World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

After the Truth

von honeypunch

The last year

The last year

Juni 2005

Das Radio lief schon seit einer Weile, ansonsten war alles still. Mit angezogenen Beinen saß Scully auf ihrem olivfarbenen Sofa und starrte aus glasig schimmernden Augen ins Nichts. Ihr Blick war in weiter Ferne, ihre Gedanken ebenso. Vor genau 13 Jahren war sie den X-Akten zugeteilt worden. 13 Jahre. Eine lange Zeit. Eine Zeit voller Begeisterungen, Enttäuschungen, Hoffnungen und Aussichtslosigkeiten. Es war ohne Zweifel die intensivste Erfahrung in ihrer Karriere als Ärztin und Wissenschaftlerin gewesen. Scully musste beim Gedanken an die X-Akten leicht lächeln. Doch ebenso schnell verschwand es auch wieder. Etwas schwermütig lenkte Scully den Blick auf ihre Hände. Als die X-Akten noch bestehend und sie und Mulder noch offiziell beim FBI angestellt waren, war Vieles einfacher gewesen. Seit dem überraschenden Ende waren mittlerweile auch schon vier Jahre her. Ein Jahr auf der Flucht, dann das schöne, aber auch zunehmend befremdende Leben in dem Haus. Noch immer konnte Scully sich keinen Reim darauf machen, wie es zu all dem gekommen war. Warum sie nun wieder Dana Scully und Fox Mulder heißen durften, sich nicht mehr verstecken mussten. Das FBI hatte ihnen sogar wieder ein Jobangebot gemacht. Zwar nicht die X-Akten, dafür aber ein anderes, hochrangiges Dezernat. Sie hatten beide abgelehnt. Scully weil sie der Beschäftigung als Ärztin wieder nachgehen wollte und Mulder, weil er sich in seinem Büro Teile der X-Akten rekonstruiert hatte und nun voll und ganz damit beschäftigt war. Scully lächelte bitter. Teilweise traf sie ihn tagelang nicht an und das obwohl sie ihm selben Haus lebten. Manchmal kam es ihr so vor, als würde sich extra in seinem stickigen Arbeitszimmer verschanzen um den Problemen ihrer Beziehung aus dem Weg zu gehen. Den Problemen ihrer Beziehung und den immer häufiger aufkeimenden Problemen mit sich selbst. Mulder war unglücklich. Die X-Akten – sein Lebenswerk – waren geschlossen, dieses Mal für immer. Er war dem Verschwinden seiner Schwester keinen Schritt näher gekommen – und die Prophezeiung des ehemaligen kettenrauchenden Mistkerls machte die Sache auch nicht gerade besser. Zwar wollt er es Scully gegenüber nicht zugeben, aber sie kannte ihn mittlerweile zu gut. Sein ausdrucksloses Gesicht sprach Bände. Das Funkeln in seinen Augen schien jeden Tag mehr zu erlöschen. Seufzend streckte Scully ihre müden Beine aus. Es war ein langer, kräftezehrender Tag im Krankenhaus gewesen. Sie war völlig kaputt und doch zu nachdenklich, um sich schlafen legen zu können. Mulders abwesendes Verhalten belastete sie immer mehr. Sie aßen nur noch selten zusammen Abend, noch seltener schliefen sie zusammen im selben Bett. Wenn sie Sex hatten, dann eher der Routine wegen. Die Liebe, die Leidenschaft war schon längst erloschen. An manchen Tagen hasste sie Mulder dafür, dass er ihr kaum noch Beachtung schenket, doch am meisten hasste Scully sich selbst, dass sie lieber stumm ihrer immer löcherig werdenden Beziehung zusah, als etwas dagegen zu tun. In gewisser Hinsicht war sie zu feige dafür, zu ängstlich. Sie liebte Mulder aus vollem Herzen und hatte Angst ihn zu verlieren.


September 2005

Die Tage waren schwerer geworden. Länger und zäher. Es war zum Verzweifeln. Mulder hatte seit Tagen nicht mehr mit ihr gesprochen, das Arbeiten im Krankenhaus war zu einem öden Zeitvertreib mutiert. Die Nächte lag Scully wach im Bett, grübelte. Morgens war sie dann immer so erschöpft, dass nicht einmal der stärkste Kaffee der Welt irgendetwas hätte ausrichten können. Seit Tagen, gar Wochen hoffte sie Mulder aus dem Arbeitszimmer kommen zu sehen, reuevoll. Aber nichts dergleichen geschah. Manchmal kauerte sie stundenlang vor seiner Türe, zögerte. Doch Scullys Innere Angst, in dadurch zu verärgern, war zu groß. Erst neulich hatte er ihr gesagt, dass er Zeit bräuchte. Zeit für sich selbst, um endgültig mit allem abschließen zu können. Anfangs war Scully noch erleichtert gewesen, wobei erleichtert wahrscheinlich eine starke Untertreibung war. Ein riesiger Stein war ihr vom Herzen gefallen, ließ sie wieder ruhig atmen. Bald wird alles besser werden, hatte Scully sich gedacht. Doch aus dem Bald wurde schließlich eine Woche, zwei Wochen. Die Erleichterung war in tiefe Sorge und Verzweiflung mutiert. Am liebsten hätte sie Mulder eigenhändig aus dem stickigen Büro gezogen, ihn angeschrien, ihn heulend zur Vernunft gebeten. Doch sie war zu schwach dafür. Sie vermisste Mulder, vermisste seine etwas zerstreuten Worte, ja sie vermisste sogar die schnellen, gefühlskalten Nummern unter der Bettdecke, die sie im Nachhinein immer so unglaublich deprimiert hatten. Aber wenigstens war Mulder da bei ihr gewesen, hatte sie im Nachhinein noch etwas unbeholfen im Arm gehalten. Scully musste schwer schlucken und zog die Bettdecke etwas fester an ihre Brust. Die Einsamkeit wurde ihr mit jedem neuen Tag mehr bewusst und trieb ihr die Tränen in die Augenwinkel. Der Wecker zeigte viertel vor fünf an. Scully hatte noch nicht geschlafen, zu wild hatten ihre unkontrollierten Gedanken durch ihr Gehirn gezuckt. In einer Stunde würde der Alarm losgehen und sie zum Aufstehen motivieren, doch das war Scully egal. Die hartnäckige Sorge um Mulder und ihre gemeinsame Beziehung hatte Vorrang, keine Frage. Wie sollte sie in dieser Situation schlafen? Scully starrte an die Decke. Sie lag wie üblich auf Mulders Bettseite, die mittlerweile gar nicht mehr nach ihm, sondern viel mehr nach ihr selbst roch. Es war deprimierend. Mulders Anwesenheit schien sich immer mehr in Luft aufzulösen. Um kurz vor halb sechs hielt sie es schließlich nicht mehr aus. Geladen mit Frust und Wut, schoss Scully aus den Kissen und verließ das Schlafzimmer im ersten Stock des Hauses. Sie hielt es nicht mehr aus. Sie konnte so nicht mehr weiterleben. Zu viel war zu viel. Die Treppenstufen fühlten sich eiskalt unter ihren Fußsohlen an. Es knarrte bedenklich. Sie würde Mulder zur Rede stellen, ihm erzählen, wie sehr sie sein Verhalten beschäftigte, sie kränkte. Vor seiner Bürotür blieb sie schließlich stehen – und fasste einen Entschluss. Unverrichteter Dinge drehte sie auf dem Absatz kehrt und ging wieder hinauf ins Schlafzimmer. Heute war nicht der richtige Zeitpunkt, morgen vielleicht.


Dezember 2005

Anfangs hatte Scully noch geglaubt stark zu sein. Sich von ihren Gefühlen nicht leiten zu lassen. Sollte Mulder doch weiterhin nicht mit ihr sprechen, sollte er ihr doch weiter aus dem Weg gehen. Irgendwann würden sich die Dinge schon wieder ändern. Sie hatte Pläne gehabt. Unabhängig zu ihm. Heilig Abend und Neu Jahr würde sie bei ihrer Mutter im Süden Virginias verbringen. Ein bisschen Ablenkung würde nicht schaden. Scully hatte sich schon ehrlich darauf gefreut, doch dann die Hiobsbotschaft. Ihre Mutter hatte sich eine Magen-Darm-Grippe zugelegt und würde über die Festtage überwiegend im Bett verbringen. Alles zerbrach und nun war Scully doch an dem Punkt, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte. Es war der 24ste Dezember, kurz vor Mitternacht. Draußen rieselten dicke Schneeflocken vom Himmel, im Radio wurden Weihnachtssongs gespielt. Alleine saß Scully im Wohnzimmer und starrte mit leeren Augen auf den provisorischen Weihnachtsbaum. Darunter lag ein einziges Geschenk. Es war für Mulder. Sie hatte die Hoffnung in ihrem Inneren noch nicht ganz aufgegeben, doch mit jeder Minute, die verstrich wurde es ihr immer schmerzhafter bewusst. Mulder würde nicht kommen. Er würde Weihnachten nicht mit ihr verbringen, von Neujahr ganz zu schweigen. Um Punkt zwölf Uhr begannen die Glocken im Radio zu läuten, begrüßten den ersten Weihnachtstag. Mit Tränen in den Augen zog Scully an dem Kabel. Die fröhliche Melodie verklang und drückende Stille trat ein. Mit hängenden Schultern stand Scully auf und trotte langsam die Treppen zum Schlafzimmer hinauf. Sie legte sich samt Jeans und Bluse ins Bett und begann noch ehe ihr Gesicht das Kissen berührte, verzweifelt zu weinen. Die Tränen schienen kein Ende zu nehmen, rollten über ihre Wangen und hinterließen einen großen nassen Fleck auf dem Bettbezug. Vielleicht war das der Punkt, an dem Scully begriff, was zu tun war. Nach einer schlaflosen Nacht hatte sie endgültig einen Entschluss getroffen. Sie würde sich nicht mehr weiter von Mulder hinabziehen lassen, egal wie sehr sie ihn liebte, es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als ihn zu verlassen. Zu oft hatte sie schon versucht mit ihm zu reden. Mulder hatte ihr jedes Mal versprochen, dass alles bald vorbei sein würde, dass sich bald alles ändern würde. Doch nach den letzten Wochen begann selbst der größte Optimist zu zweifeln.
Nächstes Kapitel folgt asap :)
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