World of X

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Shades of Meaning

von Jenna Tooms

Kapitel 1

Er gab ihr den Zettel. "Merk dir das. Benutze es."

"Ich werde dich nicht anrufen."

Er lächelte sie an. "Du wirst anrufen."

"Ich will dich nie wieder sehen."

Sein Lächeln wurde breiter. "Du wirst anrufen."

******************

Eigenartig, dass er zärtlich sein konnte.

Oder auch nicht eigenartig.

Er mochte es, an ihren Fingern zu saugen und sie damit zu necken, was sie zum Mittag gegessen hatte. Er mochte es, mit der Hand durch ihre Haare zu fahren bis sie stöhnte. Er mochte es, ihren Rücken zu massieren bis sie locker und weich war. Er mochte es, ihr russische Worte zuzuflüstern und sie nicht zu übersetzen.

"Wenn du es wissen willst, schlag es nach."
Sie wollte das keiner Bibliothekarin erklären müssen. Ich wurde um meinen Verstand gevögelt und mein Liebhaber hat dies und jenes zu mir gesagt und ich frage mich, was er wohl meinte. Uh-huh.

Sie fand heraus, was ihm gefällt. Zuerst wollte sie das nicht. Lieg still. Lass ihn denken, es ist abstoßend.

Sie konnte das zehn Minuten durchhalten. Es war zu angenehm. Zu gut, ihn zu berühren. Lebendiges Fleisch.

Warm und weich, kühl und schwielig. Hart und heiß.

Er hatte nach dieser ersten Nacht recht behalten. Hatte ihr die Nummer gegeben, unter der sie ihn immer erreichen konnte, hatte eingebildet gelächelt und wiederholt, dass sie anrufen würde.

Sie hat eine große Show daraus gemacht, den Zettel wegzuwerfen und er ist gegangen, lachend.

Und sie holte den Zettel wieder aus dem Müll und merkte ihn sich, zerriss ihn und warf ihn weg.

Sie schaffte es drei Tage lang, ihn nicht anzurufen.

*******************

"Krycek?"

"Bist du in Washington?"

"Dana?"
"Ja."

"Ich bin in der Nähe. Ich habe dir gesagt, dass du anrufen würdest."

"Wenn du schadenfroh bist, werde ich auflegen und die Tür verschließen."

"Verschlossene Türen können mich nicht aufhalten. Oder verschlossene Fenster. Ich bin schon in deinem Inneren. Du kannst mich nicht aussperren."

"Komm einfach."

"Das werde ich." Seine Stimme - zärtlich. Der stichelnde Ton - weg, die Schadenfreude - weg.

"Ich werde da sein. Sei auf mich vorbereitet."

Sie brauchte eine Weile, um Worte zu finden.

"Das werde ich."

*********************

Sie wusste nicht, was er damit meinte, aber sie versuchte es zu interpretieren.

Würde er Kerzen mögen und Musik und Wein? Würde er hungrig sein und erst etwas essen wollen? Würde er sie auf den Boden ihres Flurs werfen und dort vögeln?

Ihr würde das letzte am besten gefallen.

Sie bereitete trotzdem ein Essen zu. Chefsalat, etwas, das sich halten würden, im Falle, dass es nicht gleich gebraucht würde. Wein im Regal, im Falle, er würde gewünscht. Musik: der 'Bolero' von Ravel, eine schöne lange Orchesterversion. Kam das nicht mal in einem Film vor? Sie konnte sich nicht erinnern. Mulder würde es wissen.

Sie betete, dass das Telefon nicht klingeln würde.

Würde er darum bitten, hereingebeten zu werden oder würde er einfach reinkommen?

Sie schauderte bei der Doppeldeutigkeit.

Sie wiederholte für sich die Liste: Dieb, Mörder, Lügner, Verräter.

Überlebenskünstler. Nein. Verkauft seine Loyalität an den Meistbietenden. Bleibt am Leben, weil er zu viel weiß, um seinen Tod zuzulassen. Nein.

Nein.

Verdammt.

Sie zog sich ein halbes Dutzend mal um. Entschied sich schließlich für ein Sweatshirt und Jeans, ohne Unterwäsche. Sollte er es interpretieren, wie er wollte. Kashmir an ihren Brüsten. Denim zwischen ihren Schenkeln. Es fühlte sich gut an. Verdorben gut. Gut verdorben – war das kein Widerspruch?

Es war unwichtig. Es fühlte sich vorbereitet an.

Er klopfte. Schnell und fest. Sie hörte darauf mit geschlossenen Augen, während sie auf dem Flur saß mit dem Rücken zur Tür, ihre Arme um die Knie geschlungen. Er klopfte ein zweites Mal.

"Dana? Geht es dir gut da drin?"

"Ich komme", sagte sie leise und stand auf. Öffnete den Riegel und die Kette und das Schloss an der Klinke. Öffnete die Tür.

Sein Gesichtsausdruck war traurig und zärtlich. Er studierte sie einen Augenblick und sagte dann, "Ich werde gehen. Du musst dich nicht zwingen."

"Bleib." Sie legte die Hand auf seinen Arm. Auf den künstlichen. "Bleib. Komm rein. Ich bin... ich bin froh, dich zu sehen."

"Ich bin auch froh, dich zu sehen." Er kam herein und schloss die Tür. Seine Hand berührte ihr Gesicht, hob ihr Kinn, strich über ihre Wange. "Du bist müde."

"Es war eine schlimme Woche."

"Jagd nach dem Babymörder. Ich habe davon gehört."

"Wie?"

"Gerüchte. Bis du dir sicher, Dana? Ich wäre nicht beleidigt."

"Ich möchte dich hier haben." Seine Augen wie Jade. Nein, wie Reif auf Gras. Sie wollte Feuer in diesen Augen sehen, Feuer und Hunger. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. "Ich will dich. Alex."
Endlich lächelte er.

*********************

Mulder hatte es geahnt, wenn nicht sogar gewusst. Die Kratzer von Bartstoppeln auf ihrem Gesicht waren eindeutig.

"Ich bin froh, dass Sie ein Privatleben haben, Scully", sagte er zuerst und als es öfter vorkam, neckte er sie mit Anspielungen auf Porzellanmuster und Brautjungfern.

"Nein. Es ist nichts dergleichen."

"Oho, Agent Scully. Ich hätte nie gedacht, dass Sie wissen, was bedeutungsloser Sex ist."

Nicht bedeutungslos. Aber auch nicht bedeutungsvoll. Keine Herzen und Blumen vom Liebhaber, nur Kosenamen, die sie nicht verstand und einen Kuss, wenn er ging, wenn er dachte, dass sie schlafen würde.

Dass sie mit ihm in einem Zimmer schlafen konnte war atemberaubend. Sie entschied sich, darüber nicht weiter nachzudenken.

"Ich hoffe er ist gut", sagte Mulder ein paar Tage später, sein Gesicht besorgter als die ersten paar Male.

"Ich kann mich nicht beschweren."

"Werde ich ihn mal kennen lernen?"

"Nein. Noch nicht. Er ist ...soweit ich es beeinflussen kann, möchte ich nicht, dass sich die verschiedenen Teile meines Lebens mehr als nötig überschneiden."

Krycek gehörte in ihre Arbeitswelt. Krycek der Verräter, Krycek der Mörder. Alex war ihr zärtlicher Liebhaber, der Liebhaber mit der fremden Sprache. Sie lächelte. Mulder würde diese Doppelbedeutung lieben. Vielleicht würde sie es ihm eines Tages erzählen.

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Gemütlicher Sonntag Nachmittag. "Heute keine Internationale Verschwörung", sagte Alex als er gegen zehn auftauchte, mit Bagels und Kaffee und den Comics aus drei verschiedenen Zeitungen. Sie hatten sich auf der Couch geliebt, die Bagels gegessen und sich gegenseitig die Comics vorgelesen. In Zeiten wie diesen konnte sie ihr anderen Leben vergessen, das Leben, in dem sie ihn hasste.

Er mochte ihre Hände. Streichelte sie endlos. Raue Fingerkuppen an ihrem Arm hinauf zu ihrem Ellenbogen, wieder nach unten zum fleischigen Teil ihrer Hand. Hin und her über ihr Handgelenk. Zwischen ihren Fingern. Die Linien auf ihrer Handfläche nachzeichnend.

Die Frage kam aus dem Nichts. "Du liebst ihn, oder?" Er klang müde.

"Ja."

Er nickte. "Du weißt, dass er dich niemals zurücklieben wird. Nicht, wenn er andere Prioritäten hat."
"Ich weiß."
Lange Zeit der Stille. Fingerkuppen, die an ihrem Arm herauf streichelten. Mit ihrem Ellenbogen spielten. An den Spitzen ihrer Nägel rieben.

"Ich bin nicht viel besser, richtig?"

"Was meinst du?"

"Du denkst auf lange Sicht nicht über mich nach."

"Das kann ich mir nicht leisten."

"Ich wünschte ... ich wünschte, ich könnte dir eine Zukunft anbieten."

"Nicht. Das ist genug. Die Sprache der Haut, die sprechen wir beide. Das ist alles, was wir brauchen."

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Es war abzusehen, dass es passieren würde. Mulder, der hereinplatzte. Der Krycek am Kragen packte und ihn herauf riss. "Geh von ihr runter!" Der den Held spielte.

Sie hatten geschlafen, er war müde und krank, er kam nur, um getröstet zu werden. Sie hatte das freudig getan, ihn bemuttert. Saft und Schmerzmittel, ein Versprechen von Tomatensuppe und Parmesankäse, wenn er das wollte. Ihr gluckenhaftes Verhalten ließ ihn lächeln und er rollte sich neben ihr zusammen, den Kopf auf ihrer Brust und seinen Arm über ihrem Bauch. Sie schabte mit ihren Nägeln leicht über sie Kopfhaut, langsamer und langsamer, eingelullt vom Rhythmus seines Atems.

Und nun schüttelte Mulder ihn wie eine Puppe und Scully weinte und flehte ihn an aufzuhören, du tust ihm weh, bitte hör auf und Kryceks Gesicht verschloss sich, kein Zeichen von Schmerz oder Erniedrigung oder Ärger.

Sie konnte Mulder nicht dazu bringen aufzuhören, er war zu groß und zu wütend.

"Ihr seid was?"

"Wir haben eine Beziehung, Mulder. Seit fast einem Jahr. Bitte tu ihm nicht mehr weh."

Sie kniete sich auf den Boden gleich neben die Stelle, wo Mulder ihn fallen gelassen hatte, nahm Kryceks Kopf in ihren Schoß. Er öffnete seine Augen lang genug, um ihr die Resignation darin zu zeigen und schloss sie dann wieder.

Mulder sank auch auf den Boden. Er wischte geistesabwesend das Blut von seinen Knöcheln.

Als er sprach, kam seine Stimme aus weiter Ferne. "Wie konntest du das tun, Scully?"

"Wie hätte ich es nicht können sollen?" Sie konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Nur Alex. Nur Alex. Gott, mach das Mulder weggeht. Ich sollte ihn in ein Krankenhaus bringen.

Sie dauerte eine Weile bis sie bemerkte, dass Mulder weinte. Sie anflehte, dieses Kommunistenschwein loszulassen und *ihm* zu helfen, verdammt noch mal, er war ihr Partner, ihr Freund, er brauchte sie am meisten.
"Scully", sagte er krächzend.

Sie wiegte Alex weiter in ihren Armen.

"Es wird alles wieder gut, Aljoscha. Ich verspreche es. Ich kümmere mich um dich. Ich werde mich immer um dich kümmern. Sch, sch. Ich bin hier."

**************

Nach so vielen Telefongesprächen war es eigenartig, mit ihm an einem zu sprechen und ihn gleichzeitig zu sehen.

Sie legte die Hand auf das Glas zwischen ihnen. "Tun sie dir weh?"

"Was, das hier?" Er zuckte mit den Schultern. "Das ist von deinem Partner."

Sein Ton schnitt durch sie hindurch wie gezacktes Metall. "Ich habe ihn nicht angerufen. Du weißt das. Bitte, Alex. ..."

"Tu das nicht, Dana. Denk dir was aus. Sag ihnen, ich bin eingebrochen. Sag ihnen, ich habe dir weh getan. Sag ihnen irgendwas. Du musst sicher bleiben. Du musst dort bleiben, wo du Gutes tun kannst."
"Ich werde nicht lügen."

Er war still, starrte sie mit diesen leeren Augen an.

"Mulder würde sowieso nicht mit mir reden. Er denkt – na ja, ich nehme an du weißt, was er denkt."

"Dass du ihn verraten hast."

"Ja."

"Das hast du. Er hat Recht. Immer wenn ich dich geküsst habe, hast du dir vorgestellt, er wäre es?"

"Nein. Niemals."

Er seufzte schwer. "Ich möchte dir glauben." Er lächelte freudlos und es verschwand schnell.

Er legte seine Hand auf das Glas, tat es ihr nach. "Als ich dich das erste mal traf, wollte ich dich. Zunächst noch nicht einmal sexuell. Ich wollte dich kennen lernen. Ich wollte, dass du mich magst. Ich wollte, dass du mich ansiehst, wie du ihn ansiehst. Und als du es schließlich getan hast, fühlte ich mich unbesiegbar."

"Du wirst da rauskommen, Alex."

"Aber du liebst ihn immer noch mehr, wenn du mich überhaupt liebst."

Sie hatte keine Antwort darauf. Hunger und Leidenschaft und Einsamkeit war kein Nährboden für Liebe.

Oder war es das?

"Ich stehe auf deiner Seite, Alex", sagte sie zum Schluss. "Ich bin bei dir. Ich werde nicht zulassen, dass sie dir weiter weh tun."

"Es ist zu spät, Dana. Ich bin schon tot." Er legte den Hörer auf, aber ließ seine Hand auf dem Glas.

Tonlose Worte. Ich liebe dich. Stand auf und ging zurück ins Gefängnis.

********************

Es war einmal eine Frau, die von einem Mann geliebt wurde, den sie hasste. Einem Mann, der ihren Körper anbetete wie ein Gläubiger seine Göttin. Jeder Teil an ihr wurde verehrt, weil er nicht anders konnte.

Es war einmal eine Frau, die von einem Mann geliebt wurde, den sie hasste. Und sie lernte, ihn nicht zu hassen. Sie lernte, ihn zu mögen. Sie lernte, ihn zu lieben. Sie verlor ihn trotz alledem.



ENDE
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