche, die vielleicht nicht mehr an Wunder oder Weihnachten oder die Menschheit an sich glauben. Die viel zu oft von den Erwachsenen herumgeschubst wurden, die keiner wirklich will, die vielleicht kriminell werden, weil sie darin ihre einzige Überlebenschance sehen. Wenn jemand ein Weihnachtswunder verdient, Scully, dann die armen Seelen, die hier leben.“ Gerührt strich sich Scully eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Mulder, das ist das Wunderbarste, was du je getan hast.“ Eine winzige Träne kämpfte sich ihren Weg nach oben, um Danas Wange sanft hinabzurinnen.
„Nein, es ist etwas, das viel selbstverständlicher für uns alle sein sollte. Aber danke, Scully, das aus deinem Mund zu hören, bedeutet mir sehr viel.“ Nicht nur seine Partnerin war in diesem Moment gerührt. Verlegen betrachteten sie einander. Dann hob Mulder seine Hand und streichelte sanft über Scullys Wange, wischte liebevoll die Feuchtigkeit von ihrer Haut.
„Danke, Scully... Dana”, flüsterte er mit belegter Stimme.
„Wofür?“ Nicht minder leise brachte Dana ihre Frage hervor.
„Dafür, dass du mir altem Grinch ordentlich in den Hintern getreten hast. Du hast mich hinter all die Fassaden blicken lassen, die sich wie Mauern um Weihnachten stellen, hast mir all die kleinen Details, die doch so wichtig sind, sichtbar gemacht. Das bedeutet mir sehr viel. Du bedeutest mir sehr viel.“ Das hatte sie immer gewusst, doch es von ihm zu hören, ließ sie leicht erzittern.
„Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Mulder nickte zaghaft. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und er war unfähig, all die Gefühle, die in ihm brodelten, in Worte zu fassen. Also lächelte er Scully warmherzig an. Diese erwiderte seine Geste und alles war gesagt, was gesagt werden musste. Teils in Worten, teils in Emotionen. Nach einer halben Ewigkeit machten sich die Partner auf die Rückfahrt. Es herrschte angenehmes Schweigen. Beide lächelten noch immer.
Erst, als sie bereits im Viertel, in dem Scullys Mutter lebte, angekommen waren, ergriff Mulder das Wort und durchbrach die Stille.
„Hinten müsste noch ein kleines rotes Päckchen liegen. Öffne es.“ Überrascht drehte sich Dana um und zog tatsächlich ein einzelnes Geschenk hinter ihrem Sitz hervor. Ehrfürchtig betrachtete sie es. Es war etwas schlampig und ohne große Raffinesse eingepackt worden. Mulder musste es selbst verpackt haben. Vorsichtig, ohne das Papier zu beschädigen, löste sie den Tesafilm. Zu Tage kam ebenfalls eine DVD.
„How the Ghost stole Christmas. Danke, Mulder!” Sie freute sich aufrichtig, nicht nur wegen der DVD, sondern auch des Geschenkes willen.
„Du brauchst dich nicht zu bedanken“, beteuerte er sofort.
Langsam kam der Wagen einige Meter vor Maggie Scullys Residenz zum stehen.
„Na dann...“
„Na dann...“
Die Agenten lachten leise auf. Beide hatten gleichzeitig zu sprechen begonnen. Mulder ließ Scully mit einer Handbewegung den Vortritt.
„Vielen Dank, Mulder. Du hast mich heute Nacht sehr überrascht, es hat mir sehr viel Spaß gemacht.“ Sie drehte sich Mulder zu und gab ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Schnell stieg Mulder aus dem Wagen, umrundete diesen und öffnete für Scully die Türe.
„Die Freude war ganz auf meiner Seite. Jetzt endlich verstehe ich den Zauber der Weihnacht.“ Gemeinsam gingen sie das kurze Stück bis zur Haustüre. Dort angekommen, standen sie sich gegenüber und sahen sich tief in die Augen. Langsam bewegten sich ihre Gesichter aufeinander zu. Sanft und liebevoll küssten sie sich. Ein Kuss, wie ihn frisch Verliebte austauschen, doch der auch die Intensität einer langjährigen Vertrautheit offenbarte. Es war ein perfekter Kuss. Nur widerwillig trennten sie sich voneinander. Liebevoll fuhr Fox Mulder der Frau, die er eben noch geküsst hatte, durch die Haare.
„Gute Nacht, Scully.“
„Gute Nacht, Mulder.“
Langsam ging er die Treppe hinunter, Scully keine Sekunde aus den Augen lassend. Sie lächelte ihn noch einmal zärtlich an, bis sie nach ihrem Schlüssel fischte, um die Türe zu öffnen. Erst dann machte er sich auf den Weg zurück zu seinem Wagen.
„Ach, Mulder, ich rechne fest mit dir heute Mittag!“, rief sie ihrem Partner noch hinterher. Dieser drehte sich nicht um, ging weiter auf das Auto zu.
„Darauf kannst du wetten, Scully!“
Glücklich und bereit, die ganze Welt zu umarmen, trat Dana ins Haus und schlich sich leise zu ihrem Zimmer. Am liebsten würde sie lautstark ihre gesamte Umwelt an ihrem Glück teilhaben lassen. Ein perfekter Ausklang für einen perfekten Tag.
Gedankenverloren prallte sie beinahe in Gracie, die verschlafen, aber dennoch aufgeregt, durch den Flur geisterte.
„Gracie, jetzt hast du mich aber erschreckt. Stimmt etwas nicht, Süße?“ Das Kind schien nicht einmal zu bemerken, dass Dana keine Schlafsachen trug. Sie deutete nur auf die Treppe und murmelte: „Es ist Weihnachten, ich will jetzt meine Geschenke aufmachen.“ Vorsichtig, um die anderen, noch schlafenden Mitbewohner nicht zu wecken, schob Dana Gracie in ihr Zimmer und schloss die Türe.
„Dafür ist es noch zu früh. Die Anderen schlafen doch noch alle. Du solltest auch versuchen, noch ein wenig zu schlafen.“
„Ich kann nicht schlafen. Bin gar nicht müde! Erzählst du mir eine Geschichte?“ Große Kinderaugen blickten sie erwartungsvoll an, Augen, denen Scully beim besten Willen nicht widerstehen konnte.
„Gut, komm her, wir legen uns ins Bett, und ich erzähle dir etwas.“ Noch immer nicht umgezogen, machte es sich die Tante mit ihrer Nichte im Bett bequem, und Dana löschte das Licht. Verträumt spielte sie mit einer Haarsträhne des Mädchens.
„Ist es eine Weihnachtsgeschichte? Wie heißt sie?“
„Ja, das ist es. Sie heißt: How the Grinch saved Christmas.“
The End!
So, hier ist sie also, meine erste Weihnachtsgeschichte. Um ganz ehrlich zu sein, manchmal fühle ich mich, was Weihnachten angeht, auch ein wenig wie Mulder hier, oder gar wie der Grinch? Ich weiß es nicht.
even if you stand by yourself.
© Chanya Lioness
Frustriert und leise vor sich hinmurmelnd, schob sich Special Agent Fox Mulder an seiner Partnerin vorbei und feuerte das Geäst, welches er mit einem angewiderten Gesichtsaudruck durch ihr gemeinsames Büro getragen hatte, in den überfüllten Papierkorb. Nur zu deutlich nahm er Scullys fragenden Blick wahr und ihre erhobene Augenbraue.
„Ich schwöre dir, hierbei handelt es sich um einen Komplott, erdacht und ausgeführt auf höchster Regierungsebene.“ Resignierend umrundete der hochgewachsene Mann den Schreibtisch und ließ sich seufzend auf seinen Stuhl fallen.
„Mulder, du führst dich schlimmer auf als der Grinch höchstpersönlich!“ Nicht ohne einen Hauch von Humor in der Stimme zog Dana Scully ihren Kollegen und Freund auf. Dann warf sie einen prüfenden Blick auf den bis zum Rand mit Mistelzweigen gefüllten Mülleimer.
„Möchtest du jetzt auch noch auf allen anderen Etagen den Festtagsschmuck klauen gehen? Oder wie wäre es mit dem Weihnachtsbaum im Eingangsbereich? Mulder, ich weiß, dass du kein Weihnachtsfan bist; nicht einmal Chanukka feierst du. Aber warum lässt du den Menschen, die diesen Feiertag zelebrieren, nicht einfach ihre Freude und fährst nicht gleich jeden entrüstet an, der dir Frohe Weihnachten wünscht?“ Scully stand die Frustration ins Gesicht geschrieben. Morgen war Weihnachten, ein Familienfest, das sie auf Grund der damit verbundenen Traditionen schätzte und liebte. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, wenn sie sich vorstellte, dass sie heute Abend im Kreis ihrer Familie ein mit Liebe zubereitetes Mahl essen und morgen ihre Freude daran haben würde, wie ihre Nichte und die Neffen sich über die Geschenke hermachten, während Mulder nur deprimiert und frustriert in seiner Wohnung sitzen würde. Sollten nicht zu Weihnachten alle froh und glücklich sein? Jeder war es. Mulder konnte mit vielen Definitionen beschrieben werden, doch normal gehörte nicht dazu. Und obwohl sie genau diese Eigenschaft an ihrem Partner liebte, wünschte sie sich doch, dass er gerade an einem Feiertag wie diesem einige seiner dunklen Schatten verdrängen könnte.
„Weihnachten ist nicht mehr das, was es ursprünglich war. Unsere Gesellschaft hat ein kommerzielles Spektakel daraus gemacht. Ich wette, nicht einmal die Hälfte aller Kinder kennt die wahre Bedeutung dieses Festes. Wie sollen sie auch? Sie werden von klein auf in die Formen gepresst, die ihre Eltern annehmen wollen. Für die einen ist Weihnachten das ultimative und große Geschäft, für die anderen ein Megaevent, bestehend aus Einkaufsmarathons und Feiertagsstress. Jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt, damit, nur ja die tollsten und teuersten Geschenke auszuwählen, die besten Plätzchen in der Nachbarschaft zu backen oder die glamouröseste Beleuchtung anzubringen. Ich war gestern in der City, Scully. Dort sind einer alten Frau die Einkäufe runtergefallen, weil sie von vorbeieilenden Geschenkjägern aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Nicht eine Person hat dieser Dame geholfen, niemand hat innegehalten. Ich war der einzige, der ihr geholfen hat, ihre Tüten wieder einzusammeln. Ich vermute, den meisten Schnäppchenjägern ist die Lady gar nicht aufgefallen. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?“ Mulder hatte sich in Rage geredet. Endlich konnte er all die Frustration, die sich über Jahre hinweg angestaut hatte, herauslassen.
„Ich stimme dir zu; für viele Menschen hat das kommerzielle Weihnachtsfest zunehmend an Bedeutung gewonnen, aber ist nicht jeder selbst dafür verantwortlich, wie glücklich oder unglücklich er sich damit macht? Ich liebe Weihnachten, weil es für mich ein Zusammentreffen mit meiner Familie bedeutet. Es ist ein Fest, bei dem ich endlich einmal innehalten kann, wie du es so schön ausgedrückt hast; ich bekomme die Möglichkeit, mich einfach treiben zu lassen. Menschen, die sich im Alltagsstress viel zu wenig sehen, haben die Möglichkeit, einige Tage miteinander zu verbringen. Weihnachten ist aber noch viel mehr. Es ist eine Erinnerung. Eine Erinnerung an all die glücklichen Feste meiner Kindheit, an meine Schwester und an meinen Vater.“ Einen kurzen Moment verstummte Scully. Mulder wusste, woran, oder eher an wen, sie gerade dachte. Leise seufzend erhob er sich aus seinem Stuhl und trat auf seine Partnerin zu.
„Scully, du bist die letzte Person, der ich vorwerfe, den Sinn von Weihnachten vergessen zu haben. Aber schau dir doch nur mal das J. Edgar Hoover Building an. Alle führen sich auf wie auf einem Volksfest. Die meisten männlichen Agenten schleichen durch das Gebäude und hoffen, eine der Agentinnen unter dem Mistelzweig zu erwischen. Es ist nahezu ein Wettstreit. Wer küsst die meisten Frauen? Und es artet immer mehr aus. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe Angst davor, mit jemanden wie Tom Colton zufällig unter einen eben jener Zweige zu stehen... Oder Skinner!“ Scully grinste ihn bei dieser Vorstellung erheitert an und Mulder zog in einer angeekelten Grimasse seine Stirn in Falten. Doch in Wahrheit wollte er nur Scully mit niemand Anderem unter einem Mistelzweig stehen sehen. Genau deshalb hatte er alle Zweige aus ihrer Reichweite entfernt. Kollegen wie Colton warfen Mulder vor, ein spießiger Spielverderber zu sein. Es schien ihnen recht zu sein, Mulder abermals in die Schublade des merkwürdigen Eigenbrötlers zu stecken. Sollten sie ruhig denken, Mulder wolle ihnen einfach nur den Spaß verderben. Der Zweck heiligte schließlich die Mittel.
„Ja, Weihnachten ist ein Familienfest, aber was ist mit all den anderen Personen, Scully? Ende Dezember ist die Selbstmordrate erschreckend hoch. Menschen fühlen sich einsam und verlassen. Und nachweislich sind sie es auch. Sonst würden nicht annährend so viele Selbstmordversuche gelingen. Denn wen kümmert schon der Nachbar, oder wen interessieren die Sorgen, die der Kollege vielleicht haben könnte? Wir sind ein Staat der Zuschauer und der Gaffer. Die Anzahl derer, die beherzt eingreifen, ist verdammt niedrig. Und gerade an einem solchen Fest, das Viele als Fest der Liebe deklarieren, erkennt man die eigentliche Armut unserer Gesellschaft: Einsamkeit. Jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt, die wenigsten schaffen es, über ihren eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Aber nicht nur Alleinstehende leiden. In vielen Familien kriselt es an Feiertagen ganz besonders, und Weihnachten ist der Spitzenreiter. Durch den enormen Druck kommt es vermehrt zu Spannungen, die nicht selten in ausgewachsenen oder handgreiflichen Auseinandersetzungen enden. Viele Familienmitglieder, die sich in den meisten Fällen länger nicht mehr gesehen haben, rufen zusätzliche Stresssituationen hervor. Gerade vor zwei Tagen hat eine Sondereinheit in Kalifornien den Amoklauf und die Geiselnahme eines verzweifelten Familienvaters blutig beendet. Kopfschuss. Und der Auslöser: Seine Scheidung und das Verbot, die Kinder zu Weihnachten zu sehen.“
Schweigen fiel über den Raum. Nur zögerlich erhob sich die rothaarige Frau und kam eine Handbreit vor Mulder zum Stehen.
„Und was ist mit dir? Meine Mum und ich haben dich eingeladen. Du gehörst für uns zur Familie. Bemitleidest du dich selbst, Mulder? Wenn dich Weihnachten so sehr stört, warum änderst du es dann nicht? Ich werde jetzt Feierabend machen, nach Hause gehen, die Geschenke in meinen Wagen laden und zu meiner Familie fahren. Die Einladung steht noch immer, das weißt du! Aber ich rechne nicht damit, dass du bei uns auftauchen wirst.“ Mulder erkannte ganz klar Enttäuschung in ihren blauen Augen und ihrer Körpersprache. Irgend etwas tief in seinem Innersten drängte ihn, jetzt endlich etwas zu sagen. Er öffnete seinen Mund, bewegte lautlos die Lippen und schloss ihn tatenlos wieder. Scully drehte sich von ihm weg, um nach ihrer Tasche zu greifen. Gleich würde sie gehen, ihn allein zurück lassen, einsam. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen griff Dana nach einem bunt verpackten Geschenk und hielt es Fox entgegen. Dann streckte sie sich und hauchte dem verdutzten Mulder einen leichten Kuss auf die rechte Wange.
“Frohe Weihnachten, Mulder.“ Noch ehe sich Mulder aus seiner Starre losreißen oder auch nur ein Wort hervorbringen konnte, war die Bürotüre bereits zugefallen. Verdutzt betrachtete er das Geschenk. Seine Neugierde gewann Oberhand, und mit fliegenden Fingern riss er das farbenfrohe Papier entzwei. Hervor kam eine DVD. Nicht irgendeine, nein. Der Grinch. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Hatte Scully tatsächlich Recht? Irritiert betrachtete er das Geschenk von allen Seiten. Ja, das hatte sie! Entschlossen trat Mulder an seinen Computer und schaltete ihn aus. Dann zog er sich den Mantel an, knipste das Licht aus und verließ, mit einer bereits in seinem Kopf Form annehmenden Idee, das J. Edgar Hoover Building, die Mistelzweige geschickt umgehend.
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Satt und zufrieden lehnte sich Dana in ihrem Stuhl zurück. Den obersten Knopf ihrer Hose hatte sie bereits geöffnet. So gut hatte sie schon lange nicht mehr gegessen. Ihre Mutter hatte sich dieses Jahr selbst übertroffen. Und wie jedes Jahr waren noch Unmengen an Festtagsbraten und Beilagen übrig geblieben. Maggie Scully hatte immer Angst, ihre Lieben würden nicht satt werden. Gracie, Danas fünfjährige Nichte, war die einzige, die noch nicht zu platzen schien. Unermüdlich schöpfte das kleine rothaarige Mädchen einen Löffel Schokoladenpudding nach dem anderen in ihre Dessertschale. Die Erwachsenen warfen sich amüsierte Blicke zu.
„Granny, dieser Pudding ist der beste, den ich je gegessen habe“, verkündete die Kleine mit vollen Backen. Anne, Charlies Ehefrau, ermahnte ihre Tochter, wie ungezogen es sei, mit vollem Mund zu sprechen. Doch das schien das Kind nicht zu stören, schließlich wollte sie viel lieber essen als reden.
„Das freut mich, Gracie“, beteuerte Maggie mit einem fröhlichen Zwinkern in ihren Augen. Sie hatte Stunden in der Küche verbracht, weil dieses Festtagsessen perfekt sein sollte. Und nichts berührte ihr Herz mehr, als das Lob ihrer fünfjährigen Enkelin.
„Ich mag nicht mit Gracie in einem Zimmer schlafen“, quengelte ihr älterer Bruder Andrew, und verdrehte dabei theatralisch seine Augen.
„Andy, das haben wir doch schon besprochen“, versuchte Charlie, seinen Ältesten zur Vernunft zu bringen. Andy schob aber nur seine Unterlippe nach vorne und sah seinen Vater mit einem vorwurfsvollen Blick an, wie es nur ein Siebenjähriger tun konnte.
„Ja, aber jetzt wird sie heute Nacht bestimmt kotzen. Ich will nicht, dass Gracie in unser Zimmer kotzt. Kann sie nicht bei dir und Mummi schlafen?“ Mit großen, unschuldigen Kinderaugen sah er jeden der Erwachsenen kurz an.
„Werde gar nicht kotzen“, murmelte Gracie gekränkt, während sie sich einen weiteren Löffel des Nachtisches in den Mund schob. Dann griff sie nach der großen Glasschüssel, um sich abermals einen Nachschlag in ihr kleines Schälchen zu schöpfen. Resolut ergriff Anne die Hand ihrer Tochter und schüttelte den Kopf.
„Es reicht, Grace. Du hast schon mehr als genug davon gegessen.“ Nun war es an Gracie, schmollen die Unterlippe nach vorne zu schieben.
„Aber Granny hat gesagt, dass ich so viel essen darf, wie ich mag“, beschwerte sich das nimmersatte kleine Mädchen. Dana sah Anne deutlich ihre Verzweiflung an. Doch Maggie eilte ihrer Schwiegertochter bereits zur Hilfe.
„Wenn du jetzt den ganzen Pudding leer isst, Engelchen, dann hast du für morgen gar keinen mehr.“ Dies schien auch für Gracie einleuchtend zu sein. Kurz prägte sie sich den Inhalt der Schüssel ein, damit niemand heimlich etwas naschen konnte, und nickte dann ihrer Großmutter zu. Diese ergriff lächelnd eine Serviette und säuberte liebevoll das schokoladenverschmierte Gesicht des Mädchens. Charlie musterte seine Kinder und sah dann auf die Uhr. Es war schon spät, und die Beiden hatten einen aufregenden Tag hinter sich. Doch wollte er sie nicht direkt nach dem Essen schlafen schicken.
„Was haltet ihr davon, wenn ich mit Gracie und Andy noch einen kurzen Spaziergang mache und sie danach ins Bett bringe, während ihr den Abwasch übernehmt?“ Hoffnungsvoll blickte er zuerst seine Frau, dann seine Schwester und zuletzt seine Mutter an. Diese fingen breit an zu grinsen.
„Du hast dich nicht verändert, Charles Scully. Noch immer tust du alles, um dem Abwasch zu entgehen“, konnte sich Dana einen kleinen Tadel nicht verkneifen. „Na los, raus mit euch, bevor wir es uns anders überlegen.“ Damit scheuchte sie ihren Bruder und die Kinder in den Flur zur Garderobe. Lachend trugen die Frauen das Geschirr in die Küche. Maggie genoss es, einige Zeit nur mit Dana und Anne zu verbringen.
„Endlich ist es hier wieder so lebendig wie früher. Wenn Morgen früh noch Bill und Tara mit den beiden Kleinen ankommen, wird das Haus aus allen Nähten platzen, aber ich würde es nicht anders wollen.“ Rundum zufrieden begann Maggie damit, Spülwasser einzulassen und das Geschirr zu reinigen. Die jüngeren Frauen neben ihr übernahmen das Abtrocknen. Dann vertieften sie sich in ein Gespräch über Gracies Abenteuer in der Einkaufspassage, wo sie verloren gegangen war, weil sie einer Frau, die ein junges Kaninchen gekauft hatte, gefolgt war. Lange hatte Maggie ihre sonst so stille und ruhige Tochter nicht mehr so ausgelassen lachen gehört. Es war Musik für ihre Ohren.
Bald darauf kamen die drei Spaziergänger zurück, wünschten den restlichen Erwachsenden eine gute Nacht und verschwanden nach oben. Eine geschlagene Stunde später erst gesellte sich Charlie zu den Frauen ins Wohnzimmer, wo die Kerzen des Weihnachtsbaumes und das langsam verglühende Feuer im Kamin den Raum in ein sanftes Licht hüllte. Doch sie blieben nicht mehr lange auf, da sie die Energie der Kinder an einem Weihnachtsmorgen kannten, und zogen sich allmählich alle in ihre Schlafzimmer zurück.
Dana konnte nicht so recht einschlafen. Zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf umher; zweifelsohne hatten sie alle mit ihrem Partner zu tun. Fühle er sich jetzt einsam? Nein, Mulder war nicht der Typ für Feiertagsdepressionen. Sie kannte kaum einen Menschen, der mehr Dämonen zu bekämpfen hatte, aber jemanden, dem Weihnachten nichts bedeutete, der konnte sich doch jetzt nicht einsam fühlen, oder? Heimlich hatte sie sich gewünscht, er würde ihrer Einladung nachkommen, auch wenn sie wusste, dass es eine Wunschvorstellung war. Aber Mulder war ein fester Bestandteil ihres Lebens, ihr bester Freund, der Mann, dem sie ihr Leben anvertraute und für den sie ihres blind einsetzen würde, und noch so viel mehr. Doch sie konnte nicht die richtige Erklärung finden. Ihr Seelenverwandter? Ja, genau das war er. Ihr perfektes Gegenteil. Der Mensch, der sie erst komplett und vollständig machte. Ebenso konnte sie sich mittlerweile eingestehen, dass sie Mulder bedingungslos liebte, auch wenn sie nicht bereit war, dieses Gefühl zu analysieren oder gar zu verbalisieren.
PLONG
Erschrocken fuhr sie in ihrem Bett herum. Dieses Geräusch kam vom Fenster. Dana richtete sich auf und ihr Blick tastete im fahlen Mondschein das Glas ab. Nichts.
PLONG
Jemand warf Steine gegen die Scheibe. Irritiert trat sie auf das Fenster zu und blickte hinaus. Der Anblick ihres Partners auf dem Rasen, der schräg nach oben zu ihr aufsah, erstaunte sie nicht im Mindesten. Wer außer Mulder würde Nachts auf eine derartige Idee kommen?
„Mulder, was ist?“, flüsterte sie etwas gereizt.
„Zieh’ dich an und komm raus, ich warte beim Van.“ Und schon huschte die ganz in schwarz gekleidete Gestalt durch den Vorgarten und verließ das Grundstück. Verwirrt schloss Scully das Fenster. Was sollte das?
„Bitte, kein Fall, lass es bitte keinen Fall sein“, hauchte sie, nicht ganz daran glaubend. Warum sonst sollte Mulder hier mitten in der Nacht auftauchen? Dass er Steine warf, verstand sie nicht ganz, doch vielleicht wollte er ihre Familie nicht beunruhigen. Seufzend zog sie den Schlafanzug wieder aus. Sie wusste aus Erfahrung, dass es besser war, Mulder zu begleiten, als ihn alleine losziehen zu lassen, auf sich gestellt. Meist endete ein solches Unterfangen mit einer mittleren Katastrophe. Routiniert und schnell kleidete sie sich in eine dunkle Jeans und einen blauen Wollpullover und schlich lautlos die alten Treppen hinunter. Vorsichtshalber hinterließ sie eine Botschaft auf dem Küchentisch, schlüpfte dann in ihre Schuhe und zog sich ihren Mantel über. Ihre Waffe hatte sie sicherheitshalber in ihrem Auto gelassen, schließlich hielten sich Kinder im Haus auf. Leise schloss sie die Haustüre hinter sich und trat in die dunkle Nacht.
Hatte Mulder Van gesagt?
Als sie auf den Bürgersteig neben dem Anwesen ihrer Mutter trat, sah sie dort Mulder lässig an der Karosserie eines alten VW-Busses lehnen. Obwohl das Gefährt sehr mitgenommen aussah, wirkte es noch zu ordentlich, um den Lone Gunmen zu gehören.
„Ich habe beinahe Angst, zu fragen, was genau du vorhast, Mulder“, war ihre einzige Begrüßung. Mulder aber stieß sich nur lässig vom Wagen ab und musterte seine Partnerin ungeniert. Dieses legere Outfit stand ihr vorzüglich, wie er fand; es betonte ihre zierliche Figur.
„Nun, zum einen musste ich mich noch für dein Geschenk bedanken, und zum anderen habe ich eine Frage: Vertraust du mir blind, Scully?“ Irritiert blickte Dana ihren Partner an.
„Was soll denn diese dumme Frage? Natürlich tue ich das. Aber ich verstehe nicht, was das hier zu bedeuten hat, um ganz ehrlich zu sein. Und egal, was für einen Fall du ausgegraben hast, die Antwort lautet nein. In wenigen Stunden ist Weihnachten.“ Sie hielt einen Moment inne. „Und Mulder, gern geschehen!“
„Wie bitte?“ Verwirrung stand in seinem Gesicht geschrieben.
„Das Geschenk, gern geschehen“, erklärte Scully.
„Oh, mhm, Danke. Und du verstehst mich falsch. Ich kann dir nicht verraten, worum es geht, zumindest noch nicht... nur, dass es nichts mit einem Fall zu tun hat. Ehrenwort.“
Skeptisch beäugte sie den Mann vor sich. Meinte er wirklich, was er sagte, oder handelte es sich hier nur um einen Trick? Sie wollte ihm glauben, schließlich war Weihnachten.
„Okay Mulder. Aber ich hoffe für dich, dass diese Sache gut ist! Verdammt gut, da du mich von meinem wohlverdienten Schlaf abhältst.“ Innerlich brannte sie vor Neugierde. Was hatte Mulder nur vor?
„Nun, Ma’am, dann bitte einsteigen, anschnallen und festhalten. Der Grinch-Express fährt gleich los!“ Lachend kam Scully seiner Aufforderung nach. Gespannt beobachtete sie die vorbeifliegenden Häuser. Wohin brachte Mulder sie? Sie verließen den Stadtteil. Um diese Uhrzeit waren die Straßen nahezu leergefegt. Nach einer zwanzigminütigen Fahrt ließ Mulder den Wagen gemächlich zum Stehen kommen. Dana sah sich irritiert um. Diese Gegend war nicht gerade vertrauenseinflößend, vielmehr befanden sie sich in einem der außerhalb gelegenen Slum-Vierteln. Böse Ahnungen überkamen die Agentin. Hatte Mulder sie doch ausgetrickst? Dieser aber öffnete seine Türe und trat in die Nacht hinaus. Beschwingten Schrittes ging er um das Auto herum und öffnete die Schiebetüre. Scullys Neugierde verdrängte ihre Befürchtungen, und mit einem unguten Gefühl stieg sie ebenfalls aus dem Wagen, um zu sehen, was genau Mulder gerade tat. Überrascht stieg sie neben Mulder in den Innenraum.
„Mulder! Was geht hier vor?“ Die ganze Fläche war beladen. Beladen mit buntverpackten Geschenken jeglicher Form und Größe.
„Unser Gespräch hat mich zum Nachdenken gebracht. Scully, wer hat den meisten Spaß an Weihnachten, für wen feiern wir hauptsächlich dieses Fest?“ Diese Frage verblüfft die rothaarige Frau, und sie suchte nach Worten.
„Für die Kinder, Scully. Kinder lieben Weihnachten.“ Ohne eine weitere Erklärung griff er nach einigen der Geschenke und trat zurück auf die Straße. Auffordernd sah er Scully an. Resignierend tat sie es ihm gleich.
„Woher stammen all diese Päckchen?“, wollte sie wissen, noch während sie zu ihm aufschloss.
„Ich habe sie gekauft. Von meinem Weihnachtsgeld.“ Zielstrebig steuerte Mulder den breitmaschigen Zaun an. Dahinter befanden sich wild wuchernde Sträucher und kleinere Bäumchen. Scully stolperte desorientiert hinter ihm her. Dann blieb er stehen und deutete auf eine Stelle am Zaun.
„Dort ist ein großes Loch, durch das wir beide durchpassen.“ Vorsichtig balancierte er die Geschenke durch die Öffnung und wartete auf der anderen Seite auf seine Partnerin.
„Mulder, das ist illegal! Was ist das für ein Gelände?“ Starr stand Dana noch immer auf der anderen Seite des Zaunes.
„Ein Kinderheim, Scully. Und jetzt komm, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“ Seufzend zwängte auch Dana sich durch die Gitter und folgte abermals Mulder, der entschlossen durch den Garten auf das baufällige Haus zuschritt. An einer der Seitenwände schräg neben dem Eingangsbereich angekommen, setzte er vorsichtig seine Last auf den dunklen Platten ab. Wortlos machte er kehrt und steuerte wieder das Einschlupfloch an, mit Scully dicht auf den Fersen. Beide mussten einige Male laufen, um alle Geschenke an ihrem Bestimmungsort abzulegen. Ein angenehmes Schweigen hatte sich zwischen den Partnern ausgebreitet, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Scully war beeindruckt und auch etwas erstaunt. Mulder fühlte sich einfach nur gut. Müde ließen sich die Beiden später auf die Sitze des VWs fallen.
Erst jetzt meinte Mulder, sein Verhalten erklären zu müssen.
„Das ist es, Scully, so sollte sich Weihnachten anfühlen!“ Ein zufriedenes Seufzen erfüllte den Raum. Aus dem Augenwinkel musterte die junge Frau den Mann hinter dem Lenkrad.
„Wie du schon sagtest, ich mache mir nicht viel aus Weihnachten. Aber Kinder tun es. Ganz besonders Kinder. Und hier wohnen Kids, die am äußersten Existenzminimum leben. Welche, die vielleicht nicht mehr an Wunder oder Weihnachten oder die Menschheit an sich glauben. Die viel zu oft von den Erwachsenen herumgeschubst wurden, die keiner wirklich will, die vielleicht kriminell werden, weil sie darin ihre einzige Überlebenschance sehen. Wenn jemand ein Weihnachtswunder verdient, Scully, dann die armen Seelen, die hier leben.“ Gerührt strich sich Scully eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Mulder, das ist das Wunderbarste, was du je getan hast.“ Eine winzige Träne kämpfte sich ihren Weg nach oben, um Danas Wange sanft hinabzurinnen.
„Nein, es ist etwas, das viel selbstverständlicher für uns alle sein sollte. Aber danke, Scully, das aus deinem Mund zu hören, bedeutet mir sehr viel.“ Nicht nur seine Partnerin war in diesem Moment gerührt. Verlegen betrachteten sie einander. Dann hob Mulder seine Hand und streichelte sanft über Scullys Wange, wischte liebevoll die Feuchtigkeit von ihrer Haut.
„Danke, Scully... Dana”, flüsterte er mit belegter Stimme.
„Wofür?“ Nicht minder leise brachte Dana ihre Frage hervor.
„Dafür, dass du mir altem Grinch ordentlich in den Hintern getreten hast. Du hast mich hinter all die Fassaden blicken lassen, die sich wie Mauern um Weihnachten stellen, hast mir all die kleinen Details, die doch so wichtig sind, sichtbar gemacht. Das bedeutet mir sehr viel. Du bedeutest mir sehr viel.“ Das hatte sie immer gewusst, doch es von ihm zu hören, ließ sie leicht erzittern.
„Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Mulder nickte zaghaft. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und er war unfähig, all die Gefühle, die in ihm brodelten, in Worte zu fassen. Also lächelte er Scully warmherzig an. Diese erwiderte seine Geste und alles war gesagt, was gesagt werden musste. Teils in Worten, teils in Emotionen. Nach einer halben Ewigkeit machten sich die Partner auf die Rückfahrt. Es herrschte angenehmes Schweigen. Beide lächelten noch immer.
Erst, als sie bereits im Viertel, in dem Scullys Mutter lebte, angekommen waren, ergriff Mulder das Wort und durchbrach die Stille.
„Hinten müsste noch ein kleines rotes Päckchen liegen. Öffne es.“ Überrascht drehte sich Dana um und zog tatsächlich ein einzelnes Geschenk hinter ihrem Sitz hervor. Ehrfürchtig betrachtete sie es. Es war etwas schlampig und ohne große Raffinesse eingepackt worden. Mulder musste es selbst verpackt haben. Vorsichtig, ohne das Papier zu beschädigen, löste sie den Tesafilm. Zu Tage kam ebenfalls eine DVD.
„How the Ghost stole Christmas. Danke, Mulder!” Sie freute sich aufrichtig, nicht nur wegen der DVD, sondern auch des Geschenkes willen.
„Du brauchst dich nicht zu bedanken“, beteuerte er sofort.
Langsam kam der Wagen einige Meter vor Maggie Scullys Residenz zum stehen.
„Na dann...“
„Na dann...“
Die Agenten lachten leise auf. Beide hatten gleichzeitig zu sprechen begonnen. Mulder ließ Scully mit einer Handbewegung den Vortritt.
„Vielen Dank, Mulder. Du hast mich heute Nacht sehr überrascht, es hat mir sehr viel Spaß gemacht.“ Sie drehte sich Mulder zu und gab ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Schnell stieg Mulder aus dem Wagen, umrundete diesen und öffnete für Scully die Türe.
„Die Freude war ganz auf meiner Seite. Jetzt endlich verstehe ich den Zauber der Weihnacht.“ Gemeinsam gingen sie das kurze Stück bis zur Haustüre. Dort angekommen, standen sie sich gegenüber und sahen sich tief in die Augen. Langsam bewegten sich ihre Gesichter aufeinander zu. Sanft und liebevoll küssten sie sich. Ein Kuss, wie ihn frisch Verliebte austauschen, doch der auch die Intensität einer langjährigen Vertrautheit offenbarte. Es war ein perfekter Kuss. Nur widerwillig trennten sie sich voneinander. Liebevoll fuhr Fox Mulder der Frau, die er eben noch geküsst hatte, durch die Haare.
„Gute Nacht, Scully.“
„Gute Nacht, Mulder.“
Langsam ging er die Treppe hinunter, Scully keine Sekunde aus den Augen lassend. Sie lächelte ihn noch einmal zärtlich an, bis sie nach ihrem Schlüssel fischte, um die Türe zu öffnen. Erst dann machte er sich auf den Weg zurück zu seinem Wagen.
„Ach, Mulder, ich rechne fest mit dir heute Mittag!“, rief sie ihrem Partner noch hinterher. Dieser drehte sich nicht um, ging weiter auf das Auto zu.
„Darauf kannst du wetten, Scully!“
Glücklich und bereit, die ganze Welt zu umarmen, trat Dana ins Haus und schlich sich leise zu ihrem Zimmer. Am liebsten würde sie lautstark ihre gesamte Umwelt an ihrem Glück teilhaben lassen. Ein perfekter Ausklang für einen perfekten Tag.
Gedankenverloren prallte sie beinahe in Gracie, die verschlafen, aber dennoch aufgeregt, durch den Flur geisterte.
„Gracie, jetzt hast du mich aber erschreckt. Stimmt etwas nicht, Süße?“ Das Kind schien nicht einmal zu bemerken, dass Dana keine Schlafsachen trug. Sie deutete nur auf die Treppe und murmelte: „Es ist Weihnachten, ich will jetzt meine Geschenke aufmachen.“ Vorsichtig, um die anderen, noch schlafenden Mitbewohner nicht zu wecken, schob Dana Gracie in ihr Zimmer und schloss die Türe.
„Dafür ist es noch zu früh. Die Anderen schlafen doch noch alle. Du solltest auch versuchen, noch ein wenig zu schlafen.“
„Ich kann nicht schlafen. Bin gar nicht müde! Erzählst du mir eine Geschichte?“ Große Kinderaugen blickten sie erwartungsvoll an, Augen, denen Scully beim besten Willen nicht widerstehen konnte.
„Gut, komm her, wir legen uns ins Bett, und ich erzähle dir etwas.“ Noch immer nicht umgezogen, machte es sich die Tante mit ihrer Nichte im Bett bequem, und Dana löschte das Licht. Verträumt spielte sie mit einer Haarsträhne des Mädchens.
„Ist es eine Weihnachtsgeschichte? Wie heißt sie?“
„Ja, das ist es. Sie heißt: How the Grinch saved Christmas.“
The End!
So, hier ist sie also, meine erste Weihnachtsgeschichte. Um ganz ehrlich zu sein, manchmal fühle ich mich, was Weihnachten angeht, auch ein wenig wie Mulder hier, oder gar wie der Grinch? Ich weiß es nicht.
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