World of X

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Adagio

von Terma99

Kapitel 1

Scully konnte an dem bernsteinfarbenen Licht, das durch Mulders Schlafzimmerfenster fiel, sehen, dass der Tag beinahe vorbei war. Sie rollte sich auf ihren Rücken, erwartete Schmerz, doch da war nur ein schwaches Ziehen. Es gab keine Schnitte, keine Quetschungen, nur Blut. Viel Blut. Sie lag still, ruhte sich aus, doch konnte nicht schlafen.

Sie konnte ihn in dem anderen Raum mit den Detectives reden hören, seine Stimme wegen ihr gedämpft.
Sie schnürten lose Enden zusammen, schleppten den Körper fort, riefen den Hausmeister an, damit er den Flur des Kellergeschosses noch einmal wischte – alles an einem Tag in dem Leben eines Bundesagenten. Sie hob ihre Augen, um ihr Spiegelbild in dem gekachelten Baldachin zu treffen. Die Farbe war in ihre Wangen zurückgekehrt und das Zittern hatte aufgehört. Ihre Augen brannten vom Weinen und ihre Lippen waren noch immer leicht fleckig. Sie fühlte sich müde und entleert, unsicher und ängstlich, aber auch getröstet durch die Laken des Bettes ihres Partners, die sie leicht umgaben.

Er hatte sie hierher gebracht, hatte sie von der Stelle, wo sie ihn umklammernd, von Schluchzern geschüttelt, eingebrochen war. Er hatte sie trotz ihres leichten Protests auf die Decken gelegt und sich an ihre Seite gesetzt, hatte ihre Wange gestreichelt, bis sie sich beruhigte. Sie lag dort, fühlte sich schwer und erschöpft, während er ein feuchtes Tuch und eine Schüssel mit warmem Wasser hereinbrachte, ihre Bluse aufknöpfte und sanft das Blut von ihrem Hals und ihrem Bauch wischte. Es war nicht notwendig, eine Probe zu machen, beide wussten, dass es ihres war, und sie wollte nicht, dass der Grund ihrer Verletzungen den Raum verließ. Ihre Augen stießen auf sein trauriges Gesicht, als er sie reinigte, wie eine Mutter ihr Kind, zart und langsam, ihre Kleider entfernend, um das Blut von ihrer Brust und ihrer Taille zu wischen. Sie lag da, schlaff und welk, während er ihren Arm hob, den rosa gefleckten Stoff um ihn gleiten ließ, glaubte seinen Entschuldigungen, als sie in seinem Hals aufzukommen kämpften. Aber da war mehr in seinen Augen als Reue; ein Schmerz, Trauer. Ihre Brust schmerzte zu sehr, um es beim Namen zu nennen. Er trocknete sie mit einem kleinen Handtuch ab und stülpte ein sauberes T-Shirt über ihren Kopf, legte sie zurück und zog die Decken zu ihrem Kinn.

„Schlafen Sie."

Es waren die ersten Worte, die er sagte, seit er die Tür aufgebrochen hatte. Die Blässe seiner grüngoldenen Augen verriet seine Müdigkeit, als er ihre Hand drückte und davonging. Wie ein Zauberspruch ließen diese zwei Worte, von seiner Stimme gesprochen, ihre Augen schwer werden, und sie schloss sie, glitt seicht in einen leichten Traumzustand, bevor sie die Tränen wieder einholen konnten. Aber sie konnte nicht vollständig schlafen, ihre Ohren blieben wachsam und suchten, verfolgten die Geräusche, die er machte, als er in den Raum neben ihr ging, die Behörden verständigte, die Tropfen ihres Blues vom Boden wischte, bevor sie ankamen.

Jetzt, Stunden später, mit dem Vorraum voll von Fremden, war sie noch immer durch seine Geräusche mit ihm verbunden. Seine bekannte Sprachmelodie aus dem Chor von Stimmen herauspickend, hallte sie in ihr wieder und sie hielt sie fest. Durch einige Wunder Gottes gab es noch immer eine Kammer, wo sie sie sammeln konnte. Der verdeckte Geist hatte seine Aufgabe verfehlt. Sie wollte sich nicht an das Gefühl seiner Finger erinnern, die ihr Fleisch teilten, wie ein schwaches Messer durch Butter hineinlangend, seine Fingerspitzen ihr Herz suchend und es umfassend, die sich schließende Faust des Phantoms, wie sie begann, zu ziehen. Die Festigkeit des Drucks, die ihre Schreie entzündete, als sie merkte, wie ihr Inhalt in Form von Blut herausfloss. Und in dem roten Strom, der aus ihrer Brust sprudelte, stand ein Wort.

„Mulder?"

Ihre Augen öffneten sich, ihre Stimme entkam kaum ihren trockenen Lippen. Sie streckte ihre Hand nach dem Glas Wasser aus, das er neben dem Bett gelassen hatte, und trank es aus. Sie war durstig.

Er stand in der Schlafzimmertür. „Scully?"

Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, und er kam näher und hielt sie sanft. Ihre Augen machten den offenen Eingang aus. „Sagen Sie Ihnen, dass sie gehen sollen, Mulder."

„Wer ...?"

„Mit wem immer Sie auch gesprochen haben. Ich will sie hier nicht haben. Ich will, dass sie gehen."

Seine Augen verengten sich in Sorge. Er streichelte die Rückseite ihrer Hand. „Okay, das mache ich. Sind Sie in Ordnung?"

„Ja ... ich will nur ... dass sie gehen."

Er nickte wieder und legte ihren Arm zurück auf ihre Brust, verließ den Raum. Sie schloss ihre Augen und fühlte die Feuchtigkeit, die sich unter ihren Liedern sammelte, als sie seine Stimme erneut heraussiebte, vertuschend und besorgt, wie er den Männern sagte, dass sie gehen mussten, da sie Ruhe brauchte.

Papier knitterte und Mäntel raschelten – sie gingen, und sie war beruhigt, wischte die Tränen von ihren Augen. Ein paar Minuten später hörte sie, wie sich die Tür schloss, und Mulder durch sein Wohnzimmer schlurfte und die Vorhänge zuzog.

Vielleicht war es nicht so gut gewesen, sie wegzuschicken; er war jetzt ruhig. Sie wollte wieder nach ihm rufen; in der Stille gab es nichts, was sie verband. Aber er kehrte bald ins Schlafzimmer zurück, um die Vorhänge zu schließen, damit sie vor dem roten Licht der untergehenden Sonne geschützt war.

„Nicht", sagte sie. „Lassen Sie sie offen."

Er drehte sich zu ihr und nickte, fragte nicht warum, drehte sie nur wieder auf. „Ist das in Ordnung?"

„Ja. Kommen Sie her." Ihre Stimme, in den leisen Ton der Erleichterung, dankte ihm, weil er nicht gefragt hatte, warum die Vorhänge aufbleiben mussten, warum die Männer gehen sollten, warum sie ihn sprechen hören musste. Mit den geschlossenen Vorhängen konnte sie nicht sicher sein, dass sie nicht noch immer neben der Tür war, gefangen zwischen den Linien. Die Sicht von hier war anders.

„Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie hingehen und Ihre Aussage morgen machen werden", sagte er, indem er sich wieder zu ihr setzte, ihre schmale Hand zwischen seine nahm und ein kleines Lächeln versuchte.

Sie drückte seine Hand. „Danke. Ich konnte nur ..."

„Ich weiß, es ist okay. Sie müssen nichts erklären."

Sie nickte mit dem Kopf. Sie musste es erklären, aber die Worte würden nicht kommen.

„Wollen Sie, dass ich sie nachher nach Hause bringe?"

In einem anderen Fall, in einem anderen Monat des Jahres, wäre sie dankbar dafür gewesen, dass er es verstand, dass sie ihre Wunden im Privaten lecken musste. Aber nicht dieses Mal. Dieses Mal würde sie sich nicht in diese bekannte Einsamkeit zurückziehen. Sie würde es sich nicht erlauben. Sie schüttelte ihren Kopf.

„Nein. Ich denke nicht, dass ich jetzt allein sein möchte."

Er sah auf das leere Wasserglas neben dem Bett. „Ich bringe Ihnen mehr Wasser. Sind Sie hungrig? Kann ich Ihnen eine Suppe oder irgendetwas anderes machen? Ich bin gut in Toastzubereitung."

Sie lächelte ihn an. Sie fühlte sich wie ein kleines Mädchen, das wegen Krankheit nicht in der Schule ging, sondern zu Hause geblieben war. Es hatte Jahre gedauert, bis sie irgendwem erlaubt hatte, sich so um sie zu kümmern.

„Suppe klingt gut."

Seine Augen enthärteten sich in stillem Dank dafür, dass sie ihm diesen Genuss gestattete. „Ist sofort da."

Sie schloss ihre Augen und hörte ihm zu, wie er klapperte und durch die Küche schlurfte. Hausgeräusche, Geräusche, die ein Liebhaber bei Morgenanbruch nach einer langen, leidenschaftlichen Nacht machte. Sie war es gewöhnt, von dem Geräusch, dass Jake beim Frühstück machen verursachte, aufzuwachen. Es war...tröstend, persönlich. Sie und Mulder waren in so vielen Dingen miteinander vertraut. Und so viele Dinge waren so anders, so schwer in Worte zu packen.

Die Fenstervorhänge waren, die sternenklare Nacht und den Mond über den Dächern preisgebend, geöffnet. Sie saßen zusammen auf der Kante seines Bettes und aßen Campbells und Toast und Marmelade auf seinem Nachttisch in dem sanften Glühen der Tischlampe. Er plauderte ziellos mit ihr, seine Beine auf einen Stuhl gelegt; erzählte ihr kleine Geschichten, die vom Mond, den Sternen, von allem, was nicht auf der Erde weilte, handelten.

Und sie war ruhig; ihre Augen geöffnet und blau, hörte zu, lehnte sich in die Kissen am Kopfende zurück, hing an jedem seiner Worte, als seine vielseitige Vorstellung wanderte, all die Lichtpunkte in ihre Richtung drängte. Seine Unterhaltung bestand aus nichts, doch sie hielt sich an jedem Wort fest und steckte sie weg. Hielt ihn verschlossen. Füllte den Platz, der ausgedrückt worden war.

Die warme Suppe füllte ihren Bauch, und sie begann müde zu werden. Er brachte ihre Schüsseln weg, während sie aufstand, ihr Gesicht wusch und sich für die Nacht vorbereitete. Als sie zurückkam, steckte er sie wieder ins Bett, deckte sie mit Zusatzdecken aus dem Wandschrank zu. Das Licht dämpfend, setzte er sich neben sie, streichelte ihre Wange bis sie eingeschlafen war.


Es kehrte im Traum zu ihr zurück. Die Erinnerung an Musik strömte in ihren Geist.

Adagio for Strings, Barbers melancholisches Musikgedicht für den Verlust einer verehrten Liebe, spielte aus ihrem Autoradio, als sie anhielt und vor der Kirche parkte. Die langen, leidenden Akkorde fielen und strömten dahin, spülten Erinnerung durch ihre Ohren, während sie durch den heiligen Bogen ging und sich selbst als Ebenbild des Wunders von St. Margaret – Mary empfand. Das Reißen des Cellos, das Stöhnen der Bässe und der Triumph der Streicher erinnerten sie an ein Gebet. Ein langes, wunderschönes Märchen, gegossen aus veredelten Erfahrungen und allgemeinem Leid. Sie bemerkte, dass sie einander in Liebe akzeptierten. Sie beteten gemeinsam, da einer in Hoffnung dem Glauben auf Erlösung folgte; ein endloser Akkord suchte seinen Höhepunkt, aber fand jedoch nie wirkliche Erlösung.

Messias hielt die Flamme und die Schmerzen von sechs langen Jahren in seinen Händen, schlug weich und schwach. Es war kein Wunder, dass sie so bereit für ihn war, dem Fremden, leise ihr Leben in ihrem Ohr anstimmend, als sie in dem dunklen Öl der Leinwand verloren war. Hätte sie sich nicht auf seine Anmerkung eingestellt, hätte sie sie nicht gehört, nicht auf seine Formulierung geantwortet, als er versuchte, sie zu erfassen. Seine Stimme, weich und beruhigend, ihr auf eine gewisse Art sagend, dass er es war, auf den sie wartete, er war der Schlüssel zu allem, was sie versteckt hielt. Seine Stimme waren wie Hände, die sie durchlebten, nach ihr langten, den Vorhof streichelten, die Herzkammer, die das Blut auferstehen und pulsieren ließ; den Schlag wieder anschwellen ließen, der jedes Jahr schwächer geworden war. Ja, da gab es Hände, die in sie langen konnten, aber sie gehörten nicht zu diesem Mann. Sie hatte sich getäuscht. Der Fremde hatte eine alte Bahn gefunden, die durch diese Finger in sie gesponnen war, die heute von dem roten Ausschlag ihres Blutes gefärbt waren, die sie so sanft wie Blütenblätter, die von einer vergessenen Rose fallen, gewaschen und berührt hatten.

Sie öffnete ihre Augen und setzte sich auf. Es war schon sehr spät, der Mond war nicht länger außerhalb des Fensters und sie war allein. Sie zitterte, ihre Brust schmerzte stumpf. Es war zu ruhig, zu dunkel. Das Stöhnen der Streicher und der Rhythmus der fremden Alltäglichkeit echoten in ihrem Ohr. Nicht mehr.

Sie stand auf und schlüpfte aus dem Bett, schlang ihre Arme um sich und wanderte aus dem Zimmer. Sie fand sich im Wohnzimmer wieder, wie sie neben ihm stand, während er auf der Couch schlief; beobachtete das tiefe Heben und Senken seiner Brust, brauchte die Verbindung, musste sprechen, die Nachricht überbringen.

Sie berührte sein Haar und seine Augen schlugen erschrocken auf.

„Scully. Sind Sie in Ordnung?", fragte er verschlafen mit einem leichten Gähnen, das sie an ein taumelndes Kind erinnerte.

„Das werde ich sein. Rutschen Sie rüber."

Er lächelte schüchtern und hob die Decke, um sie dazu einzuladen, sich neben ihn zu legen. Sie schlüpfte darunter, ihren Rücken gegen seine Brust gelehnt, während er sie beide mit der Decke einhüllte. Er war so warm. Er nahm sie in die Arme und hielt sie süß – um ihre Hüfte und unter dem Kissen, so dass er ihre Haare mit seinen Fingerspitzen streicheln konnte. Sie schloss ihre Augen, fühlte, wie die Angst und der schwache Schmerz in ihrer Brust sich linderten und in seiner Umarmung dahinschmolzen. Er atmete leicht gegen ihren Hals, während sie still zusammenlagen. Wie konnte sie sich so getäuscht haben?

Mulder, dass ist der Grund, warum ich um uns weine.

Sie atmete tief ein und ließ die Luft langsam frei, kämpfte mit den Tränen. Er konnte ihre bewegenden Emotionen fühlen und küsste sanft ihren Nacken. „Shh...", flüsterte er. „Schlafen Sie, Scully. Ich bin bei Ihnen."

„Ich will nicht so sein, Mulder."

Sie fühlte, wie er seinen Kopf ein Stück hob. „Wie was?"

„So leer, so entfernt von jedem. So weit weg von mir."

„Das sind Sie doch gar nicht, Scully ..."

„Nein, Mulder. Ich bin es. Ich war so weit weg, dass ich nicht wusste, was in meinem Herzen vorging, bis jemand versuchte, es mir zu entreißen. Ich stand meiner größten Angst gegenüber, meine Angst, meine Fähigkeit zu lieben, zu verlieren."

Er hielt sie für einen Augenblick einfach nur fest, atmete flach, kämpfte mit seinen eigenen vergrabenen Emotionen.

„Scully, ich habe auch meiner schlimmsten Angst ins Auge gesehen. Keine Frau, die so wunderschön ist wie Sie, bleibt für lange Zeit ungeliebt."

„Es tut mir leid, dass sie uns auf diesem Weg finden mussten", sagte sie leise.

Er drückte sie an sich. „Ich kann dich nicht gehen lassen", flüsterte er gegen ihr Haar. "Aber ich werde dich gehen lassen, wenn du mich jemals darum bittest."

„Das werde ich nicht ..." Die Worte blieben in ihrem Hals gefangen. „Nie. Ich denke, dass ist das, was ich sagen musste. Macht das einen Sinn?"

Er lächelte in ihr Haar. „Ja, das tut es." Er seufzte, ließ seine Stirn an ihrer Wange ruhen und schloss seine Augen. „Agent Scully ist verliebt ..."


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