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Aftermath

von Anne Haynes

Kapitel 1

1.März 1997
Dana Scullys Tagebuch



Wir werden geboren um zu sterben, Mulder.

Es ist eine unvermeidbare Eigenschaft des Lebens, dass wir bereits mit unserem ersten traumatischen Atemzug die unerbittliche Reise Richtung Tod antreten. Jeder Herzschlag, jeder Atemzug, erscheint wie eine Uhr, die auf ein unabwendbares Ende zuläuft.

In meiner Funktion als Pathologin bin ich eine Autorität auf dem Gebiet des Todes. Ich kann Ihnen von den "Wie's" und "Warum's", den "Wann's" und "Wo's" erzählen. Ich bin in der Lage, die winzigsten Anhaltspunkte, die Aufschluss über die Todesursache einer menschlichen Leiche geben, zu bestimmen.
Ich kann Ihnen sagen, aus welchen Bestandteilen die letzte Mahlzeit einer Person bestanden hat, ob sie eine Mutter war oder nicht, ob er ein Alkoholiker oder Raucher war. Ich kann einen Körper Organ für Organ zerlegen, so wie ein Mechaniker eine Maschine auseinandernimmt, und Ihnen mitteilen, ob etwas entfernt oder hinzugefügt wurde, um die empfindliche Balance zwischen den Zellen zu zerstören, welche die zerbrechliche Substanz des Lebens formt.
Der Tod ist kein Rätsel für mich. Ich fürchte ihn nicht.

Ich habe nur Angst vor seinen Folgen.

Ich habe mein Leben auf einem isolierten Pragmatismus gegründet, der mich weit gebracht hat.
Der Wechsel von einer NAVI-Basis zur anderen NAVI-Basis alle zwei bis drei Jahre erforderte einen Gleichmut, welchen die meisten Leute nie auszubilden vermögen. Ich habe früh gelernt, zurückzutreten, Objektivität zu bewahren.
Es war schmerzhaft, tiefe Beziehungen mit anderen zu knüpfen, im Bewusstsein der Tatsache, dass ich sie in drei oder vier Jahren wieder verlassen würde.
Also übertrug ich meine Leidenschaft auf die Verfolgung von Erkenntnissen. Wissenschaft ist universal und konstant. Obwohl sich das Verstehen der Welt um uns herum von Moment zu Moment ändert, bleibt doch der Vorgang, mit dessen Hilfe wir diese Informationen einzuholen vermögen, der selbe. Beobachtung. Tests. Anwendung.
Diese Planmäßigkeit stützt mich. Ich gewinne Kraft aus ihrer Unveränderlichkeit.

Doch ich kann meinem bevorstehenden Tod nicht ausweichen und ihn so betrachten, wie es ein Wissenschaftler tun würde, Nasenbluten und Kopfschmerzen abmessen in einem Protokoll für die Durchreise des Lebens.
Weil es Menschen gibt, die mich vermissen werden, wenn ich gegangen bin, so sicher, wie ich meinen Vater und meine Schwester vermisst habe. Menschen, die mich lieben, so wie ich sie liebe, und ihre Leben nicht mehr ohne mich Leben möchten, sodass ich wünsche, ihnen Schmerz zuzufügen, durch meine Abwesenheit.
Meine Mutter, meine Brüder, meine Kollegen.

Sie, Mulder...

Mein Vater erzählte mir einmal eine Geschichte aus der Zeit während seiner früheren NAVI- Karriere, als er und ein Co-Pilot den Schleudersitz ihres lahmgelegten Flugzeuges bedienen mussten. Im Wasser gelandet, Meilen entfernt von der Küste, kämpften sie miteinander, um Kontakt in der kalten, herzlosen See zu halten, jeder von ihnen in der Angst, abzudriften und dem Tod allein ins Auge sehen zu müssen.

Sie haben Angst abzutreiben. Ich sehe es in Ihren Augen, in den Worten, die Sie mir nicht zu sagen vermögen.
Bevor ich zu Ihnen kam, waren Sie allein, unberührt von der Welt um Sie herum, eingesponnen in Ihren großartigen Jammer.
Nützliche Begleiter kamen und gingen, verweilten an Ihrer Seite, sich auf ein gemeinsames Ziel zuschleppend, zusammen und doch getrennt.
Sie redeten sich selbst ein, dass Sie allein glücklicher wären, das Ihre beständige Abschottung belebend sei auf Ihrer Suche nach der Wahrheit.
Das ist es, was ich über Sie weiß.

Aber ich habe Sie berührt wie kein anderer zuvor. Ich bin in Ihr "sanctum sanctorum" vorgedrungen und entblößte Ihr wahres "Ich", das Kind im Manne, das sich mit einer Verzweiflung nach meiner Liebe und Anerkennung sehnt, die mir das Herz bricht, das mich mit einer blinden Leidenschaft liebt, die ich nie zuvor erfahren habe.
Ich glaube, ich habe etwas für Sie erreicht, was kein anderer vor mir erreicht hat – ich habe Ihnen die Hoffnung zurückgegeben.
Das ist es, was ich über mich weiß.

Ich kann den Gedanken daran nicht ertragen, Sie allein zu lassen.

Meine Familie wird um mich trauern, aber Sie haben einander. Meine Kollegen werden meinen Tod als eine bedauerliche Tragödie ansehen, doch ihr Leben wird weitergehen, bewegt, aber unverändert.

Aber mein Tod wird Sie unumstößlich verändern.

Samanthas Verschwinden war eine Amputation. Ein Glied, das aus Ihnen herausgerissen wurde, eine Wunde, die von Zeit zu Zeit aufreißt und wieder zu bluten und zu pochen beginnt.
Aber Sie funktionieren. Sie werden damit fertig. Sie überleben.

Mein Tod, fürchte ich, würde eine Enthauptung darstellen. Eine Art Aushöhlung .

Fatal!

So klebe ich an meinem Leben, entgegen aller Hoffnungen und Gründe, bloßes Vertrauen wird meinen Puls und meine Atmung aufrecht erhalten, um den tödlichen Fremden fern zu halten, der Einzug in meinem Körper gehalten hat.
Ich kämpfe nicht nur für mich allein. Ich kämpfe für Sie, Mulder. Ich kämpfe für die eine übernatürliche Sache, an die ich ohne Fragen zu stellen glaube – das magische Geheimnis, welches Partnerschaft genannt wird, das uns in eine geschlossene Einheit verwandelt hat, um so vieles großartiger, als der Betrag eines einzelnen von uns allein.

Dies ist ein Kampf, den ich nicht verlieren will.

Ich darf es nicht!


- Ende -
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